Die Wirkmacht der Worte – ein Plädoyer für den bewussten Umgang mit Sprache!
Sprache ist das zentrale Kommunikationsmittel zwischen Menschen. Sie ist eng mit dem Denken verbunden. Das Denken beeinflusst die Art zu Sprechen und das Sprechen die Art, wie wir denken. Sprache ist Klang, Form und Bild von der Welt. Sie ist Wiedergabe von Wahr genommem, Empfundenem und Gefühltem. Entwicklung und Sozia lisation, wie wir zwischenmenschliche Beziehungen und Begegnun gen gestalten – all das ist mitgetragen von Sprechen und Sprache.
In unseren sprachlichen Äußerungen sind Spuren von Verhaltensmustern und Hinweise auf Werte, grundsätzliche Lebenseinstellungen zu finden. Diese anhand von Aussagen aufzuspüren, sollte Kernkompetenz von Therapeut*innen, Coachs und Beratenden in der Diagnosestellung sein: Was steht zwischen den Zeilen? Passt die Körpersprache zu dem Gesagten? Wo sind Lücken, was wird verschwiegen? Welche Adjektive und Gefühlswörter werden verwendet?
Durch den häufigen Gebrauch von Wörtern wie Schuld, Fehler, Problem oder Funktionierenmüssen wird eine angestrengte Lebenseinstellung deutlich. Die Sprache von Depressiven gibt wertvolle Hinweise auf die Erkrankung. Sie wählen häufiger generische Begriffe wie nie und immer, reden öfter von Problemen oder wählen eine distanzierte Sprache, wie „man müsste mal“, das funktioniert alles nicht. Bei Sätzen wie „Ich kann nicht mehr.“ oder „Ich bin nichts wert.“ sollte man spätestens hellhörig werden.
Gleichzeitig ist Sprache als elementare Interventionsform zu nutzen. Ziel ist es, distanzierte, verneinende Negativaussagen umzuformulieren und gemeinsam eine ressourcenfördernde, aktive und positive Sprache im Präsens zu finden. Aus „man müsste mal“ wird „ich werde“, aus „das Problem ist“, wird „meine Aufgabe wird sein“. All das hat nichts mit schönreden zu tun. Vielmehr schafft Sprache Wirklichkeit: Positiv- wie Negativformulierungen haben Einfluss auf unser Erleben.
Eine häufig verwendete Formulierung in meinen Stressmanagement-Seminaren ist, man ist gestresst und überfordert. Die Verallgemeinerung „man“ ist sprachlich eine sichere Distanz zu sich selbst. Ziel der Intervention muss die sprachliche Heranführung an das eigene Innen- und Gefühlsleben sein. Die Umwandlung in eine Ich-Aussage mit einem Gefühlswort (ich bin erschöpft) hat eine ganz andere Qualität.
Sprache schafft Wirklichkeit
Welche heimliche Kraft die Alltagssprache hat, zeigen Worte wie „aber“. Damit verwandeln wir oft ganz unbewusst das, was wir eigentlich sagen wollen: Eigentlich geht es mir gut, aber ... Alles was vor „aber“ steht, wird irrelevant. Es fehlt die bewusste Wahrnehmung dessen, was davor gesagt wird. Besser ist es, ein „aber“ durch ein „und“ zu ersetzen als positive Bejahung. Mir geht es gut und gleichzeitig habe ich heute leichte Magenschmerzen.
„Eigentlich“ ist ebenso ein Unwort-Kandidat. Eigentlich ist eine Nullaussage: Es könnte so sein, aber eigentlich auch nicht. Wer eigentlich sagt, hat keine Haltung zu seiner Aussage.
Das Wort „müssen“ vermittelt, dass wir fremdbestimmt hilflos, nahezu abhängig sind. Müssen lässt sich ersetzen durch ein „Ich entscheide mich für ...“, z.B. heute Überstunden zu machen, weil ich dann meine Präsentation fertigstellen kann und das ist mir wichtig. Mit der eigenen Entscheidung für etwas kommt man seinem Bedürfnis näher.
Verneinungen sollten stets umgewandelt werden, denn sie sind das Gegenteil einer bedürfnis- und handlungsorientierten Sprache. Marshall B. Rosenberg gibt dazu in seinem Standardwerk zur Gewaltfreien Kommunikation ein gleichermaßen einfaches wie einprägsames Beispiel:
Sie: „Ich möchte, dass du nicht mehr so viel arbeitest.“ Er: „Gut, okay, dann gehe ich öfter zum Golfspielen.“
Sprache ist vielseitig interpretierbar, allen voran sind es Verneinungen!
Sprache erzeugt Bilder in unseren Köpfen. Erinnern Sie sich noch an die Deutsche Bahn in den 1980er-/1990er-Jahren? Neben den Schiebefenstern stand folgender Satz:
„Bitte lehnen Sie sich nicht aus dem Fenster“. Das Bild, das sekundenschnell auftaucht, ist ein Mensch, der sich aus dem Fenster lehnt. Wenn Sie eine blühende Fantasie haben, dann sehen Sie noch einen Fahrleitungsmast am Rand der Schienen.
Die positive Formulierung dieser Botschaft finden Sie heute in den ICEs neben den Fenstern: „Bleiben Sie sitzen und halten Sie die Fenster geschlossen“. Auch hier werden in Millisekunden in unserem Gehirn entsprechende Nervenbahnen gebahnt und erzeugen ein Bild. In diesem Falle ein sicheres Bild. Eine positive Sprache ist daher einmal mehr Stützpfeiler des therapeutischen Settings.
Sprache ist Handeln
Wie Sprache unser Denken und Handeln beeinflusst, wird besonders deutlich, wenn wir erforschen, wie Glaubensmuster entstehen, also persönliche Überzeugungen, die wir für absolut wahr halten, selbst, wenn sie keinen Wahrheitsgehalt haben. Glaubenssätze konstruieren eine individuelle Wirklichkeit. Sie entstehen in der Kindheit durch Sätze wie „haste nix, biste nix“, „erst die Arbeit und dann das Vergnügen“ oder „Jungs weinen nicht“. Diese Sätze können sich zu einer bestimmten Sichtweise auf das Leben formen und uns prägen.
Im Alltag verfestigen sich diese Glaubenssätze. Dabei unterliegen sie einem gesellschaftlichen Wandel. Sprüche aus den Poesiealben der 1980er-Jahre wie „Sei wie das Veilchen im Moose, sittsam, bescheiden und rein, und nicht wie eine stolze Rose, die immer bewundert will sein“ (Mädchen dürfen nicht wütend, aufbrausend, stolz oder leidenschaftlich sein), haben heute größtenteils zum Glück ihre Gültigkeit verloren.
Wie sehr sich der gesellschaftliche Wandel in Sprache widerspiegelt, zeigt nicht zuletzt die Diskussion um das generische Maskulinum und einen gendergerechten Sprachgebrauch. Der Diskurs über die Benachteiligung von Frauen im Sprachsystem und Sprachgebrauch durch die Verwendung des generischen Maskulinums ist nicht neu, vielmehr besteht er seit den 1970er-Jahren. Neu ist, dass es mit „Divers“ nun eine neue offizielle Geschlechtskategorie gibt und diese Tatsache lässt die Debatte um Doppelnennung oder Binnen-I, Unterstrich oder Gendersternchen wieder aufleben.
Die sprachliche Anpassung an die gesellschaftliche Realität stellt eine Herausforderung dar. Die Nichtanpassung der Sprache ist hingegen eine Kapitulation vor der gesellschaftlichen Realität.
Werden Frauen sprachlich nicht sichtbar gemacht, tauchen sie auch im Denken nicht auf. Mit der Verwendung von zumindest Doppelnennungen wie Wählerinnen, Ärztinnen oder Kundinnen oder gar der Versprachlichung des dritten Geschlechts wie Leser*innen (in der verbalen Aussprache lässt man eine Lücke an der Stelle des Sternchens) wird Sprache zum Spiegel des historisch gesellschaftlichen Diskurses und Hilfsmittel, am Wandel mitzuwirken. Sprache schafft nicht nur Denkräume, Sprache ist treibende Kraft im Veränderungsprozess.
Worte haben Macht!
Aktuell erleben wir eine Verrohung der Sprache, eine unglaubliche Respektlosigkeit und die Bereitschaft, persönlich vernichtend mit Personen umzugehen – nicht nur in den sozialen Medien. Eine erschreckende Kriegsmetaphorik hat in der Berichterstattung deutscher Tageszeitungen längst Einzug gehalten und ist nicht zuletzt im Wahlkampf konventionalisiert. SPD-Kreuzzug, Verlierer werden attackiert, Lehrer ins Gefecht geschickt und in deutschen Kinderzimmern herrscht Terror. Unterhändler haben sich in einem Schützengraben verschanzt und Presseverlage wurden gestürmt.
All das passiert wohlgemerkt im außermilitärischen Kontext. Die Verrohung ebnet den Weg für reale Gewalt. Das Sprachphänomen der Kriegsmetaphorik löst Hemmungen. Wir wissen aus der Geschichte, dass der Gewalt der Worte irgendwann die Gewalt der Taten folgt. Wie nah Sprechen und Handeln sind, zeigt jüngst der Fall Walter Lübcke. „Wo die Sprache verroht, ist die Straftat nicht weit“, sagt unser Bundespräsident Walter Steinmeier zu der Tat. Außerdem stellte er einen Zusammenhang zwischen Hass und Hetze im Internet und tödlichen Verbrechen her.
Wir Therapeut*innen sollten die heimliche Kraft alltäglicher Worte durch bewusstes Sprechen intensiv nutzen und gleichzeitig unsere Klient*innen dabei unterstützen, eine Sprache zu sprechen, die sie wieder mehr in Kontakt mit sich bringt. Gute Therapie ist wie gute Musik; ein Gespräch als Stück. Therapeut*innen sind bestenfalls ein Resonanzkörper, in dem sie eine achtsame Kommunikation forcieren.
Das bedeutet, dem Gegenüber wirklich zuzuhören. Es gibt einen großen Unterschied zwischen wirklichem Zuhören und bloßem Hören, was jemand sagt. Beim achtsamen Zuhören denkt man nicht ständig an das, was man selbst als Nächstes loswerden will, und legt sich auch nicht sein nächstes Argument zurecht, während der andere noch redet. Es geht darum, mit allen Sinnen wahrzunehmen: Was sagt mein Gegenüber, wie geht es ihm oder ihr, und dies zu spiegeln. Am Ende des therapeutischen Prozesses steht eine gemeinsame Sinfonie.
Für jeden Dialog im Alltag gilt: Wir brauchen wieder mehr Empathie und Sensibilität bei der Wortwahl. Wir sollten wieder mehr Bewusstsein für unsere Sprache und ihre Wirkungen erlernen, für einen besseren kommunikativen Umgang mit Patient*innen, Kolleg*innen, Partner*innen, Kindern etc. Nicht irgendwann, sondern gegenwärtig.
Ela Windels
Sozialpsychologin, Journalistin, Kommunikationstrainerin,
Autorin, Dozentin an der Paracelsus Schule Hannover
Foto: ©Ljupco Smokovski