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Erstkontakt zum Psychotherapeuten - Widerstände überwinden

„Deshalb hasste er auch niemanden so
inbrünstig wie die Psychiater,
die glaubten, sein ganzes schwieriges
Wesen mit ein paar Fremdworten
abtun zu können, als wäre
es für sie eine alltägliche Sache.“

Robert Musil

fotolia©PaulistaDer Erstkontakt zum Psychotherapeuten (immer m/w) oder auch zum Psychiater kostet viele Menschen, auch in der heutigen Zeit und gerade in unserem Kulturkreis, noch einige Überwindung. Daher wird der erste Kontakt von vielen oft unnötig lange hinausgeschoben. „Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt“, so sagt es ein berühmtes Zitat. Den ersten Schritt zu psychischer Entlastung machen Sie selbst gerade, denn Sie lesen diesen Artikel. Das Angebot an Lebensbegleitung, -unterstützung und anderen Hilfen ist vielfältig. Eines der Angebote anzunehmen, bedarf meist etwas Überwindung, und sei es nur den Telefonhörer in die Hand zu nehmen. Wenn Sie diesen inneren Widerstand überwinden, dann haben Sie bereits den zweiten Schritt Ihres Weges getan. Jeder nachfolgende Schritt fällt leichter als der erste.

Vordergründig gibt es viele vermeintlich offensichtliche Gründe, um den ersten Kontakt zu einem Therapeuten zu vermeiden: falsche Vorstellungen von Psychotherapie, ungute und manchmal als „mulmig“ empfundene Gefühle wie Scham, Schüchternheit oder Angst vor dem Unbekannten, dem Neuen, der Veränderung. Sieht man jedoch genauer hin, entpuppt sich so mancher „Grund“ als gut getarnter Widerstand der Psyche. Je mehr ein Mensch „im Kopf“ ist, desto intelligentere Ausreden wird er vorbringen, um zu begründen, warum gerade er keinen Bedarf an psychologischer Unterstützung hat. Manche Menschen perfektionieren ihr Vermeidungsverhalten soweit, dass sie ihr gesamtes Umfeld überzeugen, jedoch „irgendwie“ spüren, dass sie vor allem zu sich selbst nicht ehrlich sind.

Um dem zukünftigen Klienten den Zugang zu einem Therapeuten zu erleichtern, sind „niedrigschwellige“ Angebote hilfreich und m. E. unverzichtbar. Ein gewisser Abstand durch Anonymität ist sehr hilfreich, um den Erstkontakt zu erleichtern: durch das Internet und dessen Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen sich neue Optionen. Dazu gehören eine E-Mail-Kontaktmöglichkeit, eine Online-Terminvereinbarung und ansprechende, auch für den Laien leicht verständliche Praxis-Websites.

Ist der Klient erst einmal in der Praxis eines Psychotherapeuten zum Erstgespräch, ist es gut, sich als Therapeut bewusst zu machen, dass diesem Schritt bereits einige wichtige und auch mutige Entscheidungen des Klienten vorausgegangen sind. Und jeder dieser Schritte beinhaltet für manche Menschen eine eigene Hürde, über die sie manchmal nicht hinwegkommen.

Gelingt es dem Klienten, im weiteren Anbahnungsprozess und später dann in den Sitzungen mit Unterstützung des Psychotherapeuten Fortschritte zu erreichen, geschieht mitunter Erstaunliches. Die Energie, die bisher für das Halten von schwierigen Erlebnissen im Unterbewusstsein benötigt wurde, steht plötzlich anderweitig zur Verfügung und ist nun freie Lebensenergie. Für viele Menschen ist es oft nach Jahren der Abspaltung von Gefühlen, Unterdrückung von Emotionen um jeden Preis oder Verleugnung ihrer Gefühle (oder anderer Widerstandsmechanismen) das erste Mal, dass sie sich angstfrei auf ihre wahren Gefühle einlassen. Und nicht selten sagen Klienten dann Sätze wie diese:

„Endlich kann ich über das sprechen,
was mich am meisten beschäftigt.
Nun darf das heraus, was ich jahre-
lang, ein Leben lang in mir trug.“
„Der einfachste Mensch ist immer
noch ein sehr kompliziertes Wesen.“

Marie von Ebner-Eschenbach

Schon bei den ersten Impulsen, sich in einer psychisch schwierigen Situation erstmals professionelle psychotherapeutische Hilfe holen zu wollen, melden sich möglicherweise genauso viele Gegenimpulse. Von „Brauche ich das wirklich?“ bis hin zu „Ich bin doch nicht krank!“ melden sich die Gedanken und damit auch die Bedenken. Ist jedoch die Erkenntnis weit genug gereift und sind alle Bedenken als innerer Widerstand erkannt oder zumindest gedämpft, dann kommt die nächste Hürde, die es zu meistern gilt:

„Wie nehme ich Kontakt mit einem Psychotherapeuten auf? Rufe ich an? Melde ich mich auf der Website eines gegoogelten Therapeuten über ein angebotenes Formular an? Und: wie erkenne ich, dass es der oder die Richtige für mich ist? Soll der Therapeut ein Mann sein oder eine Frau? Was bedeuten die verschiedenen Therapeutenbezeichnungen und was ist der Unterschied zwischen diesen?“

Hinzu kommen noch sehr persönliche Fragen wie: „Soll ich es jemandem anvertrauen, dass ich vorhabe, zu einem Therapeuten zu gehen?“ bis hin zu ganz praktischen Fragen: „Kann ich die Therapie mit meiner Lebensplanung, meiner Arbeit vereinbaren? Zahlt die Krankenkasse die Therapie oder kann ich sie notfalls selbst bezahlen? Wie sind meine Rechte hier? Hat der Therapeut Abendsprechstunden, denn tagsüber bin ich ja im Büro?“

Und das sind nur einige Fragen, die sich der Laie stellt, der der künftige Klient ja meist ist. Als Therapeut denkt man über die besondere Situation vor dem Erstkontakt möglicherweise aus Routine nicht (mehr) nach; der Klient hingegen schon. Meist sogar sehr intensiv und auch über einen längeren Zeitraum.

„Es ist ein Gesetz im Leben:
Wenn sich eine Tür vor uns schließt,
öffnet sich eine andere.
Die Tragik jedoch ist, dass man meist
nach der geschlossenen Tür blickt
und die geöffnete nicht beachtet.“

André Gide

Zwischen dem ersten Impuls, sich an einen Therapeuten wenden zu wollen, und dem wirklichen Handeln, dem konkreten Besuch bei einem Therapeuten, vergehen oft große Zeitspannen. Einer meiner Klienten sagte einmal sinngemäß: „Ihre Anzeige in der Zeitung hatte ich schon vor langer Zeit ausgeschnitten und zu Hause an meine Pinnwand geheftet. Immer wenn ich daran vorbeikam, sagte ich mir, dass ich zu Ihnen gehen werde. Immer wieder habe ich es hinausgeschoben. Immer wieder Gründe gefunden, warum ich gerade heute nicht anrufen werde. Nun hat es doch fast ein Jahr gedauert, bis ich mich überwunden habe – nun bin ich in Ihrer Praxis und froh sowie sehr stolz über meinen Entschluss!“

„Wir werden vom Schicksal hart
oder weich geklopft;
es kommt auf das Material an.“

Marie von Ebner-Eschenbach

Nach all den hier beschriebenen Hemmnissen, die einen Besuch bei einem Psychotherapeuten vereiteln können, bekommt dieser Spruch eine tiefere Bedeutung:

„Wohin du auch gehst,
gehe mit deinem ganzen Herzen.“

Konfuzius

Das genau ist es, was ich oftmals erlebe: eine große Erleichterung beim Klienten, allein schon durch das Überwinden aller Hürden bis zum ersten Kontakt in der therapeutischen Praxis. Mit offener Bereitschaft, ganzem Herzen und festem Willen, nun die „eigentlichen“ Probleme mutig anzugehen.

Wenn also der Klient – endlich – in der Praxis angekommen ist, hat er bereits eine Menge „Hürden“ genommen. Dies sollte man unbedingt wertschätzen, wie ich meine. Wenn er dann auch noch eine starke intrinsische Motivation mitbringt, steht einer guten Zusammenarbeit zwischen „mutigem“ Klienten und „seinem“ Therapeuten nichts mehr im Weg!

Das Motto meiner Website „Erkenne dich selbst“ entstammt der Inschrift der Eingangssäule des Orakels von Delphi.

Passend dazu, meine Frage an Sie:

„Haben Sie sich schon einmal ehrlich gefragt, wie viel Widerstand Sie noch von Ihrem ersten Besuch bei einem Psychotherapeuten abhält?“

Günter KaindlGünter Kaindl
Heilpraktiker für Psychotherapie, Praxis für Psychotherapie in München

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Fotos: fotolia©Paulista