Skip to main content

Paartherapie auf der Basis der 4 Edlen Wahrheiten des Buddha

2012-01-Buddha1

oder: Buddhismus und Paartherapie – wie passt das zusammen?

otolia©„Einen Groll auf jemand zu haben
ist, wie wenn du nach einem
glühenden Stück Kohle greifst,
mit der Absicht, es nach jenem zu werfen –
derjenige, der sich dabei verbrennt,
bist du selbst.“
Weisheit des Buddha

Ein ungewöhnlicher Brückenschlag zwischen dem jahrtausendealten Ursprung des Buddhismus und zeitgemäßer therapeutischer Begleitung von Menschen in Beziehungskrisen.

Die Erkenntnis, die Siddhartha Gautama unter dem Bodhi-Baum sitzend gewonnen hatte und die ihn zum Buddha, zum „Erwachten“, machte, fasziniert mich seit vielen Jahren immer wieder aufs Neue.

Die sogenannte Erleuchtung, die der Buddha als Essenz seines bisherigen Suchens und Strebens nach dem wahren Kern allen menschlichen Seins erfahren hatte, benannte er als die Erkenntnis der 4 Edlen Wahrheiten. Sie bildet die Grundlage der buddhistischen Lehre.

Der Buddha war zweifelsfrei ein Mensch mit besonderen Eigenschaften, die eine wichtige Voraussetzung für seine Erleuchtung darstellten. Ein starkes Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Selbsterfahrung, eine hohe Empathie, eine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstreflexion und eine im Laufe seiner Entwicklung erworbene Gelassenheit im Umgang mit seinen Mitmenschen und sich selbst gegenüber.

Seine „Lehre“ der 4 Edlen Wahrheiten war zunächst einmal nur eine ureigene, unmittelbare Bewusstwerdung, die er bei einer langen Meditation (heute würden wir wahrscheinlich „Retreat“ dazu sagen), zu der er sich unter einen Pappelfeigenbaum zurückgezogen hatte, erlebte. Erst bei der visionären Begegnung mit einer Gottheit, die ihm den Auftrag gegeben hatte, seine Erkenntnis weiterzuvermitteln, wurde diese zur Lehre. Allerdings wurde in der Götterbotschaft schon berücksichtigt, dass nicht alle Menschen in der Lage sein würden, diese Lehre vollständig zu verstehen und für sich umzusetzen. Denjenigen „mit Staub in den Augen“ würde sie verschlossen bleiben.

Die 4 Edlen Wahrheiten besagen stark vereinfacht das Folgende:

  1. Wahrheit:
    Alle Menschen (Wesen) sind dem Leiden unterworfen.
  2. Wahrheit:
    Leiden wird durch Begehren verursacht.
  3. Wahrheit:
    Durch das Loslassen des Begehrens wird das Leiden aufgehoben.
  4. Wahrheit:
    Der Weg, der zum Loslassen des Begehrens und damit zur Beendigung des Leidens führt, ist ein schrittweiser Prozess der Selbstverwirklichung, der durch wiederholtes Praktizieren der 4 Wahrheiten geübt werden muss. Es ist ein Weg der goldenen Mitte, bei dem es extreme Haltungen zu vermeiden gilt. Weder Askese noch Hedonismus sind erwünscht.

Hierbei muss jede einzelne der 4 Wahrheiten als eine eigene Erkenntnis für sich betrachtet werden. Doch erst im Durchlaufen der Gesamtheit der 4 aufeinanderfolgenden „Bewusstwerdungen“ kann ein wirklicher Entwicklungsprozess stattfinden. Im Sinne von Auflösung des Leidens und somit im Sinne von Heilung.

In der buddhistischen Philosophie der 4 Edlen Wahrheiten bedeutet „Leiden“ nicht nur Schmerzen, Krankheiten oder Verlust. Mit diesem Begriff wird eher die umfasssende Sichtweise bezeichnet, dass unsere Welt nicht perfekt oder immer schön und angenehm ist. Und vor allem, dass die tatsächlichen schönen Momente äußerst flüchtig sind und nicht festgehalten werden können. Entsprechend wird unter dem Begriff „Begehren“ das ständige Streben nach MEHR verstanden, nach mehr Geld und immer neuen Objekten, nach mehr Erfolg und Anerkennung und so weiter. In der Regel ist dies verbunden mit den Wünschen und Erwartungen an einen anderen Menschen, der das eigene Glück perfekt machen soll.

So viel zu den Grundzügen der Lehre des Buddha. Für mich bedeutete diese Lehre eine tiefgreifende Veränderung meiner Haltungen und Vorstellungen in Bezug auf seelisch-psychisches Leiden. Das betrifft sowohl meine eigene Lebensgeschichte als auch die meiner Klienten.

Um den praktischen Einsatz meines Ansatzes zu vermitteln, möchte ich die Übertragung der 4 Edlen Wahrheiten des Buddha auf meine paartherapeutische Arbeitsstruktur in der Praxis (und eingeschränkt auch in der Online-Beratung) beschreiben. Dazu sei vorausgeschickt, dass die nachfolgenden „Sätze der Bewusstwerdung“ immer an beide Partner eines Beziehungspaares gerichtet sind. Entweder gleichzeitig oder zeitversetzt im Rahmen eines Paar-Councils. Natürlich profitieren Klienten, die als Einzelne die Praxis mit einer Beziehungsproblematik aufsuchen, genauso von diesem therapeutischen Weg.

Ich sehe dabei meine eigene Position zu Beginn als Vermittler der Vorgehensweise und Impulsgeber und im weiteren Verlauf als Übungsleiter, bis die Klienten „fit“ und sicher genug sind, um ihren Weg alleine (als Paar oder Einzelne) weiterzugehen.

Die 4 Arbeits-Sätze der Bewusstwerdung in der „buddhistischen“ Paartherapie:

1. Satz: Die eigenen unangenehmen und schmerzlichen Empfindungen, die man durch den Beziehungspartner verursacht sieht, als Ausdruck eines „Leidens- Symptoms“ zu betrachten, das auf einen tiefergehenden, lebensgeschichtlichen Prozess seiner selbst hinweist (das „Leiden“). Konkret bedeutet dies: Ich nehme wahr, wie mein Partner etwas (nicht) sagt oder (nicht) tut, durch das ich mich verletzt fühle. Ich kenne dieses Gefühl des Verletztseins schon aus meiner Kindheit im Zusammenhang mit Handlungen oder Aussagen meiner Eltern.

2. Satz: Die Erkenntnis und die Akzeptanz, dass diese „Leidens-Symptome“ dadurch verursacht werden , dass vom Partner etwas gewollt und erwartet wird, das dieser tun oder nicht tun soll (das „Begehren“). Dies bedeutet: Ich akzeptiere, dass ich mich nur deshalb verletzt fühle, weil ICH Erwartungen an meinen Partner habe, die in meiner Kindheit von meinen Eltern hätten erfüllt werden müssen.

3. Satz: Die Erkenntnis und die Akzeptanz, dass durch das Aufgeben dieser ständig an den Partner gerichteten Erwartungen das eigene Leiden aufgelöst wird (das „Loslassen des Begehrens“). Dies bedeutet: Mir wird bewusst, dass diese Erwartungen in die Zeit meiner vergangenen Kindheit gehören und meine Eltern für deren Erfüllung zuständig gewesen wären. Ich akzeptiere, dass ich, wenn ich meine Erwartungen an den Partner loslasse, mich jetzt nicht mehr von ihm verletzt fühlen muss.

4. Satz: Das Umsetzen der 4 Sätze ist ein Prozess der kleinen Schritte, die im gemeinsamen Alltag immer wieder bewusstgemacht, getan und damit geübt werden müssen (das „wiederholte Praktizieren“). Dies bedeutet: Ich akzeptiere, dass ich immer wieder in die Situation des Mich-verletzt- Fühlens kommen kann und dann gefordert bin, nicht aufzugeben und mich an die Umsetzung der 4 Sätze zu halten. Dabei bemühe ich mich, einen mittleren Weg zu finden und weder im Selbstmitleid zu versinken noch mich für meine Schwächen zu bestrafen.

Viele Klienten sind es nicht gewöhnt, ihre Eigenverantwortlichkeit für ihren Wunsch nach Veränderung und Entwicklung wahrzunehmen. Deshalb ist dieser Prozess anfangs etwas anstrengend – wie eine Bergtour vielleicht – und erfordert eine gewisse Disziplin, um nicht vom Pfad abzukommen, aber im Laufe der Zeit sind die positiven Auswirkungen immer deutlicher erkennbar.

Jedesmal, wenn es gelingt, die eigenen Erwartungen und die alten, ungestillten Bedürfnisse NICHT MEHR am Beziehungspartner festzumachen, ihn nicht mehr für deren Erfüllung verantwortlich zu machen und ihn nicht mehr für sein Nicht-so-sein-wieich- es-will zu beschuldigen, wird eine große Erleichterung spürbar.

Der 4. Satz bedeutet uns, diese Erleichterungen zu sammeln, bis wir geübt darin sind, bei auftauchenden Missempfindungen unsere Eigenverantwortlichkeit zu behalten oder sie innerhalb kürzester Zeit wieder herzustellen. Zumindest in der Zeit, bevor wir zum Angriff auf den Partner übergehen oder uns in einem energieraubenden Langzeit- Verteidigungsgraben verschanzen.

Zur Veranschaulichung möchte ich ein Beispiel aus der Praxis anführen.

fotolia©MAKEin Paar kommt nach jahrelangen quälenden Auseinandersetzungen zum ersten Mal in die Praxis. Die Beziehung hängt am seidenen Faden.

A. beschreibt ihre beständige Frustration über das Verhalten von B.: „B. ist immer so desinteressiert an mir, ich weiß nicht, was ich noch mit ihm machen soll, damit er mir endlich mal sagt, dass er mich liebt und mit mir zusammen sein will. Ich habe schon alles ausprobiert, aber er nimmt mich gar nicht wahr.“

Darauf kontert B., an mich gewandt: „Sie haben ja keine Ahnung, wie anstrengend das ist. Ich komme abends völlig erledigt von der Arbeit nach Hause und dann hängt sie mir ständig an der Pelle mit ihrem ,Liebst du mich?‘. Ich kanns nicht mehr hören!“

Den weiteren Verlauf eines solchen Austauschs von gegenseitigen Vorhaltungen und Erwartungen kann man sich leicht ausmalen. Deshalb führe ich ihn hier nicht weiter aus.

Nachdem ich das Paar zum gemeinsamen Ziel der Beendigung dieser permanent zirkulierenden Konflikte befragt habe und die beiden mir ihren Entschluss zur Zusammenarbeit bestätigt haben, stelle ich das Konzept vor. Anschließend pflücken wir aus dem vom Paar angebotenen „Konflikt- Strauß“ eine beispielhafte und noch duftende „Konflikt-Blüte“ heraus und steigen in den Arbeitsprozess ein.

Die Aussage des 1. Satzes bedeutet für die beiden Klienten schon einen kleinen Schritt weg vom „Du“ und hin zum „Ich“, da sie sich hier bereits auf ihre eigene Geschichte und die damit verbundenen Erlebnisse beziehen müssen.

Dem 2. Satz stimmt Klient B. noch gerne zu, denn er spürt darin natürlich seine eigene Entlastung. Klientin A. hingegen sträubt sich kurz, da hier zunächst keine Entlastung stattfindet, zeigt jedoch im Hinblick auf das gemeinsame Ziel die Bereitschaft zur Weiterarbeit.

Im 3. Satz schließlich sind beide vollständig auf sich bezogen. Hier taucht bei Klientin A. ein erstes „Aha, so ist das! Ja genau, jetzt wird mir einiges klar“ auf. Ihr wird bewusst, auf welche Weise sie versucht, beim Partner ihren altbekannten Mangel an Bestätigung und Zuneigungsbeweisen auszugleichen.

Klient B. hadert noch mit der Aussage, dass seine Eltern für die Erfüllung seiner kindlichen Bedürfnisse zuständig gewesen seien. Er empfindet dies wie eine Schuldzuweisung an die Eltern, und in puncto Schuld hat er gelernt, selber der Träger zu sein. Seine Eltern hätten schließlich arbeiten müssen, und überhaupt hätte er doch von ihnen alles bekommen, moniert er.

Hier interveniere ich, dass es nicht hilfreich sei, eine Schuldfrage zu klären, sondern sinnvoller, aus einer Meta-Perspektive einen Blick auf die folgende Aussage zu werfen: „Kinder sind noch nicht in der Lage, selbst für die Befriedigung aller ihrer Bedürfnisse aufzukommen. Zum Beispiel, für ihr Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit und Zärtlichkeit haben sie noch nicht die Möglichkeit, sich mit einem ,Liebespartner‘ auszutauschen. Deshalb sind dafür die Eltern zuständig.“

Das kann Klient B. ohne Widerstände akzeptieren. Und nachdem er die Ursprünge seiner starken Schuldgefühle, die er bisher in seiner Partnerin begründet gesehen hatte, in seiner Kinderzeit wiederfindet, kann er sich erlauben, die Verantwortlichkeit für die alten Mangelerfahrungen seiner Partnerin loszulassen. Dabei spürt er eine intensive Erleichterung und seinen eigentlichen Wunsch, wieder mit A. in Kontakt zu kommen.

Den 4. Satz empfindet das Paar in der Sitzung als logisch und einfach. Die Realität im Beziehungsalltag spricht jedoch eine deutlichere Sprache. Deshalb sind die Folgesitzungen in der Regel dem Wiederholen und Üben gewidmet.

Das bedeutet, wir erörtern entlang der Richtschnur der 4 Sätze Konfliktsituationen, die das Paar in die Sitzung „mitbringt“. Dabei haben beide die Gelegenheit zu spüren, wie es sich anfühlt, wenn das oben beschriebene Aha-Erlebnis und die damit verbundene Erleichterung des Loslassens eintreten.

Im weiteren Verlauf sammeln wir die Situationen, in denen die Partner im Alltag selbstständig die 4 Sätze erfolgreich durchlaufen und die typischen Konflikte damit schon im Vorfeld entschärft haben. Je häufiger die Klienten in der Lage sind, einen Selbstbezug herzustellen und sich damit gegenseitig zu entlasten, umso deutlicher wird Entspannung und Freude in der Partnerschaft spürbar.

Im Sinne eines eklektischen Ansatzes darf natürlich die Unterstützung des therapeutischen Ablaufs durch andere bewährte Methoden nicht unbeachtet bleiben. Beispielhaft sei hier die situationsbezogene Beleuchtung von Kindheitserlebnissen mit systemischen Werkzeugen angesprochen. Als Grundvoraussetzung für den gesamten Prozess wird eine empathische und nichtdirektive Haltung des Therapeuten angesehen.

Das Ergebnis ist auf lange Sicht ein enormer Zuwachs an innerer Freiheit, Eigenständigkeit und Wohlbefinden. Das wird auch im Falle einer Beziehungstrennung oder eines bereits bestehenden Single-Seins erhalten bleiben, weil sich durch diesen Prozess ein Bewusstsein entwickelt, dass langfristiges Lebensglück weder an materiellen Dingen noch an einem bestimmten Menschen hängt. Es ist zu jeder Zeit in jedem von uns enthalten!

Armin Ringeis Armin Ringeis
Jahrgang 1960, Heilpraktiker für Psychotherapie, in eigener Praxis tätig mit den Schwerpunkten Paartherapie, klientzentrierte Gesprächsführung, gewaltfreie Kommunikation und Kommunikations-Coaching für Gruppen im Redestab-Council. Beratung auch online.
Bürgermeister-Fink-Str., 89331 Burgau
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.