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Wie gefährlich ist die SWR „Vollbild“-Redaktion?

Zugegeben - diese Art der Überschrift ist übelster Journalismus. Deshalb entschuldige ich mich auch gleich dafür. Sie passt nur so gut zur Qualität, mit der die SWR „Vollbild“-Redaktion ihrerseits Überschriften formuliert. Zum Beispiel über unseren Berufsstand unter dem Label „Psycho-Pfusch?“ am 20. September 2022 „So gefährlich sind Heilpraktiker?“ oder „PsychoSekte?“ am 9. Mai 2023 „Heilpraktiker-Schule: Albtraum statt Ausbildung?“. Was diese Art zu formulieren so gefährlich macht, ist die suggestive Rhetorik: Verkleidet als vermeintlich quantifizierende Frage ist sie in Wirklichkeit eine qualifizierende Behauptung, die als gegeben empfunden und nicht mehr infrage gestellt wird - nämlich dass etwas gefährlich sei. Was ja noch gar nicht bewiesen ist.

Solche rhetorischen Stilmittel, die unter den Sammelbegriff „Rabulistik“ fallen, meinen also den „bewusst böswilligen Einsatz von manipulativem Sprachgebrauch“. Der kommt nicht nur in dem investigativen Journalismus vor, den die SWR „Vollbild“- Redaktion laut ihrem Impressum wohl zum alleinigen Gegenstand zu haben scheint, sondern ist längst in unseren Alltag eingezogen in Form von Hatespeech, Fake News, Desinformation und Propaganda.

Ob in sozialen Medien, am Arbeitsplatz oder im privaten Umfeld: Unterstellungen, Projektionen, Interpretationen und Urteilsdenken sorgen für einen Diskussionsstil, der mit sprachlich-manipulativen Methoden vermengt Menschen aufhetzt und gegeneinander aufbringt. Bundespräsident Steinmeyer sagte kürzlich im Fernsehen: „Lügen und Desinformation spalten unsere Gesellschaft und gefährden ganze Demokratien“. Gerade in dieser Zeit wird deutlich, wie unterwandert unsere Internetmedien und die „Empörer-Presse“ sind durch politische Demagogen, gelangweilte Trolle, professionelle Keiltreiber und aktive Zerstörer.

Es ist nicht untertrieben zu behaupten, dass die Macht der Worte die vielleicht gefährlichere Waffe ist als eine Bombe. Denn die größte Gefahr der geradezu zur Königsklasse entwickelten Täuschungsindustrie liegt im damit verbundenen Verlust, individuelle Wahrheiten von erschaffenen Realitäten und gemeinsamen Wirklichkeiten unterscheiden zu können.

Auch durch das Wegbrechen wertevermittelnder Instanzen, wie Religion und Kirchen, ist ein Vakuum für das in allen Menschen vorhandene Bedürfnis nach Transzendenz entstanden, in dem Verschwörungstheorien ein ideales Milieu für „alternative“ Realitäten finden.

Bewusste Manipulation

Der Wirkmechanismus in all diesen sprachlichen Stilblüten ist die Manipulation, also das sehr bewusste Darüberhinwegtäuschen über einen wahren Sachverhalt. Manipulativ war z. B. schon die Überschrift des ersten Vollbild-Beitrags über unseren Berufsstand auch deswegen, weil der Beitrag die versprochene Antwort schuldig blieb.

Denn wer aufgrund der Überschrift erwartet hatte, dass es um „gefährliche Heilpraktiker“ geht, wurde enttäuscht. In dem Beitrag kamen nämlich erst mal gar keine Heilpraktiker vor, sondern nur eine selbsternannte Geistheilerin insbesondere ohne Heilpraktiker-Zulassung, über deren dubiose Methoden sich fast die halbe Sendezeit erstreckte. Und selbst dann kamen überwiegend nur noch Beurteiler und Kritiker zu Wort, die letztlich nur ihre persönliche Meinung über den Heilpraktiker-Berufsstand zum Ausdruck brachten.

Über 11 Seiten listete der VFP zudem eine Vielzahl von Falschaussagen und Ungereimtheiten auf, die diesen Beitrag so manipulativ erscheinen lassen.

Auch der zweite Beitrag versucht den Eindruck zu erwecken, als handele es sich um die Gesamtheit der Heilpraktikerschulen und -ausbildung. Tatsächlich berichtet wird jedoch nur von einer einzigen Schule – also einem Einzelfall, der aber argumentativ für das große Ganze hergenommen wird. Man nennt diese rabulistische Methode auch „Induktion“, also das Aufblähen eines durchaus greifbaren Einzelbeispiels, um daraus völlig unbegründet eine allgemeingültige Regel abzuleiten.

Darauf fallen Menschen nur herein, wenn man eine zweite rabulistische Methode hinzunimmt, die als „anekdotische Evidenz“ bezeichnet ist. Bei der wird versucht, eine pure Behauptung als richtig oder bewiesen darzustellen, indem man eine gute Story drum herum erzählt. Wenn dann auch nur die Story plausibel klingt, wird somit auch die kühne Schlussfolgerung daraus geglaubt.

Das ist bei beiden Vollbild-Beiträgen über unsere Heilpraktiker-Zunft gut zu erkennen – in beiden ist die Induktion in eine anekdotische Evidenz eingebettet. Und dies begründet dann den Wirkmechanismus einer dritten Methode aus der rhetorischen Manipulationskiste, nämlich die „Emotionale Beweisführung“. Und die funktioniert so, dass der erste Eindruck eine Emotion lostritt, die – da losgetreten – ja „echt“ zu spüren ist.

Zum Beispiel Wut oder Empörung. Darauf fallen vor allem impulshafte Menschen schnell rein und halten daher auch die Wahrnehmung für „echt“, auf die sie mit der Emotion reagiert haben. Denn sie spüren das doch, dass das „echt“ ist. Nein, sie spüren nur ihre Reaktion auf diese Annahme, nämlich in Form ihrer Emotion. Die ist aber bereits eine Folge, nicht die Ursache.

Gerade „anekdotische Evidenzen“ in Form von „Empörer-Beiträgen“ vermögen sehr starke Emotionen auszulösen. Das geschieht nicht nur in den Printmedien und im Internet, sondern gerade durch die Kraft der Bilder gelingt das investigativen Formaten ganz besonders. Dementsprechend „echt“ fühlt sich das dann auch für die Zuschauer an, die allein dadurch von der Glaubwürdigkeit der Story überzeugt sind. Dies erklärt auch den hohen Grad von Entrüstung, den Shitstorming in sozialen Medien auszulösen vermag.

Wir leben in einer Hype-Gesellschaft, wo Empör-Journalisten, Blogger und Influencer einen Aufreger nach dem anderen in die Menge werfen – und es macht jedesmal „wuff“. Die Korrelation zwischen der förmlichen Suche von Aufreger-Nachrichten seitens der Konsumenten und dem Clickbaiting der Medien ist zu einem Selbstläufer geworden, an dessen Ende der völlige Verlust von Realität und Wirklichkeit steht. Stattdessen gibt es ganz viele parallele Wahrheiten, über die Glaubenskriege entstehen („wenn du nicht glaubst, was ich glaube“). Einige davon finden gerade statt – und deren Anheizer sind die sprachlichen Manipulateure!

Realitäten und andere Wahrheiten

Wir erschaffen uns unsere Realitäten selber – jeden Tag neu! In dem Grad, wie wir etwas für „wahr“ halten, hat dies die Tendenz, zur greifbaren Realität zu werden (Grundsatz des Konstruktivismus). Dies können sowohl positive Realitäten sein, z. B. gesund werden durch das Aktivieren innerlicher Selbstheilungskräfte – als auch negative, z. B. negative Gedanken, die zu Krankheit und Tod führen (Konversionsstörungen, psychogener Tod). Oder zu Krieg durch gedankliche Unterstellungen, Annahmen, Projektionen oder Scheinwelten (alternative Realitäten). Die ganzen Verschwörungsmythen basieren darauf, sie sind für die daran Glaubenden evidente Realität!

Unsere Medien sind seit den 1980er-Jahren technologisch in der Lage, der Menschheit eine Fake-Welt zu präsentieren, die für „wahr“ gehalten wird. Selbst wenn sie von vorne bis hinten erfunden ist oder auf weiteren rabulistischen Methoden aufbaut, wie logischen Fehlschlüssen, Verzerrungen, etwas auf höhere Ebenen aggravieren (z. B. ethnische oder religiöse), Täter-Opfer-Umkehr oder das In-die-Welt-Setzen von falschen Gerüchten.

In dieser rein zu Unterhaltungszwecken völlig frei erfundenen Medienwelt sind mittlerweile zwei Generationen groß geworden und haben diese medialen „Wahrheiten“ geglaubt. Die sind somit zu Realitäten geworden, die produziert worden sind. Alternative Realitäten also, die auch nicht vor Präsidenten von Staaten und Nationen halt machen.

Wenn aufgrund dieser Realitäten Taten folgen, z. B. innere und äußere „Urteilsvollstreckungen“, dann entsteht aus solchen Fake-Realitäten eine Wirklichkeit („hinein wirken“), die tödlich sein kann. Und die unsere Gesellschaften, Demokratien und sogar die ganze Welt real bedroht. Was ja auch gerade stattfindet.

Gegenstrategien

Dieses Problem hat die EU erkannt. Seit einiger Zeit beginnen verstärkt Aufklärungsprojekte zu laufen, die das Ziel haben, die Menschen breit angelegt zu sensibilisieren gegenüber rabulistischem Sprachgebrauch. Ein Modell ist bezeichnet mit „Die P.L.U.R.V.-Taxonomie“, eine unter diesem Suchbegriff im Internet downloadbare Liste typischer Sprachfallen, wie der „Whataboutismus“. Darunter zu verstehen ist der rabulistische Versuch, einen berechtigten Vorwurf zu verwässern, indem man mit dem Finger auf einen anderen zeigt („Die Russen haben … ja, aber die Amis auch!“). Oder die Taktik des „Torpfosten-Verschiebens“, also das immer wieder Fordern von höheren Beweisstandards, wenn der Diskussionsgegner die angeforderten Beweise geliefert hat.

Auch im journalistischen Bereich findet ein Umdenken statt. Zumindest die Redaktionen, für die noch journalistische Ethik und Qualität an vorderster Stelle stehen, besinnen sich zurück auf den ursprünglichen Grundsatz, dass „guter Journalismus Meinungen transportiert und nicht erschafft.“ Dementsprechend entstehen überall „Faktencheck-Portale“ und es wird erkennbar „sexy“ für zumindest professionelle Journalisten, nur noch gesicherte Informationen so neutral wie möglich zu veröffentlichen. Investigative Formate wie die Vollbild-Redaktion haben es mit einem solchen Qualitätsanspruch an gute journalistische Arbeit möglicherweise sehr schwer.

So gibt es noch eine Menge mehr an Modellen, die üble Rhetorikmethoden auflisten und endlich mit einer benennbaren Bezeichnung versehen, um sich in rabulistischen Diskussionsverläufen wirksamer abgrenzen zu können.

Hierzu gibt es neuerdings auch Seminare und Weiterbildungen, in denen man all diese sprachlichen Manipulationsmethoden und Strategien von Desinformation und Propaganda zu erkennen lernt und Wege daraus findet. Denn sie sind durchaus vorhanden – im Grunde ist es auch gar nicht so schwer, unfairer Rabulistik wirksam zu begegnen. Voraussetzung ist allerdings, dass man sie erkennt.

Deshalb entstehen auch Faktencheck-Portale und Weiterbildungen in Medien- und Kommunikationskompetenz über „rabulistische Dialektik“, damit wir bald mal wieder auf den Boden der Tatsachen finden, was ein schöner Begriff für die abhandengekommene Realität wäre.

Godehard Pötter
Heilpraktiker für Psychotherapie,
Coach, Kommunikationstrainer

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