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Psychokardiologie. Gemeinsam für unser Herz und unsere Seele?

©BillionPhotos.comDie Psychokardiologie befasst sich als medizinisches und wissenschaftliches Teilgebiet mit dem Verständnis der Zusammenhänge zwischen Herzkrankheiten, seelischem Befinden und zwischenmenschlichen Beziehungen. Trotz stetiger Weiterentwicklungen im Bereich der Herzmedizin, die es mittlerweile ermöglichen, vielen Menschen gut zu helfen, sind Herz-Kreislauf Erkrankungen in den westlichen Industrieländern weiterhin die häufigste Todesursache. Dabei sterben Frauen im Schnitt häufiger an einem Herzinfarkt als Männer.

Viele von uns sind in der Familie, dem Freundeskreis oder der eigenen Praxis bereits mit Themen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt und Herzrhythmusstörung in Berührung gekommen. Dabei sind Herzerkrankungen keine Frage des Alters. Sie können in jeder Phase des Lebens auftreten, von den angeborenen Herzfehlern bei Kindern über die Mitte des Lebens (u.a. Herzinfarkt oder Bluthochdruck) bis hin ins hohe Alter (u.a. mit defekten Herzklappen oder der Herzinsuffizienz).

Wenn das Herz erkrankt, leidet oft auch die Seele. Und ist die Seele krank, gibt es vermehrt Risiken für die Entwicklung einer Herzerkrankung. Ein großes Thema und mittlerweile ein eigener Risikofaktor sind Depressionen. Ebenso löst die Diagnose Herzerkrankung bei Patienten häufig Angst und Unsicherheit aus. Ein ganz wesentlicher Punkt in diesem Zusammenhang ist die Frage der Resilienz.

Jeder Mensch ist einzigartig und hat sehr unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten, mit einer Herzdiagnose bzw. Lebenskrisen umzugehen; nicht alle Herzpatienten entwickeln gleich eine pathologische und zu behandelnde seelische Krankheit.

Neben der persönlichen Resilienz spielen auch die Art, die Schwere und der zu erwartende Verlauf der Herzerkrankung eine wichtige Rolle. Ebenso von Bedeutung sind die sozialen Beziehungen und die wirtschaftlichen Verhältnisse.

Die Seele eines Menschen braucht eben Zeit, einen Herzinfarkt oder auch nur die erstmalige Diagnose einer Herzerkrankung zu verarbeiten. Nach einem Krankenhausaufenthalt oder einer Reha-Maßnahme ist es für Patienten und ihre Angehörigen oft schwierig, entsprechende Hilfe zu finden. Während heutzutage eine psychotherapeutische Begleitung bei onkologischen Patienten schon normal geworden ist, bleiben Herzpatienten und deren Angehörige in dieser Hinsicht oft allein.

©Chris_84Etwas am Herzen zu haben, bedeutet oft auch, etwas auf dem Herzen zu haben.

Mehr als jedes andere Organ repräsentiert das Herz den Einfluss der Psyche auf den Körper. Im Volksmund gehört dies schon lange zusammen – in vielen Kulturen gilt das Herz als der Sitz der Seele. Emotionen wie Liebe, Freude, Angst, Trauer oder Ärger lassen unseren Herzschlag so spürbar anders werden, dass unser Herz hoch sensibel und unmittelbar darauf reagiert. Freudige Ereignisse lassen unser Herz auch mal „hüpfen“, „hochschlagen“, „klopfen“. Wenn aber etwas bewusst oder unbewusst unerträglich ist, beginnt unser Herz zu „bluten“ und „verschließt sich“. Dieses Herz ist dann „kalt“, „aus dem Takt“ oder schließlich gänzlich „verschlossen“. Auch verletzende Worte oder Handlungen können das Herz im wahrsten Sinne „zerbrechen“ lassen.

Die eigene Leiblichkeit wird durch die Herzerkrankung plötzlich erschüttert oder geht verloren. Das Vertrauen in sich und in den eigenen Körper ist gestört. Der Bezug zu sich selbst ist unterbrochen. Existenzielle Themen wie das mögliche Todesereignis nehmen Raum ein und Todesangst entsteht. Eine katastrophale Verunsicherung tritt auf. Daher ist es nicht verwunderlich, dass nach einem Herzinfarkt oder einer anderen Herzerkrankung viele Menschen nicht zur Ruhe kommen, weiterhin Druck verspüren und immer wieder überwältigende Ängste entwickeln.

Die Folge sind zahlreiche Arztbesuche, Notfall-Krankenhauseinlieferungen, Rückzug oder Vermeidung und vor allem viele Stunden voller Angst und Panik. Die Lebensqualität verschlechtert sich deutlich. Viele Menschen können die seelische Verarbeitung der Ereignisse nicht allein bewältigen und benötigen Hilfe. Jedoch kann sich der Umgang mit Herzpatienten manchmal schwierig gestalten und die Kapazitäten der beteiligten Ärzte überfordern. Die Notwendigkeit, sich auf das Notwendigste zu konzentrieren bzw. auf das, was am besten bezahlt wird, ist zunehmend ungewollter Alltag in Kliniken und Praxen.

Den Herzpatienten aktiv zuzuhören, ihnen etwas zu erklären und sie zu beraten, ist sicher ein großes Anliegen vieler Ärzte und der immer noch zu wenigen Psychokardiologen. Unserem Gesundheitssystem fehlen jedoch fl ächendeckend die Versorgungsstrukturen und die in dieser Disziplin ausgebildeten Mediziner. Erst im Jahr 2006 wurde in Europa die erste Klinik für Psychokardiologie in Bad Nauheim eröffnet. In Bayern gibt es bisher erst eine einzige gelistete Reha-Klinik mit Psychokardiologie, die Klinik Höhenried in Bernried am Starnberger See. Niedergelassene Arztpraxen oder psychotherapeutische Praxen mit Spezialisierung im Bereich der Psychokardiologie sind sehr selten.

Was aber können wir als Heilpraktiker und Heilpraktiker für Psychotherapie für Herzerkrankte und deren Ängste, Sorgen und Nöte tun?

Ich behaupte: Erst mal einfach nur da sein! Und den Klienten zeigen, dass sie bei uns „nichts müssen – alles ist erlaubt!“.

Das Gedicht „Anhalten“ von Max Feigenwinter finde ich dazu sehr passend.

Anhalten

Dann und wann
das Tempo verlangsamen,
anhalten,
in Ruhe wahrnehmen,
was um uns ist, was uns schützt,
bedroht, erfreut, fordert, fördert,
uns neu einstellen und ausrichten.

Dann und wann
das Tempo verlangsamen,
anhalten,
sich hinsetzen und setzen lassen,
was sich in uns bewegt.
Unsere Strukturen wahrnehmen,
sehen, was und wie wir sind.

Dann und wann
das Tempo verlangsamen,
anhalten,
aus unserer Tiefe Bilder aufsteigen lassen,
dankbar sein und sehen,
was sie uns zeigen wollen,
wohin sie uns weisen.

Wie wichtig dies ist, habe ich in meiner eigenen Herzgeschichte erleben dürfen. Im Jahr 2007 wurde bei mir eine Operation am offenen Herzen mit Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine durchgeführt, verbunden mit einem längeren Krankenhausaufenthalt aufgrund von Komplikationen. Mir ging es damals nicht gut und doch habe ich immer schön Haltung bewahrt, wenig gejammert und meine Schmerzen ertragen. Über meine Sorgen, Ängste und Nöte zu sprechen, konnte und wollte ich nicht.

Doch werde ich nie vergessen, wie eine ältere Krankenschwester in der dritten Woche meines Aufenthaltes bei mir stand, ihre Hand auf meine Schulter legte und zu mir nur einen einzigen Satz sagte: „Frau Klein – so hieß ich vor meiner Heirat – Sie müssen nicht immer stark sein!“.

Meine Tränen flossen und ich weinte Sturzbäche, so entlastend und nachdrücklich war dieses einfühlsame Erlaubnis, „nichts zu müssen“.

Viele Jahre später, im Jahr 2016, als es darum ging, was ich als Heilpraktikerin für Psychotherapie in meiner Praxis anbieten kann, kam mir genau wieder diese „Herzenssituation“ in den Sinn und ich wusste, dass mein Herzensanliegen die seelische und menschliche Begleitung von Herzpatienten ist.

Welche Erfahrungen mache ich dazu in meiner Praxis für Beratung und Therapie?

Die heutige Herzmedizin ist hochmodern und darauf spezialisiert, Erkrankte in vielen Fällen schnell zu versorgen. Die Dauer der Klinikaufenthalte verkürzt sich immer mehr, die Zeiten für Arzt-Patienten-Gespräche ebenso. Die Inhalte der Arztbriefe zu verstehen stellt für viele Patienten eine unüberwindbare Hürde dar. Zum Teil werden Reha-Angebote gar nicht in Anspruch genommen. Eine schnelle Rückkehr zur körperlichen Leistungsfähigkeit und in die Arbeit ist oftmals das angestrebte Ziel; dabei wird viel Wert darauf gelegt, dass die vorhandenen Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Alkoholkonsum, Bewegung, Ernährung zügig vom Patienten in Angriff genommen werden.

Weniger Berücksichtigung finden aber die psychosozialen und biologischen Risikofaktoren, wie Einsamkeit im Alter, finanzielle Schwierigkeiten, die genetische Veranlagung, Lebenskrisen wie der Tod eines Angehörigen, der Verlust des Arbeitsplatzes oder nicht bearbeitete Konflikte etwa in der Partnerschaft oder der Familie, hoher Stress, Hektik, Lärm, Umweltverschmutzung, Unterforderung oder Überforderung im Beruf oder einfach keine Zeit mehr für Pausen.

In meiner Praxis habe ich festgestellt, wie wichtig es ist, den Menschen erst mal nur Zeit zu geben, um durchzuatmen und in Ruhe zu realisieren, was da eigentlich mit ihnen passiert ist und passiert. Um das, was gerade da ist, zulassen zu können und nicht schon wieder etwas tun zu müssen. Die Klienten bekommen den Raum, ihren zugänglichen und vorhandenen Gefühlen freien Lauf zu lassen, ohne auf jemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Hier darf auch die Trauer über ein Stück momentan nicht vorhandene bzw. verlorene Gesundheit ihren Platz haben, genauso wie das Empfinden, dass es gerade „echt scheiße“ ist.

Elementar ist es, das vorhandene Leid ausreichend anzuerkennen, aber nicht darin stecken zu bleiben. Für die Krankheitsakzeptanz und die Wiederherstellung einer zufriedenstellenden Lebensqualität ist es entscheidend, wieder Zugang zu seinen eigenen Ressourcen und Gefühlen zu finden sowie das Vertrauen in den eigenen Körper zurückzuerlangen.

Es gibt keine Grenzen.
Weder für Gedanken noch für Gefühle.
Es ist die Angst,
die immer Grenzen setzt.

Ingmar Bergman

In meiner Praxis erlebe ich auch, dass die Abwehrmechanismen Verleugnung, Verdrängung und Bagatellisierung bei Herzpatienten eine große Rolle spielen. Es kostet Überwindung, sich als Herzpatient Hilfe für seelische Probleme zu holen. Die Angst, als „Verrückter“ abgestempelt zu werden, verhindert hier oft die zeitnahe Hilfe am Herzereignis. „Schließlich habe man ja was am Herzen und nicht am Kopf.“

Um welche Themen geht es u.a.?

  • Aufbau einer tragenden und schützenden Klientenbeziehung
  • Stabilisierung der Situation
  • Trauerarbeit um ein Stück verlorene Gesundheit
  • Psychoedukation – Erklärung der Zusammenhänge, Krankheitsverarbeitung
  • Verständnis und Akzeptanz für die Krankheit entwickeln
  • Vertrauensarbeit Körper-Herz aufgrund des massiven Kontrollverlustes
  • Erarbeitung bekannter Ressourcen und das Entdecken neuer Ressourcen
  • Vorhandene Gefühle und „versteckte“ Gefühle (z.B. Schuld, Scham) entdecken und zulassen können
  • Training von Kommunikationsverhalten (z.B. das Äußern von Bedürfnissen) gegenüber dem Partner, der Familie, dem Arbeitgeber oder Ärzten
  • Erlernen von Entspannungsverfahren und Stressregulierung
  • Einbindung des Herzereignisses in die eigene Biografie
  • Klärung aktueller oder „alter“ Konflikte
  • Auseinandersetzung mit existenziellen Themen (wie dem Tod)
  • Auswirkungen auf die Paarbeziehung, die Familie, die Freunde oder den Beruf
  • Trennungen
  • Angehörigenberatung
  • Herzerkrankung und Anpassungsstörungen
  • Herzerkrankung und Angst- und Panikstörungen
  • Herzerkrankung und Depression
  • Herzerkrankung und Sexualstörungen

Gerade was die letzten Punkte meiner Aufzählung anbelangt, möchte ich unbedingt erwähnen, dass ich meine Grenzen und rechtlichen Verpflichtungen als Heilpraktikerin für Psychotherapie kenne und wahre. Für meine Klienten und mich ist es in der Tat oft sehr wertvoll, wenn gerade der Austausch mit dem Hausarzt, dem Kardiologen oder dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie gut gelingt.

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) möchte ich nicht unerwähnt lassen. Diese kommt häufig bei Herzpatienten mit implantiertem Cardioverter-Defibrillator als Folge von mehrfach abgegebenen Schocks, bei Reinfarkten, Herztransplantationen sowie Reanimationen oder anderen kardial hoch belastenden Ereignissen vor. Diese gehen mit Todesangst, großer Hilflosigkeit und absolutem Kontrollverlust einher. Patienten mit einer PTBS findet man oft in stationärer Behandlung oder bei Trauma-Therapeuten.

Zu guter Letzt ein kleiner Ausblick zur gesundheitsbezogenen Selbsthilfe

In München gibt es unter der Leitung von Helmut Bundschuh, ebenfalls Heilpraktiker für Psychotherapie, zwei Selbsthilfegruppen für Herzpatienten mit psychischen Belastungen. Eine Gruppe ist im Klinikum rechts der Isar angesiedelt, die andere trifft sich im Selbsthilfezentrum München. Letzteres betreut und unterstützt die Gruppen und mich mit viel Kompetenz und noch mehr „Herz“.

Mein persönliches Herzensprojekt ist der Aufbau einer dritten Selbsthilfegruppe für psychisch belastete Herzpatienten im Landkreis Ebersberg. Ab Januar 2020 gründe und leite ich diese dann an unserer Kreisklinik. Der Chefarzt der Kardiologie hat dieses Projekt bei seinem Geschäftsführer durchsetzen können und steht mir als fachlicher Ansprechpartner für die Gruppe zur Verfügung. Dies ist selten der Fall und diese Anerkennung freut mich sehr. Sie bedeutet eine große Chance für alle und im Besonderen für herzerkrankte Hilfesuchende.

Das Motto „Die Tür steht offen, mehr noch das Herz“ bietet hier einen niederschwelligen Zugang auch für diejenigen unter uns, die mit wenig Geld auskommen müssen.

Fazit

Psychokardiologie – gemeinsam für unser Herz und unsere Seele – das kann gut werden.

Lydia ReisLydia Reis
Heilpraktikerin für Psychotherapie

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