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Partnerschaft mit einem Grenzgänger - Borderline Persönlichkeitsstörung

Menschen mit Borderline stehen aufgrund ihrer markanten Persönlichkeitsmerkmale großen Herausforderungen gegenüber. Die starken emotionalen Schwankungen, ihre ausgeprägte Angst vor dem Verlassenwerden und ihre Unsicherheiten im Hinblick auf die eigene Identität können vor allem Liebesbeziehungen massiv belasten. Welche Probleme entstehen daher in Partnerschaften und wann sollte besser die Reißleine gezogen werden?


Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, sein Leben mit nahestehenden Menschen zu teilen. Daher gelangen die meisten von uns irgendwann an den Punkt, an dem sie sich eine harmonische Partnerschaft mit einem liebevollen Menschen herbeisehnen. Bei der Partnersuche achten wir darauf, jemanden zu finden, der ähnliche Wertvorstellungen und Ziele hat, wie wir selbst. Aber auch Unterschiede können sich positiv auswirken, da wir uns in einigen Bereichen optimal ergänzen können.

Sind wir in der glücklichen Lage, irgendwann einen passenden Herzensmenschen zu finden, genießen wir miteinander die rosarote Verliebtheitsphase. Wie in jeder „normalen“ Beziehung kann es zu Konflikten kommen, sobald die Verliebtheitsphase sich dem Ende zuneigt. Daran ist nichts Ungewöhnliches. In allen Bereichen, in denen Menschen aufeinandertreffen, entstehen früher oder später gelegentliche Meinungsverschiedenheiten. So auch in Partnerschaften. Setzen wir uns respektvoll und auf Augenhöhe mit unserem Herzensmenschen auseinander, lernen wir uns besser kennen und können sogar auf gesunde Weise an Meinungsverschiedenheiten wachsen.

Es ist also durchaus „sinnvoll“, sich zwischenzeitlich verbal aneinander zu reiben.

Ein Paar kann eine harmonische und glückliche Partnerschaft führen, wenn es eine „gesunde Streitkultur“ entwickelt. Meinungsverschiedenheiten direkt respektvoll anzusprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, verhindert, dass sich unverarbeitete Gefühle aufstauen und die Beziehung womöglich irgendwann einen (stillen) Beziehungstod stirbt. Auseinandersetzungen sind somit manchmal notwendig und mit einem reinigenden Gewitter vergleichbar. Partner von Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) sind hier allerdings oftmals größeren Herausforderungen – wenn nicht sogar regelmäßigen zwischenmenschlichen Dramen – ausgesetzt. Bevor wir uns diese Herausforderungen näher anschauen, wollen wir uns jedoch einen kurzen Überblick darüber verschaffen, wie sich die BPS äußert.

Nach heutigem Stand der Wissenschaft wird davon ausgegangen, dass mitunter genetische Faktoren einen erheblichen Anteil an der Entstehung der Borderline-Störung haben. Weiterhin begünstigen negative Lebenserfahrungen sexueller Art, Gewalterfahrungen, schwere Vernachlässigung, negative

Betroffene sehen sich häufig mit intensiver Wut, tiefer Trauer und Angst konfrontiert.

Grundeinstellungen und schädliche Verhaltensmuster die Entstehung von Borderline. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung weisen Symptome wie extreme Stimmungsschwankungen auf. Dabei kann ihre Stimmung sehr schnell wechseln und sich daher extrem überfordernd auf die Betroffenen und ebenso auf die Menschen in ihrem Umfeld auswirken.

Betroffene sehen sich oftmals mit intensiver Wut, tiefer Trauer und Angst konfrontiert, die für sie schwer auszuhalten sind und nicht immer einen aktuellen externen Grund zur Ursache haben. Ebenso häufig treten Empfindungen der inneren Leere und inneren Taubheit und ein Zustand der „Unverbundenheit“ zu sich selbst und der Umwelt auf. Auch besteht eine starke Neigung zu Depressivität. Da diese Zustände für die Betroffenen meist schwer zu ertragen sind, zeigen sie häufig ein ausgeprägtes selbstschädigendes Verhalten. Dieses kann sich mitunter durch Selbstverletzung, gefährliches Autofahren, Substanzmittelmissbrauch oder ein gestörtes Essverhalten (verschiedene Essstörungen) äußern.

Betroffene bedienen sich dieses Verhaltens, um innere und unaushaltbare Spannungszustände zu bewältigen oder auch um das quälende Gefühl der inneren Leere zu füllen oder zu betäuben. Besonders in Stresssituationen spüren Betroffene die mangelnde Verbundenheit zu ihrem eigenen Körper. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers ist dann stark verzerrt. Borderliner rutschen daher oft in einen Zustand der Dissoziation, wodurch sie Schmerzen geringer wahrnehmen, sich wie in einem Nebel befinden und manchmal auch Geräusche nur gedämpft hören. Speziell dann greifen sie zu selbstverletzendem Verhalten.


Weiterhin tragen die Betroffenen eine innere Zerrissenheit im Hinblick auf den Wunsch nach zwischenmenschlicher Nähe und Distanz in sich und rutschen schnell von einem Extrem ins andere. Einerseits neigen sie durch ihre ausgeprägte Angst vor dem Verlassenwerden zum „Klammern“ und benötigen stetige Liebesbeweise ihres Partners. Andererseits haben sie enorme Angst davor, durch zu große Nähe erdrückt zu werden bzw. sich in ihrem Gegenüber zu verlieren. Die Angst vor Verlassenwerden wird häufig massiv durch ihr instabiles Selbstbild (bis hin zum Selbsthass, der sich in der Selbstschädigung widerspiegelt) und durch intensive Gefühle von Schuld, Scham und Ohnmacht befeuert.

Diese extreme Angst vor dem Verlassenwerden ist, neben dem instabilen Selbstbild, ein zentraler Punkt der Borderline-Störung. Das empfundene Selbstwertgefühl kann sehr schnell von extrem negativ zu extrem positiv wechseln. Auch wissen die betroffenen Menschen häufig nicht, „wer sie eigentlich sind“, was zu unklaren Wertvorstellungen und Lebenszielen führt. Weitere wichtige Merkmale der BPS sind ein mangelndes Einfühlungsvermögen, ausgeprägte Impulsivität und eine Neigung zu riskantem Verhalten (Enthemmung), mitunter Feindseligkeit, bis hin zu diesbezüglichen paranoiden Gedankengängen und daraus resultierenden Verhaltensweisen.

Nachdem wir uns nun ein verständlicheres Bild über die Kernmerkmale machen konnten, werden wir leichter nachvollziehen können, weshalb sich Menschen mit einer BPS im partnerschaftlichen Kontext besonders schwertun. Solche Beziehungen sind meist intensiv, aber zugleich sehr instabil, konfliktreich und unberechenbar. Borderliner können schnell sehr enge Bindungen eingehen, wobei sie ihr Gegenüber stark idealisieren. Diese Beziehungen kommen häufig einer Achterbahnfahrt der Gefühle gleich. Einerseits ersehnen sich Betroffene sehr viel Nähe von ihrem Partner und haben den Wunsch, förmlich miteinander zu verschmelzen. Dies zeigt sich in starker Idealisierung ihres Herzensmenschen, anklammerndem Verhalten, dem Bedürfnis nach stetiger Bestätigung der Liebesgefühle und massiver Verlassenheitsangst. Verwirrend wird es für die Partner von Borderlinern allerdings, wenn sich das Blatt wendet und sie plötzlich „vom Podest gestoßen werden“. Dies geschieht, wenn ihr Borderline-Partner in den Modus der Abwertung ihnen gegenüber umschaltet. Im Regelfall werden seitens des Borderline-Partners dann (meist unverhältnismäßige bzw. nicht nachvollziehbare) Schuldzuweisungen ausgesprochen. Aus einer sprichwörtlichen Mücke wird oft ein Elefant gemacht. Das kann mitunter passieren, wenn der Mensch mit Borderline sich vom Gegenüber abgelehnt fühlt oder Angst hat, von seinem Partner verlassen zu werden. Das Bestreben danach, nicht verlassen zu werden, kann zu kontrollierendem und manipulierendem Verhalten führen.

So kann es vorkommen, dass das Mobiltelefon des Partners auf mögliche Hinweise für einen „Nebenbuhler“ überprüft wird, um zu eruieren, ob dieser sich eventuell bald aus der Partnerschaft verabschieden könnte. Betroffene können generell intensiv auf tatsächliche oder empfundene Anzeichen einer Zurückweisung oder Distanzierung reagieren. Daraus können starke Gefühlsausbrüche von Wut, Verzweiflung usw. resultieren. Das stetige Auf und Ab der Gefühle wirkt sich auch auf den Partner aus, was zu starker Überforderung führen kann. Dies verstärkt dann die Angst der Betroffenen, verlassen zu werden. Nicht selten kann es deshalb vorkommen, dass ein Borderliner die Beziehung plötzlich „vorsorglich“ beendet, um nicht selbst verlassen zu werden. Weiterhin können erzeugte Dramen dazu benutzt werden, um seitens des Borderliners Distanz zu seinem Gegenüber herzustellen. Eine ausgewogene Regulierung zwischen Nähe und Distanz im zwischenmenschlichen Bereich ist bei Menschen mit einer ausgeprägten BPS nicht möglich. Betroffene neigen grundsätzlich dazu, ihre Partner zwischen zwei Extremen hin- und herzureißen. Dieser Abwehrmechanismus wird als Spaltung bezeichnet. Daher wird ein Mensch entweder als „gut“ oder „schlecht“ gesehen. Es fällt Borderlinern schwer, anzuerkennen, dass ein Mensch mit „guten Charaktereigenschaften“ dennoch Verhaltensweisen an sich haben kann, die „weniger angenehm“ sind. Sie schieben ihn daher entweder in die Schublade „guter Mensch“ oder „schlechter Mensch“. Eine integrative Sichtweise ist ihnen demnach nicht möglich.

Der (schnelle) Wechsel zwischen Idealisierung und Abwertung ist für Partner von Menschen mit Borderline nicht nur anstrengend, sondern kann sogar sehr schädigend für sie sein. Dies gilt besonders, wenn die Betroffenen zu massiven Wutanfällen neigen, die sie im partnerschaftlichen Kontext nicht kontrollieren können. Oft tritt diese Wut plötzlich auf und kann ebenso schnell wieder nachlassen. Dieses derartig unvorhersehbare und sprunghafte Verhalten verwirrt und überfordert Außenstehende verständlicherweise. Ein weiterer Abwehrmechanismus, den Borderliner zeigen, ist die Projektion. Dies beinhaltet das Zuschreiben der eigenen unakzeptablen Gefühle oder Gedanken auf andere Menschen. Ebenso neigen sie zur projektiven Identifikation. Diese äußert sich darin, dass der Borderliner andere Personen versucht dazu zu bringen, sich entsprechend den projizierten Attributen zu verhalten. Partner von Borderlinern fühlen sich oftmals, als würden sie über ein emotionales Tretminenfeld laufen oder über Eierschalen gehen. Aufgrund ihres instabilen Selbstbildes sind Menschen mit einer BPS leicht kränkbar und fühlen sich schnell abgelehnt. Dann können sie auch schnell anfangen zu weinen und neigen entweder dazu, starke Nähe zu ihrem Partner zu suchen oder Distanz herstellen zu wollen.

Viele Menschen mit einer BPS tragen eine weitere Persönlichkeitsstörung in sich. Tatsächlich gibt es (auch in den Verhaltensweisen) einige Überschneidungen mit der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Denn auch Narzissten sind nicht in der Lage, gesunde zwischenmenschliche Bindungen einzugehen und diese aufrechtzuerhalten. Sie zeigen ebenfalls ein stark idealisierendes und später abwertendes Verhalten gegenüber ihren Partnern. Weiterhin neigen sie dazu, Wutanfälle (bekannt als „narzisstische Wut“) zu äußern. Auch das Selbstbild von Menschen

Ein Paar kann eine glückliche Partnerschaft führen, wenn es eine gemeinsame gesunde Streitkultur entwickelt.

mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist absonderlich. Sie erschaffen sich ein „grandioses, aufgepumptes Ich“, das ihre tief liegende Selbstunsicherheit überdeckt.

Tatsächlich finden zudem nicht selten Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung mit Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung im Kontext einer Partnerschaft zueinander. Diese Verbindungen gipfeln in extrem zerstörerischen Eskapaden, wie wir uns vorstellen können. Partner von Betroffenen mit einer BPS, die keine Persönlichkeitsstörung oder sonstige psychische Einschränkungen bzw. Erkrankungen haben, sollten sich über die nicht unerheblichen Herausforderungen im Hinblick auf eine solche Partnerschaft bewusst sein. Ebenso wichtig ist es, dass sie eine gute Wahrnehmung dafür entwickeln, wie sich bestimmte Verhaltensweisen ihres Borderline-Partners auf sie selbst bzw. ihr Wohlbefinden auswirken. Wie stark die Herausforderungen in der jeweiligen Partnerschaft sind, fußt darauf, wie stark die BPS bei dem betroffenen Menschen ausgeprägt ist. Ein zusätzlicher wesentlicher Faktor bei einer solchen Beziehungskonstellation ist es, ob der an BPS leidende Mensch therapeutische Unterstützung in Anspruch nimmt.

Als Behandlungsmethode hat sich die sog. Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) bewährt. Zunächst lernen die Betroffenen das Erkennen und Akzeptieren der vorliegenden Problemfelder. Zugleich wird gemeinsam mit dem Therapeuten an den schädigenden Denk- und Verhaltensmustern gearbeitet. Auch werden spezifische Fertigkeiten zur Emotionsregulation und Spannungszustandskontrolle trainiert. Partner von Menschen mit Borderline benötigen „ein dickes Fell“. Es ist essenziell, dass sie sich nicht zu sehr mit ihrem Fokus im Gegenüber verlieren. Auch besteht die Gefahr, dass sie selbst massiv unter dem stetigen Auf und Ab leiden. Ihr eigenes Selbstwertgefühl kann Schäden davontragen, weil sie permanent zwischen Idealisierung und Abwertung (inkl. Schuldzuweisungen und Beschämung) hin- und hergerissen werden. Äußern sich all die bereits erwähnten Ausprägungen in einer intensiven Form, bekommt die Beziehung bedauerlicherweise schnell einen toxischen Charakter.

Partner von Menschen mit Borderline geraten oft in eine Art Falle. Die emotionalen Verstrickungen können dazu führen, dass sie sich in einer Retterrolle verlieren und darin aufzehren. Derartige Beziehungen ähneln häufig einem Drahtseilakt. Menschen, die sich nicht mit diesem Krankheitsbild auskennen und selbst psychisch weniger gefestigt sind, sollten derartige Beziehungskonstellationen meiden. Es ist zwar nicht in Gänze aussichtslos, mit einem an einer BPS erkrankten Menschen eine Partnerschaft führen zu können. Aber wie erwähnt, spielen mehrere Faktoren eine wesentliche Rolle.

Fragen, die wir uns dazu stellen sollten: - Wie ausgeprägt ist die Borderline-Störung beim Betroffenen? - Arbeitet der Betroffene im Rahmen einer Therapie an seinen Themen? - Inwieweit sind wir selbst als Partner psychisch stabil und trauen uns eine solch herausfordernde Partnerschaft zu? - Besteht die Bereitschaft, eventuell selbst oder gemeinsam Hilfe in Anspruch zu nehmen (z. B. durch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für Angehörige mit Borderline, einer Therapie oder Paarberatung)?

Je nach Ausprägung der Persönlichkeitsstörung der Betroffenen variiert die Selbstreflexionsfähigkeit. Somit fällt es manchen Betroffenen schwerer als anderen, ihre eigenen Gefühle und ihr eigenes Verhalten wahrzunehmen, zu hinterfragen und folglich daran zu arbeiten. Auch dies ist eine wichtige Voraussetzung, um einschätzen zu können, inwieweit eine – zumindest „relativ normale“ – Partnerschaft miteinander möglich ist. Der entscheidende Faktor für Partner von BPS-Betroffenen sollte sein, ob sie selbst unter der Beziehung leiden. Wenn dies der Fall ist, gilt es, Selbstfürsorge zu betreiben und die Partnerschaft zu beenden.

Schließlich gilt an dieser Stelle der Grundsatz, der für jeden Menschen und in jedem Lebensbereich greift: Ein jeder von uns (gesunden Menschen) trägt die Verantwortung für sein eigenes Denken, Handeln und Fühlen und muss aus sich selbst heraus die für ihn richtigen Entscheidungen treffen.

Partner von Borderlinern fühlen sich oft so, als würden sie über ein emotionales Tretminenfeld gehen.

Isabelle Maria Kühler
Coachin und Psychologische Beraterin mit Schwerpunkten Hochsensibilität, Liebe und Partnerschaft, Autorin Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Isabelle Maria Kühler: Finde dein Liebesglück – Beziehungsratgeber für hochsensible Frauen. Shaker Media Verlag, 2024