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Supervision im Team

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Die eigentliche Geschichte der Supervision als Angebot einer freiwilligen, angeleiteten Selbstreflexion beginnt im späten 19. Jahrhundert. Sie geht mit der Entwicklung zweier Berufe einher – denen des Sozialarbeiters und des Psychotherapeuten [Belardi, 16 ff.]. In den 1950er Jahren kam der Supervision u. a. durch die Bildung von Reflexionsgruppen nach Balint [ders., 12 ff.] und später durch den vermehrten Einsatz in organisationspsychologischen Arbeitsfeldern [vgl. hierzu Schreyögg, 1993] eine erweiterte Bedeutung zu. Heute kommt die institutionalisierte Supervision in unterschiedlichen Settings vor allem Therapeuten und helfend tätigen Menschen in sozialen Einrichtungen zugute.


MEIN VERSTÄNDNIS VON SUPERVISION

Prinzipiell halte ich Supervision und kollegiale Intervision für unabdingbar in allen Berufen, in denen Beziehungsarbeit und soziale Aspekte im Vordergrund stehen. In diesem Kontext begreife ich Supervision gemäß der o. g. Definition als eine freiwillige, angeleitete Selbstreflexion.

Im Verlauf einer Supervision gehe ich grundsätzlich davon aus, dass jede Äußerung, jede Meinung, Sichtweise, Interpretation und Bewertung auf die sehr unterschiedlichen Erfahrungen der Supervisanden zurückgeht. Deren Erfahrungshintergründe sind generell verschieden und die daraus resultierenden Meinungen müssen somit zwangsläufig auseinandergehen. Meinungsvielfalt, unterschiedliche Interpretationen und Bewertungen von beruflichen Situationen sind nicht außergewöhnlich, sondern üblich und Ausdruck einer unvermeidlich subjektiven Wahrnehmung. Meinungsvielfalt ist unbedingt zu akzeptieren – jede Meinung hat ihre Ursachen und ihre Existenzberechtigung. Diese konstruktivistische Sichtweise hat Konsequenzen für die Verantwortlichkeit der Supervisanden wie auch für die Rolle des Supervisors: Der Supervisand ist für seine Konstruktionen, Sichtweisen, Bewertungen und Entscheidungen verantwortlich. Wenn er einen Umstand als "Problem" definiert, so trägt er die Verantwortung für dieses Problem – und seine Lösung. Es wird nicht zum Problem des Supervisors. Der Supervisor ist weder Problemlöser noch Lehrer oder Ratgeber.

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Weiterhin halte ich den Aspekt der Freiwilligkeit für besonders bedeutsam. Das Hinterfragen des eigenen Verhaltens, der inneren Haltung, der emotionalen Gestimmtheit und der getroffenen Entscheidungen ist für viele Menschen mit Vorbehalten und unangenehmen Empfindungen verbunden. Auch Tätige in sozialen Arbeitsfeldern reagieren hier häufig mit Widerstand, vor allem dann, wenn im Rahmen der beruflichen Tätigkeit persönliche oder interpersonelle Konflikte auftreten oder wenn Kritik unkonstruktiv geübt oder aufgefasst wird. Wenn Selbstreflexion sinnvoll und zielführend sein soll, setzt das eine vertrauensvolle Offenheit gegenüber Kollegen und Supervisor voraus. Eine entsprechende Geisteshaltung kann nicht erzwungen werden. Damit erscheint die Forderung nach verpflichtender Selbstreflexion regelrecht paradox. Idealerweise sollte die Motivation der Supervisanden intrinsisch sein – in der Praxis trifft das nach meiner Auffassung auf Menschen in helfenden Berufen zumindest prinzipiell zu.

Supervision hat immer auch therapeutische Anteile - dennoch: Ressentiments der Supervisanden anzuerkennen und zu berücksichtigen ist für mich im Hinblick auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit besonders bei Gruppen- und Teamsupervisionen vorrangig gegenüber der Chance, Widerstand nach Freud’scher Prägung therapeutisch zu nutzen.

Daraus ergeben sich Einschränkungen für meine Tätigkeit als Supervisor. Aufträge nehme ich z. B. nicht an, wenn ausschließlich die Leitung einer Einrichtung Supervision nachfragt, sondern nur, wenn einzelne Mitarbeiter oder Teams dies tun. Mein Vorgehen während der Supervision ist grundsätzlich nicht direktiv. Ich kläre zunächst mögliche Settings mit den Supervisanden. Im Prozess leite ich zur Reflexion an, indem ich z. B. paraphrasiere, das Team über Entscheidungen Einzelner reflektieren lasse und Kommunikationsangebote mache, die einen konstruktiven Diskurs fördern.

Insbesondere stelle ich mich nicht zwischen Leitung und Team resp. Mitarbeiter, sondern beziehe zu beiden Seiten hin explizit eine neutrale Position. Dabei gilt Vertraulichkeit selbstverständlich als oberstes Gebot. Eine entsprechende Rollenklärung geht jedem Supervisionsprozess voraus.

Dass diese Rolle einzuhalten nicht immer leicht ist und sich Settings im Verlauf des Prozesses fundamental ändern können, zeigt folgendes Beispiel.

FALLBEISPIEL

Das Team einer Einrichtung, die chronisch psychisch kranke Menschen und z. T. mehrfach psychisch und körperlich Schwerstbehinderte betreut, hatte Supervision nachgefragt. Die Kontaktaufnahme erfolgte über die Einrichtungsleitung.

In einem Vorgespräch wurden Termine und Honorarfragen geklärt. Weiterhin klang an, dass eine effektive Kommunikation im Team nach Meinung der Leitung nicht vorhanden sei, was die Aufgabenbewältigung im Hinblick auf die ohnehin hohe Arbeitsbelastung erschwere. Es stellte sich schnell heraus, dass es nicht etwa Aufgabe des Supervisors sein sollte, Fallsupervision zu leisten. Vielmehr wollte das Team, das sich aus Sozialarbeitern, Sozialpädagogen, Diplompädagogen, Psychotherapeuten und Ergotherapeuten zusammensetzte, zu einer effektiveren Zusammenarbeit, selbstständiger Konfliktbewältigung und mehr Selbstorganisation angeleitet werden. Der hier gewünschte Prozess lässt sich wohl am ehesten als Teamsupervision beschreiben. Die Leitung sollte bei den Sitzungen – wie in der Teamsupervision üblich – nicht anwesend sein.

ZIELBESTIMMUNG UND CONTRACTING IN DER ORIENTIERUNGSSITZUNG

In einer probatorischen Sitzung wurde mit dem Team ein Kontrakt erarbeitet, der die Ziele des Prozesses beinhaltete. Mit Hilfe einer Kurzmoderation konnten drei Ziele als relevant herausgestellt werden:

  1. Die Erwartungen des Teams an die Leitung waren zu klären und zu formulieren.
  2. Die Kommunikation innerhalb des Teams sollte im Hinblick auf die Effektivität der Zusammenarbeit und das allgemeine Arbeitsklima verbessert werden.
  3. Die einschränkenden und unabänderlich erscheinenden Rahmenbedingungen der Arbeit sollten gesammelt und bezüglich möglicher Lösungsansätze eruiert werden.

Das Team war sich einig, dass die Effektivität der Zusammenarbeit verbesserungsbedürftig sei und dass eine Reihe von Problemen die tägliche Aufgabenerfüllung erschwere. Teamentwicklung wurde als systemischer Prozess begriffen, den das Team nach Abschluss der Supervision eigenständig weiterführen sollte. Die Teamsupervision wurde als geeignetes Mittel angesehen, das kollegiale Miteinander aufzuarbeiten und zu optimieren. Die Compliance des Patienten "Team" war also gegeben.

TEAMSUPERVISION ALS AUSGANGSPUNKT

Die Gruppe hatte eine ausgesprochen heterogene Zusammensetzung, sowohl hinsichtlich der beruflichen Spezialisierungen und Vorerfahrungen als auch der Arbeitshaltungen, die von liberal bis konservativ reichten. Dieser Umstand verursachte im Verlauf der ersten Sitzung eine kontrovers geführte Diskussion über persönliche, emotionale Probleme und "Haltungsfragen" einzelner Teammitglieder. Eine Konzentration auf die Zielsetzungen schien zunächst nicht möglich.

Es stellte sich heraus, dass zwar Konsens über die Ziele bestand, jedoch keineswegs über die Wege, auf denen die Ziele zu erreichen seien. Insgesamt wirkte das Team in Grundsatzfragen zerstritten, wenig selbstbewusst und desillusioniert. Die ersten Gespräche glitten immer wieder ab in Richtung Vergangenheitsbewältigung und Suche nach Ursachen und Verursachern. Hier wurde die Einrichtungsleitung schnell als "allein Schuldige" identifiziert. Die meisten Teammitglieder fühlten sich von der Leitung alleingelassen und vermissten Führung. Trotz anfänglicher Bedenken veranlasste mich die seltene Einigkeit des Teams in diesem Punkt dazu, das "Feindbild Leitung" als Katalysator zu nutzen.

Ausgehend von der Vorstellung, dass jedem menschlichen Verhalten eine positive Absicht zugrunde liegt, leitete ich die Teammitglieder an, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und sich selbst in die Lage der Leitung zu versetzen, wobei die emotionale Gestimmtheit der Leitung anhand konkreter Situationen explizit einbezogen wurde.

Man gelangte auf diese Weise zu der Einsicht, dass sich das Team in der Vergangenheit von der Leitung isoliert hatte und dieser nun misstraute. Die Leitung hatte diese Tendenz offenbar erkannt und reagierte ihrerseits mit dysfunktionalen Verhaltensmustern. Im Laufe der Zeit war so ein sich selbst verstärkender Kreislauf wechselseitiger Reaktionen entstanden, der mit jedem Zyklus größeres Misstrauen gebar. Schließlich kam das Team zu der Erkenntnis, dass folgende bisher präferierte Vorgehensweisen nicht zielführend sein können:

  1. Die Suche nach dem Verursacher (die der Frage gleicht, ob Henne oder Ei zuerst da waren)
  2. ein Vorgehen nach dem Rezept "Immer mehr vom ewig Gleichen" [Watzlawick, 126]

In der Folge konzentrierten sich die Gespräche auf die Identifikation und Umsetzung gangbarer Wege zur Erreichung der zuvor beschriebenen Ziele. Die Erwartungen an die Leitung wurden sachlich formuliert und besprochen, wobei es recht schnell zu einem Konsens kam. Als Kernpunkt dieser Erwartungen forderte das Team Führung ein.

DISKUSSION PERSÖNLICHER UND TEAMINTERNER PROBLEME

Beim Versuch, die Kommunikation innerhalb des Teams und das allgemeine Arbeitsklima aufzuarbeiten, wurden allerdings auch weiterhin persönliche Probleme einzelner Teammitglieder verstärkt angesprochen. Obwohl persönliche Anliegen nicht unbedingt im Fokus der Teamsupervision liegen, führte die Besprechung dieser Anliegen im vorliegenden Fall zu einer Klärung der Situation:
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Im Verlauf mehrerer Sitzungen kam es durch Einwürfe und intensive Klärungsbedürfnisse einzelner Supervisanden wiederholt zu einer Änderung des geplanten Settings. Die jeweilige Problematik wurde dann im Einverständnis mit dem Team vorrangig besprochen. Die übrigen Teammitglieder hielten sich mit Kommentaren und Reflexionen zurück. Stellenweise wurde so aus der Teamsupervision eine Fallbesprechung. Im Verlauf dieser Einzelprozesse traten verschiedentlich Redehemmungen einzelner Teilnehmer auf, in denen ein z. T. tiefgreifendes Misstrauen gegenüber anwesenden Teammitgliedern offenkundig wurde. In der vierten Sitzung wurde erstmals konkret ausgesprochen, dass ein Misstrauen innerhalb des Teams existiere, das durch die Zukunftsängste und Befürchtungen bezüglich der Arbeitsplatzsicherheit verstärkt würde. Die meisten Teammitglieder teilten diese Meinung.

Nachdem das Thema offen angesprochen war, veränderte sich das Teamklima schlagartig. Vielen Teammitgliedern war eine deutliche Erleichterung anzumerken; über fehlendes Vertrauen konnte nun auf einer Metaebene diskutiert werden. Verschiedene Missverständnisse der Vergangenheit wurden so nachträglich geklärt.

Es war möglich, dem Team zu vermitteln, inwiefern Menschen die Konstrukteure ihrer eigenen Wirklichkeiten sind und damit für ihre Konstruktionen verantwortlich [vgl. Hargens, J./Grau, U., 234]. Für die Teamarbeit ist es unumgänglich, eigene Meinungen, Werte und Einschätzungen regelmäßig mit den anderen Teammitgliedern abzugleichen, um Missverständnisse und Unsicherheiten zu reduzieren. Es wurde klargestellt, dass es in der Verantwortung jedes Einzelnen liegt, sich durch Nachfragen intersubjektiv der Realitätsbezogenheit der eigenen Ansichten und Entscheidungen zu vergewissern.

Resultierend wurde vorgeschlagen, sich nun auf vertrauensbildende Maßnahmen zu konzentrieren, um die vorsichtig optimistische Stimmung im Team zu stabilisieren. In der Folgesitzung bat ich das Team, sich in Kleingruppen Gedanken über mögliche Projekte zu machen, die vertrauensbildend wirken könnten. Ziel war es, möglichst mehrere, mindestens aber ein Projekt so weit zu konkretisieren, dass eine Realisierung möglich sein würde.

Teamentwicklung ist ein Prozess, der nicht mit dem Ablauf der letzten Supervisionssitzung endet. Im Gegenteil: Mit dem Abschluss der Supervision sollte das Team in der Lage sein, den begonnenen Prozess eigenständig weiter voranzutreiben, um neuen Herausforderungen flexibel zu begegnen. Die von mehreren Kleingruppen entworfenen Projekte stellten diesbezüglich eine gute Möglichkeit dar, zumal die Realisierung der Projekte in eine Zeit nach der Supervision fallen sollte.

Bereits im Planungsverlauf wurde klar, dass das Team – nun mit einem konkreten Weg vor Augen – sehr konstruktiv zusammenarbeitete; die Arbeit verlief ergebnisorientiert. Kleinere Meinungsverschiedenheiten wurden schnell und sachlich gelöst. Es schien so, als ob allein die Planung vertrauensbildender Maßnahmen bereits einen positiven Effekt auf das gegenseitige Vertrauen und die zugrunde liegenden Kommunikationsstrukturen hätte. Es wurde nun miteinander geredet statt übereinander, der Umgangston war kollegial.

ROLLE UND VERANTWORTUNG

Nach mehreren Sitzungen war durch ein Gespräch mit der Leitung ersichtlich, wie sensibel die Beziehungen zwischen Team und Leitung waren. In diesem Gespräch forderte mich die Leitung auf, die Protokolle der Supervisionssitzungen vorzulegen. In einer anfänglichen Rollenklärung hatte ich sowohl der Leitung als auch dem Team verdeutlicht, dass

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  1. Vertraulichkeit der Supervisionssitzungen und aller in ihrem Rahmen thematisierten Aspekte notwendige Bedingung für einen konstruktiven Prozess seien,
  2. der Supervisor außerhalb der Strukturen der Einrichtung agiert – somit also weder Vermittler zwischen Leitung und Team noch verlängerter Arm der Leitung oder Sprachrohr des Teams sein kann.

Forderungen dieser Art stellen den Supervisior schnell vor ein Dilemma: Wenn er der Forderung der Leitung nachkommt, begeht er einen Vertrauensbruch gegenüber dem Team, wenn er das ablehnt, begünstigt er das Misstrauen der Leitung dem Team und u. U. dem gesamten Supervisionsprozess gegenüber. Wenn er hingegen eventuelle Vorbehalte des Teams mit der Leitung diskutiert, macht er sich zum Vermittler und verliert schnell die Integrität seiner Rolle. Zudem steht nun mal immer auch die Überlegung im Hintergrund, dass die Leitung als Auftraggeber der Supervision agiert und zumindest ein berechtigtes Interesse am Fortgang des Prozesses hat und über diesen Fortgang informiert werden will.

Möchte man die notwendige Distanz wahren und seiner Rolle außerhalb existierender Strukturen gerecht werden, bleibt die Möglichkeit, Team und Leitung an ihre eigenen Rollen und Zuständigkeiten zu erinnern. Die Information der Leitung ist ein alltäglicher, interner Vorgang. Diese vertikale Kommunikation ist für ein funktionierendes Unternehmen und einen reibungslosen Arbeitsablauf ohnehin unerlässlich. Es obliegt somit der Leitung, ihr Informationsbedürfnis dem Team mitzuteilen – andererseits liegt es in der Verantwortung des Teams, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Derlei Vorgänge sollten ohne aktive Mithilfe des Supervisors vonstatten gehen.

Im vorliegenden Fall habe ich das Team auf das Informationsbedürfnis der Leitung hingewiesen und gebeten, eine einvernehmliche Regelung zu finden. Prinzipiell gab es keine Bedenken, die Protokolle weiterzureichen. Es wurde vereinbart, die Protokolle zunächst durch das Team genehmigen zu lassen, so dass Teammitglieder im Einzelfall die Möglichkeit hätten, Punkte umzuformulieren und Missverständnisse auszuräumen. Im Anschluss sollten die Protokolle dann an die Leitung übergeben werden, wobei die entsprechende Zuständigkeit wiederum in der Verantwortung des Teams lag.

ERGEBNIS UND RESÜMEE

Die eigentliche Teamsupervision war nach vier Monaten zunächst beendet, wobei allen Teammitgliedern klar war, dass der eigentliche Teamentwicklungsprozess andauern würde. In einer Abschlusssitzung gelang es, die Einrichtungsleitung zu integrieren. Der Supervisionsprozess wurde zusammengefasst und die wesentlichen Punkte erläutert. Im Anschluss ergab sich eine sachlich geführte Diskussion mit der Leitung, in deren Rahmen zunächst auf einer Metaebene und später auch inhaltlich sehr produktiv gearbeitet wurde. Die Integration der Leitung wurde vom Team als Erfolg gewertet. Für die während der Supervision begonnenen Projekte bestehen m. E. gute Aussichten, dass sie fortgeführt und abgeschlossen werden. Die Projekte erfüllen damit vor allem den Zweck, die weitere kooperative Zusammenarbeit des Teams ohne Anleitung durch den Supervisor zu trainieren.

Als wesentlich für den konstruktiven Ablauf einer Teamsupervision lassen sich folgende Punkte herausstellen:

  1. Rollenklärung: Bereits zu Beginn einer Supervision sollten die Rollen nachhaltig geklärt werden, wobei der Supervisor außerhalb existierender Strukturen steht. Weder ist es Aufgabe des Supervisors, als Sprachrohr des Teams zu agieren, noch als verlängerter Arm der Leitung. Die Bedeutung einer professionellen Distanz kann dabei gar nicht genug hervorgehoben werden.


  2. Probleme des Teams gehören dem Team: Der Supervisor ist kein Problemlöser, sondern leitet das Team an, Probleme zu thematisieren, sachlich zu diskutieren und einen Lösungsprozess zu initiieren.


  3. Positive Absichten unterstellen: Wenn Konfliktsituationen oder Probleme mit der Leitung thematisiert werden, ist es sinnvoll, prinzipiell positive Absichten zu unterstellen. Gerade in der Anfangsphase eines Supervisionsprozesses wird häufig nach Ursachen und Verursachern gesucht. Die Annahme grundlegend positiver Absichten erleichtert die Konzentration auf ein lösungs- und zielorientiertes und auf die Zukunft gerichtetes Verhalten.


  4. Als zentrales Element der Teamsupervision soll der Perspektivenwechsel dem Team ermöglichen, gewohnte Sichtweisen, Deutungsmuster und Bewertungen zu hinterfragen. Die bereits vorhandene Sichtweise der Teilnehmer wird um eine andere Sicht der sozialen Zusammenhänge und Interaktionen ergänzt und beide Sichtweisen werden miteinander in Beziehung gesetzt. So entsteht zu jeder angesprochenen Problematik ein Gegenmodell, das mit bisherigen Ansichten verglichen werden kann. In der Folge kann es zu einer Umbewertung oder Neubenennung des Problems kommen.

    Für diesen Vorgang, der sich im Verlauf der Supervision häufig wiederholt, ist ein konstruktivistischer Ansatz vorteilhaft. Er verdeutlicht die zwangsläufig vorhandene Subjektivität jeder Perspektive aufgrund der Gegebenheit, dass sich jedes Individuum seine Wirklichkeit auf Basis seiner Vorerfahrungen und Grundannahmen "zusammenkonstruiert". Hieraus leitet sich die Verantwortlichkeit jedes einzelnen Teammitglieds für seine persönliche Sichtweise und Wirklichkeit ab sowie für die daraus resultierenden Bewertungen und Handlungen. Kategorien wie "richtig" oder "falsch" verlieren an Bedeutung. Damit werden Grundsatzdiskussionenweitgehend überflüssig zugunsten einer Fokussierung auf lösungsorientierte Arbeit.

    Erkenntnisse des konstruktivistischen Ansatzes lassen sich auf unterschiedliche Weise höchst effektiv in die Teamsupervision integrieren.

    • Der Supervisor kann den Grundgedanken der Subjektivität aufgreifen und beim Paraphrasieren der Teamkommunikationen berücksichtigen. Emotional gefärbte Kommentare werden so sachlicher dargestellt und entschärft, Gemeinsamkeiten können durch Verallgemeinerung herausgestellt, Ansatzpunkte für Problemlösungen durch Spezifizierung gefunden werden.


    • Die verschiedenen im Team vorhandenen Sichtweisen können unter der Annahme der Eigenverantwortlichkeit jedes Teammitglieds diskutiert werden. Dysfunktionale Ansätze werden nicht als "falsch" identifiziert, sondern als "weniger viabel" und verbleiben im Diskurs.


    • Probehandeln ist integraler Bestandteil eines Problemlösetrainings und findet häufig in der Verhaltenstherapie Anwendung [Kirn, 198; Liebeck, 214 f.]. Im Rahmen der Supervision ermöglicht es bei hoher Ausgangssicherheit der Teammitglieder, Kommunikationen zu imaginieren und Kommunikationsverläufe zu antizipieren. Dabei können jeweils verschiedene Perspektiven "ausprobiert" werden.

  5. Flexibles Setting: Dass Störungen und Probleme vorrangig zu behandeln sind, ist selbstverständlich [vgl. Freudenreich/ Meyer, 216]. Aber auch darüber hinaus kann es sinnvoll sein, vom geplanten Setting abzuweichen. Gerade darin zeigen sich systemische und prozessorale Aspekte der Supervision: Nicht allein der inhaltliche Diskurs steht im Vordergrund; das "Wie" ist oft der Schlüssel zum Erfolg. Manchmal müssen bestimmte Themen angesprochen werden, damit der Prozess weitergeht – unabhängig davon, ob das Thema gerade ins Setting "passt".

In diesen zentralen Punkten zeigt sich, was im Wort Teamentwicklung impliziert ist: Sie ist ein Prozess, der ständig zu optimieren bleibt.

 

Dr. paed. Alexander Nolle
Psychologischer Berater
Geb. 1968 in Dortmund. Studium in Sozialpädagogik und Erziehungswissenschaften, abgeschlossen mit dem 1. Staatsexamen. Promotion mit den Schwerpunkten Organisationspädagogik, Konfliktmanagement und Organisationspsychologie. Weiterbildungen in Personalberatung und Moderation. Bis 2005 als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Angewandte Organisationspsychologie der Universität Dortmund in der Personalentwicklung tätig. Seit 1997 freiberuflicher Berater, Trainer und Prozessbegleiter. Arbeitsschwerpunkte: Personal- und Teamentwicklung, Konfliktberatung. Seit 2005 Arbeitskreisleiter des VFP e. V. in Dortmund.

Praxis für Psychologische Beratung,
Coaching und Mediation
An der Palmweide 55, 44225 Dortmund
Telefon/Fax 02 31/97 10 10 66
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
www.ppcm-dortmund.de

Literaturhinweise

Balint, M.: Der Arzt, sein Patient und die Krankheit. Stuttgart, 1965.

Belardi, N.: Supervision – Grundlagen, Techniken, Perspektiven. München, 2002.

Freudenreich, D./Meyer, U.: Supervision und Beratung mit der Themenzentrierten Interaktion.

In: Pallasch, W. (Hg.): Beratung, Training, Supervision. Weinheim, 2002, S. 213–223.

Hargens, J./Grau, U.: Konstruktivistisch orientierte Supervision - Nutzen und Nützen selbstrückbezüglicher Reflexionen. In: Pallasch, W. (Hg.): Beratung, Training, Supervision. Weinheim, 1992, S. 232–240.

Hautzinger, M./Linden, M. (Hg.): Verhaltenstherapiemanual. 5. Auflage, Heidelberg, 2005.

Kirn, T.: Imagination und kognitive Probe. In: Hautzinger, M./Linden, M. (Hg.): Verhaltenstherapiemanual. 5. Aufl., Heidelberg, 2005, S. 197–203.

Liebeck, H.: Problemlösetraining. In: Hautzinger, M./Linden, M. (Hg.): Verhaltenstherapiemanual. 5. Aufl., Heidelberg, 2005, S. 238–244.

Pallasch, W. (Hg.): Beratung, Training, Supervision. Weinheim, 2002.

Schreyögg, A.: Die Supervision von Therapie- Systemen als moderne Form der Organisationsberatung. In Wilker, F.-C. (Hg.): Supervision in der Praxis. Göttingen, 1993.

Watzlawick, P.: Münchhausens Zopf oder: Psychotherapie und "Wirklichkeit". Bern, 1988.

Wilker, F.-C. (Hg.): Supervision in der Praxis. Göttingen, 1993.