Aktive Tiefenentspannung – der Schlüssel zur Seele
Auszüge aus dem Buch von Amrei Spalek
Wie kommt jemand dazu, sich für Kunst zu interessieren oder für Naturwissen schaften? Für die Schauspielerei oder für ein Handwerk, das er dann mit Hingabe ausübt? Ganz gewiss bringen viele Menschen für ihr spezielles Interessengebiet bestimmte Grund voraussetzungen und Neigungen mit, die sie auf diesen ihren Weg geführt haben. Vielleicht hatten sie schon immer einen Drang verspürt für genau dieses Berufsbild, vielleicht gab es ein besonders verehrtes Vorbild oder sie fühlten sich angesprochen durch Begegnungen mit - für sie - außer gewöhnlichen Menschen, Gegenstän den oder Ereignissen. So mag sich der starke Wunsch ergeben haben, sich selbst auf diesem Gebiet zu entfalten.
Mit dem besonderen Interesse an der Psychologie scheint es eine andere Bewandtnis zu haben. Ich vermute, dass es für diese Berufswahl wohl selten ein bestimmtes Vorbild gibt, dem man nachstreben möchte. Viel eher glaube ich, dass das Interesse an der Psychologie dadurch entstanden ist, dass tief im eigenen Inneren irgendetwas nach Klärung verlangt. Noch tappt man im Dunklen und weiß vielleicht nicht, was es ist. So macht man sich auf die Suche – und findet die Psychologie.
Auf der Suche nach Antworten greift man zur Beratungsliteratur. Oder man beginnt eine Therapie. Oder man studiert Psychologie. Oder man macht eine Ausbildung zum Psychologischen Berater. – Das war mein Weg und ich vermute, dass auch die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen ganz ähnliche Motive für ihre Berufswahl hatten: die Suche nach dem „Ich“.
Für mich war es eine lange Reise, bis ich mein „Ich“ fand. Doch der Weg führte nicht über Einsichten und rationale Erkenntnis, sondern über die Entdeckung der Welt der Emotionen – der Königsweg, sich selbst zu finden und die Barrieren, die das bisher verhindert hatten, wegzuräumen! Eine wegweisende Erkenntnis, die mich hinführte zur aktiven Tiefenentspannung. Ich fand den Schlüssel zur Seele ...
Ehe ich in meinen Ausführungen auf mein zentrales Thema eingehe – nämlich auf die aktive Tiefenentspannung – gehe ich verschiedenen Fragen nach:
Was ist Seele? Wie kommt es zu seelischen Problemen? Welche Gehirnregionen sind beteiligt? Was kann Psychotherapie? Eigene Erfahrungen?
Erst danach komme ich auf das Wesen der aktiven Tiefenentspannung und ihre Wirkungsweise zu sprechen. Viele Beispiele verdeutlichen die unglaublichen Wege, die Klienten gehen, um mithilfe der aktiven Tiefenentspannung ihre Probleme hinter sich zu lassen, die ihre Wurzeln meistens in ihrem aktuellen Leben haben – aber immer wieder auch aus einem vergangenen Leben stammen können. Abschließend biete ich einen Deutungsversuch an, der die Vorgänge vielleicht nicht unbedingt verständlich, aber immerhin plausibel erscheinen lässt.
Zunächst einmal: Ich habe eine anerkannte Heilpraktikerschule besucht, in der ich den Zweig „Psychologie“ gewählt hatte. Die dreijährige Ausbildung schloss ich als Psychologische Beraterin ab.
In der Ausbildung lernte ich eine Vielzahl der unterschiedlichen psychologischen Schulen mit ihren diversen Theorien und Schwerpunkten kennen. Jede Theorie hatte ihren namhaften Begründer, auf den sich seine Anhänger beriefen. Und jede der Schulen wusste genau Bescheid über die seelischen Grundbedingungen des Menschen, warum es immer wieder zu Störungen kam und wie man diese zu behandeln hätte. Recht bald fiel mir auf, wie unterschiedlich sowohl die Grundannahmen als auch die jeweiligen Methoden waren, mit denen man die Störungen zu beheben gedachte.
Anfangs hatte ich noch das eine oder andere Aha-Erlebnis: So also tickt der Mensch! Doch bald fragte ich mich verwundert: Wenn so viele kluge Köpfe so großartige Erkenntnisse über den Menschen und seine seelischen Bedürfnisse hatten, warum widersprachen sie sich in so vielen Dingen, warum bekämpften sie einander, statt gemeinsam zum Wohle der Menschen das Beste herauszufinden? War es denn nicht eigentlich ihr Ziel, ihnen in ihrer seelischen Not zu helfen?
Irgendwann erwachte ich aus meinem Traum, als ich das Menschlich-Allzumenschliche erkannte, dem sich auch die klügsten Köpfe nicht entziehen konnten: dem Streben nach Anerkennung, Ehre, Macht und – ja, auch nach Rechthaben. Jeder brachte seine eigenen Erfahrungen und Vorstellungen mit, die sicher wohldurchdacht und bestimmt auch in vielen Fällen zutreffend waren. Doch als Resultat ihrer Erkenntnisse hatte dann jeder ein eigenes Bild im Kopf, wie der Mensch zu sein habe. Doch die jeweiligen Bilder unterschieden sich oft erheblich.
Hier sehe ich das Grundproblem: Es gibt ihn nicht, den Prototyp Mensch, den man nur richtig einstellen muss, damit er funktioniert. Der Mensch ist viel komplizierter! Er ist eine Einheit aus Körper, Geist und Seele, und ist – jeder auf seine Weise – ein abso lut einmaliges Individuum. Nein, es gibt ihn nicht, den Schablonen-Menschen, und daher kann kein vorgefasstes Bild jemals auf alle gleichermaßen passen. Jeder Mensch hat seine ureigene Geschichte, seinen ganz eigenen Hintergrund bzgl. Familie, Umfeld und kultureller Herkunft. So viele Komponenten spielen eine Rolle dabei, wie er sich entwickelt und wie er sich in seinem Leben einrichtet. Wenn auch nur auf einer Ebene dieser Drei-Einheit von Körper, Geist und Seele eine Unregelmäßigkeit auftritt, kann das ganze System Mensch außer Tritt geraten. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten dafür. Genau deshalb kann der ganze Mensch nicht nach „Schema F“ behandelt werden, egal ob diese Unregelmäßigkeit auf der geistigen, seelischen oder körperlichen Ebene stattfindet.
Wenn der Auslöser dafür auf der rein körperlichen Ebene zu finden ist, können Mediziner häufig Abhilfe schaffen. Schnell beruhigen sich dann auch der sich sorgende Geist und die mitleidende Seele. Der Mensch fühlt sich wieder gesund. Wesentlich anders – und viel komplizierter – verhält es sich mit der Seele. Gerät sie aus dem Tritt, liegen die Gründe dafür oft viel tiefer, sind schwerer zu ermitteln und noch schwerer zu korrigieren. Häufig zeigen sie sich im Verhalten des Menschen, aber oft auch als körperliche Beschwerden, was ein Erkennen der Ursachen noch schwieriger macht. Genau das ist es, was eine seelische Störung so unheimlich erscheinen lässt. Weil es deutlich leichter scheint, den körperlichen Beschwerden beizukommen, wird auf diesem Gebiet Abhilfe versucht. Kluge Ärzte jedoch kennen ihre Grenzen und schicken ihre Patienten dann, wenn sie die Probleme als seelische Ursache erkannt haben, zu einem Fachmann auf diesem Gebiet: dem Psychologen.
Zunächst einmal die Frage: Was bedeutet eigentlich der Begriff „Psychologie“? Er bedeutet ganz wörtlich: Seelenlehre. Doch was geschieht in weiten Teilen der gelehrten und ebenso der praktizierten Psychologie? Die Seele kommt gar nicht vor!
Den Körper sieht man und man kann ihn anfassen. Den Geist akzeptiert man, denn er macht sich deutlich bemerkbar durch die Intelligenz. Dank der unglaublichen Erkenntnisse der Hirnforschung weiß man sehr viel über die Gehirnfunktionen und in welchen Regionen welche Zuständigkeiten gespeichert und gesteuert werden. Man weiß, wo unser Bewusstsein sitzt: im Großhirn. Und man weiß, wo unsere Gefühle ihre Heimat haben: innerhalb des limbischen Systems (ein Teil des Mittelhirns). Man konnte nachweisen, dass alles Materie sei. Sämtliche Funktionen sind erklärbar mit chemischen und physikalischen Vorgängen.
Man hat keineswegs versäumt, nach dem Sitz der Seele zu suchen – doch gefunden hat man ihn nicht. Ein Beweis für die Nichtexistenz der Seele! Und was schließt man daraus? Unser Gehirn ist weiter nichts als ein Computer. – Doch was ist ein Computer? Zunächst ist er einfach nur ein Blechtrottel. Damit er all das kann, was man von ihm erwartet, muss er von einem klugen Computerspezialisten programmiert worden sein. Seine Hard ware muss mit Software gefüttert werden. Künstliche Intelligenz ist inzwischen sogar der menschlichen Intelligenz auf manchen Gebieten überlegen. Längst gibt es Roboter, die sehr geschickt alle möglichen Tätigkeiten verrichten, oft besser und präziser als ein Mensch es könnte. Mit der entsprechenden Ausstattung verfügt ein Roboter über einen Körper und einen Geist (wenn er denn gut programmiert worden ist). Könnte er vielleicht eines Tages zum „besseren Menschen“ werden? Vieles spricht dafür: Er klagt nicht über Schmerzen, er arbeitet rund um die Uhr, er braucht keinen Urlaub, er quält sich nicht mit Problemen. Und wenn er mal nicht mehr arbeiten kann, wird er in seine Einzelteile zerlegt und recycelt.
Roboter sind hilfreich und praktisch in vielerlei Hinsicht – doch zum Menschen werden sie nie! Etwas Wesentliches fehlt ihnen – und das wird ihnen auch kein noch so guter Programmierer jemals eingeben können: eine Seele. Es ist die Seele, die einen Menschen zum Menschen macht!
Zunächst eine Frage: Wozu brauchen wir überhaupt eine Seele? Wofür soll sie gut sein und auf welche Weise kann man sie wahrnehmen, wenn es sie denn schon geben soll? Meine Antwort lautet: Alle unsere Empfindungen und Gefühle, die „guten“ ebenso wie die „schlechten“, sind Ausdruck unserer Seele und zeigen an, welch reiche Farbenpalette uns zur Verfügung steht: Liebe, Freude, Empathie, Fröhlichkeit, Mut, Ehrlichkeit, Vertrauen, Selbstvertrauen. Aber auch: Unsicherheit, Misstrauen, Neid, Eifersucht, Überheblichkeit. Traurigkeit, Trauer, Schuldgefühle, Verletztheit, Angst, Ärger, Zorn, Wut, Hass. Wer kennt sie nicht, diese Gefühle, in der einen oder anderen Ausprägung? Bei sich selbst oder bei anderen?
Wie gut oder schlecht die Software eines Computers ist, hängt einzig und allein ab von den Fähigkeiten seines „Vaters“, der ihn programmiert hat. Es gibt viele Parallelen zum Menschen: Wie den Computer muss man auch das Gehirn des Menschen füttern – doch nicht nur mit Wissensinhalten. Auch die Seele ist hungrig und braucht reichlich Nahrung, um sich optimal entfalten zu können. Doch wann und auf welche Weise geschieht das beim Menschen?
Im Augenblick der Zeugung beginnt das Leben eines Menschen. Mitgezeugt wird im selben Augenblick die Seele. Ihrer Natur nach ist sie immateriell. – Lange Zeit wurde darüber gestritten, ab welchem Zeitpunkt die Seele – wenn es sie denn geben sollte – wohl in den werdenden Menschen gelangen möge: Irgendwann im Laufe der Schwangerschaft? Oder erst bei der Geburt? Hatten Frauen überhaupt eine Seele? Oder stand sie nur dem Mann zu?
Darüber zu streiten, ist müßig, denn die Seele ist und bleibt ein wesentlicher Faktor, der den lebendigen Menschen vom toten unterscheidet. Im selben Augenblick, da der Tod eintritt, findet die Trennung wieder statt: Der Körper ist und bleibt Materie und wird, wenn sich die Seele verabschiedet hat, als solche von der Natur wieder aufgenommen. Ein Körper ohne Geist ist möglich: Es gibt angeborene Fehlentwicklungen des Gehirns, sodass sich der Geist nicht oder nicht ausreichend entwickeln kann. Menschen mit Hirnverletzungen oder mit Demenz (lateinisch: ohne Geist) leben, so lange sie atmen. Ihre Seele bleibt unberührt von der Funktionsfähigkeit ihres Gehirns. Doch ohne Seele gibt es keinen lebendigen Menschen. Schon der Körper einer werdenden Mutter weiß, wenn ein Fötus in ihr abgestorben ist. Er wird als tote Materie vom mütterlichen Organismus abgestoßen, weil dieser ihn als Fremdkörper erkennt.
Der bald nach der Zeugung sich fast explosionsartig entwickelnde Zellhaufen beginnt sehr schnell mit der Spezialisierung: Welche Zellen entwickeln sich zu welchem Körperteil, zu welchem Organ, welche bilden die Nervenbahnen und das Gehirn? Aufeinander folgend - daher etwas zeitversetzt - baut sich das Gehirn sukzessive auf: Stammhirn, Kleinhirn, Mittelhirn (das limbische System). Darüber stülpt sich dann das Großhirn.
In diesem frühen embryonalen Zustand – nämlich dann, wenn das kindliche Gehirn anfängt sich zu entwickeln – beginnt bereits die „Programmierung“. Im gleichen Maß, wie sich die jeweiligen Strukturen entwickeln, nimmt das Gehirn schon seine Aufgaben wahr. Das heißt also auch: Das limbische System (die Struktur für die Speicherung von Emotionen) wird bereits ab dieser sehr frühen Entwicklungsstufe pausenlos emotional gefüttert und saugt alle – völlig unbewusst gesendeten und empfangenen – Botschaften auf wie ein Schwamm. Freud sprach vom Es bzw. vom Unterbewusstsein, auch wenn ihm die biologischen Zusammenhänge noch nicht bekannt waren.
Wer diese Zusammenhänge kennt, begreift, warum es so überaus wichtig ist, dass möglichst viele gute Emotionen bei dem ungeborenen Kind ankommen, die von der Mutter - und durch sie von ihrer Umgebung - vermittelt werden. Damit legt sie einen äußerst wichtigen Grundstein für ein gelingendes Leben ihres Kindes - und damit für seine seelische Gesundheit.
Prägende Erfahrungen in der frühen Kindheit
Mit der Geburt ist selbstverständlich dieser Prozess noch lange, lange nicht abgeschlossen. Nun sind die Eltern gefragt, die ihrem Kind Nestwärme und Geborgenheit schenken müssen (den „Glanz im Auge der Mutter“), indem sie aufmerksam und einfühlsam nicht nur auf seine körperlichen, sondern im gleichen Maß auf seine seelischen Bedürfnisse eingehen. Babys können sehr deutlich mitteilen, was sie brauchen. Wenn eine Mutter bereit ist, die Sprache ihres Kindes zu erspüren, wird sie es bald gut genug verstehen, um auf seine Bedürfnisse angemessen zu reagieren. Babys steht ein breites Spektrum zur Verfügung, um sich verständlich zu machen: durch Mimik, Gestik, sehr unterschiedliche Lautäußerungen, durch Zuwendungs- oder Abwehrbewegungen. Natürlich auch durch Weinen und Schreien, was eine Mutter (verständlicherweise!) oft ganz hilflos macht oder sie sogar in Panik versetzen und zu Fehlreaktionen verleiten kann. Doch eins sollte klar sein: So ein winziges Baby schreit nie, um seine Mutter zu ärgern! Es ist nur nicht immer einfach, das Rätsel seiner Bedürfnisse zu lösen.
Für das seelische Wohl des Kindes ist es außerordentlich wichtig, in welchem Umfang eine Mutter vor allem die emotionalen Bedürfnisse ihres Kindes erkennt und ernst nimmt: Schreit mein Kind, weil es Hunger hat? Oder Schmerzen? Oder braucht es jetzt meine Nähe und Wärme? Meine ungeteilte Aufmerksamkeit und meinen zärtlichen Zuspruch? Hat sie richtig geraten, wird ihr Kind sich beruhigen und sich mit einem zufriedenen Lächeln bedanken. Der Lohn auf beiden Seiten sind überwältigende Glücksgefühle. Denn dadurch, dass seine authentischen Gefühle richtig gedeutet und beantwortet werden, lernt das Kind, seinen eigenen Gefühlen zu vertrauen.
Das bedeutet schlicht und einfach: So, wie ich bin, bin ich richtig! Ich werde geliebt um meiner selbst willen – ich bin liebenswert. Ich kann mir selbst vertrauen – ich habe Selbstvertrauen. Auf diese Weise schenkt die Mutter ihrem Kind ein dickes, warmes, seelisches Polster, das die Grundlage bildet, auch später mit den Schwierigkeiten und Härten des Lebens besser zurechtzukommen, mit denen fast jeder Mensch irgendwann konfrontiert wird. Denn all die „guten“ Emotionen, die nun in unserem limbischen System fest verankert sind, machen die Ausprägungen der „schlechten“ nahezu überflüssig.
Je öfter diese Aktionen gelingen, desto größer ist die Motivation für alle beide, diesen Zustand so oft wie möglich herzustellen. Das ist die Basis für eine wunderbare, stabile und gesunde Beziehung. Nicht nur zwischen Mutter und Kind – die Wirkung weist weit in die Zukunft! Es sind diese frühen Erfahrungen – die natürlich in den folgenden Jahren fortgeführt werden müssen – die einen Menschen befähigen, auch später im Leben stabile und gesunde Bindungen einzugehen und zu erhalten. Damit verbunden sind so wichtige Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Treue.
Dass Liebesbeziehungen immer seltener zu einer stabilen Ehe führen – ebenso die zunehmende Häufigkeit von Scheidungen – sind Indizien dafür, in welchem erschreckenden Umfang das elementare Grundbedürfnis eines Kindes nach zuverlässiger Bindung missachtet wird. Was es im Kleinkinderalter nicht erfahren hat an emotionaler Zuverlässigkeit, wird ihm auch später nicht zur Verfügung stehen.
Das scheint auch der Grund dafür zu sein, warum der Begriff Liebe kaum mehr in seinem ursprünglichen Sinn verstanden wird, nämlich als stabile Bindungsfähigkeit. Liebe wird gleichgesetzt mit Sex. „Ich liebe ihn/sie nicht mehr“ ist oft genug die Begründung für die Trennung eines Paares. Das geschieht häufig, wenn „die Schmetterlinge im Bauch nicht mehr flattern“, wenn die anregende und aufregende Zeit der sexuellen Attraktion mit einem Partner vorüber ist – oft schon nach zwei Jahren. Wenn der Wunsch nach einem erfüllten Sexleben das Hauptmotiv ist für eine Beziehung, bleibt nicht mehr viel übrig, was ein gemeinsames Leben sinnvoll erscheinen lässt. Die Sehnsucht nach einer möglichst stabilen Partnerschaft bleibt aber bei den meisten Menschen weiterhin bestehen. Und so stürzen sie sich in eine neue Beziehung – die dann aber häufig ebenso schnell wieder aufgegeben wird. Ohne dieses Bedürfnis könnten Partnerbörsen niemals so erfolgreich sein und ein Slogan wie „neue Liebe – neues Glück“ würde niemanden anlocken. Die Existenz solcher Partnerbörsen und ihr zunehmender Erfolg scheint ein beredtes Zeichen zu sein für den wachsenden emotionalen Hunger in einem Volk – und gleichzeitig ein Indiz für einen immer spürbarer werdenden Mangel an emotionaler Nähe im Elternhaus.
Dem britischen Kinderpsychiater und Bindungsforscher John Bowlby (1907–1990) verdankt die Wissenschaft die Kenntnisse über die elementare Wichtigkeit der frühen Beziehung eines Kindes zu seiner Mutter. Seitdem weiß man, welch einen nachhaltigen Einfluss eine gelungene frühe Mutterbeziehung für das ganze Leben eines Menschen hat. (Siehe auch Kapitel 21 und 22).
Eine intakte Familie ist und bleibt die Basis für die emotionale Bindungsfähigkeit eines Menschen. Sie ist ein Grundpfeiler, auf dem nicht nur die individuelle Lebensgestaltung ruht; sie ist darüber hinaus richtungweisend für das soziale Funktionieren eines Staates, denn:
Je mehr Kinder in emotionaler Ungebundenheit aufwachsen, desto weniger stabil ist eine Gesellschaft insgesamt.
Amrei Spalek
Psychologische Beraterin, Seminarleiterin für autogenes Training und progressive Muskelentspannung,
Privatpraxis für Psychologische Beratung in Braunschweig, Schwerpunkt Tiefenentspannung
Fotos: ©Sezer66