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Fallstudie: Wie Hypnotherapie soziale Phobien lösen kann

2011-03-Hypnotherapie1

„Ich verdiene es, mich gut zu fühlen“

fotolia©KalimDer 31-jährige Klient beschreibt im Ersttermin ein bedrückendes Szenario. Als Führungskraft in einem Unternehmen werde von ihm erwartet, an Geschäftsessen teilzunehmen und hier seine Rolle entsprechend den unausgesprochenen Erwartungen auszufüllen. Dies umfasst die Einnahme des ihm zustehenden Platzes (häufig am Kopf eines Tisches), Small Talk sowie fachliche Gespräche und natürlich das eigentliche Essen. Der Klient kann aber weder Essen zu sich nehmen noch entspannt sprechen oder den entsprechenden Platz einnehmen, da er von einer ausgeprägten Angst vor Erbrechen vollkommen vereinnahmt ist. Diese Angst führt dazu, dass er an diesen Tagen keinerlei Nahrung zu sich nimmt und trotz des Wissens um seinen leeren Magen vorher erbricht – wie um sich selbst zu beweisen, dass sein Magen definitiv leer ist. Darüber hinaus hat er eine ausgefeilte Technik entwickelt, durch Verschieben des Essens an bestimmte Stellen auf dem Teller den Eindruck von Leere zu erzeugen. Die Stressbelastung durch diese Situation ist bei ihm sehr hoch. Außerdem hat sich die Angst bereits ausgebreitet und u. a. seine Gelassenheit bei Vorträgen beeinflusst.

In einer vor einigen Jahren durchgeführten Verhaltenstherapie fand er als Ursache eine Situation mit ca. acht Jahren, in der er sich bei einer Familienfeier vor allen Menschen erbrochen hatte, weil ihm ein wohlmeinender Mensch den Teller wieder und wieder gefüllt hatte. Der Klient brach die Verhaltenstherapie ab, weil sie ihn nach seinen Worten nicht weitergebracht habe.

Der Klient lässt die direkte Frage nach dem sekundären Krankheitsgewinn zu und erkennt selbst, dass ihn die eingeschränkte soziale Interaktionsmöglichkeit in der Beziehung zu seiner aktuellen Freundin festhält. Ein mögliches Interesse zum Kennenlernen anderer Frauen würde früher oder später in ein gemeinsames Essen münden. Da dieses für ihn unmöglich durchzuführen ist, wird durch die Angst bereits jeglicher Gedanke daran im Keim erstickt.

Es wird vereinbart, dass nach dem Ersttermin eine weitere Sitzung zeitnah stattfindet, um ihm vor einer mehrwöchigen Geschäftsreise bereits Unterstützung geben zu können.

Verlauf und aktueller Status

fotolia©Yuri ArcursIm ersten Termin bricht der Klient bereits vor der Hypnoseeinleitung in Tränen aus. Er spricht davon, wie berührt er sei, sich endlich Zeit für sich und sein Thema zu nehmen. Er geht mit ausführlicher Einleitung problemlos in Trance. Als ihm das Angebot zur Trancevertiefung mit einer Treppenvorstellung gemacht wird, beschreibt er Dunkelheit, obwohl die Treppe als erleuchtet suggeriert wird. Die Aufforderung zum Anschalten des Lichtes setzt er um, zeigt sich aber vor dem Herabschreiten der Treppe tief beeindruckt von den Farben Violett und Grün, die ihn plötzlich umgeben. Aus den Farben entwickelt sich das Bild einer Wiese mit Vögeln in der Luft. Nachdem er fragt, ob er mit den Vögeln fliegen dürfe und er dazu ermutigt wird, löst sich unter Tränen ein schweres Gewicht in seiner körperlichen Wahrnehmung auf und erlaubt ihm das Gefühl des Fliegens. Die Begeisterung hierüber ist ihm deutlich anzusehen. Plötzlich beginnt er wieder zu weinen und bittet mich, ihn von dort, von diesem friedvollen Ort, wegzuholen. Auf meine Nachfrage erklärt er mir, dass ihm eine Stimme sage, dass er nicht dort sein dürfte, obwohl es sein sehnlichster Wunsch sei. Mit Unterstützung von mir spürt er die Überzeugung, an diesem Ort sein zu dürfen und weist die innere Stimme an, ihn in Ruhe zu lassen und wegzugehen. Der Satz „ich verdiene es, mich gut zu fühlen“ erweist sich als zentraler Satz dieser Sitzung.

Das Ziel der zweiten Sitzung ist die analytische Arbeit an der Ursache. Der Klient vertraut mir an, dass er bereit ist, während der Hypnose zu erbrechen, wenn es ihm nur dabei helfe, den Knoten zu lösen. Dieses halte ich für nicht notwendig. In Trance wird er nach den körperlichen Symptomen in einer regelmäßig wiederkehrenden Situation im Rahmen eines Geschäftsfrühstücks befragt. Er schildert verschiedene Symptome, erstaunlicherweise bezieht sich keines auf seinen Magen. Die Symptome werden als mittelstark erlebt. Nun wird mit dem Klienten die vorher besprochene Zeitlinie implementiert und die Positionierung durch ihn beschrieben. Anschließend wird er ermuntert, seiner Zeitlinie in die Vergangenheit folgend zu dem ersten Ereignis zu springen, an dem diese körperlichen Symptome zum ersten Mal aufgetreten sind. Hierzu erhält er sofort das vorher beschriebene Bild mit acht Jahren. Auf meine Intervention hin bewegt er sich in Jahresschritten auf der Zeitschiene weiter rückwärts, um weitere Bilder hochkommen zu lassen, die ggf. ebenfalls einen Bezug zu seiner aktuellen Thematik besitzen. Es findet sich kein weiteres verbundenes Ereignis, er nutzt allerdings die Gelegenheit, bei der erneuten Bewegung in Richtung des bereits benannten Ereignisses Situationen aus verschiedenen Jahren zu visualisieren. Ein wichtiger Moment ist hierbei das Spüren von starker Traurigkeit beim Erleben des kleinen Jungen voller Neugierde, Lebensfreude und Energie. Der Klient fühlt die Diskrepanz seines aktuellen Lebensgefühls mit dem des kleinen Jungen seiner Vorstellung. Das Lebensgefühl des kleinen Jungen wird im Verlauf der Sitzung wieder als Ressource in das Erleben des Klienten implementiert.

Beim Betrachten der identifizierten Auslösersituation zeigt sich der kleine Junge zusammen mit einer befreundeten Frau am Buffet einer Feierlichkeit. Die Frau häuft dem Jungen viele verschiedene Leckereien auf und ermuntert ihn alles zu probieren. Der Junge folgt den Worten, überhört dabei sein Sättigungsgefühl und erbricht schließlich das gesamte Essen vor den Augen der Festgesellschaft.

Direkt im Anschluss an dieses Erleben kommuniziert der Klient der Frau die Grenzüberschreitung und teilt ihr sein deutliches „Nein“ mit. Seine Spannung löst sich im gleichen Maße, wie er wahrnimmt, dass die Frau ihm nichts Böses wollte, sondern ihn an ihrer Freude über das Buffet teilhaben lassen wollte. Er spürt ebenso, dass sich die Festgesellschaft nach einem Augenblick des Innehaltens und Erstaunens wieder mit ihren eigenen Dingen beschäftigt und nicht, wie von ihm über Jahrzehnte hinweg abgespeichert, über einen langen Zeitraum fassungslos den kleinen Jungen betrachtet.

Es gelingt dem Klienten sogar aus eigenem Antrieb, die Situation neu ablaufen zu lassen und für sich umzudeuten. Der TimeLine- Methode folgend wird dann der Klient auf seiner Zeitschiene nach oben in die Höhe gezogen bis 30 Minuten vor das Ereignis und anschließend dabei unterstützt, mit jedem Ausatmen die Symptome mehr und mehr verschwinden zu lassen, bis sie vollständig aufgelöst sind. Im Anschluss daran wird das Erleben in der Auslöser- und der Ausgangssituation getestet. Erwartungsgemäß sind die Symptome nicht mehr vorhanden.

In der anschließend visualisierten Ausgangssituation des Geschäftsfrühstücks isst der Klient sogar auf eigene Intention mit Genuss verschiedene Dinge und findet sich auf dem ihm zustehenden Platz am Tisch wieder. Er genießt die Situation in sensu sehr. Zum Abschluss wird verankert, dass das Unterbewusstsein genau weiß, welche Menge an Nahrung gut und gesund für den Klienten ist (seine Sorge bestand darin, zu viel zu essen). Außerdem wird das wiederentdeckte Lebensgefühl des kleinen Jungen integriert.

Das Resümee

Der Klient fährt unmittelbar nach der zweiten Sitzung auf eine mehrwöchige Geschäftsreise ins Ausland und beschreibt per E-Mail seinen Status quo als entspanntes Gefühl beim Essen mit Fremden. Die Integration der neuen Erfahrungen in den Alltag vor Ort steht noch aus. Die therapeutische Begleitung wird nach der Rückkehr des Klienten fortgeführt.


Hypnose ist ein Begriff, zu dem jeder Mensch eine eigene, irgendwie geartete Assoziation hat. Als Showhypnose ambivalent gesehen ermöglicht sie in der therapeutischen Anwendung eine lösungsorientierte Behandlung.

In dem Gutachten zur wissenschaftlichen Anerkennung der Hypnotherapie des wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie aus 2006 (nach §11 PsychThG, Gutachten zur Wissenschaftlichen Anerkennung der Hypnotherapie, Vorabversion, www.meg-tuebingen.de/ downloads/GutachtenWBP.pdf) wird Hypnotherapie wie folgt definiert: „... ein psychotherapeutisches Verfahren, das die Induktion hypnotischer Trance als einen veränderten Bewusstseinszustand dazu nutzt, problematisches Verhalten, problematische Kognitionen und affektive Muster zu ändern, emotional belastende Ereignisse und Empfindungen zu restrukturieren und biologische Veränderungen für Heilungsprozesse zu fördern.“

Die in Trance von mir verwendete TimeLine- Methode wurde in den 1980er Jahren von Tad James entwickelt. Der Hypnosetherapeut Hans-Peter Zimmermann hat nach eigenen Erfahrungen diese Methode um Elemente der Tiefenpsychologie, der Regressionstherapie und des Psychodramas ergänzt.

Michaela Buck Michaela Buck
Dipl. oec. troph.
Studium der Arbeits- und Organisationspsychologie im Nebenfach, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Managementposition im Bereich IT & Organisation, nebenberuflich in freier Praxis tätig, Ausbildung in Transaktionsanalyse, Hypnose, Psychoonkologie und Sterbebegleitung.
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