Wenn es in der Liebe nicht mehr passt
In einer Paartherapie fragen wir oft: „Was hat euch bewogen, ein Paar zu werden?“ Als Antwort hören wir dann meistens „Wir haben gut zusammengepasst.“
So ist das häufig in den westlichen Gesellschaften, da beruht das Eingehen einer Partnerschaft in vielen Fällen auf dem Zusammenpassen. „Es hat gepasst!“ Es gab Ähnlichkeiten in zentralen Aspekten wie der Weltsicht und den Werten. Man war kompatibel in Sachen Bildung, Humor, Emotionen und Intelligenz. Die Lebensumstände passten, die Sexualität auch und im Hinblick auf die gemeinsamen Ziele und das Beziehungsmotiv war alles bestens. Also hat man sich getraut – vielleicht sogar beim Standesamt und vor dem Altar.
Wie Schlüssel und Schloss haben sich die Vorlieben und Erwartungen der Partner (immer m/w) mühelos ergänzt. Es war ein Geben und Nehmen. Die Bedürfnisse haben durch den Partner Befriedigung erfahren. Das ist wohl auch der Grund, warum man es Beziehung nennt: Man bezieht vom Partner all das, was man sich selbst gerade nicht geben kann – oder will.
Damit das Leben funktioniert, verteilte man die Aufgaben nach Eignung, und weil man sich sympathisch ist, strengte man sich an. So kommt ein Höchstmaß an Wohlgefühl zustande – und eine gewisse Anspruchshaltung.
Hier entsteht das Problem
Denn die hohen Ansprüche werden an den Partner gerichtet, nicht an sich selbst. Der andere soll sich zum besten Menschen aufschwingen, zu dem er werden kann. So kann und will man ihn lieben. Mit sich selbst ist man da eher nachgiebiger, da erlaubt man sich schon mal einen Durchhänger. Soll heißen: Ein ähnlich hoher Anspruch an sich selbst, nämlich mit dem besten Selbst, das man aufbieten kann, in der Beziehung zu agieren, besteht nicht immer.
Als Gerd und Bianca (Namen geändert) sich bei einer mehrtägigen Wanderung in den Südtiroler Bergen kennengelernt haben, waren sie sich gegenseitig sehr sympathisch. Beide benahmen sich überaus freundlich und hilfsbereit und so fanden sie schnell Gefallen aneinander. Sie verbrachten viel Zeit miteinander, konnten sich gegenseitig zum Lachen bringen und redeten bis tief in die Nacht. Sexuell hielten sie sich zurück. Am Ende der Wanderung waren sie richtig froh und glücklich, dass sie sich begegnet waren. Sie fühlten sich fast so, als wären sie wie zu einer Belohnung füreinander geworden.
Nach diesen und vielen weiteren gemeinsamen positiven Erlebnissen dachten beide, dass sie als potenzielle Partner doch gut zusammenpassen würden und so fragte Gerd Bianca, ob sie ihn heiraten wolle. Sie sagte Ja und anschließend fühlten sich beide in ihrer jungen Ehe so wohl wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Es passte einfach. Vier Jahre später waren sie bei einer Wochenend-Intensivtherapie in unserer Praxis. Die Passung hatte Risse bekommen. Da saßen sie nun, tief entzweit, frustriert. Immer öfter waren sie in Streitereien geraten, hatten keinen Sex mehr und jetzt wollten sie die letzte verbliebene Hoffnung nutzen – oder sich trennen.
Was war geschehen? Aufgrund seiner guten Leistung und Entwicklung schlug sein Chef Gerd für ein firmeninternes Förderprogramm im Ausland vor. Dazu sollte er im kommenden Jahr mehrmals für einige Wochen in den USA sein. Bianca und er hatten viele Male und ausgiebig über das Für und Wider gesprochen und schließlich auch gemeinsam entschieden, dass Gerd diese Chance nutzen solle. Aber in Bianca verblieb eine Irritation, die sie sich nicht so recht erklären konnte. Allein schon der bloße Gedanke der Abwesenheit, also dass Gerd nicht in ihrer gewohnten Wohlfühlzone zugegen sein sollte – die er ihr ja bisher tagein, tagaus bereitet hatte – störte sie empfindlich. Und dass er nicht da sein könnte, wenn sie ihn brauchen würde, dieses Gefühl konnte sie gar nicht gut ertragen. Sie empfand es als massive Einschränkung ihres gewohnten Lebens mit Gerd und als erschreckende Bedrohung für das gemeinsame Liebesglück. Wie einen lästigen Stein im Schuh spürte sie das heraufziehende Unbehagen auf Schritt und Tritt.
Gerd gelang es zwar anfangs immer wieder, die aufkeimenden unguten Emotionen von Angst und Sorge in Bianca durch seine beruhigende Art zu dämpfen. Aber die eigentliche Stressursache, nämlich die unausweichliche Gefährdung des vertrauten und geliebten Zusammenpassungsgefühls durch den herausfordernden Lebensumstand einer zeitweiligen räumlichen Trennung, diese anzusprechen, war nicht auf seinem Sender. Stattdessen gingen die beiden immer wieder zur Tagesordnung über und die Zeit der Abreise rückte näher. Und damit einhergehend braute sich ein Sturm zusammen. Denn die Verstörung schwelte in Biancas Innenwelt weiter.
Eines Tages dann entzündeten sich die Emotionen an einer Kleinigkeit. Gerd sagte beim Abendessen beiläufig, er sei schon ein wenig aufgeregt und freue sich irgendwie darauf, dass es bald losginge. An dem Punkt brach es aus Bianca hervor: „Dir scheint das ja gar nichts auszumachen, dass wir wochenlang getrennt sind. Du denkst überhaupt nicht, wie’s mir dabei geht. Du lässt mich einfach sitzen. Wahrscheinlich hast du schon eine andere.“ Über eine halbe Stunde lang erbrach sich Biancas Gemütslage über Gerd und diesmal konnte er sie nicht beschwichtigen.
Natürlich wollte er nicht, dass seine Frau sich so miserabel fühlt. Aber binnen kurzer Zeit fühlte auch er sich elendig. Biancas wehmütige Emotionen nahmen seine eigene Gefühlswelt total ein. Wie eine unaufhaltsame Flut traten ihre Ängste, ihr Frust und ihre Wut über die Ufer ihrer Seele und schwemmten Gerds Empfindungen von Aufregung und Vorfreude hinfort. Zusammenpassen fühlt sich eben nur gut an, wenn positive Gefühle ausgetauscht werden.
Was danach folgte, waren unzählige misslungene Versuche, die Kontrolle über die bedrohliche Situation wieder zurückzugewinnen. Das sah meist so aus: Beide versuchten, jeweils den anderen gefügig zu machen, durch allerlei subtile oder auch plumpe Formen der Erpressung und Nötigung – beides ist übrigens kriminell! Es kam zu hässlichen Streitereien und Machtkämpfen, die keiner gewinnen konnte, weil niemand der Verlierer sein wollte. Es entstand unsägliches Leid.
Kein Wunder, dass Thomas Meyer in seinem Essay „Trennt Euch!“ den Eindruck vermittelt, dass vier von fünf Paaren in Liebesbeziehungen nicht wirklich zusammenpassen, sich gar nicht gut verstehen, sich nicht sehr ähnlich sind und eigentlich inkompatibel sind. Sie sollten besser auseinandergehen, bevor sie in jenem Machtkampf und Leiden enden, das aus ihrer Verschiedenheit entstehe, die nicht zu überwinden sei. So seine Auffassung.
Natürlich kann sich jeder vorstellen, wie schmerzhaft das sein muss, wenn man plötzlich zu spüren bekommt, dass man den Ansprüchen des geliebten Partners nicht mehr gerecht wird. Oder dass man erst etwas ganz anders machen müsse, bevor man wieder wertvoll sein kann im Leben des anderen – und geliebt. Und klar: Die Wirkung eines erpresserischen und verletzenden Verhaltens fällt umso schlimmer aus, je größer die Bedeutung des Partners ist.
Das bis dahin so gut funktionierende Reziprozitätsprinzip – ich tu dir einen Gefallen und du tust mir einen – versagte bei Gerd und Bianca plötzlich. Und auch mit der Loyalität war es vorbei. Denn als Gerds freudige Stimmung nicht mehr zu dem passte, was in Biancas Sinn war, brach ihr Vertrauen in ihn zusammen. Eifersucht und Misstrauen übernahmen das Ruder. Das ging schneller, als sie beide schauen konnten.
Mit impliziten, also indirekt oder logisch miteinbezogenen Bedingungen in langfristigen Paarbeziehungen ist es so, dass sie leider nicht dauerhaft erfüllbar sind. Früher oder später trifft das Leben auf Bereiche und Situationen, in denen die Passung nicht oder nicht mehr stimmt. Dann klemmt’s und sperrt sich’s in der Seele. Dann ist es vorbei mit dem geschmeidigen Austausch von wechselseitigen Vorteilen. Er tut nicht so, wie sie es will, und sie macht nicht, was er gerne hätte. Die Ansprüche, Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche jedoch bleiben auf hohem Niveau. Das Verfallsdatum der Passung ist schließlich erreicht. Was nun?
In einer Liebesbeziehung ist es meistens so, dass zwei eher unterschiedliche Menschen sich zusammentun und anschließend gefordert sind, miteinander klarzukommen. Wie das geht? Das versuchen wir nachfolgend zu skizzieren. Denn sehr wohl können gegensätzliche Bestrebungen – wie z. B. Selbst-sein-Wollen (Autonomie) und Zusammengehören (Bindung), die beide fest in unseren humanen Gehirnstrukturen angelegt sind – ausbalanciert werden und koexistieren.
Partnerschaft als Schicksalsgemeinschaft
Tobias Ruland beschreibt in seinem sehr lesenswerten Buch „Die Psychologie der Intimität: Was Liebe und Sexualität miteinander zu tun haben“ sehr gut den Entwurf einer gelingenden Partnerschaft als Kollaboration.
- Sie ist gekennzeichnet davon, dass die Beteiligten wissen, was sie jeweils beizutragen haben.
- Sie kennen beide das Ziel und den Zweck ihrer Allianz.
- Sie nehmen ihre jeweilige Verantwortung wahr und kommen ihr auch nach, selbst wenn die Aufgaben unangenehm, mühsam oder kniffelig sind.
- Ihnen ist klar, was im beiderseitigen Interesse ist, und das gibt ihnen die Kraft, das Richtige und Wichtige zu tun.
- Die Aufrechterhaltung des Zusammenschlusses ist ihnen wichtiger als die Klärung von Schuldfragen.
- Trotzdem werden bedrohliche Zustände und Schieflagen offen angesprochen.
- Man weiß, was der Beziehung Schaden zufügt – auch wenn man manches aus Dummheit oder Unvermögen dennoch tut.
- Für solch eine Beziehungsform ist die Fähigkeit zu Aufmerksamkeit, Selbstreflexion und Selbstkonfrontation unabdingbar.
- Beide müssen manchmal ein hohes Maß an Unbehagen und Stress aushalten können, bis die Schicksalsgemeinschaft in einer überarbeiteten und verbesserten Form Gestalt gefunden hat und neu aufleben kann.
- Dazu braucht es bestimmte Fertigkeiten, z. B. um die eigenen unguten Gefühle selbst regulieren zu können, und ebenso eine feste Willigkeit, das Notwendige zum Gelingen der Partnerschaft beizutragen.
- Selbstverständlich ist Treue ein vereinbarter und unverzichtbarer Teil ihrer Liebe. Loyalität ist unerlässlich, wenn man mit jemandem im selben Boot sitzt.
Die zentrale Frage lautet: Wie ersetzbar ist der Mensch an meiner Seite?
Gerd und Bianca mussten in ihrer komplizierten Situation erkennen, dass ihrer beider Herzensangelegenheiten („Ich will nicht, dass wir getrennt sind“ und „Ich will nicht, dass du unglücklich bist“) weder verhandelbar noch kompromissfähig waren. Ein Unbehagen war zu wählen, aber welches? Ein Verzicht würde geleistet werden müssen, aber welcher? Gerd hätte nachgeben und damit eine großartige Zukunftsmöglichkeit auslassen können. Dazu wäre er schon bereit gewesen. Aber würde er sich damit nicht verraten und verkauft haben? Den gegenwärtigen Konflikt aushalten bis zum Tag der Abreise? Und dann einfach mal sehen, was mit Bianca geschehen würde, das erschien ihm herzlos. Damit würde er ihr die ganze Last des Kummers aufbürden. Das wollte er nicht. Was also sollten sie tun? Mit diesen Fragen saßen sie nun bei uns.
In den wenigen Sitzungen versuchten wir zunächst, die ehrlichen Gefühlslagen der beiden so transparent zu machen, dass beide genau wussten, wie es dem anderen innerlich wirklich geht. Normalerweise sind wir Menschen ja mit unserer Gedanken- und Gefühlswelt allein. Es sei denn, es wird uns eine Atmosphäre geboten, in der wir uns frei und offen als diejenigen zeigen können, die wir in Wirklichkeit sind.
Gerd und Bianca wollten das eigentlich gar nicht so genau voneinander wissen, wie schrecklich und schlimm sich der andere fühlte. Das ist ja eher eine normale Reaktion in einer Konfliktsituation, da will man sich nicht mit Gefühlen herumschlagen, sondern eine Lösung – also, „dass es wieder passt“.
Im ersten Gespräch kam dann heraus, dass Bianca im Grunde gar nicht so viel Angst davor hatte, von Gerd getrennt zu sein, sondern davor, dass ihm dieser Umstand womöglich gar nicht so viel ausmachen könnte. Also dass er sie gar nicht so schmerzlich vermissen würde. Oder mit anderen Worten: Dass sie für sein Leben gar nicht so bedeutungsvoll wäre, wie sie sich das zutiefst in ihrem Innern wünschte.
Gerd im Gegenzug hatte Angst, seiner geliebten Frau sein eigenes Grauen vor dieser Zeit des Auslandsaufenthalts fern von ihr und in der Fremde zu gestehen, weil er ihr nicht zusätzlich auch noch seine unguten Gefühle aufhalsen wollte. Es war ein recht intimer Moment der Begegnung, als das so ganz ehrlich rauskam. Beide fürchteten die emotionale Reaktion des anderen. Daher verhehlten sie beide die Wahrheit voreinander. Das Motiv dafür war Liebe.
In den weiteren Sitzungen versuchten wir nun, das Augenmerk auf das zu lenken, was ihnen beiden das Wichtigste war, nämlich ihre Partnerschaft. Wir skizzierten eine „Lebenskurve“ ihrer Paarbeziehung mit Höhen und Tiefen und ließen „gute wie böse Tage“ aufleben. Das erinnerte sie zum einen an das, was sie aneinander gefunden hatten, und zum anderen, dass sie schon so manche belastende Situation als starkes Team durchgestanden hatten. Zusätzlich erstellten wir für beide ein Persönlichkeitsprofil und zeigten ihnen, wie sie „gestrickt“ sind, wo sie einander ergänzten und wo sie sich gegenseitig ins Gehege kämen. Wir erklärten ihnen die „Sache mit den Liebestanks“ (Freie Psychotherapie, 03.17) und was Angst und Wut in uns kaputt machen können, wenn wir nicht sorgsam miteinander umgehen.
Es wurde deutlich, wie sehr Gerd und Bianca in den vergangenen Jahren bewusst geworden war, dass sie füreinander wertvoll und wichtig sind und dass sie sich wirklich von Herzen lieben. Und darum hatten sie sich ja auch vor einigen Jahren für ein gemeinsames Leben als Paar entschieden.
In der letzten Sitzung wendeten wir uns erneut dem aktuellen Konflikt zu. Offenbar wollte das Leben nun sehen, ob die Beziehung von Gerd und Bianca einer emotional so schwierigen Situation auch schon gewachsen war und sie diese miteinander nun bewältigen können. Aber nicht in der Weise, dass es einer dem anderen „recht“ macht, sondern beide sollten in ihrer jeweiligen Bestform zeigen, dass sie im Team sowohl dem Leben als auch ihrer Liebesbeziehung gewachsen seien. Das wäre, um was es jetzt gehe, schlugen wir vor.
Als die beiden dieser Gedanke erreichte, war es, als sei Scheitern plötzlich keine Option mehr. Denn schließlich liebten sie sich und wollten ein Paar bleiben. Und auf einmal wussten sie wieder, woher der Wind weht. So wie sie sich am Anfang ihrer Beziehung für ein Miteinander entschieden hatten, so mussten sie sich jetzt erneut dafür entscheiden.
Als sie das taten, war es wie ein Ja aus vollstem Herzen. „Wir schaffen das!“, gab Bianca zu verstehen, indem sie ganz fest Gerds Hand drückte und ihm eindringlich in die Augen schaute. „Auch wenn es schmerzhaft werden wird“, fügte der an, „aber wir wissen jetzt mehr als zuvor, dass wir einander sehr viel bedeuten und dass wir beieinanderbleiben wollen, auch wenn nicht immer alles passt. Hauptsache, wir sind ein Team!“
Literatur
- Ruland, Tobias: Die Psychologie der Intimität: Was Liebe und Sexualität miteinander zu tun haben. Verlag Klett-Cotta, ISBN 978-3-60898-037-0
Herbert und Gisela Ruffer
Heilpraktiker für Psychotherapie, Praxis für Paar- und Psychotherapie in Landshut, Wochenend-Intensivtherapie für Einzelpersonen und Paare
Foto: fotolia©Jemastock