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Kein NEIN zum Taxifahrer

2015 01 Taxi1

Zu freundlich? Da stimmt doch irgendetwas nicht.

Gedanken beim TÜV. Eine kleine Anekdote von neulich.

fotolia©diez-artworkIch bin neulich sehr früh morgens beim TÜV gewesen. Also nicht ich. Also doch ich. Ich mit meinem Auto. Mütze aufs durchwuschelte Haar, Schal, Jacke mit Weste. Die Zeitungen schrieben vom klassischen Aprilwetter. Innerhalb einer Stunde wechselte das Wetter stetig von Sonnenschein zu Regen zu Hagel. Ich war müde. Aber ich fand es schön, so dösig und in Ruhe müde zu sein. Einfach so dazusitzen. Beim TÜV musste ich warten. Es gab Kaffee. Guten Kaffee sogar. Und ein Gespräch gratis dazu mit einer Frau, die mit mir darauf wartete, dass der Prüfer grünes Licht und eine Plakette vergab.

„Sie sind richtig angezogen für das Wetter da draußen, junge Frau.“ Ich lächelte und schaute in meinen Kaffee. Mehr Milch? Ich glaube, ich brauche ... „Ich war gerade schwimmen. Jetzt friere ich hier. Ist Ihnen auch kalt? Ihnen nicht. Nein, die jungen Frauen noch nicht so leicht. Aber ich und mein Rücken. Aber wenn man auch so viele Probleme mit sich rumschleppt. Es ist nicht nur der Wagen. Mein Mann ist gerade draußen. Es ist ...“ Ich hatte irgendwie schon geahnt, dass es zu einem Gespräch kommen würde bis mein Auto fertig wurde. Aber manchmal frage ich mich schon, warum mir das immer passiert.

Ich nehme ein Taxi.

Der Taxifahrer kommt vom allgemeinen Geplänkel zu seinem Lieblingsrezept: Es ist, Sie dürfen raten: Ungarische Gulaschsuppe. In allen Einzelheiten wird die Zubereitung erklärt – gewürzt mit Geschichten seiner Familienproblematik.

Ich stehe beim Bäcker oder in der Schlange, ich fahre Bahn oder sitze im Café.

Irgendwie kommt es mir manchmal so vor, als ob sich die Menschen um mich herum unterbewusst von irgendwelchen von mir ausgesendeten Energien angezogen oder ermutigt fühlen. Kennen Sie das auch?

Und nun noch einmal die Frage – kennen Sie das auch?

Ich habe gemerkt, dass ich nicht immer einen Taxifahrer haben möchte, der mich, auf der Fahrt von München Flughafen bis zum anderen Ende der Stadt für 80 Euro plus Trinkgeld, damit gut unterhalten möchte, indem er mich nach meiner Meinung über seine Tochter fragt. Natürlich schmeichelt es mir, wenn die Leute schnell merken, dass ich in solch einem Metier geschult bin oder eben gewisse Dinge anders sehe oder verstehe. Ich hätte dem Taxifahrer aber sagen können: „Bitte lassen Sie mich die Fahrt in Ruhe genießen. Ich möchte kein Gespräch.“ Aber stattdessen sagte ich: „Entschuldigung, ich muss kurz eine E-Mail schreiben.“ Feige? – Ja. Vielleicht. Heutzutage werden elektronische Geräte gerne dafür benutzt, sich Raum zu verschaffen, und dabei engen sie uns doch so ein. Ich begriff auch schnell, dass der ungarische Taxifahrer mit bayrischen Akzent dachte: „Alles klar. Die Frau ist multi-tasking-fähig. Sie kann bestimmt gleichzeitig zuhören und tippen.“ Er redete und ich brauchte fünf Anläufe für die E-Mail – mit bösen kleinen Schmetterlingen in meinem Bauch und einem mentalen Ohr-Klapp-System.

Tja, und am Ende habe ich ihn, wenn man so sagen will, auch noch falsch konditioniert. Ich bedankte mich artig für sein Vertrauen, gab großzügig Trinkgeld und merkte dann, dass er mich noch eine Ecke hätte weiterfahren müssen. Ich war seit halb fünf auf den Beinen, ich hatte ein vierzigminütiges Gespräch hinter mir, das beinahe hätte für mich abgerechnet werden können. Wäre die Heilkunde im Bereich der Psychotherapie in einem Taxi – sprich im Umherziehen – möglich: Jenny´s Psycho-Taxi wäre mit am Start.

Aber wir schweifen ab. Warum? Weil wir uns warme Gedanken machen wollten Es regnete in Strömen. Ich hatte keinen Schirm. Ich war sauer auf mich selbst. Aber wir haben ja gelernt: Bleiben Sie positiv.

fotolia©QuadeUnd wir haben auch gelernt: Abgrenzung ist wichtig, nicht wahr? Und es ist schön, jeden Tag mehr und mehr auf seine eigenen Mechanismen zu achten. Und so erzählte ich später, wieder mit mir versöhnt und mit einem Zwinkern, beim Geschäftsmeeting als Anekdote vom Taxifahrer mit der ungarischen Gulaschsuppe.

Meine Zuhörer pflichteten mir bei, dass man gerne mit mir reden würde – ich aber generell zu freundlich sei. Aha. Und das wirft eine Frage bei mir auf. Wie viel Freundlichkeit ist zu freundlich und liegt es nicht in der Natur des Menschen, dass die, die gut zuhören können und gerne mit Menschen reden, sich austauschen und ihnen zur Seite stehen, von diesen auch aufgesucht werden?

Und braucht es nicht einfach mehr Freundlichkeit unter uns, damit wir mehr positiv gestimmte Seelen haben? Wo wir gerade schon mal beim kritischen (Selbst-)Hinterfragen sind. Wer in unserem Bereich tätig werden möchte oder ist, sollte sich selbst kennengelernt haben und auch tagtäglich an sich selbst arbeiten. Da sage ich Ihnen nichts Neues.

Aber als ich so beim TÜV saß und der Kaffee wärmer war als die Worte der Service-Mitarbeiter, da fiel mein Blick auf die Titelseite der Tagespresse: „Co-Pilot litt an Depressionen. Lufthansa wusste über psychische Probleme des Massenmörders Bescheid.“ Sie erinnern sich. Ich sage, wie es ist. Ich dachte kurz: „Manchmal wäre ein TÜV für uns Menschen alle zwei Jahre wirklich keine schlechte Idee.“ Aber es geht nicht um eine Prüfung. Es geht um die allgemeine Menschlichkeit überall auf der Welt.

Warum gibt es denn immer mehr Depressionen? Süchte? Ängste? Wie viele Menschen fühlen sich allein? Und da fängt Hilfe beim kleinen Lächeln an. Es liegt im Gespräch. Es liegt an einem breiten Angebot an fachkundiger Unterstützung in Sachen Seelenarbeit und menschliches Suchen und Finden. Ein jeder Mensch hat seine Themen.

Wie oft fällt es uns selbst so schwer, nach unseren eigenen Maßstäben zu leben, die wir anderen Mitmenschen auf den Weg geben? Ich habe mir fest vorgenommen, ein Tagebuch zu führen, um auch meine Gedanken festzuhalten und mir damit zur Entlastung etwas Gutes zu tun. Denken Sie, ich finde ein Tagebuch, das ich passend für mich finde? Es ist, als ob das Internet nur voll ist von ... okay, okay. Freud hätte eine wahre Freude an mir hinsichtlich des Themas Abwehrmechanismen.

Aber wie das nun mal so ist ... Seien wir doch mal ehrlich – so ganz unter uns, zu einem anderen Thema: Wer schafft es schon, an einem verregneten Tag nach einer Stunde Stau in der Gewissheit, zu spät zu einem Termin zu kommen, und bei einem nicht ganz so erfolgreichen Start in den Tag mit zähen Gesprächsterminen, immer auf der Befindlichkeitsskala ganz oben bei einer zehn zu sein und zu bleiben?

Wenn ich merke, dass ich die müden, trostlosen Gesichter imitiere, die mir in der Stadt sekündlich entgegenkommen, dann nehme ich mir eine Minute Zeit. Manchmal stelle ich mich kurz irgendwo im Café im Waschraum vor den Spiegel und lächle mir kurz einmal zu: „Es ist alles gut. Und heute ist ein schöner Tag.“ Was machen Sie in solchen Momenten?

Ich glaube, dass wir das am besten weitergeben können, was wir selbst absolut befürworten können und leben. Und ich bin fest davon überzeugt, dass Ihr Herz für eine Sache schlägt. Für eine ganz spezielle Sache: Den Menschen. Auch wenn wir mal Nein sagen zu einem Gespräch oder einen schlechten Tag haben, wenn wir uns dabei ertappen, schlechte Wege in Erwägung zu ziehen: Wir sind alle nur Menschen. Zu freundlich? Vielleicht manchmal zu menschlich.

Deshalb finde ich unter anderem Supervision so wichtig. Im Gespräch sind wir Menschen beieinander und stärken uns im Austausch. Ich grüße hiermit den Taxifahrer, dessen Namen ich leider nicht behalten habe, aber dem ich obendrein auch noch meine Zeitung geschenkt habe.

Morgen gibt es Gulaschsuppe – natürlich ungarischer Art!

Jenny Miosga Jenny Miosga
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Geprüfte Psychologische Beraterin, Journalistin, Rhetorikexpertin, VFP-Mitglied

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