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In der Praxis: der aggressiv-entwertende Kommunikationsstil

„Du bist schuld!“ „Du bist dumm!“ „Du bist erbärmlich!“ „Du kannst mir nie das Wasser reichen!“ „Gib klein bei!“ „Deine Bemerkungen sind krankhaft!“ „Du bist wertlos!“

Kommunikation als Angriff. Kennen Sie jemanden, der in dieser Art über andere spricht? Und im Gegensatz dazu, so oder ähnlich über sich selbst spricht:

„Ich bin besser als du!“ „Mir kann keiner was!“ „Ich weiß es besser!“

Vielleicht sind Sie bei den vorherigen Sätzen erschrocken, da Sie diese Art der Kommunikation eventuell an eine Ihnen unangenehme Person erinnert hat? Bestenfalls haben Sie nur etwas geschmunzelt und sind an eine vergangene Episode in Ihrem Leben erinnert worden?

Solche Mitmenschen begegnen einem immer wieder: im Großraumbüro von Firmen (oft besonders laut sprechend), beim Einkaufen im Supermarkt (z. B. wenn sie sich laut artikulierend vordrängeln) und in noch vielen anderen Situationen. Manche Menschen versuchen, diesen Personen möglichst irgendwie auszuweichen, sie zumindest halbwegs zu ignorieren oder schlimmstenfalls auch in eine Konfrontationsspirale mit ihnen einzusteigen.

Im Alltag gibt es manchmal Möglichkeiten, den Kontakt und die Kommunikation zu diesen Menschen zu vermeiden. Doch was tun, wenn das nicht möglich ist? Wenn es sich um den Vorgesetzten handelt, der so kommuniziert, oder gar um einen Ihrer Klienten (immer m/w/d)?

„Viele Menschen beschweren sich innerlich ständig beim Leben, es sei ungerecht zu ihnen. Sie selbst machen sich durch diese Haltung zum Opfer und erschaffen sich schmerzhafte Wiederholungen.“ (Robert Betz)

Der Kommunikationspsychologe Professor Friedemann Schulz von Thun hat acht Kommunikations- und Interaktionsstile beschrieben.1) Für diesen Artikel habe ich den aggressiv-entwertenden Kommunikationsstil ausgewählt, da er so ziemlich alle Eigenschaften aufzeigt, die man meines Erachtens als Therapeut keinesfalls haben sollte. Und weil man vermutlich gegen diesen Stil der Kommunikation die größten inneren Widerstände hat. Vermutlich stimmen mir hier wohl nicht nur die Gesprächspsychotherapeuten zu, die bekanntermaßen genau das Gegenteil propagieren: bedingungslose positive Wertschätzung, Empathie und Kongruenz.

Woher kommt nun dieses aggressive und entwertende Verhalten, das viele Mitmenschen nicht nur abschreckt, sondern oftmals auch sprachlos macht? Diese Selbstdarstellung, die einerseits Stärke und Unverletzlichkeit suggeriert, andererseits durch gezielte Herabsetzung gleichzeitig am Selbstwert des Gegenübers massiv rüttelt?

Wie so oft, ist das, was man überbetont (hier: Aggression und Entwertung/Ablehnung des Gegenübers), genau das, wovor man selbst am meisten Angst hat (vgl.: Das Prinzip der Schatten, C. G. Jung).

„Was von außen so aggressiv und bösartig, so verächtlich und überkritisch aussieht, hat eine überaus verletzliche und verzweifelte Innenseite: Harte Schale – weicher Kern, heißt es im Volksmund.“2)

Das Kleinmachen des Gesprächspartners durch Fokussieren auf dessen Fehler und Schwächen ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist das Sicherheben über den anderen, um unter keinen Umständen etwas von den eigenen Schwächen oder gar Fehlern zu zeigen – also das Verbergen des eigenen Minderwertigkeitsgefühls um jeden Preis!

Als Ursache für dieses auffallende Verhalten vermuten Psychologen schwere Demütigungen und/oder Herabsetzungen in der Kindheit. Wie tief die Verletzungen in der Kindheit gewesen sein mussten, um solch ein Verhalten zu provozieren, kann man nur erahnen.

Letztlich ist es eine Art Schutzmechanismus, der verhindern soll, dass sich Situationen wie damals in der Kindheit im Jetzt wiederholen. Der aggressiv-entwertende Kommunikationstyp versucht, andere kleinzuhalten, um selbst nicht zum Opfer zu werden. Dafür wird sehr viel Energie aufgebracht, um nur ja nicht in die Gefahr der Unterlegenheit zu kommen.

„Der wütende Mensch sieht selten bis nie, dass seine Wut seiner Ohnmacht entspringt. Menschen werden deshalb wütend, weil sie sich innerlich ohnmächtig, hilflos, klein, unfrei und handlungsunfähig fühlen. So wie damals in der Kindheit, der Zeit als wir noch keine Macht hatten.“ (Robert Betz)

Die „Techniken“, die dieser Kommunikationsstil-Typ nutzt, können vielfältig sein. Von Manipulation bis zur absoluten Bösartigkeit. Von Ironie über suggestive Fragen bis zu Bemerkungen „unter der Gürtellinie“ und dem Ignorieren von Bemerkungen des Gesprächspartners. Oder schlimmstenfalls der kompletten Ignorierung des Gegenübers.

Der apodiktische Gesprächsstil dieser Menschen ist geprägt von unumstößlich geltenden Aussagen, die „selbstverständlich“ unstrittig sind. Zumindest für den Sender der Botschaft. Er tritt bestimmt und oftmals mit schlagender Beweiskraft auf, duldet keine andere Meinung oder gar Widerspruch und dies macht er gegenüber anderen Menschen unmissverständlich in einem abwertenden, verletzenden Ton eindeutig klar.

Kurz zusammengefasst: „Ich bin oben und unfehlbar, mir kann keiner etwas! Du hingegen bist unten und schuldig. In jedem Fall!“

„Die Liebe versteht, fühlt mit, öffnet das Herz und erkennt das, wogegen wir in uns selbst gekämpft haben. Erkenne die Quelle deiner Wut – sie liegt in dir selbst.“ (Robert Betz)

Vielleicht haben Sie beim Lesen des Textes mehrmals zu sich gesagt, dass Sie mit solchen Menschen freiwillig nichts zu tun haben wollen. Manchmal bleibt uns jedoch nichts anderes übrig, als sich mit diesen Menschen doch „auseinanderzusetzen“. Im einfachsten Fall reicht es aus zu wissen, dass dieser aggressiv-entwertende Kommunikationsstil auf Unterlegenheit, Unzulänglichkeit und Wehrlosigkeit in der Kindheit des Aggressors fußt. Meist reicht es aber nicht alleine aus, zu wissen, dass man als „Spiegel“ der Kindheitskonflikte des Gegenübers mit seinen damaligen Bezugspersonen (bei denen er regelmäßig unterlag) missbraucht wird.

Wichtig im Umgang mit diesem streit- und angriffslustigen Typus ist, dass man versucht, immer wieder zur Sachebene zurückzukehren. Dies ist oftmals nicht so einfach umsetzbar, da man selbst möglicherweise von den verletzenden Aussagen des Gegenübers emotional „getriggert“ wird. Vor allem entwürdigende Zuschreibungen können meist nicht so einfach weggesteckt werden.

Das macht es besonders schwierig, Aussagen nicht persönlich zu nehmen. Wer es schafft, nun auch noch Wertschätzung für die Leistungen dieses Menschen aufzubringen, der kann einiges erreichen und das Verhalten dieser Person positiv beeinflussen. Damit meine ich nicht, manipulativ oder schlimmstenfalls „angepasst“ vorzugehen, sondern sachlich und auf der Erwachsenenebene.

Benutzen Sie Ich-Botschaften und grenzen Sie sich emotional ab. Steigen Sie nicht in die Eskalationsspirale ein, sondern kommen Sie im Gespräch wieder auf die Sachebene.

In der therapeutischen Praxis sollte eines der Ziele für den Klienten sein, Anerkennung und Würdigung anderer Menschen wieder zuzulassen. Und zu lernen, Selbstkritik zu üben.

Dass dies kein einfacher Weg ist, liegt auf der Hand. Auch dass die Metamorphose hin zu einem gesellschaftlich akzeptablen Kommunikationsstil Zeit benötigt, ist offensichtlich: Jahre- oder gar jahrzehntelang eingespieltes Verhalten mit großer Angst im Hintergrund verändert sich nicht über Nacht.

Die gute Nachricht ist jedoch, dass es möglich ist, diesen unerwünschten und alle Seiten schädigenden Kommunikationsstil zu ändern. Unser Gehirn ist plastisch und bis ins hohe Alter lernfähig. Dies ermöglicht es uns, aus destruktiven Verhaltensweisen auszusteigen. Basis dafür ist das Wecken der intrinsischen Motivation des Betroffenen mit seinem ureigensten Wunsch der Veränderung, durch professionelle Anleitung und Hilfe. Dann kann vieles gelingen.

Quellen
1) https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunikationsstile_nach_ Schulz_von_Thun und https://www.schulz-von-thun.de/
2) http://www.germanistik-kommprojekt.uni-oldenburg.de/sites/1/1_08_v4.htm

Günter Kaindl
Heilpraktiker für Psychotherapie, Praxis in München seit 2012

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