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Hirnforschung und Hypnose

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Der aufgeklärte Mensch neigt ja dazu, alle ihn unbekannten Phänomene zu ergründen. Ich selbst zähle mich durchaus auch zu dieser Gattung. Das tut er mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Die modernen bildgebenden Diagnoseverfahren haben in den letzten Jahren eine Flut von neuen Erkenntnissen liefern können. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf unser Verständnis über die Mechanismen, die sich hinter dem Phänomen Hypnose verbergen. Heute belegen zahlreiche Studien, die Hypnotherapeuten zusammen mit Neurowissenschaftlern angefertigt haben, dass sich tatsächlich in unserem Gehirn etwas tut.


UNTER HYPNOSE SIEHT MAN FARBEN, WO EIGENTLICH GRAU IST

Die Psychologen Stephen M. Kosslyn und William Thompson untersuchten an der Harvard Universität die Gehirnaktivität bei der Farbwahrnehmung unter Hypnose. Dabei zeigten sie acht rechtshändigen Testpersonen verschiedene Bilder mit grauen oder farbigen Formen. Sie sollten sich jeweils bei den farbigen Bildern die Farbe wegdenken und sich die grauen farbig vorstellen. Bei dieser Übung wurden die Probanden mit dem PETVerfahren überwacht.

Bei der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) wird der regionale Fluss des mittels radioaktiver Substanzen markierten Blutes im Gehirn gemessen. Es entstehen dynamische Bilder, die die Aktivität einzelner Hirnareale in Echtzeit abbilden.

Bei den rechtshändigen Testpersonen, deren dominante Hemisphäre, dort wo sich die übergeordneten Koordinationszentren (Sprechen, Rechnen …) befinden, links ist, wurden unter Hypnose neuronale Aktivitäten in beiden Gehirnhälften nachgewiesen. Bei den nicht hypnotisierten Probanden sprach hingegen nur die rechte Gehirnhälfte an.

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Unter Hypnose war es demnach den Testpersonen möglich Farben zu sehen, wo eigentlich nur graue Formen waren und im Gegenzug Grau zu sehen, wo sich farbige Formen befanden. Das zieht die Folgerung nach sich, dass unter Hypnose andere Erfahrungmodi möglich sind, als sie im Wachbewusstsein denkbar wären.

Die Forscher versuchen sich die Ergebnisse wie folgt zu erklären: Die rechte Hemisphäre ist für Suggestionen wesentlich empfänglicher. Diesem Bereich des Gehirns könne man leichter vorgaukeln z. B. Farben zu sehen, wo gar keine sind.

Die linke Hemisphäre mit ihren übergeordneten Koordinationszentren ist für das logische Denken verantwortlich. Die Hypnose helfe dieser Gehirnhälfte sozusagen etwas auf die Sprünge, die gängigen Assoziationsmuster zu umgehen, um neue Verhaltensmuster auszuprobieren.


Die Narkoseärztin Marie-Elisabeth Faymonville untersucht an der Universitätsklinik Lüttich gemeinsam mit einem Team von Hirnforschern die Wirkweise der hypnotischen Anästhesie und Analgesie. Dabei klebt sie den Testpersonen einen kleinen Heizdraht auf den Arm und testet die individuelle Schmerzgrenze. Durchschnittlich bei 48,5 °C ist diese erreicht.

Während sich die Personen bei dieser Prozedur in einem Positronen-Emissions- Tomographen (PET) befinden, sollen sie sich entweder entspannen oder aktiv Bilder eines schönen Ereignisses erinnern. Auf einer imaginierten Skala von 1 bis 10 skalieren die Probanden diesen Schmerz zwischen 6 und 7.

Das nächste Mal wird derselbe Versuch unter Hypnose durchgeführt. Abermals wird eine Temperatur von 48,5 °C über die Heizelektrode am Arm appliziert. Jetzt schätzen die Testpersonen jedoch den empfunden Schmerz zwischen 2 und 3 ein.

Die zahlreichen Untersuchungen haben bei den Forschern eine Modellvorstellung entstehen lassen, was unter Hypnose im Gehirn passiert. Im Wachzustand werden die Schmerzreize über afferente Bahnen des Rückenmarks an den Thalamus transportiert, einem Bereich des Zwischenhirns, über den fast alle Sinnesreize verschaltet sind. Von hier aus gelangen die Informationen weiter an den Cortex.

In Hypnose sind zusätzlich während dieser Verarbeitung noch zwei weitere Hirnareale aktiv. Man bezeichnet sie als pACC (perigenualer anteriorer cingulärer Cortex) und als aMCC (anteriorer mediacingulärer Cortex). Dort geschehen faszinierende Dinge. Der pACC sendet an das Zentrum der körpereigenen Schmerzabwehr verstärkt Impulse. Im Körper sorgt dies für die Ausschüttung endogener Opiate, die den Schmerz eindämmen. Mit dem aMCC werden auch in kurzer zeitlicher Distanz zahlreiche weitere Hirnareale aktiviert. Es sind Zentren, die für das subjektive Schmerzempfinden und die Reizverarbeitung zuständig sind. Sie beeinflussen die emotionale und psychische Bewertung des Schmerzes.

DIE BILDHAFTE VORSTELLUNG DOMINIERT UNTER HYPNOSE

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Auch beim Lernen von Wortpaarassoziationen konnten Veränderungen der kognitiven Verarbeitung unter Hypnose festgestellt (Abb. 1) werden.

Die Forscher um Prof. Dr. Ulrike Halsband an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg untersuchten sechs rechtshändige, hochsuggestible Testpersonen. Sie sollten zwölf Wortpaare mit hoher Bildhaftigkeit (z. B. Affe – Kerze, Sonne – Vogel) innerlich nachsprechen und erlernen. Man untersuchte das Lernverhalten sowohl in Trance als auch im Wachzustand. In der Wiedererinnerungsphase wurde den Probanden nur eines der beiden Worte präsentiert, das zweite sollten sie aus der Erinnerung assoziieren.

Sowohl die Hypnosegruppe als auch die Testpersonen im Wachzustand zeigten während der Lernphase (Enkodierungsphase) Aktivitäten in zwei Bereichen im Cortex in beiden Gehirnhälften, nämlich bilateral im präfrontalen Cortex und im anterioren cingulären Cortex.

Unter Hypnose konnte jedoch die Beteiligung eines zusätzlichen Areals festgestellt werden, dem occipitalen präfrontalen Cortex. Die Aktivität im präfrontalen Cortex verstärkte sich. Auch in der Wiedererinnerungsphase zeigten sich bei der Hypnosegruppe Unterschiede in der kognitiven Verarbeitung. Neben einer stärkeren Aktivierung der beteiligten Areale im Cortex konnte auch eine zusätzliche Aktivität des Sehzentrums nachgewiesen werden.

Eine nachträgliche Befragung der Probanden ergab, dass sie unter Hypnose die Wortpaare in Form von Bildern erlernt hatten. Das erklärt auch, weshalb sich die hypnotische Erinnerungsleistung bei abstrakten Wortpaaren (z. B. Moral – Buße) verschlechterte. Es existieren in der Zwischenzeit mehrere Studien, die zu einen ähnlichen Ergebnis führen. Die Wissenschaft erklärt hier, was empirisch schon lange belegt ist bzw. praktiziert wird.

Unter Hypnose findet eher eine bildhafte Verarbeitung statt. Dies steht auch im Einklang mit dem freudschen Modell des Primär- und Sekundärprozesses. Nach Freud unterscheiden wir im Denken zwischen unterschiedlichen Kriterien, zwischen Phantasie und Wirklichkeit, Wichtig- und Unwichtigkeit etc. Wir sind fähig, uns von anderen Personen zu unterscheiden, wodurch wir uns unserer eigenen Identität bewusst werden.

Er nennt diesen Vorgang Sekundärprozess. Davon grenzt er die Zustände des Traums, gewisse Psychosen und die Trance ab. Freud spricht hierbei vom Primärprozess. Bei diesem Denkmuster werden stärker die Gemeinsamkeiten zwischen den Dingen betont. Hierbei verlieren Zeit und Unterschiede an Bedeutung.

Im Primärprozess findet ebenfalls eine symbol- und bildhafte Verarbeitung statt. So hat etwa ein Weitspringer, der sich in Trance vorstellt er könne so weit springen wie ein Panther, eine bildhafte Repräsentation der- Suggestion. Gleichzeitig ermöglicht es dieses Verarbeitungsschema, dass er sich nicht an den Unterschieden der Anatomie stört. Der Hypnosetherapeut spricht hier von Trancelogik.

AUCH DIE GENE SCHEINEN EINE ROLLE ZU SPIELEN

Neueste Untersuchungen haben ergeben, dass es eine Korrelation zwischen bestimmten genetischen Eigenschaften und der Hypnotisierbarkeit gibt.

Eine wichtige Funktion hierbei scheint der Neurotransmitter Dopamin zu spielen. Genetisch bedingt existieren verschiedene Variationen der dopaminergen Erregung der Synapsen. Eine zentrale Rolle scheint das COMT-Gen (Catechol-O-Methyltransferase) zu spielen. Dieses Gen besitzt unterschiedliche Merkmale und ist somit in verschiedenen Variationen seines Genotyps vorhanden. Diese Vielgestaltigkeit, der Polymorphismus, wird bedingt durch den Austausch der Aminosäure Valin durch Methionin. Die individuelle Ausprägung des Basentausches beeinflusst die Aktivität des Gens.

Man untersuchte die Hypnotisierbarkeit von Probanden anhand der Stanford Hypnotic Susceptibility Scale in Abhängigkeit ihres jeweiligen Genotyps des COMT-Gens. Es stellte sich heraus, dass die Träger einer bestimmten Genvariation, des Valin/Methionin- Genotyps, höhere Werte auf der Hypnotisierbarkeitsskala aufwiesen.

Ein kausaler Zusammenhang zwischen den genetischen Anlagen und der Hypnotisierbarkeit konnte bislang jedoch noch nicht nachgewiesen werden.

SCHLUSSDISKUSSION

Abschließend lässt sich sagen, dass die moderne Wissenschaft heute viele Sachverhalte und Theorien ratifiziert, auf deren Grundlage bereits seit langem erfolgreich gearbeitet wird. Ich möchte aber auch zu bedenken geben, dass selbst die noch so objektiv durchgeführte Studie immer auch die individuellen (Lehr-)Meinungen der Auftraggeber bzw. der Durchführenden widerspiegelt.

Durch die Wahl der Methoden und die Orientierung an standardisierten Verfahren kann dieser Einfluss zwar minimiert werden, er lässt sich jedoch im Sinne einer Suggestion durch die Erwartungshaltung der Beteiligten nicht gänzlich eliminieren.

Von großer Bedeutung ist es außerdem, wer die Ergebnisse dieser Untersuchungen interpretiert. Ein feuriger Anhänger der Hypnotherapie wird dies auf ganz andere Weise tun als ein erklärter Zweifler. So war z. B. ein Kommentar zu den Experimenten bezüglich der Veränderung der Farbwahrnehmung unter Hypnose in der Fachzeitschrift des deutschen Psychotherapeutenverbandes zu lesen, dass ein therapeutisch sinnvoller Einsatz der Hypnose trotz der Untersuchungsergebnisse nicht möglich sei, da lediglich acht Prozent der Bevölkerung hochsuggestibel seien.

So kann ein Einzelergebnis zu einer völlig aus dem Kontext herausgerissenen These missbraucht werden, der die Interessen einzelner Lobbyisten stützt.

Es wäre zum einen zu klären, wie hoch wohl der Prozentsatz der Hochsuggestiblen unter psychisch besonders belasteten Menschen ist. Ein Angst- bzw. Panikerkrankter oder ein Phobiker etwa, zeichnet sich ja gerade durch die überwertige Selbstwahrnehmung, dem Katastrophalisieren und den negativen Suggestionen des eigenen Versagens aus. Alles Kriterien, die für eine hohe Suggestibilität sprechen.

Zum anderen wäre zu klären, ob eine hypnotherapeutische Intervention nicht auch der Schulung der inneren Wahrnehmung dient, zu mehr Selbstreflexionsfähigkeit, und letztendlich zur Erweiterung des individuellen Handlungsspielraumes führt und zwar auch bei weniger suggestiblen Klienten. Sind das nicht ebenfalls therapeutisch sinnvolle Ziele, die es lohnen, eine Behandlung durchzuführen?

Die moderne Wissenschaft kann uns heute viele Dinge erklären, die wir lange in unterschiedlichen Theorien konträr diskutiert haben. Umgekehrt sind die neuesten Ergebnisse aber für mich ein Plädoyer dafür, empirisch gesammelte Erfahrungen und interkulturelle Traditionen wie sie z. B. in der traditionellen chinesischen Medizin zahlreich existieren oder in psychotherapeutischen Techniken angewandt werden, nicht deshalb abzulehnen, nur weil sie momentan noch einer wissenschaftlichen Erklärung entbehren.




Andreas Brandl
ist Heilpraktiker und in eigener Praxis tätig.
Er arbeitet als freiberuflicher Dozent und Hypnosetherapeut in Nürnberg.
www.hypnopraxis.net
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Der Artikel ist ein Auszug aus diesem Buch.
Verlag Monsenstein und Vannerdat
ISBN 3-86582-327-0, 267 Seiten, 25 Abb.
Euro 16,80

Literatur
Deutsche Gesellschaft für Hypnose e. V. (Hrsg.): Neuro-biologische Grundlagen der Hypnose – neueste Erkenntnisse aus der Hirnforschung. 2006.

Deutsche Gesellschaft für Hypnose e. V. (Hrsg.): Presse-Informationen. 2005.

WDR Fernsehen, Quarks & Co. (Hrsg.) (Sendung vom 22.11.2005): Hypnose statt Vollnarkose