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Tiefe Versunkenheit: Flow und Tagträumerei

©DANIELKinder fallen durch Versunkenheit im Tun (Flow) und Tagträumerei auf, während Erwachsene dazu neigen, dieses Verhalten zu unterbrechen (Cut). Folgend beziehe ich Flow und Tagträumerei auf den Schreck als vegetative Reaktion. Im Anschluss wird ein Ideenpool zur Veränderung der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung dargestellt.

Da ich mit diesen bio-psychologischen Erscheinungen selbst Erfahrungen habe, orientiere ich mich an meinem Erleben als Person mit mutistisch-autistischen Zügen und meinen Erlebnissen als Schulbegleiterin.

Flow

Man unterstellte, dass Menschen nur extrinsisch unter Belohnung oder Bestrafung motiviert handeln. Csikszentmihalyi beobachtete aber bei Erwachsenen, dass bei bestimmten Tätigkeiten Freude im Tun unter intrinsischer Motivation ohne äußere Belohnung entstehen kann. Man fühlt sich unter dieser Freiwilligkeit kompetent, frei, lebendig und selbstbestimmt. Lang andauernd wird die Aufmerksamkeit zentriert und äußere wie innere Störinformationen können ausgeblendet werden. Langeweile, Angst, Sorgen oder Hunger treten nicht ins Bewusstsein (Csikszentmihalyi, 1975/2010).

Montessori fiel auf, dass die von ihr betreuten verwahrlosten und vernachlässigten Kinder wie erwacht wirkten, wenn sie sich mit bestimmtem Sinnes- und Lernmaterial befassten. Während dieser Zeit der konzentrierten Wiederholung einer Übung saugt das Kind unbewusst Wissen auf. Im freien Spiel beobachtete sie dieses Verhalten nicht (Berger, 2003).

Was passiert, wenn man diesen Flow nicht bzw. nicht mehr regelmäßig erlebt? Ich kenne ein Kind, das ausrastet, wenn im Flow ein Laptop-Entzug ansteht. Dieser Cut scheint schon im Voraus wie ein Schreck oder Schmerz zu wirken. Experimentell taten Studienteilnehmer im Team von Csikszentmihalyi nur das Notwendigste und widerstanden der Versuchung, einem Spielbedürfnis nachzugeben. Es gab sogar einige, denen es guttat, aber den meisten ging es schlechter als vorher. Sie waren müde, hatten Kopfweh, fühlten sich ungesund, angespannt, ärgerlich, nervös und unkonzentriert. Wird z. B. als Chirurg phasenweise Flow und Kompetenz, aber auch Angst oder Langeweile (die beim Zunähen einer Wunde nach einer anstrengenden OP auch entspannend wirken konnte) erlebt, könnte das zur Aufgabe des Berufes führen.

Diese Flow-Erlebnisse scheinen in der Regel eine essenzielle Rolle zu spielen. Es ist egal, ob sie in der Freizeit oder bei der Arbeit erfahren werden. Der Organismus kennt diese Trennung nicht (Csikszentmihalyi, 1975/2010).

©bellepokTagträumerei

Mindestens seit meiner Grundschulzeit „versinke“ ich regelmäßig in eine Art von Tagträumerei und bin dabei halb präsent und halb abgetaucht oder gänzlich mit meinen unbewussten Massen-Gedanken woanders.

Ich gehe davon aus, dass vor allem Kinder in der Lage sind, sich diese Ressource sozusagen selbst beizubringen. Unbewusst angewendet, führt sie bei ihnen wohl zu angenehmeren Wahrnehmungen. Wir wissen, dass Kinder ihre Ohren „verschließen“ können, wenn sie etwas nicht hören wollen. Wenn ein Kind das herausgefunden hat, wird es zu einem Automatismus kommen können, der unter bestimmten Bedingungen aktiviert wird. Bei Erwachsenen, die dieses Phänomen vorher noch nicht anwendeten, könnte ich mir vorstellen, dass es durch Schockerlebnisse entstehen kann (Dissoziationen).

Dialoge - Tempo, Hören und Bekanntheit

Dialoge mit ihren abwechselnden Sprechbeiträgen sind mir zu schnell: Es gelingt mir kaum, in einen Dialog mit drei und mehr Personen spontan einzusteigen. Ich fahre die Wahrnehmung (Hören und Sehen – Tagträumen) sogar unbewusst runter, wenn ich „Gruppenklönen“ inhaltlich nicht kenne und akustisch nicht verstehe. Auch das Kind, das ich in der Schule begleitete, hat – wohl bedingt durch Sprechentwicklungsstörungen und hochgradiger LRS – Probleme, einen Kontext in der Klasse zu verstehen und träumt sehr viel. Durch den Mangel an Erfahrung fehlt das Erkennen und Assoziationen sind kaum möglich.

Durch das Tagträumen ist die Wahrnehmung der Umwelt reduziert und somit auch die Reaktions- und Kontaktfähigkeit, was sich auf die soziale Interaktion auswirken und somit zu Autismus und Mutismus oder ADS ohne Hyperaktivität (ICD-10 F98.80) führen kann.

Normalität in der Tagträumerei

Die Hälfte unserer wachen Zeit „träumen“ wir (Ayan, 2016). Gemäß Hirnforschung ist ein Ruhezustandsnetzwerk (Default Mode) aktiv, wenn nichts geschieht, was das Gehirn fesselt (Segler und Wiedemann, 2017). Vor allem bei routinierten, monotonen und automatisierten Tätigkeiten wie Joggen, Bügeln oder Autofahren geraten wir in dieses reizunabhängige Denken (SIT/stimulusindependent thought), (Ayan, 2016).

Wenn wir Probleme kreativ lösen sollen, kommt irgendwann der Punkt, Abstand zu gewinnen, damit die Sache in uns selbst arbeiten kann (Anmerkung: Hierzu zeigt sich eine Parallele zum „Flow“ von Csikszentmihalyi). Das Erfolgsrezept kreativer Geister ist wohl dieser Wechsel zwischen äußeren Reizen und inneren Fantasiereisen (Ayan, 2016).

Flow, Tagträumerei – Schreckreaktion

Menschen befinden sich also viele Momente eines Tages in einer Versunkenheit

  • Flow im Tun
  • Tagträumerei ohne Tun

Denn im Flow oder in einer Tagträumerei wird sich mit den Augen oder Ohren auf Inneres oder eine bestimmte Situation fokussiert. Kommen von außen Informationen, die damit nicht in einem Zusammenhang stehen, entscheidet das Gehirn auch aufgrund von Vorerfahrungen, bei welcher Information es eine Weckreaktion geben und wie die aussehen soll.

  • Entweder man richtet seine Aufmerksamkeit mit einem Abbruch (Cut) auf diesen Auslöser, um die Lage kurz zu überprüfen und angemessen zu reagieren.
  • Oder es kommt zu keinerlei Orientierungsreaktion.
  • Oder man erschreckt sich.

Ertönt z. B. ein unerwarteter plötzlicher Knall, zucken wir zusammen, erstarren vor Schreck und halten die Luft an. Dann wird autonom abgewogen, ob sich wehren (Kampf), weglaufen (Flucht) oder sich unsichtbar machen (Erstarren) sinnvoll ist (Heller und La Pierre, 2013).

Das Gehirn hat vorab im Flow oder in einer Tagträumerei nicht alle möglichen Informationen aus der Umwelt erhalten und holt sich gegebenenfalls abrupt eine hohe neue Aufmerksamkeit zurück (Orientierungsreaktion). Es liegt demnach keine Reizüberflutung vor, sondern man wird mit neuen wichtigen Reizen geflutet, die vorher gedämpft wurden, indem das aktuelle Tun gestoppt wird (Cut): Im Schreck weiß der Organismus noch nicht, ob die Situation wirklich gefährlich ist, und braucht mehr Daten, aber nur die wichtigsten. Während des Schrecks scheint der Organismus so Zeit zu gewinnen, Informationen zu prüfen, auszuwählen und dosierter darauf zu reagieren.

Im Alltag wird die Nachreaktion auch aufgrund von Vorerfahrungen unterschiedlich ausfallen:

  • Evtl. beginnt man mit Worten/Händen zu überagieren (Aggression gegen sich, andere Personen oder Dinge), zu schreien oder sogar zu lachen. Zuerst würde dann wohl der dorsale Parasympathikus mit Erstarren kurz aktiv sein, was dann durch eine sympathische Aktivierung des Nervensystems durch eine Form von Flucht-Kampf-Verhalten abgebaut wird bzw. durch ein Zittern, so wie es Tiere tun, wenn sie einen Totstellreflex wieder auflösen (vergleiche Porges, 2010).
  • Oder man kehrt in sich und hält sich von der Außenwelt zurück.
  • Oder man wendet sich dem Reiz abrupt zu und stellt erleichtert fest: „Ach so, das war der Grund. Man gut, Alarm zurück!“

Schweigen im Mutismus

Wenn ich die mutistische Sprechsperre wahrnehme, fühlt sich das wie ein Schreck an. Ist man auf ein spontanes Ansprechen nicht vorbereitet (Cut), erschrickt man sich womöglich, wenn man angesprochen wird.

Takten – Rhythmus – Gleichgewicht – körperliche Sicherheit

Wohl auch wegen meiner Tagträumerei komme ich „aus dem Takt“ und werde regelmäßig „aus der Bahn geworfen“, was ich beim Radfahren gut spüren kann. Schlenkere ich nach links, erschrecke ich mich und bleibe kurz unsicher, bis ich gegenreagiere. Was sehr schnell geschieht, aber als kurze Störung wahrnehmbar ist.

Dieses Muster erinnert mich an das vertraute Gefühl, wenn ich den Halt beim Sprechen verliere. Dann flutsche ich irgendwie weg und will es schnell beenden, weil es total anstrengend ist, dennoch die Wörter zu finden.

Takte ich mich beim Radfahren verbal mit „links – rechts“ (Tun benennen), pendele ich automatisch hin und her und fühle mich sicherer. Dann bekomme ich nach dem Haltverlust sofort wieder einen Gegenimpuls als Halt.

Wachkoma

Es muss etwas geben, was Körperzellen dauerhaft beunruhigt und in einer starren Position lässt, obwohl es die auslösende Situation nicht mehr gibt. Nach einem Stromschlag als Elektriker verblieb ein Patient schon über elf Jahre in dem Zustand angespannter Spasmen. Wenn ich seinen Körper rhythmisch zur Radiomusik und angepasst an seine Atmung wiegend bewegte und ich diese Bewegung begann und auf ihn übertrug, lösten sich seine Anspannungen.

Wieso bleiben die Zellen in dieser „Schreckerfahrung“ hängen? Wieso fehlt dann wohl eine Verbindung vom verlängerten Rückenmark zu höheren Bewusstseinszentren im Gehirn? Was passiert in extremen oder sich wiederholenden Schrecksituationen, die für die Amygdala unbekannte und zu überprüfende Situationen darstellen?

Man atmet flach (wie die „Huch-Atmung“ im Schreck) und die Muskeln verspannen sich, um sich vorzubereiten: Sich kaum bewegen und Informationen aus der Umwelt weniger wahrzunehmen, um wenigstens als autarker geschlossener Organismus überleben zu können. Denn die Verflachung der Atmung und das Anspannen von Muskeln sind Möglichkeiten, unangenehme Gefühle abzuschwächen (Scholl, 1978/2004).

Meine Fragen/Anregungen (an die Wissenschaft und zur Selbstreflexion)

Wenn Flows und Tagträumereien notwendig und normal sind, wie gelingen kurze Cuts und ein anschließendes Switchen (zurückswitchen oder stimmig auf ein neues Tun switchen), sodass sich das Nervensystem wieder auf einem Beruhigungs- und somit Startlevel befindet? Wie verändert sich die Atmung und welche Wirkung hat sie?

Atmung (Onawa, 2019)

Die Atmung ist der Ruheimpulsgeber, auf den der Mensch sofortigen Zugriff hat.

Um andere Atemrhythmen kennenzulernen, sind vor allem Atemtherapeuten, Logopäden, Sprechtherapeuten und Atem-, Sprech- und Stimmlehrer die Experten.

Beim Tauchen habe ich meinen Einatem-Reflex umpolen können. Ich kann den Schließ- reflex über das aktive Denken der Laute „g“ oder „k“ auslösen und atme bei Wasserkontakt nicht mehr schreckhaft Wasser ein.

Aufmerksamkeit

Man kann Kontrolle über ein Symptom gewinnen, wenn man es selbst auslösen kann, statt zu versuchen, es zu vermeiden (Fisch, Watzlawick und Weakland, 1974).

Im Alltag kann ein Tun ganz kurz erstarrt werden. Kinder lieben dieses „Einfrieren“. Der Mini-Cut erhöht bei mir enorm die Sinneswahrnehmung und somit die Aufmerksamkeit. Nach dem Mini-Cut wird weitergemacht, als hätte es keinen Cut gegeben (auf demselben Level zurückswitchen).

Man darf nicht unterschätzen, dass wir uns sonst in einem permanenten Fluss von unbewusster Wahrnehmung und Bewegung befinden, der auf ein mentales Ziel ausgerichtet ist. Unterbrechen wir dies bewusst, überraschen wir uns sozusagen kurz selbst. Vielleicht kann so einer Schreckhaftigkeit entgegengewirkt werden.

Reality Sozio-Neurofeedback: Fokussierung vormachen

Ein Vorbild tut etwas, was einer anderen Person nützlich sein könnte, ohne es zu erklären oder zu kommentieren. Als Schulbegleitung richte ich meine Aufmerksamkeit auf den Unterricht aus. Da das Kind in der Regel auf mich fokussiert ist, erhöhe ich die Chance, dass es mir folgt, ohne dass ich es direkt auffordern muss.

Dann wird das Gehirn womöglich mithilfe der Spiegelneuronen selbst abchecken, ob es dieses Verhalten „gebrauchen“ und anwenden kann. Denn ich habe beobachtet, dass das von mir begleitete autistische Schulkind mich nachahmte, es später aber nicht mehr wiederholte. Erst wird „ein Programm“ vom Organismus unbewusst und automatisch ausgeführt, dann fällt einem als Person der Sinn auf und man arbeitet gegebenenfalls willentlich dagegen. Aber das Gehirn kennt dann wenigstens Alternativen und verfügt über Chancen der Veränderung. Mir geht es dabei nicht darum, dass das Kind nachahmt, sondern Ideen erhält und auch auf eigene Ideen kommen kann.

Auch kommentiere ich mein Verhalten oder teile mit, dass ich nun der Lehrkraft zuhören und zusehen möchte (Benennen des Tuns).

Alternativ nutze ich Symbolkarten, die ohne emotionale Beziehungs-Verbalität aufzeigen, wie die Aufmerksamkeit ausgerichtet werden kann.

Benennen – Bekanntheit

Ist dem Organismus etwas bekannt oder können Zusammenhänge (Assoziationen/ Verknüpfungen) hergestellt werden, kann dieser mit Cuts sicherlich adäquater umgehen und zurückswitchen oder zu etwas anderem stimmig switchen. Bekanntheit fördert das Verstehen von Kontexten und die Aufmerksamkeit driftet weniger ab.

Unstimmigkeiten machen neben Unbekanntheiten nervös, weil sie in irgendeiner Form auffallen und auf eine Antwort warten. Stimmigkeit liegt vor, wenn die Gefühlswelt, Handlung mit Motorik und Wahrnehmung, Gedankenwelt und die Sprache aufeinander angepasst sind.

Nun habe ich für den Alltag Wörter/Sätze gefunden, die meine umherschwebenden Nebenbei-Gefühle durch eine meist sachliche Benennung dessen, was ich gerade tue, verankern. Es ist dann nicht mehr nur ein Unwohlgefühl, sondern eine fassbare Eigenschaft. Ich stelle also eine Verknüpfung her und teile eine Erfahrung mit mir selbst, da ich es mit anderen Menschen nicht oder noch nicht könnte. Die Fühlerfahrung ist nun nicht mehr nur ein Empfinden, sondern erhält einen „Namen“, damit mehr Bekanntheit und somit ein stimmigeres Gefühl. Meine Gefühlswelt bekommt eine weitere Assoziation durch Sprache und Gedanken.

Durch das kognitive Benennen scheint die Amygdala nicht mehr überaktiv sein zu können.

Auch das sprachliche Takten beim Radfahren gab mir ein körperliches Sicherheitsgefühl. Diese Methode wird auch bei Parkinson-Patienten z. B. mit Startkommandos angewendet.

©Cara-FotoAugen- und Hörtraining

Ein Training der Augen und des Hörens kann durch Saugtraining vor allem bei Logopäden, Sprechtherapeuten und Atem-, Sprech- und Stimmlehrern intensiviert, zentriert und unter Spannung gebracht werden, weil es beim Saugen muskuläre Verbindungen zum Augenring und Mittelohr gibt.

Das Zwinkern sind kurze Cuts, die erholsame Wirkungen und eine Speicherunterstützung (wie ein Kurzschlaf) haben werden. Werden die Ohren im Wechsel mit den Handflächen zu- und aufgedeckt, entstehen kurze Cuts, indem Informationen mal gehört und mal gedämpft werden.

Fazit

Flows und Tagträumereien sind typische Erlebnisse, die ohne Cuts dauerhaft zu reduzierter Umwelterfahrung führen und auf die ein schreckhafter Cut folgen kann. Die Herausforderung ist, sich Cuts auszusetzen und mit ihnen umgehen zu können.

So sind verbale Interaktionen (werden gemäß Porges vom ventralen Parasympathikus aktiviert) in der Regel mit ständigen Cuts verbunden, da eigene Gedanken von anderen Personen durch deren Beiträge unterbrochen werden.

Literatur

Diese kann bei der Autorin abgerufen werden.

Nina OnawaNina Onawa
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Ergotherapeutin,
B. Sc. Psychologie, Schulbegleiterin

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Foto: ©DANIEL ©bellepok ©Cara-Foto