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Liebesbeute

„Der Typ ist voll nett und bestimmt wäre er auch ein guter Partner für mich und ein guter Vater für mein Kind, aber er passt nicht in mein Beuteschema“, erklärt uns Susi (alle Namen geändert). Und damit sagt sie, dass sie kein weiteres Interesse an Tom hat. Der hingegen hatte uns noch ein halbes Jahr zuvor beim ersten Termin in unserer Praxis von Susi vorgeschwärmt mit den Worten: „Die passt genau in mein Beuteschema!“ Er kam damals zu uns, weil er den Verdacht hegte, Susi hätte womöglich einen anderen, und er wisse nicht, wie er damit umgehen solle.

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Was hat das mit der Beute in der Liebe auf sich?

Dieser Frage wollen wir nachspüren und unsere Erfahrungen und Gedanken, die wir in der Paartherapie mit zahlreichen Menschen gewonnen haben, mit Ihnen teilen und zum Nachdenken anregen.

Der Ausdruck „Beuteschema“ kommt aus der Biologie. Er besagt, dass bestimmte visuelle Reize oder Gerüche bei fleischfressenden Tieren ein Jagdverhalten auslösen. Ob das beim Steinzeitmenschen auch so war, lässt sich nicht mit Sicherheit belegen, aber beim Neuzeitmenschen scheint es so zu sein, dass bestimmte Reize sexuelles Jagdverhalten in Gang setzen können.

Jede Frau, die sich schon mal aufgebrezelt und in ihr spezielles Parfüm genebelt hat, weiß, was wir meinen. Die Frau, so sagt ein Witz, sei das einzige Lebewesen, das sich für seine potenziellen Jäger als Beute auf die Lauer legt.

Somit kann es durchaus sein, dass, wenn es darum geht, eine sexuelle Bekanntschaft zu machen, der eine zum Jäger (m/w/d) wird, der andere zur Beute – oder beides? Denn kurios wird es, wenn die aufgetakelte Beute zum Jäger sagt: „Sorry, aber du bist leider nicht mein Typ. Du passt nicht in mein Beuteschema.“ Wer ist jetzt die Beute?

Sie denken jetzt sicherlich, im Zusammenhang mit Liebe und Liebesbeziehungen von Beute zu sprechen, ist völlig Banane! Und da haben Sie natürlich völlig recht! Denn schließlich sind partnersuchende Menschen weder Jäger geschweige denn Verbrecher und „Beute machen“ gehört in ein ganz anderes Genre. So dachten wir – bis wir eines Besseren belehrt wurden.

Es gehört zum Wesen der Beute, dass sie nicht mehr hergegeben wird

Im Verbrechermilieu und für die Polizei ist eines klar: Selbst wenn der Dieb, Einbrecher, Erpresser oder Räuber geschnappt wird, die Beute rückt er nicht raus. Wenn’s sein muss, geht er ins Gefängnis und sitzt seine Strafe ab, aber die Beute gibt er nicht wieder her. Auch lässt er sich seinen Raub nicht von anderen abjagen. Viele spannende Filme erzählen solche Räuberpistolen. Auch Tiere verteidigen ihren Fang gegen alle, die ihnen den abjagen wollen.

Das ist auch in Affären so, mussten wir leider feststellen. Wer sich erst einmal auf eine Affäre eingelassen hat, der ist zur Beute geworden, die festgehalten wird. Das glauben Sie nicht?

43811821 Liebe ArbeitsplatzEin Beispiel

Vinzenz ist ein gut aussehender Mittvierziger, dominant-dynamisch, durchsetzungsfähig, ein gestandenes bayerisches Mannsbild, beruflich enorm erfolgreich. Es ist ihm gelungen, zusammen mit seiner Frau eine vielschichtige Millionen-Holding aus Firmen und Hotels aufzubauen, die ihnen bis in die nachfolgenden Generationen hinein finanziell gesehen ein unbeschwertes Leben in Wohlstand sichert. Dann hatte seine Frau einen Unfall. Das sexuelle Liebesleben konnte von ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht wie bisher fortgesetzt werden. Und weil Vinzenz es sich leisten konnte, ließ er sich auf eine kleine, vollbusige, mittelblonde Schönheit aus dem erweiterten Bekanntenkreis ein, die ihm schon seit Längerem schöne Augen gemacht hatte. Diese war zwar auch verheiratet und hatte ebenso wie er zwei Kinder, doch das hielt sie beide nicht voneinander ab. Es sollte ja eigentlich „nichts Ernstes“ werden, wie beide es sich von Anfang an zugesagt hatten – und „wenn es vorbei ist, dann ist es halt vorbei, aber bis dahin sollte es so schön sein, wie es nur geht“. Das war der Deal, sagte er uns später.

Als dann aber der Tag kam, an dem Vinzenz die Affäre beenden wollte, weil er sich angesichts seiner gesundheitlich beeinträchtigten Frau und den fragenden Augen seiner beiden heranwachsenden Söhnen was ihr Vater da mache, ziemlich schäbig vorkam, versagte er. So ein mieser Mann war er eigentlich nicht und so einer wollte er nicht mehr sein.

Doch die zweite Dame im Spiel machte beim Beenden der Affäre einfach nicht mit, denn sie hatte mittlerweile ihrem Mann gesagt, dass sie ihn mit den Kindern verlassen würde. Sie schon die Scheidung eingereicht. Das wusste Vinzenz aber nicht. Nun war er in der Bredouille. Was folgte, war ein über zwei Jahre gehender verzweifelter und vergeblicher Versuch, dieser Affäre zu entkommen. Es gelang ihm nicht, so unglaublich das auch klingen mag. Schließlich kam er mit seiner Ehefrau zu uns.

Einbruch in die Ehe – die schlimmste Form von Ehebruch

Die Frau von Vinzenz, mittlerweile vom Unfall erholt und genesen, war dahintergekommen. Sie war dadurch tief verletzt und wollte gleichzeitig an der Ehe mit ihrem Mann und der Familie festhalten. Und er wollte das gemeinsam erwirtschaftete Vermögen nicht aufs Spiel setzen, wie man sich leicht denken kann. Aber Vinzenz kam nicht von seiner Affäre los. Anfangs wollte er selbst die Sache keinesfalls beenden, gab er ehrlich und aufrichtig zu. Schließlich hatte er ja „fette Beute“ gemacht, wie er es jetzt ohne Umschweife nannte. „Der Sex war super, ich war so ausgehungert, und ihre leicht devote Art hat mich gefesselt. Sie hatte immer Essen für mich, massierte mir die Füße, verwöhnte mich. Anfangs wollte ich das nicht mehr preisgeben, ich wollte es genießen, solange es geht. Ich dachte, das steht mir zu. Das hab‘ ich mir verdient, das bin ich mir wert. Aber jetzt komme ich nicht mehr von ihrer Angel.“

„Kein Wunder“, warf seine Ehefrau ein, „du hast ihr ja auch was geboten: Hast sie mitgenommen auf Geschäftsreisen rund um den Globus und ihr eine Welt gezeigt voller Annehmlichkeiten und mit einem Luxus, den sie sich bis dahin nicht einmal erträumen konnte. Du hast sie und ihre Kinder mit Geschenken überhäuft, wen wunderts, dass sie sich Hoffnungen gemacht und alles auf eine Karte gesetzt hat. Mir kommt sie vor wie eine Einbrecherin, die in unsere Ehe eingedrungen ist und ebenfalls ‚fette Beute‘ gemacht hat. Und die bist du. Und diesen Fang will sie jetzt unter keinen Umständen wieder hergeben.“

Irgendwie traf das den Punkt, dachten wir. Und so fragten wir uns nach dieser aufregenden Therapiesitzung, ob dieses „Einbruch-Beute-Ding“ auch in anderen Affären zutage treten würde, wenn wir ein wenig tiefer schürften. Zu unserer Überraschung und unserem Erstaunen fanden wir zahlreiche Einbruch-Beute-Muster, sodass wir fast geneigt sind zu sagen: „In länger andauernden Affären sind die jeweils Beteiligten füreinander die Beute.“

Und die wird nicht mehr aufgegeben und rausgerückt, wenn es nicht wirklich sein muss. Und selbst wenn es unter großem Druck dann doch zum Bruch mit der Affäre kommt, ist noch lange nicht Schluss. Es geht weiter und es wird weiter versucht, den anderen wieder in seine Fänge zu bekommen. Das ist das Drama. Und zugleich ist jeder auch irgendwie ein Räuber.

Beute hat etwas Faszinierendes, Fesselndes. Es ist Inbesitznahme und Inbesitzgenommen werden gleichzeitig. Wir könnten Ihnen jetzt eine Geschichte nach der anderen erzählen, wo er oder sie angeblich die Affäre beendet hat – und ihr dennoch heimlich nachjagte, um sie fortzuführen. Nach unserer Erkenntnis ist die Versuchung zu groß und zu stark, die Beute erst noch bis zum Rest aufzuzehren. Der angeregte hormonell-sexuelle Liebeshunger scheint sich mit dem hirnbedingten Suchtverlangen nach Glücksgefühlen und einer unersättlichen Besitzgier für das Schöne derart zu vermischen, dass es schier unmöglich erscheint, den Verlust jener Liebesgenuss versprechenden Zukunft auch nur anzudenken oder gar hinnehmen zu müssen. Das scheint gar nicht zu gehen. Dafür opfert man eher eine längere und meist gute gemeinsame Lebensgeschichte für eine neue aufregende Liebesgeschichte. Das ist traurig, aber leider wahr.

179619312 FremdgehenDie Beute ist das Problem

Melissa hatte sich in eine Affäre mit dem besten Freund ihres Mannes geflüchtet, weil ihr Ehegatte karriere- und nachwuchsbedingt das sexuelle Interesse an ihr verloren hatte. Eigentlich war er bloß so ausgepowert von den Ansprüchen des Berufes und der beiden Kinder, dass er für die ehelichen Pflichten einfach am Ende des Tages keine Power mehr hatte. Und seine Frau mit der Frage zu konfrontieren, ob es da einen anderen gibt, dazu reichte die Energie erst recht nicht mehr. Zu ihrer eigenen Rechtfertigung dachte sich Melissa, ihr Mann sei vielleicht schwul. Eigentlich aber machte sie Beute. Sie holte sich woanders das, weil sie dachte, dass es ihr zustehe.

Marvin wusste nun aber schon viele Jahre, dass ihm seine Frau sexuell untreu ist. Aber da ihnen beiden die Familie mit den drei Kindern das Wichtigste ist, machte er „aus den Affären keine Affäre“, wie er scherzhaftzynisch sagte. Was seine Frau ihm antat – vor allem, wie sie ihn über die Jahre hinweg belog – brach ihm zwar das Herz, aber er zog die Partnerschaft durch, um die Familie und insbesondere die Kinder nicht zu gefährden. Zusammen mit seiner Frau funktionierten sie all die Jahre als gutes Team für ihre Kinder, aber auch für alle Verwandten, Freunde und Bekannten.

Dann kam ihm eine ausgesprochen attraktive Arbeitskollegin in die Quere. Die legte es darauf an und schließlich legte sie ihn flach. Er war zur Beute geworden. Und zugleich hatte auch er Beute gemacht.

Seine Frau und er verkehrten sexuell schon lange nicht mehr miteinander und die andere Dame wollte ihn, „diesen ausgesprochen gut aussehenden, tollen und starken Mann“, wie sie ihn immer wieder bewundernd nannte. „Was für ein Glück! Das gibt man doch nicht her!“ meinte er fast empört, als die Eheleute unsere Beratung suchten, weil das sorgfältige Arrangement zwischen den beiden nun durch seine Affäre ins Wanken zu geraten drohte. „Was stellt sich meine Frau so an? Die hat das doch jahrelang auch so gemacht und ich habe damit klarkommen müssen. Die soll mir jetzt gönnen, dass ich nach all der Zeit mal glücklich bin!“ Wenn man genau hinhört, entdeckt man diesen Beute-Tonfall zwischen den Zeilen, wie unterschiedlich die Beschreibungen der immer gleichen Sache auch sein mögen. Da ist ein Einbruch in eine bestehende Partnerschaft und es wird Beute gemacht.

Auch die Beute macht Beute

Klingt fast grotesk und dennoch macht es genau diesen Eindruck auf den aufmerksamen Zuschauer. Zugleich wird nicht nur der Jäger zur Beute, sondern auch die Beute macht Beute. Marvin brachte es sogar sehr deutlich auf den Punkt, als er darlegte, dass es für ihn nur drei Optionen gibt: „Möglichkeit A) ist, dass meine Frau und ich wieder ein Liebespaar werden. Möglichkeit B) ist, dass wir unser familiäres Arrangement aufrechterhalten und jeder einen anderen Sexualpartner hat. Möglichkeit C) ist, dass unsere Familie zerbricht.

B) strebe ich an, A) will ich nicht mehr und C) nehme ich in Kauf, wenn es sein muss.“ Fehlte nur noch, dass einer ergänzt hätte: „Aber die Beute gebe ich nicht auf.“ Doch das hat sich in dem Moment keiner gewagt.

Vielleicht ist es uns mit diesem Artikel gelungen, ein Licht auf einen verborgenen und dennoch wichtigen Aspekt in länger andauernde Affären zu werfen, nämlich den des Beutemachens. Und dazu gehört untrennbar, dass diese dann wie ein Raub festgehalten wird. Das macht es nach unserer Meinung so schwierig, Liebesbeziehungen und Partnerschaften wiederherzustellen, in denen es Affären gab oder gibt.

Ein Zurück in das, wie’s früher war, gibt es eh nicht. Es gibt nur die Möglichkeit des persönlichen Wachstums über das gegenwärtige Ich hinaus und damit auch die Weiterentwicklung der Beziehung auf ein nächstes Level. Aber wenn beide gleicherweise an der Beute hängen, bleiben die Beteiligten in der Affäre verfangen und kommen nicht los.

Es hilft nur eines: rigoros die Beute loszulassen! Sonst hat die Fortsetzung der partnerschaftlichen Beziehung leider keine Chance.

Herbert und Gisela RufferHerbert und Gisela Ruffer
Heilpraktiker für Psychotherapie, Praxis für Paar- und Psychotherapie in Landshut
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Fotos: ©halley_copter, ©Jeanette Dietl, © Antonioguillem