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In guten wie in bösen Tagen

2015 03 Tage1

Das schwören sich Paare, ob verheiratet oder nicht.

fotolia©WavebrealMediaMicro„Sich lieben und ehren“ gehört entsprechend dazu und ist anfänglich auch ganz einfach. Wir Männer achten aufeinander und beachten zunächst die positiven Seiten unseres Partners, sei es die Frisur oder das neue Kleid, zuvorkommend und höflich, ja, fast ritterlich.

Ebenso die Frau: Betont weiblich, erregt sie das Männliche in ihm. Stolz schreitet sie an seiner Seite. Er zeigt seine breiten Schultern und die geschwellte Brust. Nichts lässt darauf schließen, dass sie irgendwann über die zu kurze Jeans, die schlechte Rasur oder die überflüssige Bemerkung meckern wird. Alles liegt in einer Wolke von Blumenduft und Leichtigkeit.

Jede Kleinigkeit wird zum Anlass genommen, um sich mit Worten und Gesten zu bedanken. Stürmische Umarmungen für ein kleines Stofftier, innige und lange Küsse für einen Schlüsselanhänger. Im Dopaminrausch der romantischen Liebesgefühle empfinden wir tiefes Vertrauen und grenzenlose Ehrlichkeit miteinander. Die Beziehung fühlt sich elitär und unantastbar an. Unvorstellbar, dass man irgendwann einander enttäuschen, belügen oder gar betrügen würde. Nur andere Menschen scheinen sich mit Worten, Blicken, Gesten oder womöglich Taten zu schlagen.

Lieben und ehren ist wie ein Parfüm in einem Flacon. Zerbricht die Ehre, der Flacon, verliert sich auch die Liebe

Zu Beginn einer Beziehung klappt das meist ganz gut, das Ehren. Jedoch im Verlauf einer Partnerschaft machen selbst die verliebtesten Menschen die Entdeckung, dass auch sie zu alltäglichen kleineren oder größeren Grausamkeiten fähig sind. Sei es durch gegenseitiges Herabsetzen, Beleidigungen, offensichtlich oder subtil, mit gezielt kränkenden Äußerungen und Demütigungen. Und das sind nur die ganz offensichtlichen Ehrverletzungen.

Wer kennt das nicht bei Kindern: Wir hören einen Streit im Kinderzimmer, kommen dazu und müssen uns anhören: „Der (oder die) hat angefangen und dann habe ich auch ...“ Auge um Auge, Zahn um Zahn, könnte man denken. In den eigenen Augen entspricht das unserem Gerechtigkeitsempfinden. Und eigentlich sollten wir uns nach dem Gegenschlag wohler fühlen. Doch abgesehen davon, dass der Gegenschlag meist überproportional ausfällt, fühlt sich die ausgleichende Demütigung nur kurzfristig befreiend an.

Nur wenige Menschen möchten auf diese „niedere“ Verhaltensweise angesprochen oder dabei ertappt werden. Wie Schulkinder, die man beim Spicken erwischt, beherrschen wir immer noch den unschuldigen Blick und das vehemente Bestreiten solcher Absichten. Und dabei sind die Grenzen oft fließend. Was für manche Menschen unter „necken“ verbrämt wird, ist für die andere Seite oft beleidigend, provozierend oder verhöhnend. Ja, wir müssen es zugeben: Wir Menschen quälen die, die wir eigentlich lieben.

In unzähligen Beratungsgesprächen hat sich für uns im Laufe der Zeit eine recht simple Wahrheit herauskristallisiert:

Im sexuellen Miteinander spiegelt sich meist die gesamte Beziehung eines Paares wider.

Ein Beispiel: In vielen Beziehungen wird gemeinsamer Sex wie eine Belohnung für erbrachte Leistung behandelt. Wurde hingegen kein Grund für eine Belohnung gefunden, bleibt er entweder komplett aus oder wird nur erduldet. Eine sehr attraktive Frau mittleren Alters sagte einmal auf die Frage, warum sie nur reglos daliegen würde: „Wenn er es unbedingt haben will, dann kann er sich ja bedienen.“ Für die Dame war das vielleicht schon das Höchstmaß an Großzügigkeit. Für den Partner kam das Gefühl auf, vor dem vollen Teller zu verhungern. Wie oft wissen wir, was der Partner sich nicht nur wünscht, sondern sogar braucht, und geben es ihm dennoch nicht.

Oder wie steht es mit Ihrer Vergesslichkeit?

fotolia©antoshkaforeverNatürlich wollten wir dem anderen den Vorrang vor Arbeit, Hobby, Eltern, Kindern und Freunden geben. Und natürlich wollten wir uns in allem absprechen, bevor wir einen Termin zusagen. Aber dann finden sich plötzlich Sätze wieder wie: „Tut mir leid, Liebling, hab’ wohl voll vergessen zu sagen, dass ...“ Ganz ehrlich, wir wollten auf keinen Fall, dass uns der Partner womöglich den Spaß verdirbt und haben einfach seinen Kommentar umgangen ... Oh, Entschuldigung, vergessen!

Je besser wir uns kennen, umso besser können wir bei Streitereien argumentieren.

Was uns der Partner einmal in einem vertrauten Moment gebeichtet hat, wird nun als Munition verwendet. Wie das Stakkato eines Maschinengewehrs prasseln manche Argumentationsketten immer öfter auf unser Gegenüber ein. Und in der Umkehrung werden wichtige Informationen wie ein Schatz zurückgehalten und der Partner steht dadurch oft im Abseits. Nach einem erbitterten Streit folgt ganz oft das Bestreben nach Versöhnung und Wiedergutmachung.

Das erinnert mitunter an eine Wahlveranstaltung von Politikern: Was zuvor großspurig versprochen wird, ist nach der Wahl oft ganz schnell vergessen. Und so wie unser Vertrauen in Politiker dadurch nicht bestärkt wird, kann auch unsere Beziehung davon nicht stabiler werden. Unerfüllte Versprechungen sind dann wie ein Minenfeld, das uns zu gegebener Zeit um die Ohren fliegt. Darum hier nur ein kurzer Rat: Mache in Zukunft dir selbst die Versprechungen, anstatt deinem Partner. Ansonsten musst du dich nicht wundern, wenn er oder sie einmal zu dir sagt: „Du machst mich krank!“

In Ratgebern für Paare liest man meist:

Zeigen Sie Bereitschaft, Kritik anzunehmen. Das schafft Vertrauen. Diskutieren Sie nicht und stören Sie sich nicht an den vielleicht falsch gewählten Worten oder dem unangebrachten Tonfall. Versuchen Sie aufgeschlossen, ihrem Gegenüber zuzuhören und ihn/sie zu verstehen. Dann klappt es auch mit der Versöhnung.

Wie viele Paare sind da bereits im Ansatz gescheitert. Meist schon nach den ersten paar Sätzen richtet einer der Beteiligten die Verteidigungslinien auf. Ein Argument folgt dem anderen und, wenn nötig, wechseln wir mal eben das Kampffeld. Wen hat das nicht schon einmal an den Rand der Weißglut getrieben?

Wahrscheinlich kann nichts anderes als eine langjährige monogame Partnerbeziehung uns zu der Selbsterkenntnis führen: „Als ich noch alleine war, dachte ich, ein friedlicher und angenehmer Mensch zu sein. Doch jetzt ...“

Dr. David Schnarch beschreibt es in einem seiner Bücher sehr passend: „In der Ehe können Sie am besten erkennen, dass Sie mit einem unbarmherzigen und sadistischen Terroristen zusammenleben. Und außerdem ist da noch ihr Partner, mit dem sie zurechtkommen müssen.“

Wahrheit I

Niemand weiß am Anfang einer Liebesbeziehung, wie viel Unfähigkeit und zum Teil bittere Bosheit wirklich in einem steckt. Aber in einer Ehe oder einer anderen langfristig angelegten monogamen Paarbeziehung tritt das früher oder später recht klar und unleugbar zutage. Dann muss man zugeben: Ja, da gibt es eine Freude, dem anderen weh zu tun, und zugleich die Leugnung, es tatsächlich getan zu haben. Da gibt es Groll und Wut – und die werden nicht mehr zurückgehalten. Und dann gibt es da noch die Psycho-Spielchen, bei denen man versucht, sorgfältig die Spuren zu verwischen, damit einem niemand auf die Schliche kommt, während man letztlich doch nur vor sich selbst auf der Flucht ist.

Es geschehen schlimme Demütigungen und Herabsetzungen in eigentlich ehrenhaften und ehrlich gemeinten Liebesbeziehungen. Es wird getäuscht, gelogen und betrogen; es wird geschönt und vertuscht. Es wird gedroht und bedroht. Es wird versucht, die Autonomie und Freiheit des anderen einzuschränken; es gibt Einschüchterungsversuche und Einverständniserzwingungen. All das und noch viel mehr.

Aber es gibt auch Hoffnung. Und das ist Wahrheit II

Auch wenn es zu Beginn einer Partnerschaft fraglich erscheinen kann, ob jemand wirklich beziehungsfähig ist, so ist das dennoch der richtige Ort, um es während der ganzen Zeit noch zu werden. Denn das, was Mann oder Frau sein soll, wird der Mensch erst in einer ernstgemeinten Partnerschaft.

Somit könnte der ewige Streit über die Frage, ob Liebe und Sexualität der Fortpflanzung oder der Lust dienen sollen, damit beendet werden, dass wir feststellen: Eine sexuelle Liebesbeziehung zwingt die beteiligten Personen, wohl oder übel, in erster Linie zur persönlichen Reifung und Weiterentwicklung. Und natürlich dient sie auch sowohl der Fortpflanzung wie der Lust.

Das führt uns zu Wahrheit III

Das (Ehe)-Versprechen „In guten wie in bösen Tagen“ beruht auf der Annahme, dass beide Partner alles in ihren Kräften stehende tun, um ihre Unzulänglichkeiten für den anderen zu überwinden. Es meint bestimmt nicht, dass der Partner sich mit unseren neurotischen Zügen abfinden muss. Viktor E. Frankl schreibt: „Es ist typisch neurotisch, sich auf seine Komplexe oder auf seinen Charakter auszureden und so zu tun, als ob man sich von sich selbst alles gefallen lassen müsste ... Beim Neurotiker ist es typischerweise ebenso: Was er an sich selbst feststellt, auf das legt er sich immer schon fest; was er in sich selbst vorfindet, damit findet er sich immer auch schon ab.“1)

Die meisten von uns haben vermutlich erkannt, dass die „Schattenseite des guten Willens“ zu einer Partnerschaft gehört. Wir wissen nun, dass es unsere Art und Auffassung von Liebe ist, die uns so verletzlich macht. Und wir erleben, dass wir uns gegenseitig plagen und einander aufregen können, und wie wir uns gegenseitig am besten aus der Fassung bringen.

Wenn wir aber reifen, erkennen wir, dass es nicht darum geht, ob wir einander hassen oder nicht, sondern wie wir mit dem Hass in uns umgehen und wie wir uns außerdem noch lieben können.

Die wahren Gefühle als Hass zu bezeichnen, scheint eine Grenze zu überschreiten, hinter der die Liebe nicht mehr zu existieren scheint. Aber das ist falsch. Nur wer sich seinen Hass nicht eingestehen kann, der fügt den Menschen, die er ja eigentlich liebt, womöglich größeren Schaden zu als angenommen. Denn keiner kann das kontrollieren, dessen Existenz er verleugnet.

Kinder gehen dagegen sehr unkompliziert mit diesen Gefühlen um. Von ihnen hört man schon mal: „Ich hasse Dich!“ Und dennoch geht die Beziehung weiter. Unsere dunkle Seite ist deshalb nicht der Hass, die Aggression oder gar die raubtierhaften sexuellen Absichten und Bedürfnisse. Nein, unsere dunkle Seite ist jene, die leugnet, dass sie überhaupt existiert.

Eine langjährige monogame Liebesbeziehung bringt die niedersten, schwächsten und dunkelsten Anteile unserer menschlichen Persönlichkeit ans Licht. Und das ist gut so. Oft kommt die Veränderungsmotivation erst dann auf, wenn wir an dem Punkt sind, dass wir ehrlich und wirklich vor uns selbst sind, wenn wir uns selbst so nicht mehr ertragen können, wenn es uns quält, wie wir sind, und „wir uns von uns selbst nicht mehr alles gefallen lassen“, wie Viktor E. Frankl es so treffend formulierte.

Dann aber können wir eine andere, bessere und sinnvollere Stellung beziehen. Und das wiederum wirkt auf die Partnerschaft. Oft ist es erst der Schmerz der Selbsterkenntnis, den wir an uns selbst erleiden müssen, der uns anfangen lässt, etwas zu verändern.

Und das heißt: uns selbst zu ändern. Das ist Psychotherapie.

Literatur: 1) Viktor. E. Frankl, Psychotherapie für den Alltag, Herder Spektrum, 1992

Giesela und Herbert Ruffer Gisela und Herbert Ruffer
Praxis für Psycho- und Paartherapie in Landshut mit Wochenend-Intensivtherapie für Einzelpersonen und Paare

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