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Schlafen! Ein Besuch in der Schlafschule

307363741 WeckerJeder, der einmal eine durchwachte Nacht hinter sich gebracht hat oder sich trotz ausreichenden Schlafs wie gerädert fühlt, weiß, wie essenziell qualitativ guter Schlaf für die psychische und physische Regeneration des Körpers ist. Während eine gelegentlich auftretende Schlafstörung meist noch gut kompensiert werden kann, gelingt dies bei einer chronischen Schlafstörung zunehmend schlechter.

In ihrer Schlafschule begleiten Christine Hamm und Ute Dohmen Menschen mit Insomnien, d. h.: Ein- und Durchschlafstörungen. Mit diesem verhaltenstherapeutischen Ansatz soll alternativ oder in Ergänzung zu einer Medikation ein erholsamer Schlaf wiederhergestellt werden.

Die Schlafmedizin ist eine eher junge Disziplin. Seit 1998 können ärztliche und nicht ärztliche Berufsgruppen den Qualifikationsnachweis Somnologie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin erwerben. Erst seit 2004 kann die Zusatzbezeichnung Schlafmedizin bei den Ärztekammern erlangt werden. Aktuell werden Schlafstörungen in folgende Störungsbilder unterteilt:

  • Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Dyssomnien
  • Insomnien (Ein- und Durchschlafstörungen)
  • Hypersomnie (übermäßige Tagesschläfrigkeit)
  • Parasomnien (schlafgebundene Schlafstörungen)

Insbesondere die Hypersomnien und die Insomnien sind Störungsbilder, die in der ambulanten Versorgung einen bedeutenden Raum einnehmen. Von den Patienten (immer m/w/d), die wegen Schlafstörungen einen Arzt aufsuchen, erhalten 31 % die Diagnose Insomnie und 28 % die Diagnose schlafbezogene Atemstörungen im Rahmen der Hypersomnien (s. DAK-Gesundheitsreport 2017).

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Nach der American Academy of Sleep Medicine (AASM) sind bei der Insomnie beim Erwachsenen u. a. folgende diagnostische Kriterien ausschlaggebend:

  • Klagen über Ein- und Durchschlafstörungen bzw. schlechte Schlafqualität
  • mindestens dreimal pro Woche über einen Monat
  • übertriebene Sorge am Tag und in der Nacht bzgl. der negativen Auswirkungen der Störung
  • deutliche, störende Auswirkungen auf die soziale und berufliche Leistungsfähigkeit als direkte Folge der Schlafstörung

Oft gehen die Betroffenen erst spät zum Arzt, meist wenn der Leidensdruck deutlich gestiegen und der Alltag in erheblichem Maße beeinträchtigt ist. Bis zu diesem Zeitpunkt haben sie nicht selten in Eigenregie zahlreiche Methoden und frei verkäufliche Mittel ausprobiert, die nicht ausreichend und/oder nicht langfristig wirken. In einem Zustand zunehmender Frustration und Hilflosigkeit wachsen die Ängste und Sorgen bezüglich der Auswirkungen des Schlafmangels. Dies hat häufig eine weitere Eskalation und Chronifizierung der Störung zur Folge.

Der Anteil von Einschlaf-/Durchschlafstörungen in Nordrhein-Westfalen ist laut dem DAK-Gesundheitsreport von 2017 im Laufe der letzten Jahre deutlich gestiegen (s. Abb.). Während 2010 knapp 50 % der Bevölkerung über Schlafstörungen in den letzten vier Wochen klagten, zeigt die Befragung in 2017 einen Anstieg auf 80 %.

Während Diagnostik und Therapie von schlafbezogenen Atemstörungen (z. B. Schlafapnoe-Syndrom) durch die ambulante und stationäre Versorgung in Lungenfacharztpraxen und Schlaflaboren mittlerweile gut etabliert sind, ist dies bei Insomnien eher nicht der Fall. Ein Grund hierfür ist, dass die Schlafmedizin über lange Zeit eher stiefmütterlich im Medizinstudium behandelt wurde und so Schlafstörungen nicht immer adäquat diagnostiziert und behandelt werden. Es gibt nach wie vor nicht genügend niedergelassene Schlafmediziner und Somnologen, die diesen Bedarf decken.

Es überwiegt die Diagnose einer organischen Insomnie, therapeutische Ansätze beschränken sich oft auf eine rein medikamentöse Therapie. Letzteres ist wahrscheinlich auch der knapp bemessenen Zeit geschuldet, die Allgemeinmedizinern für eine umfassende Anamnese und Diagnosestellung in ihrem Praxisalltag zur Verfügung steht.

60437879 uebermuedetEine nicht organische Insomnie überwiegt aber gerade im jüngeren Patientenkollektiv. Die korrekte Erfassung der Kennzahlen ist allerdings in der aktuellen Kodierpraxis problematisch, da die Insomnien oftmals inkorrekt kodiert und häufig nur als Symptom erfasst werden. Daher ist eine fundierte Darstellung der Inzidenz in Deutschland erschwert. Dies wäre im Gegenzug für eine bedarfsgerechte Versorgung für diese oftmals mit einem hohen Leidensdruck einhergehenden chronischen Erkrankungen essenziell wichtig.

Gerade bei der Chronifizierung einer Schlafstörung spielt die psycho-physiologische Reaktion auf die erlebte Schlaflosigkeit eine wichtige Rolle. Wir sehen bei allen Patienten eine zunehmend angespannte Haltung gegenüber ihrem Schlaf. Herzklopfen, Muskelverspannungen, eine innere Unruhe und Grübeln begleiten Einschlafprozesse und stehen dem Schlafeintritt im Weg.

Genau bei diesen Prozessen gilt es anzusetzen und die Patienten mit verhaltenstherapeutischen Methoden von ihrer Angst vor der Schlaflosigkeit und den Konsequenzen zu befreien, ihnen eine entspannte Haltung zum Schlaf zu vermitteln.

Wir wollen im Folgenden diesen methodischen Ansatz vorstellen, der auf den Anleitungen des Schlaftrainings von Tilman Müller und Beate Paterok basiert.

Herzlich willkommen in der Schlafschule – ein Blick hinter die Kulisse

„Warum bin ich hier?“ „Was wünsche ich mir?“ Der erste von insgesamt sechs Abenden beginnt ähnlich wie ein Kurs in der Abendschule und ist geprägt von gegenseitigem Kennenlernen und der Erkenntnis, dass man nicht der einzige Mensch auf der Welt ist, der nicht schlafen kann. Im Anschluss formulieren wir eine konkrete Zielsetzung für die anstehende Zeit.

Die meisten unserer Schüler haben bereits eine vage Ahnung von dem, was sie bezüglich ihres Schlafverhaltens anders machen sollten. Allen gemeinsam ist, dass sie den beschriebenen Teufelskreis der Insomnie allein nicht mehr durchbrechen können. Alle haben Lust, in Sachen Schlaf noch mal die Schulbank zu drücken.

Das Prinzip des Trainings basiert vor allem auf der Schlafrestriktion und der Regelmäßigkeit der Bettzeiten. Letzteres leuchtet allen noch ein, aber spätestens beim Thema Schlafrestriktion blicken wir regelmäßig in erstaunte Gesichter. „Ich kann nicht schlafen und soll jetzt noch weniger schlafen?!“, diese Vorstellung ängstigt zunächst. Indem wir die Bettliegezeit auf die geschätzte Schlafzeit (mindestens aber 5 Stunden) beschränken, erhöhen wir den Schlafdruck und verbessern somit die Schlafeffizienz. Die Müdigkeit als Schlafmittel.

Unser wichtigstes Werkzeug für die nächste Zeit wird das Schlafprotokoll, das die Patienten bereits 10 bis 14 Tage vor Beginn der Schlafschule führen. Hier wird immer wieder das persönliche Schlaffenster festgelegt und beobachtet.

Oft verläuft diese erste Woche sehr erfolgreich. Schlafentzug kann kurzfristig stimmungsaufhellend wirken – wir kennen das aus der Behandlung von depressiven Patienten – und so ist der zweite Abend häufig von fröhlichen Erfolgsberichten geprägt. Gemeinsam entwickelt die Gruppe Strategien im Umgang mit der Müdigkeit.

In einem kleinen Impuls geht es um „Lerchen und Eulen“ und die Bedeutung von biologischen Rhythmen. Da jetzt mehr wache Zeit zur Verfügung steht, bitten wir die Teilnehmer, sich Gedanken über Aktivitäten zu machen, z. B. eine neue Morgenroutine. Sie ahnen bereits, warum: Die zweite Restriktionswoche beginnt und die Anfangseuphorie verblasst nun schnell!

Wir haben uns dazu entschlossen, das Konzept nach Müller und Paterok um einige Angebote zu erweitern. An diesem Abend bieten wir eine kurze Anleitung der progressiven Muskelrelaxation an.

Der dritte Abend – ab jetzt wird es anstrengend. Erfahrungsgemäß sind unsere anfangs so euphorisch und hoch motivierten Schüler spätestens jetzt „ziemlich geschlaucht“. Schnelle Ergebnisse sind kaum feststellbar, die Müdigkeit nimmt gefühlt zu und das Gedankenkarussell dreht sich stetig weiter. Da braucht es viel Tee und gute Worte ...

An diesem Abend beschäftigen wir uns damit, wie Schlafstörungen entstehen und aufrechterhalten werden. Dabei blicken wir konkret auf die individuellen Geschichten unserer Teilnehmer und eines wird schnell klar: Trotz unterschiedlicher Biografien haben sich ursprüngliche Auslöser wie in einem Teufelskreis verselbstständigt und man fühlt sich den schlaflosen Zeiten hilflos ausgeliefert. Die Sorge um den Schlaf bewirkt genauso wie früher konkrete Probleme: Die Anspannung steigt und überträgt sich in einem kontinuierlichen Konditionierungsprozess auf das Bett.

Was nun? Wir üben die Technik der kognitiven Umstrukturierung, um das persönliche Gedankenkarussell anhalten zu können, entkatastrophisieren die schlaflosen Nächte, testen Realitäten und arbeiten mit der Sprache als Veränderungsinstrument. Beispielhaft seien hier Ansätze wie das Ruhebild, der Gedankenstuhl und das systematische Problemelösen, der Gedankenstopp und nicht zuletzt die paradoxe Intention nach Viktor Frankl genannt.

230366894 AusgeschlafenErfahrungsgemäß erlernen alle an diesem Abend mindestens eine passende Methode für die vierte Woche, die bei regelmäßiger Übung zur weiteren Stabilisierung des Schlafs führt. Hausaufgabe für die kommende Woche ist die weitere Aktivitätenplanung, um elend lang erscheinende und von Müdigkeit geprägte Abende irgendwie gut und sinnvoll zu überstehen.

Am vierten Abend der Schlafschule gibt es einen kleinen Ausflug in die Biologie. Auf einer Reise durch die Nacht vermitteln wir aktuelles Wissen zum Schlaf. Wir begreifen, wie man mit nächtlichem Aufstehen, Laptop oder spätem Kaffeetrinken den Biorhythmus irritieren und sich dadurch selbst erfolgreich vom Schlaf abhalten kann. Das Zusatzangebot an diesem Abend ist eine kleine Achtsamkeitsübung – der Drei-Minuten-Atemraum aus dem Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR). Am vorletzten Abend geht es schließlich um gängige Medikamente und deren mögliche Nebenwirkungen. Wie an allen Abenden wird das persönliche Schlaffenster (hoffentlich nach oben) korrigiert und wir schließen den Abend mit einer kleinen Yogaeinheit ab. Die Teilnehmenden erhalten die entsprechende Anleitung und Audiodatei für zu Hause.

In der letzten Sitzung ziehen wir ein Resümee und blicken auf die anstehende Zeit. Erfahrungsgemäß macht es Sinn, sich weitere zwölf Wochen an die Schlafrestriktion zu halten, damit sich das Schlafverhalten dauerhaft stabilisiert.

Im Fall einer Verschlechterung der Schlafqualität oder -quantität helfen die erlernten Tools. Natürlich stehen Christine Hamm und Ute Dohmen weiterhin telefonisch zur Verfügung.

In diesem Sinne: Schlafen Sie gut!

Literatur zum Thema kann bei den Autorinnen abgefragt werden.

Christine HammChristine Hamm
Dipl.-Psychologin,
Somnologin (DGSM)


Ute DohmenUte Dohmen
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Organisationsentwicklerin, systemisch ausgebildeter Coach (BDVT)
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Fotos: ©Graphicroyalty, Worley Colvo Stock, Antonioguillem