Arbeit mit dem Familienbrett
Das Familienbrett als diagnostisches Manual
Ich arbeite mit dem Organisations- und Familienbrett, wie es von Kurt Ludewig 1978 entwickelt wurde. Es beinhaltet je 5 große und kleine runde und eckige Figuren mit Gesicht (3 Punkte) und drei besondere Figuren (grau, braun und weiß), die eckig sind und leicht abgerundete Kanten haben. Die Figuren biete ich in einer runden Holzschale an. Als Unterlage (Bühne) verwende ich ein Holzbrett mit Einkerbungen am Rand, damit die/der KlientIn auch Figuren „außerhalb“ aufstellen kann. Das Familienbrett samt Figuren baut mein Mann. Die Oberfläche ist mit natürlichen Ölen behandelt.
Eine der berührendsten Begegnungen „auf dem Brett“ hatte ich wie folgt:
Eine junge Frau von 19 Jahren kommt in meine Praxis (Namen und Details habe ich geändert). Ich nenne sie Barbara.
Barbara hat Epilepsie, seit sie 12 Jahre alt ist. Die Krankheit lässt sich medikamentös schwer einstellen. Immer wieder hat Barbara kleinere und größere Anfälle. Sprachlich wird uns beiden in der zweiten Stunde bewusst, dass das Thema auch etwas mit ihrer Mutter zu tun haben könnte, da diese immer wieder sagt: „Ich krieg ´nen Anfall!“
Barbara nennt von da an ihre „Anfälle“ lieber „Black-out“, weil sie das cool findet. Außerdem ist an „Black-out“ weniger Energie gekoppelt, weil es Englisch ist, ergänze ich. Barbara hat vor, ihre Mutter zu bitten, ihren Ärger anders auszudrücken, als durch „Ich krieg ´nen Anfall“.
Zunächst arbeiten wir sprachlich, weil dies ein Thema ist, das Barbara interessiert.
In der dritten Stunde ergibt es sich, dass Barbara mit zwei Figuren aus dem Familienbrett ihre Krankheit und sich selbst positioniert. Rasch stellt sie die Epilepsie verkehrt (Augen nach unten) auf sich selbst drauf. Für die Epilepsie wählt sie die graue Figur, für sich selbst die braune.
Ich rege Barbara an, diese Konstellation wirken zu lassen. In mir wirkt sie bereits. Vielleicht kennen Sie das Gefühl, wenn es einen im ganzen Körper durchrieselt?! So ist es auch da. Ich bin tief berührt.
Barbara sagt, dass sie mit der Krankheit eng verbunden sei. Sie sei nicht allein, sie habe jemanden – einen Verbündeten. Zwar sei es irgendwie auch lästig, da immer wen am Kopf zu haben, doch eher fühle es sich positiv an. Manchmal – während eines „Black-outs“ – sei es umgekehrt. Sie dreht die Figuren um. Nun steht sie Kopf und die Epilepsie steht unten.
Nun habe die Epilepsie die Macht. Sie bestimme, und Barbara sei ohnmächtig.
Ich ergänze behutsam, dass es wohl auch wie eine „schwere Last“ wirke und „bedrückt“ machen könne, wenn eine so große Figur auf dem eigenen Kopf stünde. Sie bejaht dies. Barbara erzählt von depressiven Verstimmungen bis hin zu Selbstmordgedanken.
Weiter gebe ich ihr zu bedenken, dass sie permanent „besetzt“ sei. Dass sie unfrei sei, wenn dauernd wer auf ihr stünde. Ich frage, ob sie das auch so empfinde. Sie bejaht auch dies.
Nach längerem Wirkenlassen frage ich sie, ob es eine angenehmere Position für sie gäbe.
Sie nimmt spontan die weiße Figur für ihre verstorbene Schwester Sigrid, stellt diese neben sich und legt die Figur für die Epilepsie als Verbindungsbalken auf sie beide drauf.
Es ist nun offensichtlich geworden, welche Funktion die Epilepsie im Familiensystem hat. Die Schwester und Barbara sind verbunden. Barbara hat möglicherweise Schuldgefühle gegenüber ihrer verstorbenen Schwester, da diese tot ist und sie lebt. Aus Solidarität ihr gegenüber, oder damit sie weniger Schuldgefühle haben muss, übernimmt sie die Behinderung am Kopf in Form der Epilepsie. So als wolle Barbara ihrer Schwester sagen: „Schau, ich leide so wie du. Sei froh, dass du tot bist, dann brauchst du nicht so leiden wie ich.“
Auch ihren Eltern gab sie spontan ihren Platz am Brett.
Interessant, dass der Blick der Eltern hauptsächlich auf Barbara fällt.
Der Vater sieht die verstorbene Tochter nicht. Die Epilepsie erinnert beide an Sigrid.
Wir lassen das vorläufige Abschlussbild wirken (und es geht so tief, dass es uns die Tränen aus den Augen drückt) und erkennen den Zusammenhang zwischen Epilepsie und der Schwester im Jenseits.
In derselben und in der nachfolgenden Stunde besprechen wir, wie die Familie der Verstorbenen Ehre erweisen könne.
Barbara tauft ihr Tagebuch ab sofort „Sigrid“. Sie geht in Dialog mit ihr, vor allem schriftlich. Auch kommt sie ins Gespräch mit ihrer Mutter, die ihr eine ganz ähnliche Geschichte aus einer Familienaufstellung mit ihrer eigen verstorbenen Schwester erzählt.
Auch gebe ich Barbara Sätze mit, die sie Sigrid immer wieder sagen solle. Sinngemäß lauten sie:
Liebe Sigrid! Ich liebe dich als meine Schwester. Ich bin traurig, dass du tot bist. Bitte bleib freundlich, dass ich noch lebe. Und bitte gib mir deinen Segen für meine vollkommene Gesundheit.
Die Aufstellung ist noch nicht beendet. Sie diente hauptsächlich zur vorläufigen Klärung der Thematik und zur ersten Hypothesenbildung. Ebenso ist eine heilsame Trauerarbeit in Gang gekommen.
Die nächsten Fragen für weitere Aufstellungen können lauten:
- Wo will die Epilepsie hin? Welchen neuen Platz wird sie einnehmen?
- Wird sie sich verwandeln?
- Wessen Last tragen diese beiden Frauen (Barbara und Sigrid)?
- Woher kommt die Kopfthematik, die eine Aggressionsthematik sein dürfte?
Wichtig ist für mich, die Klientin spüren zu lassen, was eine gute oder ungünstige Position für Figuren ist. Sie allein weiß, wo welche stehen sollen.
Ferner ist eine Aufstellung umso berührender, je langsamer sie gemacht wird. Auch mache ich mehr und mehr die Erfahrung, dass die Aufstellungen schweigend ausreichend tief wirken. Ich stelle nur die nötigsten Fragen, helfe nach, wo es Sinn macht und rege zu Dialogen an, wo es wichtig und stimmig scheint. Ansonsten wirkt eine Konstellation wie ein gemaltes Bild.
Das Wunder der Aufstellungen besteht für mich darin, dass das Innere der Person, das außen sichtbar Aufgestellte und das reale Familiensystem im Leben des Klienten parallel wirken. Kommt Bewegung auf dem Brett zustande, findet diese auch im Menschen und in dessen System Familie statt, ohne dass dieser etwas dazu tun muss.
Immer wieder erzählen Klienten, dass sich zu Hause etwas „von selbst“ geändert habe, seit sie die Aufstellung auf dem Brett gemacht haben.
So z. B. ließ eine Mutter auf dem Familienbrett ihren erwachsenen Sohn los. Danach erzählte sie, dass dieser eine Partnerschaft mit einer Frau einging, was sie erleichtert stimmte.
In Fortbildungen für die Arbeit mit dem Familienbrett schildern TeilnehmerInnen gern ihre Skepsis gegenüber dieser Methode. Sie fragen sich, ob die gleiche emotionale Tiefe wie bei „echten“ Familienaufstellungen möglich sei. Nach den Seminaren bestätigen sie alle, dass das Brett ausreichend tief berührt und heilsam ist.
Mag. Stefanie Zauchner-Mimra
Klinische- und Gesundheitspsychologin (Salzburg), Heilpraktikerin (Psychotherapie), Trainerin für Achtsamkeit und bewusste Sprache.
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