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Destruktive Beziehungen ... eine häufig übersehene Krankheitsursache

In diesem Artikel möchte ich Heilpraktiker, Heilpraktiker für Psychotherapie, Psychologische Berater und ganz all gemein Menschen (immer m/w/d) in pädagogischen und Gesundheitsberufen für die Rolle von destruktiven Beziehungen bei der Entstehung von psychischen und/oder körperlichen Erkrankungen sensibilisieren und dazu anregen, das familiäre und soziale Umfeld sowohl in die Anamnese als auch in die Beratung bzw. Therapie einzubeziehen. Destruktive Beziehungen entstehen aus meiner Sicht, wenn ein Partner oder ein oder mehrere Familienmitglieder nicht oder nur eingeschränkt beziehungsfähig sind.

Den Begriff „Beziehungsfähigkeit“ werde ich gern erläutern. Weiterhin werde ich darauf eingehen, welche Folgen die eingeschränkte oder mangelnde Beziehungsfähigkeit eines Partners auf den anderen Partner hat und inwiefern solche Beziehungskonstellationen destruktiv und potenziell pathogen sein können. Meine Ausführungen zum Thema Beziehung können auf alle Arten von Beziehungen übertragen werden, also auf Ehen und Partnerschaften, familiäre Beziehungen, Freundschaften, Beziehungen am Arbeitsplatz, in der Freizeit, im Ehrenamt usw.

Vorab möchte ich klarstellen, dass es mir nicht darum geht, Menschen mit vorübergehend oder dauerhaft eingeschränkter oder mangelnder Beziehungsfähigkeit zu stigmatisieren oder an den Pranger zu stellen. Mein Fokus liegt auf den Folgen solcher Beziehungen für die seelische und körperliche Gesundheit der Angehörigen.

Der These der geschätzten Kollegin Stefanie Stahl, wonach jeder beziehungsfähig ist (Stahl, 2015), möchte ich mit meinen Ausführungen dezidiert widersprechen – jedenfalls in dem Sinne, dass ich für eine „gesunde“, nährende Beziehung bestimmte Kriterien voraussetze und zur Kenntnis nehme, dass Beziehungen, die diese Kriterien nicht erfüllen, krank machen können.

1. Beziehungsfähigkeit als Grundlage für „gesunde“ Beziehungen

Der Mensch ist ein soziales Wesen und deshalb auf zwischenmenschliche Beziehungen ausgerichtet und angewiesen. Beziehungen können unterschiedliche Qualitäten und Intensitäten haben. Manche Menschen kommen mit wenigen engen Beziehungen aus, andere brauchen einen möglichst großen Familien- und Freundeskreis, um sich wohlzufühlen.

Je enger eine Beziehung ist, desto mehr ist sie normalerweise von einem Austausch von persönlichen Informationen, Gefühlen und Intimität geprägt. Eine solche enge Beziehung setzt in der Regel gegenseitiges Vertrauen voraus.

Wir alle wissen vermutlich aus persönlicher Erfahrung, wie verletzlich wir Menschen gerade in engen Beziehungen sind, in denen wir vertrauliche Informationen über uns preisgeben und uns zeigen, wie wir sind. Dies führt uns bereits zu den wesentlichen Merkmalen einer gesunden, funktionierenden Beziehung:

1) Die Beziehungspartner begegnen sich wertschätzend und auf Augenhöhe.

2) Der eine fühlt sich in den anderen ein und fühlt mit (Empathie).

3) Geben und Nehmen stehen in einem mehr oder weniger ausgewogenen Verhältnis zueinander, wobei damit nicht (nur) materielle Dinge gemeint sind, sondern z. B. auch Zeit, Interesse, emotionale Beteiligung, Mitdenken, Vorausplanen usw.

Im Umkehrschluss sind destruktive Beziehungen solche, bei denen die genannten Merkmale bei einem Partner nicht oder nur unzureichend gegeben sind. Die von einem nicht oder eingeschränkt beziehungsfähigen Partner ausgehende Destruktivität zeigt sich sehr stark in dessen Kommunikation und generell in seinem Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen.

Wie bereits angedeutet, beziehen sich meine Erläuterungen auf alle Arten von Beziehungen, wobei sich das destruktive Potenzial normalerweise in den Beziehungen am schädlichsten auswirkt, die von besonderer Nähe geprägt sind (Ehen, Partnerschaften) und/oder bei denen eine Abhängigkeit besteht und somit der abhängige Partner dem destruktiven Gegenüber nicht oder nur schwer ausweichen kann.

Destruktive Beziehungen entstehen nach meiner Erfahrung selten dadurch, dass zwei Partner einfach nicht miteinander kompatibel sind, weil sie unterschiedliche Charaktere, Temperamente, Interessen, Ziele, Werte usw. haben. Mangelnde Kompatibilität – man denke z. B. an Gegensätze wie Nachtmensch vs. Frühaufsteher, Abenteurer vs. Sicherheitsfanatiker usw. – führt meist ganz von allein dazu, dass die betreffenden Personen eher eine lockere Beziehung führen, die auf bestimmte gemeinsame Interessen, Projekte oder Hobbys begrenzt bleibt, weil offensichtlich ist, dass eine engere Beziehung nicht funktionieren würde.

Von einer destruktiven und potenziell pathogenen Beziehung spreche ich dann, wenn bei einem Partner die drei genannten Kriterien nicht gegeben sind. Das zentrale Kriterium ist dabei für mich die Fähigkeit zur Empathie, welche Wertschätzung und ein ausgewogenes Verhältnis von Geben und Nehmen normalerweise erst ermöglicht. Umgekehrt ist mangelnde Empathie in der Regel der Grund dafür, dass der Betroffene seinem Gegenüber nicht auf Augenhöhe begegnet und bewusst oder unbewusst in einer Beziehung mehr nimmt, als er gibt.

Empathiemangel ist aus meiner Sicht das zentrale Hemmnis für die Beziehungsfähigkeit eines Menschen. Er kann vor- übergehend aufgrund einer psychischen Erkrankung oder dauerhaft als Folge einer Persönlichkeitsstörung auftreten.

Wie destruktiv und potenziell krank machend eine Beziehung zu einem Menschen mit fehlender oder eingeschränkter Beziehungsfähigkeit ist, hängt darüber hinaus von seiner Persönlichkeitsstruktur ab. Oft suchen sich Menschen, die gerne viel geben, unbewusst Partner aus, die gerne viel nehmen.

2. Ursachen für eingeschränkte oder mangelnde Beziehungsfähigkeit

Im Folgenden betrachte ich kurz die Phänomene Trauma, Sucht sowie narzisstische und Borderline-Persönlichkeitsstörung im Blickwinkel ihrer Auswirkungen auf die Fähigkeit zu Empathie und im weiteren Sinne zu einer normalen Beziehungsfähigkeit. Für eine ausführliche Beschreibung der Störungen verweise ich auf die einschlägige Fachliteratur.

Die hier betrachteten psychischen Störungen sind nach meiner Erfahrung die wichtigsten und häufigsten Gründe für eine vorübergehende oder dauerhafte Beziehungsunfähigkeit, stellen jedoch nur eine unvollständige Auswahl dar. Bei der Betrachtung ist zu beachten, dass zwischen den Diagnosen Trauma, Sucht und Persönlichkeitsstörung häufig Zusammenhänge und Wechselwirkungen bestehen, die im Rahmen dieses Artikels nur angedeutet werden können.

2.1 Trauma

Ein Psychotrauma im Sinne der ICD-10 kann nach einem belastenden Ereignis oder einer außergewöhnlichen Bedrohung auftreten, „die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“ (Dilling et al., 2014: 207), so in Kurzform die Beschreibung laut Diagnosehandbuch.

Nach einem solchen Psychotrauma kann eine posttraumatische Belastungsstörung auftreten, die u. a. durch Flashbacks, ein Gefühl des Betäubtseins, emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Angst- und Panikattacken, ein intensives Wiedererleben des Traumas, Hypervigilanz, Schlaflosigkeit und Depression gekennzeichnet ist (ebd.).

Zur Betäubung von Angst und seelischem Schmerz nach einem Trauma kann der Konsum von Drogen oder Alkohol hinzukommen.

Viele Traumatisierungen finden in der Kindheit statt und gehen u. a. mit Bindungsstörungen einher (Faulstich, 2023b). Die gestörte Bindung zur ersten Bezugsperson (in der Regel die Mutter) wird in unbehandelten Fällen unbewusst zur Blaupause für alle weiteren Beziehungen der Betroffenen, sodass Beziehungsstörungen hier in gewisser Weise vorprogrammiert sind.

Eine Problematik liegt darin, dass Frühtraumatisierungen meist unerkannt bleiben, weil das Kind sie weder als solche erkennen noch benennen kann, sondern das, was es in seinem Elternhaus erlebt, als „normal“ betrachtet. Dies führt dazu, dass die frühen Traumata unbehandelt bleiben und unbewusst in die Beziehungen der erwachsenen Kinder hineingetragen werden.

Eine weitere Folge von unbehandelten Traumata ist, dass sich Betroffene im Laufe ihres Lebens Schutz- und Abwehrmechanismen aneignen, die sie vor einem unverstellten Blick auf ihr Trauma und dem damit verbundenen Schmerz bewahren sollen (Re-Traumatisierung).

Welche Auswirkungen hat ein Trauma auf die Beziehungsfähigkeit?

Die Mechanismen, mit denen sich die Betroffenen – meist unbewusst – selbst regulieren und vor einer erneuten Konfrontation mit dem Trauma schützen, erfordern viel Energie und können generell den Blick auf die Realität und die Mitmenschen verzerren und einengen. Ein differenziertes gedankliches und emotionales Einlassen auf eine andere Person ist deshalb häufig nur eingeschränkt möglich. Insofern kann bei unbehandelten traumatisierten Menschen die Fähigkeit zu Empathie, Wertschätzung und zum Geben in einer Beziehung reduziert sein.

2.2 Sucht

Suchterkrankungen sind komplexe Krankheitsbilder, die in der Regel mit unterschiedlichen Co-Erkrankungen einhergehen. Sie können z. B. als Folge eines Traumas oder als Begleiterkrankung einer Persönlichkeitsstörung auftreten. Häufig spielen auch Bindungsstörungen eine Rolle bei der Entstehung von Sucht (Faulstich, 2023b).

Bei Suchterkrankungen wird allgemein zwischen stoffgebundenen und stoffungebundenen Abhängigkeiten unterschieden. Gemeinsame Diagnosekriterien für die stoffgebundenen Abhängigkeiten (Alkohol, Medikamente und sonstige psychotrope Substanzen) sind:

1) der starke Wunsch oder Zwang zum Konsum der betreffenden Substanz,

2) die verminderte Fähigkeit, den Konsum zu kontrollieren,

3) ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums,

4) ein Gewöhnungseffekt,

5) die zunehmende Vernachlässigung von sozialen Beziehungen oder Interessen,

6) der fortgesetzte Substanzgebrauch trotz erkennbarer schädlicher Folgen.

Zu den stoffungebundenen Abhängigkeitserkrankungen gehören z. B. pathologisches Spielen („Spielsucht“) oder pathologische Brandstiftung („Pyromanie“), ebenso die in den letzten Jahren zunehmend auftretenden Phänomene Internetsucht, Porno-/ Sexsucht, Kaufsucht usw.

Welche Auswirkungen hat eine Suchterkrankung auf die Beziehungsfähigkeit?

Aus meiner Sicht liegen bei Suchterkrankungen in der Regel unverarbeitete Traumata zugrunde, wobei das Suchtverhalten eine Form der Schmerzvermeidung oder -linderung darstellt. Das Suchtverhalten kann darüber hinaus ein Ersatz für die fehlende oder verletzte Bindung an die erste Bezugsperson sein. Insofern gilt bei einer Suchterkrankung im Hinblick auf die Beziehungsfähigkeit dasselbe wie für das unverarbeitete Trauma. Die Empathie kann mehr oder weniger stark eingeschränkt sein.

Da bei fortschreitender Suchterkrankung die Beschaffung, der Konsum und die Erholung vom Konsum immer mehr zeitlichen Raum im Leben des Betroffenen einnehmen, ist das Geben und Nehmen in einer Beziehung mit einem Suchtkranken meist nicht ausgewogen. In Selbsthilfegruppen der Angehörigen von Suchtkranken (z. B. Al Anon) ist dies immer wieder in unterschiedlichen Varianten zu hören. Viele Angehörige berichten, dass die Ehe oder Partnerschaft mit dem Suchtkranken nicht wirklich als Beziehung, sondern eher als eine Art Wohngemeinschaft erlebt wird und der Suchtkranke häufig gedanklich und emotional abwesend ist.

2.3 Persönlichkeitsstörung

Persönlichkeitsstörungen werden in Kapitel F6 der ICD-10 beschrieben und beinhalten mehrere Einzelstörungen, die wiederum ebenfalls Traumafolgen sind oder zumindest sein können und auch häufig mit Suchterkrankungen, Depressionen und anderen Problematiken einhergehen. Anders als andere psychische Störungen sind Persönlichkeitsstörungen durch rigide, von der Norm abweichende Verhaltensmuster gekennzeichnet, die alle Lebensbereiche umfassen und in der Regel bereits in der Kindheit oder Jugend beginnen (Dilling, H. et al., 2014: 276 f.). Die Möglichkeiten der Therapie sind bei bestimmten Persönlichkeitsstörungen u. a. wegen der mangelnden Krankheitseinsicht sehr begrenzt. Im Hinblick auf unser Thema möchte ich zwei Persönlichkeitsstörungen herausgreifen, die immer wieder im Zusammenhang mit gestörten, destruktiven Beziehungen auftauchen: die narzisstische Persönlichkeitsstörung und die Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Herpertz et al. (2022) gehen in einer im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Studie davon aus, dass in Deutschland 10– 12 % der Bevölkerung eine Persönlichkeitsstörung haben. Typisch sei dabei eine hohe psychische Komorbidität. Die Studie geht u. a. auf den schwierigen Interaktionsstil von Menschen mit Persönlichkeitsstörung ein. Insbesondere Haus- und Familienärzte seien gefragt, die Auswirkungen der verminderten Empathie und Konfliktfähigkeit der Betroffenen auf die Angehörigen im Blick zu haben.

2.3.1 Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Für die Diagnose der narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) müssen laut ICD-10 fünf dieser Merkmale gegeben sein: 

Größengefühl

  • Fantasien über unbegrenzten Erfolg, Macht, Schönheit oder ideale Liebe
  • Gefühl der Einmaligkeit
  • Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung
  • unbegründete Anspruchshaltung
  • Ausnutzen zwischenmenschlicher Beziehungen
  • Mangel an Empathie
  • Neidgefühle oder Überzeugung, beneidet zu werden
  • arrogantes, hochmütiges Verhalten

Der Mangel an Empathie wird bei dieser Störung als eines von mehreren Symptomen genannt. Tatsächlich ist bei dieser Diagnose nach meiner Erfahrung von einem tatsächlichen irreparablen Fehlen von Empathie, nicht nur von einer eingeschränkten Empathiefähigkeit auszugehen.

Welche Auswirkungen hat eine narzisstische Persönlichkeitsstörung auf die Beziehungsfähigkeit?

Der Mangel an Empathie schließt für mich Beziehungsfähigkeit aus, wenn ich Beziehung als einen wirklichen Austausch von Gedanken und Emotionen und als eine Begegnung auf Augenhöhe auffasse. Abgesehen davon, dass in einer solchen „Beziehung“ ein echtes emotionales Geben und Nehmen nicht möglich ist, verhalten sich Menschen mit dieser Störung quasi zwangsläufig missbräuchlich gegenüber ihren Mitmenschen (Faulstich, 2023a).

Warum ist das so?

Die NPS ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls Folge einer frühkindlichen Traumatisierung (vermutlich starke Ablehnung durch die engste/n) Bezugsperson/en). Das verletzende, missbräuchliche Verhalten, das Menschen mit NPS im Laufe ihres Lebens entwickeln, ist eine Überlebensstrategie gegen den aus der frühen Ablehnung resultierenden Schmerz (Ruppert, 2017: 83 ff.). Das von Menschen mit dieser Störung zur Schau gestellte Selbstbewusstsein (Symptome gemäß ICD-10) ist nicht echt, sondern entspringt der Fantasie der Betroffenen und dient dazu, die bei dieser Störung immer wieder berichtete „innere Leere“ bzw. den frühen Schmerz der Ablehnung nicht spüren zu müssen (Tudor, 2015).

Ihr wahres, schwaches Selbst versuchen die Betroffenen mit allen Mitteln vor anderen verborgen zu halten. Bei Konfrontation mit der Realität oder gar Kritik gerät dieses fantasierte Selbstbild und damit ihr innerer Halt vollständig ins Wanken. Die reflexartige Reaktion ist häufig extreme Wut (die „narzisstische Kränkung“).

Zur Stabilisierung und Bestätigung ihres konstruierten grandiosen Selbst benötigen Menschen mit NPS ständig aufwertenden „Input“, die „narzisstische Zufuhr“ (Tudor, 2015), den sie neben den typischen Statussymbolen u. a. durch Abwertung und Demütigung anderer sowie durch Ausübung von Macht generieren. Sie benutzen dar- über hinaus einen widersprüchlichen, verwirrenden, missverständlichen und hoch manipulativen Kommunikationsstil, um ihr Gegenüber zu verunsichern oder durch Wortklaubereien einen Streit herbeizuführen, der ihnen wiederum die benötigte „Zufuhr“ verschafft. Dabei befähigt der Mangel an Empathie Menschen mit NPS zu erschreckender Grausamkeit ohne Schuld-, Reue- oder Schamgefühle.

Für weitere Informationen zum Thema NPS und narzisstischer Missbrauch verweise ich auf die einschlägige Fachliteratur.

2.3.2 Borderline-Persönlichkeitsstörung

Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung (emotional-instabile Persönlichkeitsstörung) wird wie bei der NPS davon ausgegangen, dass es sich um eine „Frühstörung“, also ein frühes Trauma handelt (Röhr, 2010: 9). Häufig werden in diesem Zusammenhang die instabile emotionale Zuwendung seitens der Mutter sowie emotionaler und sexueller Missbrauch als Ursachen genannt.

Zentrale Diagnosekriterien sind emotionale Instabilität verbunden mit Unklarheit in Bezug auf das Selbstbild, die Ziele und die „inneren Präferenzen“ (Dilling, H. et al., 2014: 280). Borderline-Patienten haben die Neigung, die Welt und die Menschen in Schwarz und Weiß bzw. Böse und Gut zu spalten, d. h. sie haben z. B. Schwierigkeiten, an einer Person oder Situation sowohl das Positive als auch das Negative zu sehen und anzuerkennen. Erfüllt ein von ihnen als „Gut“ eingestufter Mensch ihre Erwartungen irgendwann nicht, wird er abrupt der Kategorie „Böse“ oder „Schwarz“ zugeordnet. Eine Folge dieser Spaltung ist der häufige Wechsel von Beziehungen sowie generell eine wechselnde Stimmung. In Beziehungen streben Borderline-Patienten häufig die Symbiose mit dem Partner an, die sie in ihrer frühen Kindheit nicht oder nicht ausreichend erfahren durften (Röhr, 2010: 57). Viele Borderline-Patienten berichten von einem „chronischen Gefühl innerer Leere“ (ebd.). In emotionalen Krisen kann es zu Suizidandrohungen und Selbstverletzungen kommen. Häufige Begleiterkrankungen sind stoffgebundene Süchte und Depressionen.

Welche Auswirkungen hat eine Borderline-Persönlichkeitsstörung auf die Beziehungsfähigkeit der Betroffenen?

Aus der Beschreibung der Diagnosekriterien lässt sich ablesen, dass die Betroffenen Schwierigkeiten haben, eine stabile Beziehung zu sich und anderen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Häufig überfordern sie ihre Partner, Freunde und Angehörigen mit ihrem Wunsch nach Symbiose und Versorgung. Gleichzeitig stoßen sie ihre Mitmenschen durch die Spaltung in Schwarz und Weiß, ihren damit verbundenen Wechsel von Zuneigung in Abneigung sowie ihre häufigen Stimmungswechsel vor den Kopf.

Eine Begegnung auf Augenhöhe und ein ausgewogenes Verhältnis von Geben und Nehmen, wie es sich in einer gesunden Beziehung auf ganz natürliche Weise einpendelt, ist in diesem Fall nicht oder nur schwer möglich. Meist bleiben Beziehungen einseitig auf die Bedürfnisse des Borderline-Patienten fokussiert (Röhr, 2010: 154). Das fehlende bzw. instabile Selbstbild korrespondiert häufig damit, dass Borderline-Patienten auch andere nicht realistisch einschätzen können. Das bedeutet, dass sie auch die Bedürfnisse und emotionalen Befindlichkeiten des anderen nur bedingt wahrnehmen und erwidern können. Die Tatsache, dass die Betroffenen stark davon in Anspruch genommen sind, eine Form von Stabilität in ihre emotionale Instabilität zu bringen, stellt ein weiteres Hemmnis für einen empathischen und gebenden Umgang mit anderen dar.

2.4 Defizite in der Beziehungsfähigkeit – Abstufungen und Therapierbarkeit

Hier möchte ich die Auswirkungen der betrachteten Störungen auf die Beziehungsfähigkeit und die grundsätzliche Therapierbarkeit noch einmal zusammenfassen.

Bei Trauma und Sucht gehe ich im Zustand vor einer Behandlung zumindest von einer eingeschränkten Empathie- und damit Beziehungsfähigkeit aus. Beide Störungen können jedoch gut behandelt werden, sodass auch die Empathie- und Beziehungsfähigkeit wiederhergestellt oder zumindest verbessert werden kann.

Bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist nach meiner Erfahrung von einem vollständigen Fehlen von Empathie und damit auch von fehlender Beziehungsfähigkeit auszugehen. Eine Behandlung der NPS ist nur sehr eingeschränkt möglich, weil bei den Betroffenen – als Bestandteil der Störung – die Krankheitseinsicht und somit die Einsicht in die Notwendigkeit einer Behandlung fehlt. Auf der organischen Ebene wird in diesem Zusammenhang die Rolle von Spiegelneuronen diskutiert. Auf der psychischen Ebene ist wahrscheinlich davon auszugehen, dass die Betroffenen den seelischen Schmerz, der mit einer Behandlung einhergehen würde, mit aller Macht abwehren und sich deshalb einer Therapie entziehen.

Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung gehe ich je nach Ausprägung von einer eingeschränkten oder fehlenden Empathie- und damit Beziehungsfähigkeit aus. Borderline-Patienten gelten als „ausgesprochene Problempatienten“ (Röhr, 2010: 157), es gibt jedoch gezielte Behandlungsansätze für diese Störung (Linehan, 2008), sodass hier bei entsprechender Patienten-Compliance Verbesserungen bei der Selbstregulation und langfristig auch in der Beziehungsfähigkeit möglich sind.

Wichtig ist mir an dieser Stelle folgende Anmerkung: Die Tatsache, dass eine Person im skizzierten Sinne eingeschränkt oder gar nicht beziehungsfähig ist, schließt nicht aus, dass diese Person eine jahrzehntelange „Beziehung“ führt. Dies ist möglich, weil und sofern der betreffende Partner diese Form der „Beziehung“ auf welche Weise, aus welchem Grund und mit welchen Folgen auch immer mitträgt.

3. Warum ist die eingeschränkte oder mangelnde Beziehungsfähigkeit für Partner und Angehörige potenziell pathogen?

Da wenden wir uns der Frage zu, warum die eingeschränkte oder fehlende Beziehungsfähigkeit eines Partners für Angehörige potenziell pathogen ist. Wir betrachten also die erläuterten Störungsbilder und ihre Auswirkungen auf die Beziehungsfähigkeit. Wie fühlt es sich an, wenn mein Partner oder Angehöriger nicht oder eingeschränkt beziehungsfähig ist? Woran kann ich es erkennen? Was macht es mit mir?

Auch hier noch einmal der Hinweis: Es geht mir nicht darum, mit dem Finger auf die Betroffenen zu zeigen, sondern darum, was Beziehungsunfähigkeit mit uns macht. Wenn ich im Folgenden von nicht oder eingeschränkt beziehungsfähigen Menschen spreche, meine ich damit Menschen mit einer oder mehreren der beschriebenen Diagnosen, die die Empathiefähigkeit beeinträchtigen, sofern ich nicht besondere Merkmale und Verhaltensweisen einer Einzeldiagnose hervorhebe.

Mangelnde Beziehungsfähigkeit zeigt sich in der Kommunikation und im Verhalten der Betroffenen. Wer nicht oder nur eingeschränkt in der Lage ist, sich emotional in einen anderen einzufühlen oder sich auch nur auf der kognitiven Ebene mit der Persönlichkeit und der Lebenssituation eines anderen zu befassen (= Empathiemangel), hinterlässt irgendwann zumindest ein ungutes Gefühl. Je näher und enger der Kontakt wird, desto mehr wird sich dieses Gefühl steigern.

In der Kommunikation können wir mangelnde Beziehungsfähigkeit an folgenden Merkmalen erkennen, die nicht nur sporadisch, sondern regelmäßig und dauerhaft auftreten.

Der eingeschränkt beziehungsfähige Partner hört nicht richtig oder gar nicht zu, fällt ihm ins Wort, greift Stichworte aus den Aussagen auf, um diese als Anknüpfungspunkte für seine eigenen Themen zu benutzen, reißt somit das Gespräch an sich, ohne dass dieser ausreden und seine Gedanken zu Ende führen kann.

Dass Gesprächspartner uns nicht zuhören, erkennen wir direkt in der Kommunikationssituation daran, dass sie uns nicht ansehen, während wir sprechen, sondern mit den Augen woanders sind. Wir erkennen an der abwesenden Mimik, die uns zeigt, dass sie gedanklich woanders sind. Im Gespräch erkennen wir es auch daran, dass sie nicht auf unsere Äußerungen reagieren oder mit allgemeinen Phrasen antworten. Im Nachhinein merken wir es daran, dass unsere Aussagen verfälscht wiedergegeben oder weitererzählt werden oder dass z. B. Daten, Namen, Uhrzeiten, die wir wenige Minuten zuvor genannt haben, nicht erinnert oder falsch wiedergegeben werden.

Welche Wirkung hinterlässt dieser Kommunikations- und Verhaltensstil?

Es kommt unweigerlich das Gefühl auf, für den anderen nicht wichtig zu sein, nicht gesehen und nicht wertgeschätzt zu werden und/oder benutzt zu werden. Wer ein solches Kommunikationsverhalten wiederholt oder dauerhaft erlebt, wird sich dadurch abgewertet und einsam fühlen, weil er keine wirkliche Resonanz auf seine Äußerungen erhält. Das Selbstwertgefühl leidet. Eine dauerhafte Minderung des Selbstwertgefühls kann zu Depressionen und Suchterkrankungen führen.

Die ständige Nichtbeachtung durch den Partner kann auch zu Wut und Groll führen. Können diese Emotionen nicht angemessen ausgedrückt werden, so verharren die Betroffenen in einem Zustand der Anspannung und Starre, aus dem sich im Laufe der Zeit körperliche Erkrankungen entwickeln können. Besonders häufig treten in diesem Zusammenhang z. B. Störungen des Magen-Darm-Trakts auf (das berühmte Magengeschwür).

Die negativen Auswirkungen dieses Kommunikationsstils auf die Psyche und Gesundheit der Angehörigen werden dann verstärkt, wenn der nicht beziehungsfähige Partner sie offen abwertet, permanent kritisiert, vor anderen lächerlich macht, sie bevormundet, ein schlechtes Gewissen bei ihnen erzeugt oder generell widersprüchlich und faktenverdrehend kommuniziert usw. Das ist der typische Kommunikationsstil von Menschen mit NPS.

Zu Depressionen neigende Menschen geben nicht selten sich selbst die Schuld daran, dass der andere sie so behandelt. Der Verlust des Selbstwertgefühls mit Entwicklung einer Depression und/oder Sucht bis hin zu Psychosen und Suizidgedanken tritt besonders häufig in Beziehungen mit narzisstischen Partnern und Angehörigen auf.

Bezogen auf das Eltern-Kind-Verhältnis stellt die Psychologin und Psychoanalytikerin Alice Miller (2005) einen Zusammenhang zwischen dem oben beschriebenen destruktiven Kommunikationsstil und der Entwicklung von Magersucht her: „ … weil sie erst dann wusste, welche Nahrung sie brauchte, suchte und seit der Kindheit vermisste: die echte emotionale Kommunikation, ohne Lügen, ohne falsche „Sorgen“, ohne Schuldgefühle, ohne Vorwürfe, ohne Warnungen, ohne Angstmacherei, ohne Projektionen – eine Kommunikation, wie sie zwischen der Mutter und ihrem gewünschten Kind in der ersten Phase des Lebens im besten Fall bestehen kann.“ (Miller, 2005: 159)

Bedenken wir dabei, dass Magersucht eine der tödlichsten Krankheiten überhaupt ist.

Als literarische Beispiele für eine krank machende „Fehlkommunikation“ führt Miller die Werke von Franz Kafka an (Das Schloss, Der Prozess, Die Verwandlung): „In all den Geschichten werden seine Fragen nie gehört, mit seltsamen Verdrehungen beantwortet, der Mensch fühlt sich total isoliert und unfähig, sich Gehör zu verschaffen.“ (Miller, 2005: 160).

Weiter zitiert Miller ein sehr eindrückliches Beispiel für eine „nicht nährende Kommunikation“ aus dem Brief einer jungen Frau, die wegen Magersucht behandelt wurde: „Er dankte mir für mein Schreiben, aber erwähnte mit keinem Wort dessen Inhalt. Dafür erzählte er mir, was er in den Ferien machte, welche Bergtouren er noch vorhatte und mit welchen Leuten er abends ausginge. Nun war ich völlig am Boden zerstört. Ich fühlte mich wie vernichtet, als ob ich überhaupt nichts geschrieben hätte. Wer bin ich denn, dachte ich, dass man mich wie ein Nichts behandelt? Ich fühlte mich an meiner Seele umgebracht.“ (Miller, 2005: 174).

Dieser kurze Auszug zeigt sehr eindrücklich die verheerenden seelischen Auswirkungen einer destruktiven Kommunikation.

Mangelnde Empathie verbunden mit einer mehr oder weniger starken inneren Not bewirkt häufig auch, dass die Betroffenen viel Hilfe und Zeit ihres Partners oder ihrer Familienangehörigen in Anspruch nehmen, die Grenzen nicht akzeptieren und in Kauf nehmen, dass der Partner in der Beziehung völlig ausbrennt. Viele Borderline-Patienten zeigen aufgrund ihrer unerfüllten Symbiosewünsche diese Verhaltensweisen.

Der Psychologe und Psychotherapeut Franz Ruppert beschreibt die Realität einer destruktiven Symbiose aus der Perspektive des Symbiosesuchenden und der des Objekts der Symbiosewünsche wie folgt:

1) „Du sollst so sein, wie ich dich brauche, mit der Folge von Dominanz, Beherrschung, Unterdrückung, Sadismus, Vernichtung oder vielleicht sogar Tötung der anderen Person.“

2) „Ich bin so, wie du mich brauchst, mit der Folge von Überanpassung, Selbstaufgabe, Unterwerfung, Depression, Masochismus und Suizid.“ (Ruppert, 2017: 59)

Wir sehen hier zum einen extreme Symbioseansprüche und zum anderen ein Ich mit extrem schwacher Abgrenzung. Die Formulierungen sind stark überspitzt, zeigen aber deutlich, welche seelischen und körperlichen Auswirkungen eine Beziehung mit einem Menschen mit starken Symbioseansprüchen haben kann, wenn dieser seine eigenen Grenzen nicht kennt und folglich auch nicht setzen kann. Die Auswirkungen einer solchen destruktiven Beziehung können buchstäblich tödlich sein, wobei seelische und körperliche Faktoren ineinander wirken.

4. Welche Personen sind besonders gefährdet, sich auf eingeschränkt oder nicht beziehungsfähige Menschen einzulassen?

Ein Mensch mit gesunden Grenzen und einer stabilen Persönlichkeit wird sich mit der Zeit von Menschen abwenden, die nicht zuhören können und sie nicht wertschätzen. Zumindest wird ein seelisch gesunder Mensch die Zeit, die er mit einem nicht beziehungsfähigen Menschen verbringt, auf ein für ihn gesundes Maß begrenzen und etwaige Symbiosewünsche abwehren.

Nach meiner Erfahrung sind es meist Personen mit ängstlich-abhängiger und/oder co-abhängiger Persönlichkeitsstruktur, die zu ihrem eigenen Schaden in Beziehungen mit einem nicht beziehungsfähigen Partner verharren. Warum ist das so?

Meist konnten diese Menschen aufgrund der Konstellation in ihrer Herkunftsfamilie ihre eigene Identität nicht oder nur unzureichend entwickeln. Ursache hierfür sind wiederum eingeschränkte oder mangelnde Beziehungsfähigkeit seitens der Eltern, teilweise der miterziehenden Großeltern oder ggf. älterer „miterziehender“ Geschwister. Auch hier dürfte in den allermeisten Fällen eine (Früh-)Traumatisierung der Eltern (Ablehnung, Vernachlässigung durch die eigenen Eltern) und/oder ein von Generation zu Generation weitergegebenes Trauma (Erlebnisse von Krieg, Flucht, Vertreibung usw.) vorausgegangen sein.

Solche Familien funktionieren in einer Art Überlebensmodus, in dem das äußere Erscheinungsbild der Familie wichtig ist, jedes Mitglied eine bestimmte, meist unausgesprochene Rolle hat, Probleme nicht benannt und Gefühle nicht gezeigt werden dürfen (Schaef, 2014). Vermutlich dient dieser äußere Rahmen als Halt gegen die Brüchigkeit der Familie und ihrer einzelnen Mitglieder. Gefühlsäußerungen und Widerstände eines Kindes sind in dieser Konstellation nicht vorgesehen und werden von den Erwachsenen mit Zurechtweisung und Liebesentzug beantwortet, sodass das Kind lernt, sich anzupassen, Gefühle zu unterdrücken, eigene Bedürfnisse und die eigene Identität zugunsten der Familie zurückzustellen.

Menschen mit dieser familiären Prägung haben gelernt, dass sie nur liebenswert sind, wenn sie funktionieren, sich für andere aufopfern und als Individuum quasi unsichtbar sind. Sie haben ein schwaches Selbstwertgefühl, hinterfragen sich ständig und tun alles, um andere zufriedenzustellen. Die durch die Frustration ihrer kindlichen Bedürfnisse entstandenen Verletzungen versuchen sie dadurch zu kompensieren, dass sie sich ihre Existenzberechtigung durch Anpassung, Helfen, Nützlichsein usw. „verdienen“.

Mit ihrem „Helfer-Syndrom“ vermeiden diese Menschen gleichzeitig die Auseinandersetzung mit sich und ihren eigenen Problematiken. Sie geben viel mehr als sie nehmen, um nicht abgelehnt zu werden und um jeden Preis mit Menschen in Kontakt zu bleiben, auch wenn diese ihnen immer wieder Verletzungen zufügen und ihre Bedürfnisse systematisch ignorieren. Damit sind sie der „ideale“ Partner für Menschen, die Macht ausüben wollen, starke Symbiosewünsche haben oder generell gerne bemuttert und umsorgt werden wollen.

5. Paartherapie – ja oder nein?

Eine Paartherapie macht aus meiner Sicht Sinn, wenn beide Partner grundsätzlich empathie- und beziehungsfähig sind, ihre Problematik erkennen und die Bereitschaft haben, jeder für sich in Einzeltherapie an der eigenen Problematik zu arbeiten. Auch der Partner mit abhängiger-/co-abhängiger Persönlichkeitsstruktur im angedeuteten Sinne ist letztlich traumatisiert und kann von einer Einzeltherapie profitieren, in der er u. a. lernt, seine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, auszudrücken und gesunde Grenzen zu setzen (Röhr, 2014).

Hat ein Partner eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, so halte ich eine Paartherapie für kontraindiziert, weil hier der Empathiemangel aus den oben dargelegten Gründen als dauerhaft einzustufen ist und eine Paartherapie mit einiger Wahrscheinlichkeit eine weitere Traumatisierung des anderen Partners bedeuten würde.

Trennungen sind schmerzhaft, aber in vielen Fällen nötig, damit Verletzungen und Traumatisierungen unterbrochen werden und der Partner oder Angehörige Heilung erfahren kann. Bei Eltern-Kind- und Geschwisterbeziehungen sind Trennungen auf Dauer oft besonders schwierig und belastend. Hier können jedoch – je nach Einzelfall – räumliche Distanz oder klar begrenzte Kontakte hilfreich sein. Nächstenliebe kann auch auf Distanz praktiziert werden!

6. Fazit

Wir alle wünschen uns Beziehungen und sind auf Beziehungen angewiesen. Wir haben gesehen, dass vor allem Frühtraumatisierungen der Ausgangspunkt für weitere psychische Störungen sein können, die unsere Beziehungsfähigkeit vorübergehend oder dauerhaft einschränken. Dass Eltern ihr eigenes Trauma an ihre Kinder weitergeben, die dann ihrerseits ihre Kinder traumatisieren, ist mittlerweile ein weithin anerkannter Tatbestand.

Diese Kette der immerwährenden Traumatisierungen zu durchbrechen, ist zweifellos eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Als beratend und therapeutisch tätige Berufsgruppe können wir unseren Beitrag dazu leisten.

Literaturhinweise

  • Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M.H. (Hrsg.), 2014: Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F). Klinischdiagnostische Leitlinien. Huber, 9. Aufl.
  • Faulstich, Andrea (2023a): Verzerrte Realität. Narzisstischen Missbrauch erkennen und daran wachsen. Paracelsus Magazin, 01.23: 20-24.
  • Faulstich, Andrea (2023b): Die Suche nach dem sicheren Hafen. Bindungsstörungen als Ansatzpunkt für die Entstehung und Therapie von Suchterkrankungen. Freie Psychotherapie 03.23: 6-14.
  • Herpertz, Sabine C.; Schneider, Isabella; Renneberg, Babette; Schneider, Antonius: Patientinnen und Patienten mit Persönlichkeitsstörungen im ärztlichen Alltag, Implikationen aus der ICD-11. Deutsches Ärzteblatt 2022/119: 1-7.
  • Linehan, Marsha M.: Dialektisch-Behavoriale Therapie (DBT) der Borderline-Persönlichkeitsstörung: DBT Therapiebuch, 2008, Psychosozial Verlag.
  • Miller, Alice: Die Revolte des Körpers. 2005, Suhrkamp.
  • Röhr, Heinz-Peter: Weg aus dem Chaos. Die Borderline-Störung verstehen. 2010, dtv, 6. Aufl.
  • Röhr, Heinz-Peter: Wege aus der Abhängigkeit. Destruktive Beziehungen überwinden. 2014, dtv, 9. Aufl.
  • Ruppert, Franz: Symbiose und Autonomie. Symbiosetrauma und Liebe jenseits von Verstrickungen. 2017, Klett-Cotta.
  • Stahl, Stefanie: Jeder ist beziehungsfähig: Der goldene Weg zwischen Freiheit und Nähe. 2015, Kailash Verlag, 7. Aufl.
  • Tudor, H.G.: Fuel. 2015, Insight Books.
  • Wilson Schaef, Anne: Co-Abhängigkeit. Die Sucht hinter der Sucht. 2014, Heyne, 19. Aufl.

Dr. phil. Andrea Faulstich
Heilpraktikerin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Schreibtherapeutin, Schwerpunkt: Missbrauch und Trauma in Familien und Beziehungen
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