Können sich Menschen verändern?
Keine Frage bewegt mich so stark wie diese. Sie weckt den Forschergeist in mir. Sie lädt mich ein, es wissen zu wollen. Erfahren zu wollen, was möglich ist.
Dieser Frage folge ich, um allmählich in die bestmöglichen Antworten hineinzuleben. Was ich bis zum heutigen Tag herausgefunden habe, möchte ich hier mit dir teilen:
Lange glaubte ich, meine Identität sei fest umrissen, hätte unumstößliche Konturen, sei in Stein gemeißelt. Mir war nicht bewusst, dass ich gespeist war mit Botschaften, Haltungen und Verhaltensweisen, die ich von meinen Eltern und anderen Bezugspersonen übernommen hatte. Ein erworbenes Werte- und Normensystem, Überzeugungen anderer, die in meinen frühen Jahren in mich geflossen sind. So früh, dass ich mich nicht erinnern konnte. So früh, dass ich glaubte, es seien meine eigenen Überzeugungen.
Wahrscheinlich wäre es mir gar nicht aufgefallen, wenn nicht Hindernisse und kritische Lebensereignisse mir den Anstoß gegeben hätten, über mich in der Welt nachzudenken. Warum auch – wenn alles glattläuft?
Denn wir dürfen natürlich so bleiben, wie wir sind – müssen aber nicht. Warum auch – wenn es schmerzt und eng wird?
Genau da beginnt Veränderung. Mit dem Wunsch nach Veränderung. Mit dem genauen, ungeschönten Blick nach innen. Mit einer Bestandsaufnahme. So war es jedenfalls für mich.
Es sind nämlich genau diese unerwünschten Gefühle, die uns ein verlässlicher Indikator sind, dass unsere aktuellen Gedanken, Gefühle und Handlungsweisen uns nicht zuträglich sind.
In diesem Sinne sind rabenschwarze Tage womöglich dazu da, unsere Glaubenssätze zu überprüfen und uns unsere eigenen Interpretations- und Denkmuster bewusst zu machen.
Wer glaube ich zu sein?
Was glaube ich zu sein?
Welches Bild wirkt in mir?
Deshalb lausche ich den Antworten, die kommen, in dem Bewusstsein, dass es keine feststehende Wahrheit gibt, nichts objektiv zu Erkennendes existiert. Dass unsere Gefühle weitgehend von unseren inneren Vorstellungen abhängen. Dass wir sind, was wir sind, weil wir glauben es zu sein.
Ich nutze diese Zeit der Inventur also, um weise zu entscheiden, woran ich glauben möchte. Diese Art der Selbsterforschung ist eine unerlässliche Voraussetzung auf dem Weg der Veränderung, weil jede bildhafte Vorstellung in uns die Tendenz hat, sich selbst zu verwirklichen.
Negative Vorstellungen lähmen die Tat. Positive Vorstellungen sind eine vorwärtstreibende Kraft.
Ergo ist es unumgänglich, auf dem Pfad der Veränderung eine bewusste Wahl zu treffen, um eine neue, herrliche Zukunftsvision zu kreieren.
Wer will ich sein?
Und vor allem stelle ich mir vor, wer ich zukünftig sein werde und belebe diese Vorstellungen mit allen Sinnen.
Die Harvard-Professorin Ellen Langer hat in einer Studie herausgefunden, dass allein so zu tun, als sei ich glücklicher, schon glücklicher macht. Durch diese spielerische Erfahrung, indem ich mich also verhalte als sei ich ein bestimmter Persönlichkeitstyp, werde ich dieser Typ.
Glaubst du nicht? Probier‘s aus!
Unsere Persönlichkeit ist nicht fest umrissen, vielmehr können wir unsere ganz persönliche Expedition in unbekannte Dimensionen unseres Charakters immer weiter fortsetzen und ein Leben lang an unserer Innenarchitektur schrauben, feilen, gestalten.
Neueste Studien bestätigen, wir können uns während unseres gesamten Lebens verändern, das Gehirn ist bis ins hohe Alter umbaufähig. Das Potenzial zur Veränderung ist sowohl kognitiv als auch emotional immens. Wenn wir denn die Überzeugung pflegen, unser Schicksal selbst in der Hand zu haben.
Warum aber fällt es uns oft so schwer, nachhaltige Veränderungen herbeizuführen? Es liegt nicht allein an der Tatsache, zu glauben, andere unbeeinflussbare Mächte wie Gott, das Schicksal oder unsere Mitmenschen seien verantwortlich für unser Sosein. Es liegt sicher im hohen Maße an den Trampelpfaden im Gehirn, die durch ständige, immer dieselbe Benutzung ausgetreten sind. Unser Hirn geht gerne ausgetretene Pfade, weil es Automatismen liebt. Darum benötigen wir eine gute Strategie, die nicht zu viel auf einmal will, um mit viel Willensstärke und kleinen, ständigen Wiederholungen neue Pfade zu etablieren.
Eine Studie des Londoner University College hat herausgefunden, dass die Geburt einer neuen Gewohnheit im Schnitt 66 Tage dauert. Da mit jedem Tag das mächtige Gefühl der Selbstwirksamkeit wächst, wird es zunehmend leichter, bei der neuen Gewohnheit zu bleiben.
In meiner Praxis arbeite ich gern unterstützend mit Autosuggestionen und Imaginationen – sind sie doch die schönste und einfachste Weise, unsere Psyche selbstinduziert zu beeinflussen:
Werde, der du bist – in deiner Zeit!
Ein Baum braucht viele Jahre, bis er so verankert ist, dass er starke Äste ausbildet und sich ausbreitet. Es braucht Zeit, bis er erstmalig erblüht, gar Früchte trägt und so kraftvoll ist, auch dem stärksten Sturm zu trotzen.
Dieses Bild ist mir hilfreiche Stütze und Erinnerung, geduldig mit mir zu sein und darauf zu vertrauen, dass alles in genau der richtigen Zeit zu mir kommen wird.
Auf diese Weise habe ich die zweite Lebenshälfte genutzt, vieles von dem zu verlernen, was ich in der ersten gelernt habe, und so, nach und nach, eine selbstwertdienliche, selbstfürsorgliche Beziehung zu mir aufgebaut. Dafür gibt es keine Kippschalter.
Das geht nicht allein durch die pure Absicht, aber es geht – wenn wir uns auf den Weg machen!
1. Ich gehe also die Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich falle hinein.
Ich bin verloren ... Ich bin ohne Hoffnung.
Es ist nicht meine Schuld.
Es dauert endlos, wieder herauszukommen.
2. Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich tue so, als sähe ich es nicht.
Ich falle wieder hinein.
Ich kann nicht glauben, schon wieder am selben Ort zu sein.
Aber es ist nicht meine Schuld.
Immer noch dauert es sehr lange, herauszukommen.
3. Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich sehe es.
Ich falle immer noch hinein – aus Gewohnheit.
Meine Augen sind offen, ich weiß, wo ich bin.
Es ist meine eigene Schuld.
Ich komme sofort heraus.
4. Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich gehe darum herum.
5. Ich gehe eine andere Straße.
Mögen diese anschaulichen Worte aus dem tibetischen Buch vom Leben und vom Sterben uns Erinnerung und Einladung sein, neue Straßen zu erkunden, um ganz neue Pfade im Gehirn zu etablieren!
„Nichts ist wirkmächtiger als das Selbstbild,
mit dem jemand durch die Welt läuft.
Noch dazu, wenn er es für seine wahre Natur hält.“
Beate Kohlmeyer
Heilpraktikerin für Psychotherapie, zertifizierte Psychologische Beraterin, Hannover
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