Väter in der Peripartalzeit: Was sie erleben. Was sie brauchen. Wie sie wachsen.
Der Begriff der Peripartalzeit umfasst die Zeit der Schwangerschaft, Geburt und die ersten zwölf Monate der Elternschaft. Dieser Artikel gibt einen Einblick in konkrete Vätererfahrungen aus dem Praxisalltag. Er bezieht die aktuelle Forschungslage paternaler (väterlicher) Krisen ein und beschreibt Faktoren, die eine psychische Krise in der Peripartalzeit befördern können. Er zeigt Wege auf, wie Väter durch entlastende Gespräche wirksam unterstützt werden können und das Vertrauen in die eigene Person gestärkt wird. Nicht allein das Kind, sondern auch der Vater wächst auf dieser Reise.
Vätererfahrungen im Praxisalltag
• Ein Vater erlebt, wie seine Frau zunehmend gereizter und unflexibler wird, wie sich die Situation zwischen Mutter und dem vier Monate alten Kind immer weiter verschlechtert, auch die Paarbeziehung spürbar angespannter wird. Er recherchiert intensiv im Internet. Dann vereinbart er mit Frau und Sohn einen Termin mit mir. Die Mutter leidet an einer schweren postpartalen Depression.
• Zusammen mit seiner Frau kommt ein Vater wegen unerfüllten Kinderwunsches in die Paarberatung. Monate später sind die beiden mit Drillingen schwanger. Sie haben darüber zu entscheiden, ob das schwächste der drei Embryonen getötet werden soll.
• In der 17. Schwangerschaftswoche stehen Eltern plötzlich vor der Aufgabe, aus medizinischer Indikation in die Beendigung der Schwangerschaft einzuwilligen.
• Eine Mutter kommt wegen Erschöpfung und Ausweglosigkeit in die Praxis – dann zeigen sich im Gespräch auch Konflikte in der Paarbeziehung. Im Paargespräch erzählt der Vater von früheren Depressionen und dass er seit einigen Monaten immer mehr von Ängsten und Gedankenkreisen geplagt ist, im Beruf deutliche Konzentrationsprobleme hat und zu Hause das Gefühl, sowieso nichts richtig machen zu können.
Symptome einer paternalen psychischen Krise
Identisch wie bei Müttern: leichte Reizbarkeit, Defizitgefühle als Vater, Angst, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Hilflosigkeit, zwanghaftes Verhalten, Zwangsgedanken, Schuldgefühle, Suizidgedanken
Spezifische Symptome: Alkohol/Drogen, exzessives Arbeiten, verschiedene Sexualpartner, partnerschaftliche Gewalt
Forschung und begünstigende Faktoren
Als ein bedeutendes Lebensereignis trägt die Peripartalzeit sowohl die Chance einer psychischen Krise als auch die Chance zum eigenen Wachstum in sich. Das Thema ist noch wenig beforscht, im englischsprachigen Raum gibt es mehr Studien. Sie weisen eine Auftrittswahrscheinlichkeit zwischen 3 % und 20 % bei Vätern auf. Nach Paulson (2010) sind etwa 10 % der Väter betroffen. Nach drei bis sechs Monaten sogar 25 %. Sarah Kittel-Schneider aus Frankfurt spricht von 10 %.
Verschiedene Studien weisen auf ein Zusammenspiel dieser Faktoren hin.
Biologische Faktoren
- hormonelle Veränderungen
- psychiatrische Vorerkrankungen
- extremer Schlafmangel
Psychologische Faktoren
- Geburtserfahrung anders als erwartet
- unsichere Persönlichkeitsausprägung
- dysfunktionale Familienerfahrungen in der eigenen Biografie
Soziale Faktoren
- PPD der Kindesmutter
- unerwünschte Schwangerschaft
- finanzielle Probleme
- wenig Verbundenheit in der Paarbeziehung
- fehlende Unterstützung von der Familie oder Freunden
Der größte Risikofaktor für Väter ist eine Erkrankung der Mütter, denn Partner von Müttern mit postpartaler Depression haben ein 2,5-fach erhöhtes Risiko, selbst an einer PPD zu erkranken. (Matthey et al., 2000).
Der Hormonstatus des Vaters verändert sich nach der Geburt. Der Testosteronwert fällt ab und der Östrogenwert steigt. Beides scheint den Bindungsaufbau zum Kind günstig zu beeinflussen. Gleichzeitig korreliert ein niedriger Cortisolwert mit paternaler Depression.
Bei aller Vorbereitung bleibt „die Entbindung ein gefühlsintensives Ereignis, auf das sich der geburtsbegleitende Vater nicht total vorbereiten kann“ (David et al., 1994). Was in der Folge bedeutet, dass die Emotionsregulierung für einen „neugeborenen“ Vater von großer Bedeutung ist. Überwältigende Freude und sich verselbstständigende Ängste können wie eine emotionale Achterbahnfahrt wirken.
Medikation
Wenn der Vater ausgeprägte depressive Symptome zeigt, habe ich gute Erfahrungen mit hoch dosiertem Johanniskraut gemacht. Bei mittelgradiger Depression ist es eine Kassenleistung, wenn es vom Arzt verordnet wird.
Entlastende Gespräche
Diese wirken durch die Erfahrung von Annahme und Wertschätzung und durch einen veränderten Blickwinkel. Eigenes Wachstum geschieht im Erlernen von Selbstberuhigung durch körperliche Entspannung, Neubewertung von Erlebtem und zugewandter Verbundenheitserfahrung auch in schmerzlichen Situationen.
In allen genannten Beispielen ging es als Erstes darum, den Ängsten und Ohnmachtserfahrungen der Väter (und Mütter) einen sicheren Ort zu geben. Dass die Sorgen, Ängste und Überforderungsgefühle, ja auch Verzweiflung keinesfalls ein Zeichen für ihre Unfähigkeit als Vater sind, sondern „normal“ und zur Peripartalzeit gehören, erleichtert in der Regel sofort. Ebenso der Hinweis, dass um Hilfe zu bitten kein Makel, sondern eine Kompetenz ist.
Emotionsregulation - Hilfe zur Selbsthilfe
Wir analysieren die konkrete Situation. Welchen Herausforderungen sieht sich der Vater aktuell gegenüber: Beruf, Zukunftssicherung, Paarkonflikten, Freiheitsverlust, eigener belastender Elternbeziehung, Unsicherheit im Umgang mit dem Neugeborenen, Schlafmangel, ethischen Fragen, äußeren und inneren Erwartungen, Anpassung an die neue Dreierbeziehung. Wo ist zeitnahes Handeln erforderlich? Soziale Unterstützungsmöglichkeiten werden gesucht. Die wohltuende Wirkung gegenseitiger Berührung der Eltern kommt in den Fokus.
Wir wenden uns der Angst zu. Der Vater schaut ihr ins Gesicht. Wie äußert sie sich im Körper? In der Psychoedukation informiere ich über die Normalität der körperlichen Angstreaktion und die Bedeutung der körperlichen Entspannung. Wir suchen eine geeignete Möglichkeit aus – Bauchatmung, PME, Sport, Pressatmung, EMDR. Bei gedanklicher Erster Hilfe, dem „Entkatastrophisieren“ erlebt sich der Vater wieder selbstwirksam „es ist zwar anders, als ich es mir vorgestellt habe, aber es ist keine Katastrophe!“. Ein erster Lichtstrahl fällt ein.
Der Realitätsbezug der Ängste wird gemeinsam überprüft. Wo haben sich irrationale Befürchtungen eingeschlichen, die das Leben des Vaters behindern? Hier wird die Metapher des Rauchmelders eingeführt. Angst soll uns vor Gefahr schützen und manchmal gibt es Fehlalarm! Der Vater übt, den Fehlalarm zukünftig wahrzunehmen, zu benennen und sich selbst wieder zu beruhigen.
Manchmal finden sich Väter in einer doppelten emotionalen Herausforderung wieder. Gleichzeitig zum schreienden Neugeborenen, das Beruhigung sucht, fühlen sie sich selbst höchst angespannt und können sich selbst nicht beruhigen. Es gelingt ihnen nicht, ihren Rauchmelder abzustellen. Dass das nicht so bleiben muss, ist eine gute Nachricht. Der Vater übt mit eigenen, zutiefst beunruhigenden Erfahrungen einen aufmerksamen und hilfreichen Umgang ein. Manchmal hilft eine nacherzählte Geschichte, in der der Vater heute sich selbst als kleinem Jungen in schmerzlicher Situation zugewandt und haltend begegnet. Erfahrungen des Ausgeliefertseins können so durch Erfahrungen der sicheren Verbundenheit und Selbstwirksamkeit abgelöst werden. Dies befähigt den Vater, sich nach und nach selbst zu beruhigen. Das wird auch dem Kind guttun.
In brisanten Situationen ist die Metapher der Ampel hilfreich – der Vater beschreibt, wie er sich erlebt, wenn er entspannt ist, die Ampel steht auf Grün. Wenn der Vater völlig außer sich ist, was für das Kind gefährlich werden kann, hat die Ampel auf Rot geschaltet. Auf die gelbe Ampel kommt es an – sie gilt es wahrzunehmen! Fuß vom Gas und sich selbst beruhigen oder die Situation verlassen. Übungen der Achtsamkeit sind hier hilfreich.
Selbsthilfeorganisationen:
https://schatten-und-licht.de/index.php/de/
Liebende Väter sind übende Väter
Was ist aktuell gut? Diese wesentliche Frage hat eine große Bedeutung und bei Bedarf machen wir uns auf die Suche – wir finden immer erstaunlich viel! Das erleichtert! Und dann kann das Unangenehme und Belastende in Relation zu dem gesetzt werden, was aktuell in Ordnung und gut ist. „Zwar ist das Schreien des Babys bisher wirklich sehr belastend, aber schau mal, wie vollkommen die winzig kleinen Händchen sind“.
Bei Offenheit für Spiritualität laden wunderbare Texte aus der Bibel zu verbundener, väterlicher Gottesbeziehung ein. „Alle meine Sorgen werfe ich auf dich, denn du sorgst für mich“ (nach 1. Petrus 5,7).
Diese Übung tut gut – besonders, wenn die Väter kraftvoll werfen. Ein anderer Text holt den Vater aus der Enge der Angst heraus.
„Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Psalm 31,8b). Noch während die Angst laut und aufdringlich Raum nimmt, wird dem Vater Raum eröffnet, in dem er wieder freier atmen und mutiger handeln kann.
Als Übung zur Selbstvergewisserung habe ich einen Text verfasst, der den Vater darin unterstützt, sich selbst und sein Kind als wertvoll und geliebt zu betrachten. Unbarmherzige Ansprüche verbunden mit Gefühlen der Ausweglosigkeit werden in einen wohlwollenden und wachstumsfreundlichen Zusammenhang gebracht.
Der Vater kann den Text jederzeit zur Hand nehmen und seine Sicht über sich selbst zurechtrücken. Zuversichtlich, mit mehr spielerischer Freude als Angst im Gepäck kann die Vater-Kind-Entdeckungsreise ihren wundervollen Lauf nehmen.
„Psychische Krisen in der Peripartalzeit sind in der Regel gut behandelbar. Situative Entlastung durch soziale Unterstützung sowie ein wirksamer Umgang mit überwältigenden Gefühlen fördern die Selbstwirksamkeit des Vaters.
Christa Müller
Coaching – Therapie – Seelsorge
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Einzeltherapie und Paarberatung, Ansprechpartnerin in der Peripartalzeit
Jeder Mensch ist wertvoll und geliebt.
In Wirklichkeit sind ich und mein Kind wertvoll und geliebt.
Unabhängig davon, was gelingt oder misslingt.
Erlebte Erfahrungen beeinflussen heute mein Fühlen, Denken und Handeln.
Was früher hilfreich war, kann heute hinderlich sein.
Das muss nicht so bleiben.
Ich kann üben, mich selbst zu beruhigen.
Ich kann lernen, mich in Zukunft so zu verhalten, wie ich es mir wünsche.
Ich kann auch um Hilfe bitten.
Ich kann neue Erfahrungen machen.
Unabhängig von Anerkennung oder Leistung bin ich wertvoll und geliebt. I
ch kann es mir leisten, Gewohnheiten zu ändern und neue Schritte zu wagen, damit es mir besser geht.
Text für die Peripartalzeit von Christa Müller
Fotos: ©Superingo, ©Snapic.PhotoProduct