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Warum es nicht egal ist, wie entbunden wird!

2015 04 Entbunden1

In diesem Artikel wird ein besonderes Projekt vorgestellt: „Roses Revolution“. Es geht um Gewalterfahrungen in der Geburtshilfe und das Recht auf eine gewaltfreie Geburt. Im ersten Moment fragt man sich vielleicht, Gewalt und Geburt, wie passt das zusammen? Dabei gibt es leider zahlreiche Möglichkeiten für Gewalterfahrungen in der Geburtshilfe.

fotolia©Photocreo BednarekFrauen berichten von Beleidigungen wie „Für eine Wassergeburt sind Sie zu dick.“ oder medizinischen Übergriffen, die zum einen nicht zwingend notwendig gewesen wären und zum anderen mit der Gebärenden nicht abgesprochen wurden, sondern ohne jede Vorwarnung erfolgten. Da wird von einer Hebamme während der vaginalen Untersuchung einfach der Muttermund gedehnt, ohne das Einverständnis der Frau vorher einzuholen oder sie über diesen Schritt zu informieren.
Das ist ein gewaltsamer Akt.

Geburtshelfer werden nun vielleicht argumentieren „Hauptsache gesund.“ Dies reicht aber eben nicht aus. Für so manche Geburtshelfer mögen einige Verhaltensweisen normal sein, sie kennen es vielleicht nicht mehr anders. Aber für die Frauen können es höchst traumatisierende Ereignisse sein.

Jede Frau hat das Recht auf eine selbstbestimmte Geburt. Sicher mag es lebensbedrohliche Situationen geben, in denen die Rettung des Kindes oder sogar von Mutter und Kind im Vordergrund steht. In einer solchen Situation würde bestimmt keine werdende Mutter verlangen, dass noch ein paar Duftkerzen angezündet werden. Jedoch bei Geburten, die völlig normal verlaufen und bei denen Mutter und Kind gesund sind, besteht keine Notwendigkeit, einer Schwangeren vorzuschreiben, wie sie ihr Kind zu gebären hat.

Zu diesen Gewalterfahrungen in der Geburtshilfe kommt nun auch noch die aktuelle bedrohliche Situation für die Hebammen. Immer mehr freiberufliche Hebammen haben ihre Arbeit aufgegeben. Es gibt noch einige, die Vor- und Nachsorgen anbieten, aber die wenigsten begleiten noch die eigentliche Geburt. Dabei sind es gerade diese Hebammen, die eine selbstbestimmte und individuelle Geburt möglich machen.

Es gibt hier den Unterschied zwischen sogenannten Beleghebammen und fest angestellten Hebammen.

Die Beleghebamme arbeitet freiberuflich in eigener Praxis und begleitet Geburten zu Hause, in Geburtshäusern oder Krankenhäusern, mit denen sie einen entsprechenden Belegvertrag hat. Diese Hebammen kennen ihre schwangeren Frauen über einen sehr langen Zeitraum, in der Regel die Monate vor der Entbindung, während der Geburt und der Nachsorge.

Daneben gibt es die fest angestellten Hebammen in Krankenhäusern. Dort läuft es in der Regel so ab, dass eine schwangere Frau vor der Entbindung von ihrem Gynäkologen medizinisch betreut wird. Zeigen sich dann erste Geburtsanzeichen (Wehen, Blasensprung etc.), fährt die Schwangere in das Krankenhaus (mit Kreißsaal) ihrer Wahl und entbindet dort ihr Kind mit einer Hebamme, die sie im Normalfall bis zu diesem Moment nicht gekannt hat. Und diese Hebamme begleitet auch nicht immer die gesamte Geburt. Wenn ihre Schicht im Kreißsaal beendet ist, wird sie von einer anderen Hebamme aus der nächsten Schicht abgelöst.

Eine freiberufliche Hebamme hat keine Ablösung und bleibt in der Regel, bis das Baby da ist. Sollte sich eine Geburt sehr lange hinziehen, kann es in seltenen Fällen natürlich vorkommen, dass auch eine Beleghebamme abgelöst werden müsste.

Der wesentliche Unterschied aber dürfte sein, dass die Schwangere ihre Beleghebamme schon über einen sehr langen Zeitraum kennt, dass die Hebamme die Untersuchungen durchführt und die gewünschte Geburt bespricht.

Wie kommt es nun zu traumatischen Erlebnissen in der Geburtshilfe?

Gewalt unter der Geburt

Viele Frauen erleben u. a. aufgrund von Personalmangel, fehlendem Respekt oder Routine Gewalt während der Geburt ihrer Kinder. Hier unterscheidet man zwischen körperlicher (physischer) und mentaler (psychischer) Gewalt.

Physische Gewalt

  • Festhalten
  • Festschnallen der Beine
  • keine freie Wahl der Geburtsposition (z. B. Rückenlage auf dem Gebärbett)
  • grobe Behandlung (z. B. Katheter unnötig schmerzhaft legen)
  • medizinisch nicht indizierte Untersuchungen (z. B. wiederholt nach dem Muttermund zu tasten, wenn dies nicht gewollt/notwendig ist)
  • ohne Einverständnis und ohne medizinische Notwendigkeit einen Dammschnitt durchzuführen
  • ohne Einverständnis und ohne medizinische Notwendigkeit einen Kaiserschnitt zu machen
  • ohne Einverständnis und ohne medizinische Notwendigkeit sonstige medizinischen Interventionen (Medikamentengabe, kristellern, Katheter legen) durchzuführen.
  • Schläge, Ohrfeigen, Kneifen
  • Zwang, unter Wehen still zu liegen

Psychische Gewalt

  • Anschreien, Beschimpfen
  • Ausübung von verbaler Gewalt – z. B. „Wenn Sie jetzt nicht mitarbeiten, dann stirbt Ihr Baby!“ oder „Seien Sie gefälligst still!“ oder „Guck dich mal an Mädchen, du bist fertig – du musst eine PDA nehmen.“
  • Druck ausüben oder erpressen
  • die Gebärende unter der Geburt allein lassen (außer, wenn sie es ausdrücklich will)
  • keine (echte) Wahlfreiheit bei medizinischen Interventionen lassen
  • Machtmissbrauch, Nötigung
  • sexualisierte Gewalt in Form von Sprache, Witzen
  • Verbot zu essen/trinken, sich zu bewegen
  • Willkür, Zwang

Gebärende Frauen haben wie alle Menschen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Recht beinhaltet sowohl das Recht auf Einverständniserklärung als auch auf Behandlungsverweigerung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das 2010 in seinem Urteil „Ternovszky gegen Ungarn“ bestätigt: „Gebärende haben ein grundlegendes Menschenrecht, die Umstände, in denen sie ihr Kind zur Welt bringen, frei zu wählen.“

Wenn eine solch traumatisierte Frau zu Ihnen in die Praxis kommt, nehmen Sie sie bitte ernst, fühlen Sie sich in ihre Lage ein, es sollte der schönste Tag ihres Lebens werden – die Geburt eines Kindes – etwas so Wundervolles. Für manche Frauen wurde es zum Albtraum.

Roses Revolution: Frauen, die Gewalt unter der Geburt erlebt haben, können sich hier beteiligen und damit dem Krankenhauspersonal eine Rückmeldung geben, in Kommunikation treten und ein Stück Trauerarbeit leisten. Auch ihre Partner und ihre Familie können sie unterstützen.

Hier finden Sie auch eine Linkliste zu Vereinen und Organisationen, die betroffenen Frauen helfen:

http://www.gerechte-geburt.de/home/roses-revolution/ 

Christina Heßling Christina Heßling
Coach für Frauen unter dem Motto „Nie mehr sprachlos.“

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