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Umdenken lernen mit „The Work“ nach Byron Katie

Über mich: Als Kind hatte ich viele Erkrankungen, die ich heute als psychosomatisch begreife. Mit 26 Jahren erlebte oder besser gesagt überlebte ich ein schweres Trauma. Von da an suchte ich Halt und Trost im Alkohol, flüchtete damit vor Erinnerungen, vor den Erwartungen der Menschen um mich herum, vor meiner gefühlten Unfähigkeit, diesen Erwartungen zu entsprechen, somit auch vor mir selbst.

Ein YouTube-Vortrag („Raus aus den alten Schuhen“ von Robert Betz) während meiner Langzeittherapie Anfang 2016 war für mich der Wendepunkt und machte unter anderem eine vorhergehende Therapiestunde, in der ich „The Work“ kennengelernt hatte, begreifbar und verständlich. Ich begriff, dass ich meine Realität selbst erschaffe. Ich erkannte, dass ich mein Leben nach den Erwartungen, Gefühlen und Meinungen anderer Menschen ausrichtete, deren Leben lebte und nicht meins.

Als meine Mutter 2013 plötzlich und unerwartet verstarb, wurde das Verhältnis zu meinem Vater parallel zu meiner eigenen Bewusstwerdung zunehmend schwieriger. Ich gab nach und nach meine Versuche auf, in den von ihm zusammengebastelten goldenen Rahmen für seine Tochter hineinzupassen, was für ihn schwer bzw. gar nicht auszuhalten war. Er brach den Kontakt zu mir ab.

Heute lerne ich weiterhin den Menschen kennen, der mir jeden Morgen im Spiegel in die Augen sieht. Wer bin ich? Was macht mich aus? Was sind meine Werte? Meine gesammelten Erfahrungen in meinem eigenen Leben halte ich für hilfreich in der Begleitung fragender Menschen.

Denkst du deine Gedanken – oder denken deine Gedanken dich?

Das ist eine zentrale Fragestellung von „The Work“ nach Byron Katie. Sie wurde als Byron Kathleen Mitchell 1942 in Breckenridge, Texas, geboren. Als Lehrerin und später als Bestsellerautorin entwickelte sie aus einer eigenen Lebenskrise heraus die Methode „The Work“. So litt sie seit den 1970er-Jahren unter verschiedenen psychischen Symptomen und Süchten (Depression, Alkohol-, Nikotin- und Medikamentenabhängigkeit, Essstörungen, Gewalttätigkeit).

„The Work“ ist eine Methode, die zum Teil sehr umstritten ist, dennoch durch eine einfache Erlern- und Anwendbarkeit eine äußerst hilfreiche Ressource darstellen kann.

Als ich vor ca. drei Jahren begann, mich mit dieser Methode zu beschäftigen, lernte ich, dass für meine Depressionen nicht die Welt um mich herum verantwortlich war, sondern meine Überzeugungen, meine Gedanken über die Welt und mich. Statt unsere Umwelt anzuklagen und gemäß unseren Gedanken verändern zu wollen, können wir mithilfe dieses Werkzeugs unsere Glaubenssätze und Überzeugungen aufspüren, hinterfragen und auch ändern.

Um die Vorgehensweise näher zu erläutern, nutze ich die Geschichte von Sabine und Claus (die Namen sind frei erfunden). Die beiden sind seit 27 Jahren glücklich verheiratet und haben zwei Kinder, die bereits ausgezogen sind. Vor etwa zwei Jahren gründeten sie einen kleinen Familienbetrieb, der so gut angelaufen ist, dass sie mittlerweile zwei weitere Arbeitskräfte eingestellt haben. Aber immer häufiger streiten sie sich. Die Gespräche und Auseinandersetzungen drehen sich scheinbar nur noch um die Arbeit, Entscheidungen, die sie gemeinsam treffen müssen, führen zu Konflikten. Sie vermissen ihre „altbekannte“ Harmonie. Sabine wirft sich selbst vor: „Ich denke schon manchmal, wir sind undankbar!“

„The Work“: ein Prozess in drei Schritten

1. Völlig automatisiert und damit unbewusst verurteilen wir andere Menschen und uns selbst für vermeintliche Schwächen und Fehler und verurteilen uns für unsere Verurteilungen. Auf einem Arbeitsblatt werden nun die gedachten und oft nicht ausgesprochenen Verurteilungen notiert. Sie bekommen damit Raum und „dürfen sein“.

2. Zu diesen Aussagen werden vier Fragen gestellt.

  • Stimmt das?/Ist das wahr?
  • Kann ich mit absoluter Sicherheit sagen, dass es stimmt?/Dass es wahr ist?
  • Wie reagiere ich auf diesen Gedanken?/ Was fühle ich bei diesem Gedanken?
  • Wer oder was wäre ich ohne diesen Gedanken?

3. Der letzte Schritt ist das eigentliche „Work“. Hier wird die „Umkehrung“ erarbeitet. Es geht darum, zu einem quälenden Gedanken, der in den ersten beiden Schritten zu Papier gebracht und damit bewusst gemacht wurde, Alternativen zu finden und einen „Perspektivwechsel“ zu erarbeiten.

Die praktische Umsetzung

1. Die „Anklage“ bzw. der Glaubenssatz lautet: „Wir sind undankbar!“

2. Nachdem ich den Eheleuten D. die Arbeitsweise mit „The Work“ erklärt habe, sieht der Gesprächsverlauf mit den vier Fragen folgendermaßen aus (S = Sabine, C = Claus, B = Beraterin):

B: „Die Kernaussage, mit der wir hier arbeiten möchten, ist: ‚Wir sind undankbar!‘. Habe ich das richtig verstanden?“

S: „Ja. Ich denke schon manchmal, wir sind undankbar!“

B: „Ist das wahr?“ (Frage 1)

S: „Ja, ich denke das so. Und mein Mann sieht es ja auch so. Anstatt uns gemeinsam über unseren Erfolg zu freuen, geraten wir ständig wegen Kleinigkeiten aneinander.“

C: „Da sind wir uns tatsächlich mal einig.“ (schmunzelt) „Ich verstehe das ja auch nicht. Der Betrieb läuft super. Wir müssten doch zufrieden sein ...“

B: „Können Sie mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?“ (Frage 2)

S: „Na ja … ja, es fühlt sich so an. Schließlich läuft der Betrieb inzwischen so gut, dass wir zwei weitere Tischler in Teilzeit eingestellt haben. Doch die ständigen Auseinandersetzungen zwischen uns sind doch eher ein Zeichen für unsere Undankbarkeit?“

C: (nickt zustimmend) „Ja, irgendwie schon, oder?“

B: „Wie reagieren Sie, was passiert, wenn Sie diesen Gedanken glauben? Wie fühlt sich das für Sie an?“ (Frage 3)

C: „Der Gedanke, dass wir undankbar sind, macht mir schon eine Menge Stress. Eigentlich bin ich ja dankbar, dass wir damals diese Chance bekommen haben. Erst die Abfindung von meiner alten Firma und dann auch noch den Existenzgründungszuschuss vom Arbeitsamt. Auch haben wir eine Menge Aufträge, mussten ja wie gesagt sogar weitere Arbeitskräfte einstellen. Aber wie dankbar sind wir denn, wenn wir uns laufend in die Haare kriegen?“

S: „Nun, ich fühl mich da echt schuldig. Eigentlich sind wir gar nicht undankbar. Aber warum können wir uns dann nicht einfach über unseren Erfolg freuen? Der Gedanke fühlt sich sehr schwer an und bedrückt mich. Er passt irgendwie auch nicht zu uns.“

B: „Wer wären Sie ohne den Gedanken?“ (Frage 4)

S: „Wie meinen Sie das?”

C: „Ich verstehe das so, dass wir uns vorstellen sollen, den Gedanken, undankbar zu sein, nicht zu haben. Ist das richtig?“

B: „Ja, wer wären Sie ohne den Gedanken? Wie würden Sie sich dann fühlen oder selbst erleben?“ (Frage 4)

S: „Mmh, dann wären wir vermutlich dankbar und könnten uns über unseren Erfolg freuen. Vielleicht würden dann auch die Streitereien nachlassen? Es würde sich jedenfalls gut anfühlen.“

B: „Was meinen Sie mit gut? Können Sie das näher beschreiben?“

S: „Na ja, irgendwie ... leichter, und fröhlicher. Es fühlt sich an wie aufatmen.”

B: „Und Sie Herr D.? Wer wären Sie ohne den Gedanken?“

C: „Mmh ... (kratzt sich am Kopf) wahrscheinlich wäre ich dann etwas entspannter, keine Ahnung. Aber wir streiten uns ja nicht, weil wir undankbar sind, sondern wir halten uns für undankbar, weil wir uns laufend streiten. Aber vielleicht hat das ja damit gar nichts zu tun?”

3. Hier bitte ich Sabine und Claus darum, sich auf das „Gedankenspiel“ der „Umkehrung“ einzulassen. Während Claus eher zurückhaltend zustimmt, zeigt sich Sabine sehr neugierig und aufgeschlossen. („Lieben was ist“ von Byron Katie)

B: „Also, kehren Sie den Gedanken um! Wie würde dann die Aussage lauten?“

S: „Dass wir dankbar sind?“

B: „Formulieren Sie es bitte als Aussage, die Ihrer ursprünglichen Aussage quasi gegenübersteht.“

S: „Wir sind dankbar!“

B: „Danke. Wie fühlt sich das an? Und können Sie sich vorstellen, dass diese Aussage genauso wahr ist?“

C: „Fühlt sich sehr gut an, und irgendwie … richtiger … und leichter. Ich glaube, wir haben uns da beide wohl ganz schön unter Druck gesetzt.“

B: „Ich erlebe Sie beide als Menschen, die sehr wohl dankbar für die Möglichkeiten sind, die ihnen das Leben bietet. So eine Firmengründung ist eine enorme Herausforderung, vor allem, wenn sich ein Ehepaar dazu entscheidet, nun nicht mehr nur außerhalb des beruflichen Lebens den Alltag zu gestalten, sondern von nun an auch beruflich.

Das allein sind schon gravierende Veränderungen für die Beziehung, plötzlich ist man 24 Stunden lang mit dem Partner zusammen. Und umgehend tragen auch beide die Verantwortung für die gemeinsame Existenz und die Zukunft. Das kann natürlich für immensen Druck und Stress, ja sogar Angst sorgen, Auseinandersetzungen bleiben da nicht aus. Ihr Mut, Ihre Kraft, aber auch die tiefe Zuneigung zueinander, die ich bei Ihnen wahrnehme, ist bewundernswert.

So eine Um- bzw. Neustrukturierung in einer Partnerschaft braucht nicht nur Zeit, sondern auch Geduld – Geduld mit sich selbst, aber auch mit dem Partner. In den 27 Jahren Ihrer Ehe gab es eventuell auch Phasen, die schwierig waren.

Was hat Ihnen während dieser Zeit geholfen? Wie haben Sie diese Phasen überwunden? Und was ist Positives aus diesen Phasen entstanden? Sie besitzen ein wertvolles Portfolio an Ressourcen, das Sie für sich nutzen können. Gerne begleite ich Sie dabei ein Stück des Weges.“

Hier ist also ein „Umdenken“ bzw. ein Perspektivwechsel zu erkennen, der für eine deutliche Stressreduktion und somit Erleichterung sorgt. Der „Raum“ für Gedanken(möglichkeiten) wird größer. Ich halte für die Arbeit mit „The Work“ eine vertrauensvolle Basis, erreichbar durch eine wertschätzende Begegnung auf Augenhöhe, für unerlässlich.

Schlussendlich sehe ich „The Work“ als wertvolles Tool, das eine Selbstregulation effektiv unterstützen kann.

Kerstin TeifkeKerstin Teifke
Geprüfte Psychologische Beraterin (VFP)

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