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Teams in der Beratung

Wer Teams moderieren oder coachen möchte, braucht einen speziellen Erfahrungshintergrund. Häufig wird behauptet, eine Teammoderation sei deutlich schwieriger als ein Einzel-Coaching/Beratung; Gleiches wird von der Paar- und Gruppentherapie gesagt. Dann müsste es auch schwieriger sein, die Regie eines guten Filmes zu übernehmen, als die Rolle des Hauptdarstellers mit Leben zu erfüllen? Die Berührungspunkte und Überschneidungen sind groß, trotzdem handelt es sich um unterschiedliche Bereiche, die sich nur ungenügend vergleichen lassen.

Im Team-Coaching werden Sie – wenn die Auftragslage nicht klipp und klar ist – zwischen der Rolle eines Moderators, einen Supervisors und eines Teamtherapeuten hin und her springen müssen. Hilfreich zur Bewältigung dieser Herausforderung sind systemische Kenntnisse aus Skulpturaufstellungen oder Psychodrama. Diese Therapieformen sind außerdem ein hervorragendes Training für Teamarbeit und Team-Coaching. Manche Coachs arbeiten gerne mit Einzelpersonen, andere mit Paaren oder Gruppen. Das „System“ wird in der Einzelberatung aber immer eine große Rolle spielen und muss auch hier gewürdigt werden. Grundkenntnisse über Teams sind daher auch für den Einzelcoach unumgänglich.

Vorsicht: Heilige Kühe

Vielleicht engagiert Sie ein Vorgesetzter, um andere Vorgesetze zu motivieren oder um ein ganzes Team „auf Vordermann“ zu bringen. Unklar ist dann noch, was unter Motivation verstanden wird oder wie das Team danach funktionieren soll. Sie wissen auch noch nichts über die geheimen Wünsche von Auftraggeber oder Klienten:

• Sollen verdeckte Konflikte offen gelegt oder vertuscht werden?

• Welche heiligen Kühe dürfen keinesfalls geschlachtet werden?

• Gibt es Gruppen in der Firma oder im Team, die Ihr Scheitern wünschen?

• Ist eine Führungsaufgabe an Sie delegiert worden, die eigentlich der Vorgesetzte ausführen sollte?

• Sind Ziele oder Intention des Coaching oder der Moderation mit den anderen Vorgesetzen oder dem Team abgesprochen?

• Sind die Voraussetzungen geschaffen, dass alle Beteiligten das Gefühl haben, Sie eingeladen zu haben?

 

Fragen: Was genau ist der Auftrag an mich? Wer hat diesen Auftrag so formuliert und wie sind die anderen Teile des Systems mit einbezogen worden? Wer wird die gewünschte Veränderung begrüßen? Wer wird Angst davor haben oder sie (Sie?) behindern? Aus welchem Grunde kann der Vorgesetzte die Aufgabe nicht selbst übernehmen? Gibt es Strukturen im System, die langfristig zu einem Scheitern der Veränderung beitragen könnten? Woran werden wir genau erkennen, dass der Auftrag für alle Beteiligten erfolgreich abgeschlossen ist? Was wird sich im System dann ändern? Wer wird sich am meisten ändern müssen dafür – und wer am wenigsten?

 

Wenn der Chef mit der Sekretärin ...

Wie in jeder Familie gibt es auch im künstlich geschaffenen Sozialsystem der Firma oder Organisation offene und verdeckte Regeln – genauso wie Geheimnisse, die jeder ahnt, aber niemand ausspricht. Verdeckte Regeln entstehen dort, wo es keine Übereinstimmung über die Werte, die Ziele und die Identität des Systems gibt. Das ist meistens der Fall, da ein Team selten einen gemeinsamen Prozess der Identitätsfindung durchlaufen hat. Die Sinnstiftung und Identitätsbildung mit gemeinsamen Zielen und Werten gehört zu den schwierigsten Teamprozessen. Sie sollte „von oben“ beispielhaft vorgelebt werden – muss aber von allen Mitgliedern des Systems aus freien Stücken getragen werden. Offene Regeln in Hochglanzbroschüren lauten häufig:

„Wir sind ..., wir stehen für ...“

Einige Beispiele für offene Regeln:

• „Wir sind engagiert.“

• „Wir sehen den Kunden im Mittelpunkt.“

• „Bei uns zählt Qualität.“

• „Wir sind aufgeschlossen für Neues.“

• „Wir tragen Verantwortung.“

• „Wir arbeiten im Team.“

Wie füllt man solche Behauptungen mit Leben und wie vereint man ein ganzes Team hinter solchen Flaggen? Oder stehen in Wirklichkeit nur sehr wenige aus der Führungsebene dahinter? Andere offene Regeln werden durch die Unternehmenskultur vermittelt und auch an neue Mitglieder weiter gegeben. Daneben stehen aber mächtigere geheime Regeln in Klammern. Jedem Teammitglied ist klar, dass eigentlich diese befolgt werden müssen.

Hierzu einige Beispiele:

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Vielleicht gibt es auch Gerüchte und Geheimnisse, die nur wenige Mitglieder kennen – oder sogar alle? Hat der Chef eine Geliebte, ist Herr S. Alkoholiker, hat die junge Frau K. sich mit weiblichen Reizen „hochgearbeitet“ und wird immer noch vom 20 Jahre älteren Chef intensiv gefördert? Warum ist sie plötzlich im Kegelclub des Chefs und duzt dort die ganzen wichtigen Geschäftspartner der Firma? War der Chef für eine Katastrophe verantwortlich und ist dabei von den Abteilungsleitern gedeckt worden – während dem Team die Schuld zugeschoben wurde? Solche Geheimnisse und Gerüchte können im Hintergrund wirken und viel kraftvoller sein, bei der Bildung einer Unternehmens-Un-Kultur, als die Hochglanzbroschüren der Firmenleitung. Verdeckte Regeln – und unwissende Vorgesetzte – sind außerdem Nährboden für Mobbing.

Wer kann mit wem?

Anfangs ist es hilfreich, die Führungsstruktur, Hierarchie und das Beziehungsgeflecht im System zu erkennen. Dabei hat sich die grafische Aufstellung eines Soziogramms bewährt. In der Gruppentherapie und Moderation gibt es verschiedene Symbolsysteme oder „Kurzschriften“ für die häufigsten Beobachtungen. In dem Buch von Martina Schmidt-Tanger wird eine dieser Symbolschriften vorgestellt: Personen, die miteinander kommunizieren, werden mit einem einfachen Strich dargestellt. Bei intensivem Kontakt werden zwei Verbindungsstriche gezeichnet ...

Bleiben Sie neutral?

Als Coach werden Sie vom System absorbiert und stehen nicht neutral daneben. Zwangsläufig werden Sie sich aufgrund Ihrer eigenen Geschichte, aufgrund von Werten, Inhalten oder Äußerlichkeiten zu dem einen oder anderen Teammitglied oder zu verschiedenen Argumenten mehr hingezogen fühlen. In der Teamarbeit geht es aber weder um Sie noch um eine Therapie oder einen seelischen Wachstumsprozess. Sie sind eingeladen worden, einem System zu mehr Effektivität zu verhelfen:

• Wen bevorzuge und wen benachteilige ich?

• Wem würde ich gerne auf die Sprünge helfen?

• Wer ist schuld und wer leidet in diesem Drama?

• Habe ich Rapport zu jedem Teammitglied?

• Habe ich jeden nach seiner Ansicht gefragt und „gepaced“?

• Wo sind meine eigenen Limitationen, Übertragungen und hinderlichen Glaubenssätze?

• Nehme ich einerseits das Team als Ganzes wahr (defokussiertes Sehen) und würdige andererseits mit Blicken, Gesten, Körperhaltung und in der Rede jeden Einzelnen im System?

Typische Teamprobleme

Häufige Probleme ergeben sich durch eine Team- und Arbeitsorganisation, die „Burn-Out“ fördert. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Standardthemen, die Ihnen begegnen werden: Die Probleme können klar präsentiert werden oder als Problemwolke auf einer sprachlichen Oberflächenstruktur dargeboten werden. Diese wirkt beim ersten Zuhören meist harmlos und lässt noch nicht erkennen, dass dahinter im Einzelfalle auch Frustrationen, Schuldzuweisungen, innere Kündigungen, Aggressivität, Rechtfertigungen etc. verborgen sein können. Die Kernpunkte solcher Wolken sind meist folgende:

• Relevanz: „Wir sehen nicht, wofür das eigentlich wichtig ist, was wir hier tun.“

• Selbstständigkeit: „Wir handeln auf Anweisungen und haben das Gefühl, nur hin und her geschoben zu werden.“

• Bewusstheit: „Wir verstehen den Sinn und die Philosophie unserer Arbeit nicht.“

• Selbstwirksamkeit: „Wir erleben nicht, dass wir etwas bewirken können oder so zustande bringen, wie wir das gerne tun würden.“

• Verantwortlichkeit: „Wir tun, was man uns sagt. Wir würden aber gerne selbst entscheiden und selbst planen.“

• Stolz und Akzeptanz: „Wir möchten stolz sein auf unsere Arbeit und gelobt werden. Häufig werden nur die Fehler getadelt, aber nie wird unser Engagement gelobt.“

• Identität: „Wir wissen nicht so recht, wer wir hier sind und was uns verbindet.“

• Kommunikation: „Es gibt zu viele verdeckte Regeln. Die Kommunikation ist schlecht.“

• Informationsdefizit: „Wir erfahren keine Hintergründe, wir wissen nicht, warum welche Entscheidungen gefällt werden.“

• Fehlende Mittel: „Wir sollen das alles schaffen, aber das Personal, die Zeit und das Geld werden immer knapper.“

• Missachtung anderer Rollen: „Wir werden nur als Produktionsmittel gesehen. Dass wir auch noch Familien und ein Leben nach der Firma haben, das wird nicht ernst genommen.“

• Macht und Stellung: „Wir werden immer benachteiligt und müssen uns anderen Teilen des Systems unterordnen.“

• Sündenböcke: „Wir schleppen den mit durch. Der ist zu langsam, zu faul, immer krank.“

• Entscheidungen: „Es wird zu langsam oder zu unklar entschieden. Wir treten auf der Stelle.“

• Mobbing: „Die Vorgesetzten verschließen die Augen davor oder machen sogar noch aktiv dabei mit.“

Zahlreiche Prozesse, Modelle und Fragen des Einzel-Coaching oder auch der Paarberatung lassen sich mit kleinen Veränderungen auf das Team übertragen.

 

Teamentwicklung

Teams werden selten aus dem Boden gestampft. Meist gibt es bestehende Strukturen, in die sich neue Mitglieder oder Gruppen integrieren. Es gibt einige Grundmuster, nach denen diese Entwicklung vollzogen wird [modifiziert nach John Whitmore und anderem beschrieben in seinem Buch Coaching für die Praxis, Campus, siehe bitte die Literaturhinweise am Ende des Buches]:

1. Eintritt in die Gruppe:

In dieser Phase ist das neue Gruppenmitglied oder die ganze Gruppe noch nicht produktiv und kooperativ. Der oder die Neue(n) müssen sich erst einfinden, orientieren, offene und verdeckte Regeln verstehen, Kompetenzlücken schließen, ihr privates Umfeld schaffen sowie Rückhalt, Vertrauen und Mut entwickeln. „Mitglieder, die von Anfang an schneidig auftreten oder alles umkrempeln wollen, wirken unnatürlich und verstören die Gruppen. Bei diesem Verhalten der Neuen handelt es sich eher um kompensierte Ängste oder Unsicherheiten. Beide Seiten erhoffen sich außerdem emotionale Akzeptanz, Würdigung ihrer Leistung und eine offene Kommunikation“, sagt die Osnabrücker Teamberaterin Henrike Sieker.

2. Neue Strukturen entstehen:

In der Gruppe entstehen Hoffnungen und Ängste auch bei den alten Gruppenmitglieder. Jede Veränderung wird Hierarchien, Aufgabenverteilungen und gewohnte Routinen verändern, woran sich die alten Gruppenmitglieder anpassen müssen. Diese Phase ist sehr dynamisch und wertvoll. Hier wird mit Macht, Koalitionen und anderen Mitteln der „Politik“ spielerisch umgegangen – gelegentlich aber auch destruktiv. „Neue Mitglieder können idealisiert oder emotional scharf abgelehnt werden“, so Henrike Sieker. In dieser Phase behauptet sich jedes Mitglied und definiert seine Rolle im inneren Wettbewerb. Das Team ist in dieser Phase wenig kooperativ und produktiv. „In so genannten Assessment-Centern – Auswahlverfahren für Karriereanwärter – werden diese Phasen einer Teamentstehung umgekrempelt“, stellt Henrike Sieker fest. „Jeder Teilnehmer muss bereits zu Beginn ‚voll im Team sein´. Er soll kooperativ, kreativ und selbstbewusst auftreten – von Anfang an! Was so ‚natürlich´ wirken soll, in diesen Ausleseverfahren, ist in normalen Teams eigentlich eine große Ausnahme.“

3. Produktivität und Kreativität stellen sich ein:

Nachdem jeder vorerst seinen Platz im System gefunden hat und „Ruhe eingekehrt ist“, kann wieder normal gearbeitet werden. In Hochleistungsteams ist dies die Phase großer Kreativität und Produktivität. In weniger motivierten Teams wird in dieser Phase die „geforderte Leistung“ in üblicher Weise erbracht. Die Energie des Teams ist auf das gemeinsame Ziel und die Vision gerichtet. Nur wenig Kraft verpufft innerhalb der Gruppe.

„Wenn Teammitglieder kurzfristig Schwächen zeigen, können sie mit Rückhalt und Zuwendung rechnen: Das System stützt sie in dieser Phase. Die gleiche Schwäche würde anfangs vielleicht mit ‚elterlicher’ Hilfe und in der Phase der Rivalität vielleicht mit boshafter Freude unter den ‚Rivalen’ aufgenommen worden“, sagt Henrike Siker.

Bei Kindern laufen die Phasen der Team- oder Gruppenbildung innerhalb von Tagen ab, wenn neue Schüler in die Klasse kommen. Je älter die Schüler werden, desto länger dauert der Prozess. Erwachsene, die in eine andere Stadt ziehen und dort im Team neue Aufgaben übernehmen, brauchen häufig ein Jahr – oder sogar länger, um die beiden ersten Phasen zu durchlaufen. Von Vorgesetzten wird jedoch meist erwartet, dass dieser Prozess bereits nach drei bis vier Wochen abgeschlossen ist!

Teamidentität

Die logischen Ebenen haben Sie in verschiedenen Zusammenhängen bereits kennen gelernt. Sie eignen sich auch als Diagnose- und Veränderungsmethode im Teambildungsprozess. Sie können die Arbeit auf der höheren logischen Ebene der Identität starten und sich von dort nach unten zu den Fähigkeiten und der Umgebung voranarbeiten:

1. Identität:

Wer sind wir als Team? Wie sehen wir uns? Welches innere Bild haben wir von unserem Team? Welches Symbol für das Team taucht auf, wenn wir uns die Erlaubnis geben, nach innen zu schauen? Welche Farbe symbolisiert das Team? Was sind unsere Leitgedanken: „Wir sind ...“? Was sind unsere Vorbilder (deren Image)? Was ist unser Gegen- Vorbild? Was wollen wir als Team nicht sein?

2. Werte:

Woran glauben wir? Was ist wichtig für uns? Was sind unsere Maßstäbe? Woran messen wir uns selbst? Was sind unsere Vorbilder (deren Werte)? Welche Werte lehnen wir ab?

3. Aufgabe und Vision:

Wofür haben wir uns zusammen gefunden? Wo wollen wir hingehen? Was ist unsere Aufgabe? Was hält uns zusammen? Wohin wollen wir nicht? Was gehört nicht zu unseren Aufgaben?

4. Fähigkeiten und Verhalten:

Was müssen wir können? Was können wir bereits? Worin sind wir besonders stark? Woran erkennen andere, was wir tun und wie wir es tun? Wie gehen wir miteinander um? Wie gehen wir mit den Menschen und den Systemen um uns um?

5. Raum und Ort:

Wie sehen die Räume oder Gebäude aus, in denen wir arbeiten? Welche Atmosphäre schaffen wir dort? Welches Licht scheint dort? Welche Farben sind dort? Welche Möbel umgeben uns?

6. Was jeder tun kann:

Wer muss sich am meisten ändern? Wer am wenigsten? Was ist jeder bereit zu leisten oder beizusteuern? Auf welcher Ebene hat wer die größte Kompetenz?

7. Zielformulierung und Visualisierung:

a. Die gesammelten Antworten werden in klar formulierte Ziele umgewandelt.

b. Aus den Bildern, Symbolen und Leitsätzen der Identitätsfragen (Nummer eins) wird eine Collage erstellt. Hieraus wird ein neues Logo, eine Team-Metapher, Flagge oder ein Wappen kreiert.

c. Der Weg zum effektiven und kooperativen Team wird als Landkarte gezeichnet. Die Orte, die durchfahren werden müssen, stehen für gemeinsame Werte, für Symbole, Verhalten, Visionen etc. Abzweigungen zu „unerwünschten Orten“ stehen für abgelehnte Werte, Anti-Ziele oder auch für kreative Umwege.

Rolle oder Psychologie?

Wir neigen dazu, das Verhalten unserer Mitmenschen mit deren Charakter zu erklären. Das ist ein willkommenes Betätigungsfeld für alle Hobby-Psychologen, die ihren Mitmenschen dann Neurosen, Zwänge oder niedere Beweggründe unterstellen. Unser eigenes Verhalten allerdings werde meist nur aus den Umständen und den Pflichten geboren, denen wir ausgesetzt sind. Diese psychologische und soziologische Wahrnehmungsverzerrung ist in zahlreichen Studien belegt (und wird in diesem Buch jetzt zum dritten Mal genannt). Diese Wahrnehmungsverzerrung führt in Teams oder Betrieben immer wieder zu Unklarheiten:

Selten werden die Pflichten erkannt, die unsere Teammitglieder, Linienvorgesetzten und Projektleiter in ihren soziologischen Rollen wahrnehmen. Stattdessen schreiben wir ihnen andere psychologische Beweggründe zu. Gelegentlich treten auch Konflikte auf, wenn verschiedene Rollenerwartungen nicht erkannt oder klar getrennt werden. Dazu einige Beispiele:

• Wenn der Abteilungsleiter auf der Einhaltung der täglichen Arbeitszeit besteht, will er damit nicht seinen Kontrollzwang ausleben, sondern ist aufgrund seiner Rolle zu dieser Kontrolle verpflichtet.

• Wenn die Chefsekretärin mahnt, dass Sie fünf Minuten zu spät dran seien, will sie sich nicht aufspielen. Sie ist von ihrem Chef dazu verpflichtet worden.

• Wenn Ihr Lektor monatlich einen Leistungsnachweis oder Tätigkeitsbericht verlangt, zeigt er damit nicht, dass er Ihnen misstraut oder Sie für faul hält. Er muss im Verlag vielleicht selbst monatlich über die Entwicklung in seinem Produktbereich berichten und braucht dazu Ihre Informationen.

• Wenn Sie als abteilungsübergreifender Projektleiter eingesetzt sind, Ihr Linienvorgesetzter Ihnen für diese Tätigkeit aber nicht den zugesicherten Freiraum einräumt oder wieder nimmt, kommt es zu einem Rollendilemma: Einerseits sind Sie ihm unterstellt, andererseits haben Sie Verantwortung als Projektleiter übernommen.

Damit haben Sie eine neue Rolle erhalten – neben der bestehenden Rolle als Mitarbeiter in der Abteilung. Es ist hilfreich, bei allen Problemen, die Ihr Klient hat, Klarheit und Struktur in die verschiedenen Rollenerwartungen zu bringen: in jene der Klienten und in die der potentiellen Konfliktpartner. Eine große Zahl von Kommunikationsstörungen, Frustrationen oder Führungsschwierigkeiten lässt sich auf diese Weise bereits klären – ohne die Mittel der Psychologie.

Mobbing

Mobbing ist ein Modewort – so wie Coaching. Jeder versteht darunter etwas anderes. Es erinnert an das Wort „Jogging“: Ein amerikanischer Gesundheitsexperte empfahl im Fernsehen den alten und untrainierten Menschen statt des Laufens (engl. to run; running) ein langsames Zotteln oder Trotten (engl. to jog; jogging). Dieses „Joggen“ wurde dann in Deutschland bekannt: Durch einen Übersetzungsfehler sind die meisten Dauerläufer Deutschlands jetzt langsame Zottler und Trotter. Mobbing ist teuer, gesundheitsschädlich und grausam. Durch einen „Übersetzungsfehler“ kann aber auch jede Kommunikationsstörung oder Wahrnehmungsverzerrung zum „Mobbing“ werden. Um normale Meinungsverschiedenheiten, Kommunikationsstörungen oder faire Konkurrenz davon zu trennen, ist es hilfreich, mit dem Klienten Folgendes zu klären:

• Was genau ist das beobachtete Verhalten?

• Was genau ist meine Bedeutungszuschreibung?

• Wie sehen das andere? Wie würden die das einschätzen?

• Was lief an der bisherigen Kommunikation schief?

• Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun?

• Rollenverwirrungen lösen?

• Fehlende Abgrenzung des Klienten?

• Eigene Schatten/Balken oder Abwehr?

• Wie sieht das aus der Perspektive der „Mobber“ aus?

Ein großer Teil der „Mobbing-Fälle“ lässt sich bereits mit dieser Klärung als kleineres Problem erkennen. Die Klienten entwickeln im Coaching dann selbst Fähigkeiten, sich aus der vermeintlichen Sackgasse zu befreien. Glücklicherweise sind auch die meisten echten Mobbing-Probleme durch den Klienten selbst auflösbar. Mobbing greift Ruf, Gesundheit, Leben, Wohlbefinden, materielle Sicherheit, berufliche Chancen, Besitz und Privatleben der Opfer an. Es ist schädlich für den wirtschaftlichen Erfolg der Organisation und verursacht volkswirtschaftlich enorme Schäden. Wichtige Mobbing-Strategien zusammen gefasst:

Killergesten und Killerphrasen: Siehe Kapitel Kommunikation.

Behinderungsmacht: Besonders häufig: Informationen zurückhalten, ausgrenzen, Schweigen, das Wort verbieten, Selbstverantwortlichkeit und Sinn der Arbeit rauben, Feedback verweigern. Siehe Kapitel Partnerschaft.

Zuschreibungen des Seins: Kein Kommentar zum Verhalten. Beliebt: „Du bist faul, unordentlich etc.“ Siehe Kapitel Tagträumen/Kinderhypnose.

Kommunikationsverzerrungen: Unterschwellige Vorwürfe oder Botschaften, die auf einer oberflächlichen Sachebene getarnt vermittelt werden. Siehe Kapitel Kommunikation.

Grenzverletzungen: Über die Ressourcen des Klienten wird verfügt (Kraft, Fähigkeit, Zeit ...), Drohungen, Kränkungen, physischer Schaden an Besitz oder am Arbeitsplatz, Demütigungen, sexuelle Belästigung. Siehe Kapitel Kommunikation/Abgrenzung.

Informationen streuen – Klatsch: Das Bild einer Person entsteht nicht nur aus eigener Beobachtung, sondern zum großen Teil aus den Berichten anderer: „An den Gerüchten wird schon was dran sein.“ Siehe Kapitel Persönlichkeit und Identität. Beispiele für Gerüchte: Jemand sei psychisch krank, trinke Alkohol, falsche Beurteilung des Arbeitseinsatzes, Vorwürfe der Pflichtverletzung etc.

Fehler zuschieben: Schwächen, Ängste oder reale Arbeitsfehler werden dem Klienten untergeschoben.

Informationen ausnutzen und stehlen: Vertrauliche Informationen werden gegen den Klienten genutzt oder auch geraubt – der Mobber nutzt sie selbst (Aushorchen).

Asymmetrie herstellen: Die Gleichheit des Mitarbeiterstatus wird verleugnet, das Opfer wird wie ein Kind oder Patient behandelt – lässt sich so behandeln? Siehe Kapitel Partnerschaft.

Charakteristisch ist, dass die Mobber ihre Strategie wiederholt oder permanent anwenden. Diese Wiederholungen und der permanente Druck machen das Opfer verwirrt oder krank. Mobber sehen als Ursache für ihr Verhalten selten ein spezifisches Problem – ihnen geht es häufiger um einen unterschwelligen Kampf, der von dumpfen Leitsätzen oder Gefühlen persönlicher Abneigung gesteuert wird. Man könnte meinen, ein Geist der Dummheit treibt sie dabei an. Häufig sind jedoch eigene Ängste, familiäre oder systemische Verstrickungen die Ursache für ihr Handeln. Da in den wenigsten Mobbing-Systemen nach solchen Ursachen gefahndet wird, lassen wir die „Dummheit“ einfach als Metapher für die eigentlichen Ursachen stehen. Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes gibt es Mobbing nicht nur von oben. Die Verursacher seien:

• zu 44 Prozent Kollegen,

• zu 37 Prozent Vorgesetzte,

• zu 10 Prozent Kollegen und Vorgesetzte,

• zu 9 Prozent Untergebene.

Häufiger mobben Frauen Frauen und Männer Männer. Gut ausgebildete Vorgesetzte werden schnell merken, wo Schwachstellen liegen, die Mobbing ermöglichen: Alltägliche Schwierigkeiten können Mobbing fördern:

• Geringschätzung einer Tätigkeit.

• Soziale Außenseiterposition (Ausländer?).

• Hoher Zeitdruck.

• Unbesetzte Stellen.

• Starre Hierarchie.

• Unsinnige Aufgaben und Anweisungen.

• Hohe Verantwortung ohne Handlungsspielraum.

• Inkongruente Firmenphilosophie (es wird nicht so gehandelt, wie es gesagt wird).

Es gehört zur Fürsorgepflicht, Mobbing zu unterbinden. Das ist häufig sehr leicht, da wirklich böswillige Mobbing-Attacken selten sind. Meist machen sich die Verursacher keine Gedanken über die grausamen Auswirkungen ihrer Handlungen. Verletzender Klatsch, Tratsch, Gerüchte und jeder Ansatz von Mobbing sollten daher von Kollegen und Vorgesetzten durch mutiges und vorbildliches Auftreten unterbunden werden. Über die Auswirkungen destruktiver Kommunikation sollte Feedback gegeben werden. Viele Vorgesetzte haben keine Kenntnisse auf diesem Gebiet. Einige von ihnen mobben selber oder setzen Mobbing als destruktives Führungsinstrument bewusst und planmäßig ein oder sie dulden es – um Kündigungen zu fördern. Aus diesem Grunde müssen etwa 60 bis 70 Prozent der Mobbing-Opfer ihren Kampf alleine austragen. Durch den permanenten Druck werden viele von ihnen aggressiv, mürrisch, und ängstlich. Häufig werden sie vom System als Sündenbock gesehen und fühlen sich dann auch so. Dann stehen sie als Stellvertreter oder Repräsentant für das Problem ihres Systems. Mobbing-Opfer wirken daher auf Berater gelegentlich reizbar, lähmend oder leblos: „Kein Wunder, dass man diese Nervensäge meidet oder ausgrenzt ...!“ Andererseits wird das Helfer-Syndrom des Beraters hierdurch besonders intensiv angesprochen. Wenn hinter Mobbing tückische Bosheit, destruktive Gruppenverblendung oder kriminelle Energie stecken, benötigt der Klient Rückendeckung durch Schlichtungs- und Beschwerdestellen oder durch den Betriebsrat. Diese sind mit dem Thema oft selbst überfordert oder „betriebsblind“. In diesen Fällen rate ich zu einer systemischen Organisationsberatung oder – wenn der kurzfristige Schutz des Klienten im Vordergrund steht – sogar zur Hilfe eines Fachanwalts für Arbeitsrecht, der sich mit Mobbing auskennt: Infos gibt es bei der Anwaltskammer. Scheuen Sie sich als Coach nicht, zu diesen Hilfestellungen zu raten, wenn Sie meinen, der Klient kann sich mit eigenen Mitteln aus dieser Verstrickung nicht mehr lösen. Patentrezepte zum Umgang mit Mobbing gibt es nicht. Im Coaching gelingt es aber meist, die Grundlagen für einen konstruktiven Umgang mit dem Problem zu finden. Die Einzelschritte dabei sind typische Coaching-Werkzeuge:

1. Sammeln von Informationen.

2. Trennen von: Beobachtung, Zuschreibung und Emotion.

3. Feedback geben.

4. Problemdefinition.

5. Zieldefinition.

6. Ressourcen sammeln und aktivieren.

7. Vorbereitung und Training des Gesprächs oder der Konfliktvorbereitung und –Steuerung.

8. Gespräche des Coachs mit Vorgesetzten, Mobbern und dem Team.

9. Prozessbegleitung.

 

 

Der Autor: Dr. Björn Migge studierte Medizin, soziale Verhaltenswissenschaften und Ökonomie (Personalmanagement). Ausbildung in Radiologie, Innerer Medizin, Tauchmedizin, Notfall-Medizin, Psychosomatik, Hypnotherapie, NLP und Coaching. Er war Oberarzt und Dozent am Universitäts- Spital Zürich und danach selbstständig in großer ärztlicher Praxis. Der Autor arbeitet jetzt hauptberuflich in der Klinik-am-Osterbach. de – mit den Schwerpunkten: Psycho- Traumatologie & EMDR, Tiefenpsychologie und Psychodrama. Er ist freier Mitarbeiter der Firma Futurepace Consulting GmbH.