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Trauma ist nicht gleich Trauma

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Was ist es, woran ist es zu erkennen und was ist zu tun?

Der Begriff „Trauma“ wird in der alternativen Heilkunde häufig gebraucht. „Sie sind traumatisiert“; „es war traumatisch“; „das war ja ein Trauma, was sie erlebt haben“, solche und ähnliche Aussagen werden Patienten gegenüber oft gebraucht. Mit einer solchen Zuweisung sollte jedoch äußerst vorsichtig umgegangen werden, denn die von Patienten geschilderten Beschwerden könnten ganz andere Ursachen haben.

fotolia©Benjamin HaasViele Patienten in der naturheilkundlichen und psychotherapeutischen Praxis leiden an den Folgen eines Traumas, ohne dass es ihnen bewusst ist. Das Schlimmste, was ihnen dann widerfahren kann, ist eine Re-Traumatisierung aufgrund einer unpassenden Behandlung oder Therapie. Leider kommt das noch zu oft vor, denn nur wenige sind in der Lage, ein Trauma rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu handeln. Die körperlichen und psychischen Folgen für den Betroffenen sind dann oft fatal. Sie reichen von einer drastischen Verschlimmerung der körperlichen Beschwerden (Somatisierung) über ausgelöste Psychosen bis hin zum Suizid. Hier ist also Aufklärung dringend erforderlich.

Was ist ein Trauma?

Zunächst ist es erforderlich, den Begriff des Traumas klar zu definieren. Das Wort Trauma stammt aus der griechischen Sprache und steht für „Wunde“. Bei der Behandlung von Menschen kann das Trauma, die Wunde, in zwei Bereichen vorkommen: Es kann die körperliche Wunde sein, z. B.: das Schädel-Hirn-Trauma o. Ä. und es kann genauso die seelische Wunde sein. Um das seelische Trauma wird es im Folgenden gehen. Umgangssprachlich wird bei einer Vielzahl von menschlichen Erlebnissen oder Situationen von einer traumatischen oder auch traumatisierenden Situation gesprochen wie z. B.: Krankheitsdiagnose, Unfall, Todesfall, Scheidung, Gewalttätigkeit, Vergewaltigung usw. So seltsam es für manche sein mag, auch eine Situation des „Helfen-Wollens/ -Müssens“ kann traumatisierend sein.

Auch ein Miterlebenmüssen, die so genannte „Zeugenschaft“ (z. B.: Amoklauf) einer intensiven und belastenden Situation, kann Ursache für ein Trauma sein. Im Kontext einer professionellen Psychotherapie gibt es klare Kriterien, die erfüllt sein müssen, um überhaupt von einem Trauma zu sprechen.

Ein Trauma ist eine konkrete Situation oder ein Erlebnis im Leben des Betroffenen mit folgenden Merkmalen:

  1. es kommt plötzlich und unerwartet
  2. es ist in dem Moment nicht mehr abzuwenden
  3. es ist mit einem starken Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit verbunden
  4. es ist von subjektiv empfundenem lebensbedrohlichem Ausmaß
  5. es übersteigt im Moment die psychische Belastungsgrenze des Betroffenen

Nur wenn alle (!) diese Kriterien erfüllt sind, kann von einem Trauma gesprochen werden. Falls nicht alle Kriterien erfüllt sind, so ist das Erlebnis als unverarbeitetes Belastungserlebnis und somit auch anders in der Behandlung einzustufen.

Welche Folgen hat ein Trauma?

Je nachdem, welches Ereignis die Ursache des Traumas war, kann es zu unterschiedlichen Folgen kommen. Im ICD 10 wird in der Klasse F 43 unterschieden in:

F 43.0 Die akute Belastungsreaktion, also Symptome, die unmittelbar auf ein ganz bestimmtes Ereignis folgen in einem Zeitraum von wenigen Wochen, bilden sich meist wieder zurück, da die Betroffenen stabil genug sind, um das belastende Ereignis verarbeiten zu können. Zu den Ereignissen, die eine solche Reaktion auslösen, können Todesfälle, Unfälle, Krankheitsdiagnosen u. Ä. gehören.

F 43.1 Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), bei der die Symptome über einen längeren Zeitraum, oft sogar jahrelang, auftreten. Darauf wird im Folgenden genauer eingegangen. Zwischen dem ursächlichen Erlebnis und dem erstmaligen Auftreten von Symptomen können auch viele Jahre liegen.

F 62.0 Die andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung. Dazu gehören beispielsweise die Veränderung der Gesamtpersönlichkeit von Soldaten nach Kriegseinsätzen, Entführungsopfern, Opfern von Massenvergewaltigungen in Kriegsgebieten, Ärzten, Sanitätern und Hilfspersonal aus Kriegs- und Krisenregionen u. Ä.

Die Folgen einer Traumatisierung lassen sich in drei Bereiche aufteilen (s. Tab.):

  1. die körperlichen Folgen
  2. die psychischen Folgen
  3. die Veränderungen im Verhalten

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Eine weitere Folge ist die besondere Anfälligkeit der Betroffenen gegenüber den sogenannten Triggern. Das sind unbewusste Auslöser, die einen Teil des Traumainhaltes spürbar machen, allerdings ohne dass Zusammenhänge erkennbar sind. Wenn ein Trauma aus einem Kriegs- oder Unfallerlebnis mit starken Knallgeräuschen vorliegt, so kann die nächste Silvesterrakete ein solcher Trigger sein. In dem Fall sind die Zusammenhänge auch relativ deutlich und einfach erkennbar. Deutlich subtiler kann es bei einem unbewussten Trauma sein. Hier kann z. B. der Geruch eines seltenen Gewürzes eine heftige körperliche Reaktion hervorrufen. Manche berichten auch von seltsamen Verhaltensweisen in Situationen. „Ich war mit Bekannten beim Stadtbummel, plötzlich hatte ich den unwiderstehlichen Drang, die anderen allein zu lassen und mich zu verstecken.“ In diesem Beispiel kann ein Geruch, ein Geräusch, eine Bewegung, ein Lichtreflex o. Ä. der Trigger gewesen sein.

Häufige Folge eines Traumas sind auch kurzzeitige Erinnerungsfetzen, sogenannte Flashbacks. Ohne vorhergehende Anzeichen taucht plötzlich und ganz kurz etwas im Bewusstsein auf, dessen Ursprung nicht erkennbar ist. „Mein Partner hat mich mit zur Firmenfeier genommen, und als ich seinem Kollegen die Hand gab, hatte ich so einen komischen Blutgeschmack im Mund.“ Der Kollege hat sicherlich nichts mit dem Trauma zu tun, nur die Art seines Händedrucks hat möglicherweise diesen Flashback ausgelöst.

„Während ich im Urlaub entspannt am Pool lag und in dem Roman gelesen habe, wurde mir auf einmal kurz schlecht. Es ging dann aber schnell wieder vorbei.“ Auch das kann ein Flashback gewesen sein, ausgelöst durch die Situation am Pool, das Wasser, Gerüche oder den Inhalt des Buches.

Welche Arten von Traumata gibt es?

fotolia©Benjamin HaasAm häufigsten kommt die posttraumatische Belastungsstörung in der alltäglichen Praxis vor. In diesem Kontext werden vier verschiedene Arten des Traumas unterschieden:

  1. Das einmalige Trauma, also ein isoliertes, einzelnes Erlebnis, wie z. B. eine Vergewaltigung, ein Unfall, eine Krebsdiagnose o. Ä.


  2. Das wiederholte Trauma, wenn der Betroffene die Situationen in ähnlicher Weise öfter erleben muss, wie z. B. ein Kind, das über einen längeren Zeitraum immer wieder geschlagen wird.


  3. Das bewusste Trauma, d. h., dem Patienten ist das Erlebnis bewusst, er leidet trotzdem an den Folgen des Erlebten, weil es psychisch noch nicht verarbeitet ist.


  4. Das unbewusste Trauma: Dem Betroffenen ist nicht bewusst, dass es in seinem Leben ein traumatisches Erlebnis gab, die Symptome liegen jedoch vor.

Das Schwierige an der Diagnostik eines psychopathologischen Traumas ist der Umstand, dass sich die Ursachenarten mischen können und nur schwer zu differenzieren sind. So kann ein Patient ein bewusstes, einmaliges Trauma erlebt haben (Schuld am Unfalltod der besten Freundin wegen Unachtsamkeit bei einer Glatteisfahrt) und gleichzeitig noch ein mehrfaches, zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns noch unbewusstes Trauma (wiederholte Misshandlung in der Kindheit) mit sich herumtragen.

Woran ist ein psychisches Trauma zu erkennen?

Viele der körperlichen und psychischen Symptome bzw. Verhaltensweisen kommen auch bei anderen Beschwerdebildern vor. Um bei Vorliegen von Symptomen den Verdacht auf ein psychisches Trauma richten zu können, müssen also weitere Merkmale genutzt werden. Eine typische Reaktion der Psyche im Moment des Erlebens einer traumatischen Situation ist eine innere Distanzierung von dem Geschehen, die sogenannte Dissoziation. Umgangsprachlich kennen wir die Umschreibung des „inneren Aus-steigens“. Es stellt eine Schutzfunktion der Psyche dar, wenn die Belastung zu groß wird. Gleichzeitig kann der Bewusstseinsinhalt abgespalten werden und ist anschließend nicht mehr zugänglich, er wird „ein-gefroren“.

Deutliche Anzeichen einer möglichen Traumatisierung sind im normalen Sprachgebrauch der Patienten zu finden. Es werden die unbewussten und abgespaltenen Bewusstseinsinhalte, ganz besonders die Merkmale der Dissoziation, im Kontext vielfältiger Unterhaltungen umgangssprachlich beschrieben.

„Da steig ich dann aus.“

„Da steh ich neben mir.“

„Es ist, als würde ich mir selbst zuschauen.“

„Ich glaub, ich bin gar nicht richtig in mir.“

V„Es fühlt sich an wie innerlich abgetrennt.“

„Ich spüre mich dann gar nicht mehr.“

„Es war einfach überwältigend.“

„Ich bin überhaupt nicht da.“

„Es ist ein gespaltenes Gefühl.“

„Ich ahne, dass da etwas ist, ich komme jedoch nicht dran.“

„Ab einem gewissen Punkt steige ich aus.“

Sollten bei einem Patienten solche oder ähnliche Redewendung zu hören sein und er weist verschiedene Merkmale aus der Tabelle 1 auf, so sollte auf jeden Fall die Möglichkeit eines psychischen Traumas als Ursache in Betracht gezogen werden.

Ein weiteres Merkmal kann die Spaltung zwischen Denken und Fühlen sein. Es kann also durchaus ein bewusstes Trauma erzählt werden, jedoch ohne gefühlsmäßige Regung, d. h., der Vorgang der inneren Abspaltung ist noch aktiv und kann die Ursache für die körperlichen Folgen sein. Kommen dann noch Beschreibungen von Flashbacks oder Triggermerkmale dazu, so sollte bei dem Behandler der Verdacht auf ein Trauma bewusst werden.

Was sollte getan werden?

Im Falle eines Verdachts auf ein Trauma gilt die traumatherapeutische „3S-Regel“:
Stabilisieren
                     Stabilisieren
                                          Stabilisieren

Die Stabilisierung kann durch naturheilkundliche Maßnahmen auf den Körper wirken und durch Ressourcenarbeit die Psyche festigen. Anschließend sollte der Patient unbedingt zur weiteren Diagnostik und ggf. Behandlung oder Therapie an einen ausgebildeten Traumatherapeuten weitergeschickt werden. Als wirkungsvolle und seriöse Verfahren haben sich EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), PITT (Psychodynamisch Imaginative Trauma Therapie) und in gewissem Umfang auch SE (Somatic Experiencing) etabliert. Auch wenn sich viele andere Verfahren die Bezeichnung „Traumatherapie“ auf die Fahnen geschrieben haben, so ist Vorsicht geboten, wenn der Therapeut keine wirklich fundierte Ausbildung in einem der etablierten Verfahren hat.

So sollte für die Traumatherapie ein Therapeut gewählt werden, der eine entsprechende Ausbildung absolviert hat, regelmäßig die Supervision nutzt und einige Erfahrungen mit traumatisierten Patienten hat.

Leider sind immer noch zu viele aktuelle psychosomatische Beschwerden, mit denen die Patienten leben müssen, auf eine frühere unsachgemäße Behandlung eines Traumas bis hin zur Re-Traumatisierung durch unangemessene Methoden oder wenig qualifizierte Behandelnde zurückzuführen!

Bert HeuperBert Heuper
Er entwickelte nach der Bewältigung der eigenen Krebserkrankung die Psychosomatische Resonanztherapie PSRT®. Seit über sechs Jahren leitet er seine psychotherapeutische Vollzeitpraxis.
Praxis PSRT
Katharinenstraße 3, 83043 Bad Aibling
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Literatur

  • Oliver Schubbe, Traumatherapie mit EMDR, Verlag Vandenhoeck
  • Peter A. Levine, Trauma-Heilung, Synthesis Verlag
  • Ursula Endres, Zart war ich, bitter war‘s, KiWi Verlag
  • Gottfried Fischer, Neue Wege aus dem Trauma, Walter Verlag
  • Streeck-Fischer, Körper, Seele, Trauma, Verlag Vandenhoeck
  • Luise Reddemann, Imagination als heilende Kraft, Klett-Cotta

Dieser Artikel ist mit freundlicher Genehmigung entnommen aus Ausgabe 11/10. Bestellen Sie Ihr Probeheft oder testen Sie die neue Download-Möglichkeit im Zeitschriften-Archiv von www.comed-online.de