Liebeserklärung an meinen Beruf!
Ich freue mich jedes Mal, wenn ich die neueste Ausgabe unserer Verbandszeitschrift erhalte. Nicht nur deswegen, weil endlich mal etwas anderes als eine Rechnung in meinem Briefkasten zu finden ist, sondern weil ich mit großem Interesse die Fallbeispiele meiner Kolleginnen und Kollegen studiere. Ich bin fasziniert von den vielen verschiedenen Möglichkeiten, Methoden und Lösungsansätzen, die es ermöglichen, emotionale oder auch körperliche Krisen zu bewältigen. Ich freue mich ehrlich, weil ich finde, dass unsere Arbeit eine wertvolle Tätigkeit ist.
Vor zwei Tagen habe ich mein viertes Buch herausgebracht. Ich bin ehemalige Betroffene einer Angststörung und arbeite seit 2010 als Heilpraktikerin für Psychotherapie. Meine ersten Bücher handelten von meiner eigenen Geschichte, und als ich sie schrieb, bereitete ich mich gerade auf meine Überprüfung beim Gesundheitsamt vor.
Ich berichtete von meinem Umgang mit Panikattacken, die ich mittlerweile vor fast zwanzig Jahren aus „heiterem Himmel“ vom Universum geschenkt bekam, von meinen Ursachenforschungen und von meiner Depression.
Eigentlich könnte man annehmen, dass ich mit drei Büchern nun genügend eigenen Senf zum Thema Angst und Depression hinzugegeben hätte – warum das nicht so ist, möchte ich Ihnen gerne erklären.
Ich schreibe diese Geschichte hier nicht, weil ich Sie auf meine Bücher aufmerksam machen möchte, ich schreibe sie, damit Sie erfahren, warum ich ein weiteres Buch geschrieben habe. Denn in diesem habe ich meinem Beruf eine Liebeserklärung gemacht und versucht viele Vorurteile, gegen die wir zu kämpfen haben, aus dem Weg zu räumen. Ich wollte meine Leserinnen und Leser darüber informieren, dass auch ich ein Mensch bin, der sein Leben nicht völlig im Griff hat, auch wenn ich therapeutisch arbeite und mit Erfahrungen und Wissen ausgestattet bin. Und – ich wollte vor allen Dingen meine Liebe zu meinem Beruf erklären. Denn leider ist es immer noch so, dass er in unserer Gesellschaft nicht den Stellenwert einnimmt, den er verdient hat, und dass Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, mit vielen Hindernissen zu kämpfen haben.
Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Interessierte und liebe Anwärter erzählen, was mich bewogen hat, mein Buch und auch diesen Artikel zu schreiben.
Das Leben ist Veränderung und wir erlangen durch Begegnungen, Gespräche und Erfahrungen stets neue und wertvolle Erkenntnisse. Wir sind weder mit unserer Selbsterfahrung irgendwann wirklich fertig und der Stein der Weisen ist meist auch nur kurzzeitig unser Weggefährte. Meine Bücher werden aus unerklärlichen Gründen häufig und gerne gelesen. Hierbei werte ich keinesfalls meine Autorentätigkeit ab, sondern wundere mich über die große Resonanz nur deshalb, weil ich nichts anders tat, als meine Geschichte aufzuschreiben.
Meine Leserinnen und Leser schrieben mir, dass ihnen meine Bücher weiterhalfen, dass sie durch sie mutig wurden, dass sie mich bewunderten und beneideten, weil ich doch anscheinend nun mein Leben wunderbar „im Griff” habe. Besonders angetan waren sie von meiner jetzigen Tätigkeit, denn immer wieder wurde mir gesagt, dass sie gerade deshalb Vertrauen zu mir haben, weil ich nicht mit einem Hochschulstudium (welches selbstverständlich wertvoll ist) auftrumpfen konnte, sondern mit einer eigenen Erfahrung.
Im letzten Jahr wurde meine Geschichte in der Fernsehsendung „Frau TV“ ausgestrahlt und danach verbrachte ich einige Tage damit, auf Rückmeldungen, die ich zu dem Beitrag erhielt, zu antworten. Abgesehen von unsagbar vielen Betroffenen, die mir auch hier wieder schrieben, dass ich eine Motivation und ein Vorbild sei, erhielt ich auch Resonanz von Menschen, die eben unser Berufsbild (Heilpraktiker, Heilpraktiker für Psychotherapie, Berater und Coach) anstrebten. Sie schrieben mir, dass sie sich nach einer bestimmten Veränderung in ihrem Leben für diesen Berufszweig entscheiden möchten, allerdings auch unsicher seien. Denn sie waren der Meinung, dass es ein niedriger Beweggrund sei, sich für diese Tätigkeit zu entscheiden, wenn man doch selbst Probleme habe oder hatte. Sie fühlten sich schlecht, weil sie meinten, dass es anmaßend sei, anderen Menschen eine Hilfestellung zu geben, wo man doch selbst aus der Gondel des Lebens geschleudert worden war.
Ebenso wurden immer wieder Bedenken darüber geäußert, dass dieser Beruf in unserer Gesellschaft nicht unbedingt anerkannt sei, weil ihn ja jeder Depp ausführen könne, der sich dazu befähigt fühlt, anderen Menschen zu helfen. Oft wurde mir auch mitgeteilt, dass der Beruf eigentlich kein Beruf sei und er öffentlich belächelt werde und man von ihm sicherlich nicht existieren könne. Und es wurde mir gesagt, dass gerade die intensive Vorbereitung auf den Beruf erneut dazu geführt hätte, dass man auf der Lebensbahn ins Rutschen geraten war. Tatsächlich habe ich in meiner Praxis mehr als einmal mit einem Menschen gesprochen, der sich über unseren Beruf informieren wollte.
Als ich meine Dozententätigkeit in einer Heilpraktikerschule aufnahm, um Schüler auf die Überprüfung vorzubereiten, wurden mir gleich zu Anfang diese Fragen gestellt:
- „Kann man davon leben, wenn man sich als Heilpraktiker/in selbstständig macht?“
- „Ist die Urkunde eigentlich nicht nur ein Jodeldiplom?“
- „Kann ich mich mit dieser Qualifikation in einer Klinik anstellen lassen?“
- „Kann ich diesen Beruf auch ausüben, wenn ich selbst in einer Krise gewesen bin?“
Diese beiden genannten Gründe, nämlich einen Heiligenschein von anderen Betroffenen aufgedrückt zu bekommen oder ständig meinen Beruf erklären zu müssen, haben mich dazu veranlasst, mein Buch „Alles im Griff? Die Angst kann ganz schön rutschig sein!“ zu schreiben.
Folgende Fragen habe ich darin aufgeführt und möchte auch hier meine persönliche Meinung mitteilen.
- Haben Therapeuten keine Angst?
- Haben sie all ihre Gefühle im Griff?
- Haben sie eine Gebrauchsanleitung fürs Leben?
- Sind sie die „Checker“ der Seele?
- Haben sie womöglich auch noch hellseherische Fähigkeiten?
- Können sie anhand des Augenzuckens vom Gesprächspartner innerhalb einer Nanosekunde eine Diagnose stellen?
- Wissen sie, wie der Hase läuft?
In erster Linie sind wir Menschen, die ebenfalls Schwächen und Macken haben. Und manchmal führt viel Wissen eben dazu, dass man seine eigenen blinden Flecken übersieht (hier haben wir allerdings immer die Pflicht und die Wahl eines unterstützenden Gespräches durch Kollegen). Wir „wissen“, was zu tun und zu machen ist, aber viel mehr „fühlen“ wir instinktiv, was unser Klient sich wünscht. Wir sind und bleiben Menschen und keine Maschinen.
Meine eigene Geschichte ist und bleibt meine Geschichte, sie tut in keiner Sitzung etwas zur Sache. Ich habe hier eine gesunde Abgrenzung! Viele Klienten kennen meine Geschichte – gerade deshalb werde ich von ihnen aufgesucht. Sie kommen nicht nur wegen meines Wissens, sondern weil ich selbst eine Angststörung durchlebt habe. Somit erübrigt sich gerade hier die Frage, ob man diesen Beruf ausüben kann, wenn man selbst erkrankt war. Es ist unerlässlich, dass wir uns unserer eigenen blinden Flecke bewusst sind, um sie nicht auf unsere Klienten zu übertragen. Unsere Seele muss nicht rein, aber sehr aufgeräumt sein. Ich nutze hierfür sehr gerne Supervision und einen informativen Austausch mit Kollegen.
Der nächste Grund meines Artikels und meines Buches war, dass ich meine Liebe zu meinem Beruf erklären wollte und möchte. Warum hat er in der Gesellschaft nicht den Stellenwert, den er verdient? Warum müssen wir um Anerkennung kämpfen, obwohl wir bedeutsame Erfolge erzielen? Und warum ist es manchmal wirklich recht schwierig, durch ihn alleine zu existieren?
Wenn wir uns die Zulassungsvoraussetzungen für einen Heilpraktiker für Psychotherapie anschauen, erkennen wir, dass sehr viele Menschen diese erfüllen. Wir müssen mindestens 25 Jahre alt sein, einen Hauptschulabschluss besitzen, frei von körperlichen und seelischen Beschwerden sein und ein einwandfreies Führungszeugnis besitzen. Es gibt also keine besonderen Aufnahmeprüfungen, um sich für diesen Beruf zu entscheiden. Dies hat allerdings auch den bitteren Beigeschmack, dass nun angenommen wird, dass jeder Mensch, der sich in irgendeiner Form berufen fühlt, diesen Beruf auch ausüben kann. Zum Glück bekommen wir durch die Überprüfung beim Gesundheitsamt dann doch noch das Siegel „den kann man auf die Menschheit loslassen“.
Jeder Mensch ist auch ein Berater (wir beraten in unserem Alltag ständig ... selbst darüber, was wir heute kochen wollen). Dies wiederum bedeutet, dass jeder Mensch, der meint, gut beraten zu können, sich eigentlich auch ein Schild an seine Haustüre schrauben könnte, auf dem steht: „Berater in allen Lebenslagen“. Dafür kann – muss man sich aber noch nicht einmal zertifizieren oder ausbilden lassen.
Erschwerend kommt hinzu, dass es für unseren Beruf keine einheitliche Ausbildung gibt – es gibt noch nicht mal eine wirkliche. Wir bereiten uns lediglich auf eine Überprüfung vor, was aber über spätere Arbeit und unsere Qualifikationen noch gar nichts aussagt. Klienten, die zu uns kommen, sind auf unsere Eigenverantwortung angewiesen. Sie müssen darauf vertrauen, dass wir uns nach bestem Wissen und Gewissen Wissen und Qualifikationen angeeignet haben und therapeutische Interventionen anwenden können. Und sie vertrauen darauf, dass unsere Prüfer wirklich alle sieben Sinne zusammenhatten, als sie uns unsere Erlaubnisurkunde in die Hände drückten.
Wir arbeiten freiberuflich und selbstständig – das ist toll und hat viele Vorteile. Denn wir müssen keinem Rechenschaft ablegen und uns bleibt lästiger Bürokram erspart. Leider hat dies auch Nachteile, weil wir (und somit auch unsere Klienten) keinerlei finanzielle Unterstützung erhalten. Unsere Leistungen werden nicht von der Krankenkasse übernommen. Dies führt dazu, dass Klienten mit Leidensdruck eine Wartezeit von bis zu 12 Monaten in Kauf nehmen (müssen), weil die vom Arzt vorgeschlagene angebotene Therapie „für lau“ ist. Das ist natürlich nicht der einzige Grund, denn es gibt genügend Klienten, die unsere Leistungen bezahlen und solche, die es auch gern würden, wenn sie durch den Dschungel der Angebote aus unserem Bereich durchblicken könnten.
Ich bin bei meiner Arbeit auf Mundpropaganda angewiesen, denn ich werde von meinen Klienten weiterempfohlen. Manchmal ist das nicht so einfach, wie es sich anhört, denn – man mag es kaum glauben – einige Klienten kommen „heimlich“ zu mir. Es gehört nämlich zu den großen Vorteilen unseres Berufes, dass wir keine lästigen Dokumentionen und somit auch keine Diagnosen für die Krankenkassen verfassen müssen, damit eine Therapie bewilligt wird. Eingetragene Dokumentionen bleiben bestehen und es wird zeitlebens schwierig sein, mit der Diagnose „schwere, depressive Episode“ z. B. in eine private Kasse zu wechseln. Und jemand, der heimlich zu mir kommt, wird seinem Bekanntenkreis nicht von seinen abendlichen Besuchen bei mir berichten und noch weniger erzählen, dass unsere Gespräche ihm geholfen haben.
Neben meiner Tätigkeit als Heilpraktikerin für Psychotherapie halte ich vor allen Dingen Lesungen und Vorträge, die mir erstens eine willkommene Abwechslung zu Einzelsitzungen sind und die mein monatliches Einkommen aufbessern.
Wenn ich von einer Person gefragt werde, ob sich meine Tätigkeit „lohnt“, dann sage ich natürlich „Ja“. Ich liebe meine Arbeit, ich mag die Abwechslung, ich freue mich, Teil eines Entwicklungsprozesses zu sein. Es ist spannend, immer wieder neue Menschen und Geschichten kennenzulernen und sich selbst dabei auch jedes Mal ein bisschen besser wahrzunehmen. Wenn ich gefragt werde, ob ich davon leben kann, dann antworte ich ganz ehrlich: „Nein“, am Anfang konnte ich nicht davon leben, ich war traurig und zweifelte an meiner Entscheidung und auch an mir als Mensch. Es gab auch Zeiten, als ich die Freude an meiner Tätigkeit verlor, weil ich meine Energie darauf ver- (sch)wenden musste, mir Gedanken um die Begleichung meiner Rechnungen zu machen.
Hierbei muss ich allerdings auch noch Folgendes anmerken: Ich kenne viele Menschen, die in beratenden/helfenden Bereichen tätig sind, denen es schwerfällt, ihren Lebensunterhalt mit ihrer Tätigkeit zu verdienen. Dies liegt manchmal an der Zahlungsmoral der Klienten, aber auch einer gewissen persönlichen Einstellung. „Das habe ich nicht verdient“, „das muss ich mir verdienen“ oder „das ist meine Arbeit nicht wert“ sind innere Blockaden, die das Gesetz der Anziehung sofort aktivieren. Wenn man glaubt, es nicht zu verdienen, dann wird es so sein. Ebenso führt ein bestimmter innerseelischer Konflikt dazu, dass wir unser Geld nicht so einfordern, wie wir es sollten. Dieser heißt: Darf ich Geld dafür nehmen, das ich anderen Menschen helfe?
Wenn man diese Überzeugungen aufarbeitet und sich vor allen Dingen erlaubt, Geld in sein Leben zu lassen, dann ist es langfristig möglich, diese Tätigkeit hauptberuflich auszuüben.
Ich habe vor Kurzem einem Computerfachmann, der eine sehr gute berufliche Position innehat und sich für den Beruf des Heilpraktikers entscheiden möchte, geraten, diese Tätigkeit zunächst stundenweise und in einem kleinen Rahmen auszuüben. Als Familienvater mit drei Kindern, einem Haus und einem Hund trägt er eine große Verantwortung und aus meiner eigenen Erfahrung heraus habe ich ihm geraten auf den Zeitpunkt zu warten, der für ihn richtig sein wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon überzeugt, dass viele von uns eine unsagbar wichtige und wertvolle Arbeit leisten und es wäre nur gerecht, wenn unser Aufgabengebiet größere Aufmerksamkeit finden würde. Man kann unseren Beruf natürlich nicht mit der Arbeit von Diplompsychologen vergleichen, die - das muss ganz klar gesagt werden - eine wichtige und unverzichtbare Unterstützung sind. Aber wir wollen ja auch nicht wie ein psychologischer Psychotherapeut arbeiten, weil wir andere Überzeugungen und Lösungsansätze haben. Und doch ist das, was wir können und leisten, ebenfalls ein Bereich, der dazu beiträgt, Menschen sicher und vertrauensvoll an ein persönliches Ziel zu bringen.
Ich liebe meinen Beruf, ich möchte nichts anderes machen. Ich sage nicht, dass es „nur“ ein Beruf ist, sträube mich aber auch gegen die Aussage, dass ich mich „berufen“ fühle, ihn auszuüben. Ich habe bestimmte Fähigkeiten und ein bestimmtes Wissen, das es mir ermöglicht, andere Menschen auf einem bestimmten Lebensabschnitt zu begleiten. Warum in aller Welt sollte ich denn mit diesen Fähigkeiten etwas anderes machen? Weil es sicherer ist? Weil es anerkannter ist? Weil man mehr Geld verdient?
Nein, das möchte ich nicht. Mein Herz und mein Verstand sind im Einklang, wenn ich sage, dass ich gerne Heilpraktikerin für Psychotherapie bin.
Vielleicht haben mein Buch und meine Geschichte hier dazu beigetragen, dass unsere Tätigkeit in ein anderes Licht gerückt werden konnte und ein wenig mehr Anerkennung erlangt. Sollte dies nicht geschehen, so bleibt uns immer noch die Option, uns selbst anzuerkennen – ich finde, das ist übrigens die wichtigste Option.
Alexandra Reiners
Heilpraktikerin für Psychotherapie