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Liebe braucht Ent-SCHULD-igung

„Ohne die Möglichkeit einer Ent-SCHULD-igung und Wiedergutmachung wäre die menschliche Grunderfahrung der Fehlbarkeit von unerträglicher Tragik gekennzeichnet“, schreibt die Psychologin und Psychotherapeutin Harriet Lerner in ihrem Buch „Why Won‘t You Apologize?“ („Warum entschuldigst du dich nicht?“) Das gilt auch in der Liebe. Selbst die besten Ehen, Liebesbeziehungen und Partnerschaften bestehen aus unvollkommenen Menschen. Diese machen Fehler. Und weil es in jedem Menschen auch einen „dunklen“ Anteil gibt, können menschliche Liebeswesen mitunter sogar richtig böse werden.

Dr. David Schnarch, der als führender Sexualtherapeut in den USA gilt, spricht und schreibt in dieser Hinsicht von „normalem ehelichen Sadismus“, der in engstirnigem, primitivem und strafendem Verhalten zum Vorschein kommt. So wird z. B. Gleiches mit Gleichem vergolten oder ein lang anhaltender Groll gegen den Partner (immer m/w/d) gehegt, der in gezielten, kleinen und subtilen Gemeinheiten verabreicht wird. Nicht selten gibt es einen beabsichtigten und kalkulierten Verzicht darauf, die eigene Wut zu kontrollieren und zu mäßigen, und so kann sie schlimmen Schaden beim anderen anrichten. All das mit dem Gefühl, berechtigt zu sein, am Partner Vergeltung zu üben, wenn der die Erwartungen nicht erfüllt hat und dies die Gefühle verletzt hat. Das „Aneinanderrächen-der-Paare“ geschieht dann oft abends im Bett mit sexueller Verweigerung in Form von vorgetäuschter Müdigkeit. So in etwa schildert Dr. David Schnarch den „normalen ehelichen Sadismus“.

Schuld und Schaden

Die von uns gewählte Schreibweise Ent-SCHULD-igung weist darauf hin, dass es um die Entfernung von Schuld geht. Doch das ist nicht die Hauptsache. Es geht mehr um die Beseitigung eines entstandenen Schadens. Denn bei Schuld muss genau hingeschaut werden, ob und wo und welch ein Schaden entstanden ist. Ein Mensch entwickelt Schuldgefühle, wo er schuldig geworden ist, das heißt: Wo er das Gute hätte tun können und stattdessen das Ungute zutage getreten ist, auch wenn dies nicht seine Absicht war.

So erleiden Menschen Unrecht. Weil Menschen eben auch Unrechtes tun. Und so entsteht Schaden, sei es Kränkung, Leid, Not, Schmerz und die Verletzung der Ehrgefühle beim anderen oder der Verlust der eigenen Unschuld, gepaart mit Schimpf und Schande bei sich selbst. Man ist nicht, wer man für den anderen sein wollte.

Ebenfalls Schaden nimmt oft auch die Selbsterkenntnisfunktion im Gehirn; wir kennen das als schlechtes Gewissen. Es entsteht in der Folge eine Selbstentfremdung, eine Entwicklungshemmung der eigenen Persönlichkeitsreifung, und der eigene Handlungsspielraum reduziert sich durch Scham- und Schuldgefühle, die einen irgendwie unfrei machen.

Wo ein Schaden beim anderen oder sich selbst entstanden ist, da hat man reale Schuld auf sich geladen, die man anerkennen kann. Dann kann man auch um Ent-SCHULD-igung bitten, denn Schuld muss aufgelöst werden. Sonst bleibt man in Ausreden, Erklärungs- und Rechtfertigungsversuchen bzw. Verteidigungsmechanismen gefangen. Man mutiert womöglich zu einer Art „Moralelastix-Mensch“, der sich auf die Kunst versteht, sich aus der Verantwortung zu stehlen, mit ungewöhnlicher moralischer Flexibilität, einer Portion verschlagener Argumentationskunst (Winkelzüge nennt man das im Volksmund) und diversen Bagatellisierungsversuchen.

„Es tut mir leid!“

Das können heilkräftige Worte sein, aber nur dann, wenn derjenige, der diese Worte sagt, auch eine Ahnung von dem Leid hat, das er verursacht oder mitverursacht hat. Eine echte Bitte um Ent-SCHULD-igung nimmt nämlich Anteil an der schmerzenden Erfahrung des verletzten Gegenübers. Andernfalls würde ein „Es tut mir leid“ nur vermitteln, dass einem eigentlich gar nichts leid tut, – außer man sich selbst –, weil man sich entschuldigen muss.

Um von dem Leid eines anderen eine Ahnung zu bekommen, ist eine „Anhörung“ notwendig. Das heißt: Es gilt, auf dem „heißen Stuhl“ auszuharren und den aufgestauten Ärger, Groll und Schmerz des Betreffenden anzuhören. Das erfordert unser bestes und reifstes Ich, denn es ist unheimlich schwer, sich das Leid eines anderen anzuhören, wenn wir für dessen Ursache gehalten werden.

In einer solchen „Anhörung“ geht es primär nicht um die Schuldfrage, sondern um die entstandene Not, wie es André Crouch in einem seiner Lieder treffend formulierte: „He looked beyond my faults and saw my needs“ („Hinter meinem Fehlverhalten sah er meine Nöte“). Es sollte der Wunsch zum Ausdruck kommen, mit dem verletzten Gegenüber mitzufühlen und dessen schmerzende Erfahrungen, Gefühlszustände und Bedürfnisse ernst zu nehmen. Sätze, die dazu geeignet sind:

– „Du sollst wissen, dass ich mir das nahe gehen lasse, was du sagst, und weiter darüber nachdenken werde.“

– „Gibt es noch mehr, das du mir sagen möchtest?“

Es gibt kaum eine heftigere Herausforderung an unsere menschliche Größe, als sich ohne innere Abwehr bis zum Ende anzuhören, was wir gar nicht hören wollen. Aber das ist nun mal der eigentliche Sinn und Zweck einer Anhörung.

Hier ein paar Tipps für nichtdefensives Zuhören:

– Wertschätzen, dass der Betreffende überhaupt den Mut aufgebracht hat, etwas zu sagen.

– Interessiert nach Einzelheiten fragen, ohne dass dies zu einem „Verhör“ wird.

– Den anderen ausreden lassen trotz aller Ungereimtheiten, Ungenauigkeiten, Übertreibungen, Ausreißer und sonstiger Aussagen, mit denen wir nicht einverstanden sind.

– Nicht auf Distanz gehen, den aufgewühlten Geist selbst beruhigen und das Herz offenhalten.

Dann kann man vielleicht irgendwann sagen und es auch so meinen: „Es tut mir in der Seele weh, dass du wegen mir so fühlen musst. Es tut mir wirklich leid.“

„Entschuldigung!“ – „Sorry!“ – „Verzeihung bitte!“

Für eine gute und effektive Bitte um Ent-SCHULD-igung, braucht es wahrscheinlich mehr als nur ein oder zwei Worte. Diese mögen vielleicht genügen, wenn man jemanden versehentlich angerempelt hat oder man durch eine Menschenansammlung vorankommen möchte.

Aber eine Bitte um Ent-SCHULD-igung, die ein Unrecht wieder gutmachen soll, muss gekennzeichnet sein von Anstand, Ehre und menschlicher Größe. Dabei muss es nicht gleich ein Kniefall sein wie der von Willy Brandt in Warschau, aber es wäre gut, wenn sie die folgenden sechs Elemente enthalten würde:

1. Einsehen

– Das drückt die Übernahme der persönlichen Verantwortung aus für die eigenen Taten und Worte, den Tonfall, die Gesten und Mimiken ohne jegliche Rechtfertigungs- und Rationalisierungsversuche, ohne Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge oder sonstige faule Ausreden.

– „Ich sehe jetzt, wie sehr dich das getroffen hat.“

– „Ich habe keine Erklärung oder Rechtfertigung dafür.“

– Erklärungen machen Ent-SCHULD-igungen zunichte, denn wer sich rechtfertigt, kann nicht zugleich schuldig sein.

2. Schuldspruch

– Es braucht ein unmissverständliches Sich-selbst-Schuldig-sprechen, denn dann muss der andere dem „Geständnis“ nicht mehr hinterherjagen.

– „Ich habe dir Unrecht getan. Das war schäbig von mir und du bist zurecht sauer auf mich.“

– „Eigentlich habe ich ja eine Strafe verdient ...“

– Es muss der Gerechtigkeit durch eine klare Verurteilung Genüge getan werden.

3. Aufrichtige Reue

– Damit distanziert sich der Täter von seiner Tat und signalisiert, dass ein Umdenken in ihm erfolgt ist und er jetzt den Wunsch hat, er hätte damals das Richtige getan.

– „Ich bedauere zutiefst, was ich gesagt und getan habe. Und hätte ich die Chance, es ungeschehen zu machen, dann würde ich das ohne Zögern tun.“

4. Schlichte Bitte

– „Ich bitte dich in dieser Sache um Ent-SCHULD-igung!“ (oder um Verzeihung oder um Vergebung).

– Ent-SCHULD-igen oder verzeihen kann man, was man irgendwie nachempfinden bzw. nachvollziehen kann.

– Vergebung ist für das Unverzeihliche und braucht meist etwas länger.

– Der andere sagt, wann und in welchem Ausmaß das möglich ist, denn es kann eine Weile dauern bis Bitterkeit, Groll, Schmerz und Wut weggearbeitet sind und sich ein innerer Ort echter Vergebung und Versöhnung im Herzen auftut.

– „Ich möchte dir vergeben und zugleich merke ich, dass ich noch nicht so weit bin. Bei 10 Prozent bin schon mal und vielleicht schaffe ich bald schon 30 oder 40 %. Ich werde weiter daran arbeiten, und wenn ich durch bin, werde ich dir sagen, dass ich dir voll und ganz verziehen habe.“

5. Wiedergutmachung

– Ein ernst gemeintes Angebot der Entschädigung oder des Schadensersatzes als Geste der Linderung von Schmerz kann eine Brücke zur Versöhnung werden.

– „Weil ich dich in all den Jahren immer wieder mit meiner unbeherrschten Kritik herabgesetzt und tief beleidigt habe, biete ich an, dir als eine Geste der Wiedergutmachung ein Jahr lang jede Woche einen Brief zu schreiben, worin ich dir aufzähle, was ich alles gut an dir gefunden habe.“

– Das Angebot kann angenommen oder modifiziert und angenommen werden.

– „Ich finde, dass das eine gute Idee ist und möchte, dass du mir statt ein Jahr lang nur einen Monat lang, aber dafür jeden Tag eine neue Sache sagst, die du gut an mir findest.“

6. Besserung

– Die Willensbekundung, sich zu bessern, auch wenn das nicht immer gleich zu 100 % klappt, bezeugt zumindest klar und deutlich, dass es einem wirklich darum geht, die entstandene Beziehungsstörung zu beheben.

– „Ich habe für die Zukunft gelernt, dass meine finstere Mine eine Strafe für andere sein kann, und werde daher drauf achten, im Umgang mit dir ein freundliches Gesicht an den Tag zu legen. Bitte sage mir, wenn ich unfreundlich dreinschaue und ich selbst es nicht merke.“

Eine auf sich geladene Schuld abgenommen zu bekommen, ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Darum ist es wichtig, die Bitte um Ent-SCHULD-igung angemessen zu erwidern. Entweder mit einem „Ich weiß deine Bitte um Ent-SCHULD-igung zu schätzen und nehme sie an“ oder mit einem „Ich weiß deine Bitte um Ent-SCHULD-igung zu schätzen und bin momentan noch nicht so weit. Ich werde daran arbeiten und sage dir dann Bescheid.“ Nicht alles, was kaputtgegangen ist, kann schnell wieder repariert werden. Nichtsdestotrotz können wir ein Friedensangebot annehmen und der Zukunft einen Raum eröffnen.

Vergebung ist kein Muss, erst recht nicht eines, das sofort passieren muss.

Clarissa Pinkola Estés beschreibt in ihrem Buch „Die Wolfsfrau“ vier hilfreiche Stadien auf dem Weg zur Vergebung.

1. Ablassen

Darunter versteht sie die wiederholte Entscheidung für das Fallenlassen der Angelegenheit und des entstandenen Schmerzes. Nicht als eine Art Unterdrückung von etwas Unbewältigtem oder dem Ignorieren des Geschehenen, sondern als Erholung von der unentwegten und unkonstruktiven Beschäftigung mit dem „Dorn im Fleisch“. Damit werden die Kraftreserven nicht verschwendet und die angeschlagene Seele merkt, dass ein gewisses Maß an Linderung jetzt schon zugänglich ist, auch wenn der Gesamtkomplex noch nicht gelöst ist.

2. Unterlassen

Dies bezieht sich auf Rachegedanken und das Verlangen nach Vergeltung in Worten und Taten. Es gilt, die Würde zu bewahren, Großmut zu beweisen und nicht blindlings Gleiches mit Gleichem zu vergelten. So können unnötige Auswucherungen vermieden werden, die das Ganze nur verschlimmern würden.

3. Vergessen

Hierbei geht es nicht um das Erzwingen eines Gedächtnisschwundes, sondern um einen bewussten Willensakt, mit dem der Scheinwerferkegel der Aufmerksamkeit vom „entzündlichen Material“ auf anderes gelenkt wird. Das Wiederkäuen giftiger Gedanken und Gefühle hört auf und die Eindrücke und Erinnerungen an das schmerzliche Ereignis treten in den Hintergrund. Das Drama wird vom Spielplan gestrichen und die Seelenlandschaft leer gefegt für neue und frische Erfahrungen.

4. Vergeben

Echte Vergebung wird meist in kleinen Abschnitten erreicht, indem die Bürde der Schmach stückchenweise weicht. „Vergebung hat absolut nichts mit einer Unterwerfung oder Niederlage zu tun“, schreibt Estés, „denn man legt die Waffen bewusst und aus freien Stücken nieder. Man trifft die bewusste Entscheidung, keinen Groll mehr zu hegen und den Schuldnern ihre Schuld zu vergeben, aber nicht, weil man gezwungen oder manipuliert wird, sondern als ein Ausdruck der eigenen Freiheit und Seelenstärke.“

Woran merkt man, dass eine Sache wirklich vergeben ist?

Die Erinnerungen an die Angelegenheit lösen zwar noch Traurigkeit und Wehmut aus, aber die Missetat versetzt uns nicht mehr in Wut und Rage. Man will den Übeltäter nicht mehr unbedingt bestraft sehen. Zudem ist der Schmerz abgeklungen und kommt auch nicht immer wieder hoch.

Das aufrichtige Eingeständnis von Schuld, verbunden mit einer ernst gemeinten Bitte um Vergebung und dem Angebot einer Kompensation sind eine Tür zur Vergebung von Schuld einerseits und zur Heilung von Schmerz und Leid andererseits.

Eine ausbleibende Bitte um Ent-SCHULD-igung trifft manchmal ärger als die ursprüngliche Sache, weil die darin liegende Botschaft unmissverständlich lautet: „Du bist es mir nicht wert.“ Doch das sei ferne!

Liebe braucht Ent-SCHULD-igung und Vergebung. Andernfalls wäre das Zusammensein bis hin zur Liebespartnerschaft von zwei fehlerbehafteten Menschen, – wie wir es allesamt sind –, unerträglich. Doch so muss das nicht sein. Wir können nicht nur Vergeben lernen, sondern auch das Bitten um Vergebung. Dies ist zwar eine bittere Pille für unseren Stolz, doch zugleich heilsam für die Liebe.

Literatur

Harriet Lerner: Versuch‘s mal mit Entschuldigung: Wie Versöhnung kleine und große Herzschmerzen heilt.

Clarissa Pinkola Estés: Die Wolfsfrau – Die Kraft der weiblichen Urinstinkte.

 

Herbert und Gisela Ruffer

Heilpraktiker für Psychotherapie, Praxis für Paar- und Psychotherapie in Landshut. Wochenend-Intensivtherapie für Einzelpersonen und Paare

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