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Ego-State-Therapie: Was passiert da genau?

App FP 0121 komplett Page27 Image1In der Ego-State-Therapie gehen wir von einem Konzept des multidimensionalen Selbst aus: „Die Persönlichkeit des Menschen weist verschiedene Anteile auf bzw. ist von Natur aus segmentiert und die verschiedenen Anteile sind durch Bemühung um Anpassung an verschiedene Lebensumstände entstanden“ (Phillips, 2019).

Ego States als Teile des Selbst

In Anlehnung an die Hebb‘sche Regel: „Neuronen, die zusammen feuern, verschalten sich“ sagt Allan Schore, ein bekannter Bindungsforscher, dass sich im sich entwickelnden Gehirn (autonome, affektive, somatische, kognitive) Zustände (states) in neuronalen Netzwerken organisieren, die schließlich zu überdauernden Persönlichkeitszügen (traits) werden. Ein Teil der Persönlichkeit ist also ein neuronales System, eine Ansammlung von neuronalen Netzwerken, die sich verschaltet haben, weil sie so oft zusammen gefeuert haben, also aktiviert wurden.

„Ego States sind neurophysiologische und psychologische Manifestationen des Autonomen Nervensystems (ANS) als Reaktionen auf positive und negative Lebenserfahrungen“ (Hartman, 2018). Innerhalb eines solchen Selbstzustandes herrscht Kohärenz, es gibt also etwas in sich Zusammenhängendes oder Verbundenes und es gibt auch eine Kontinuität über Zeit. Das heißt, ein Ego State lässt sich immer wieder auffinden.

So fasst Phillips (2018) in Anlehnung an Daniel Siegel zusammen, dass ein Ego State ein Cluster von Persönlichkeitsenergie ist, das seine eigenen Überzeugungen hat, seine eigene Geschichte, eigene Bedürfnisse und Reaktionen und auch seine eigenen körperlichen Erfahrungen etc. Ein Ego State hat also im Grunde genommen sehr viel Ähnlichkeit mit uns als gesamter Person, nur eben innerhalb eines Clusters. Mit einem Ego State ist es möglich, verbal oder nonverbal in Verbindung zu treten und mit diesem auch eine Beziehung zu entwickeln. Gerade durch den unmittelbaren Kontakt und das In-Kontakt-Treten mit einem solchen Ego State zeigt uns, dass wir es auch wirklich mit einem Ego State zu tun haben (Phillips, 2018).

App FP 0121 komplett Page28 Image1Prozesse bei der Entstehung von Ego States

In der Ego-State-Therapie (Hartman und Fritzsche, 2010) geht man von drei Prozessen aus, die zur Entstehung von Ego States führen können:

1. Normale Differenzierung

Im Laufe unserer Entwicklung formen wir gewisse Ego States heraus, um bestimmte Grundbedürfnisse zu befriedigen und unsere Anpassungs- und Bewältigungsfertigkeiten zu erhöhen. Es sind Rollen, die wir einnehmen, die durch bestimmte Erfahrungen geprägt sind und sich in bestimmten Kontexten mit geeigneten Verhaltensweisen zeigen.

2. Introjektion bedeutsamer anderer Menschen

Der Prozess der Resonanz und die Spiegelung durch das System der Spiegelneurone führt im interpersonellen Raum zur Hineinnahme des interpersonellen Geschehens ins Innere und somit zur Ausbildung sowohl eines verkörperten Anderen im Selbst, dem Introjekt, als auch zur Ausbildung jener Selbstrepräsentanzen, die bereits im Außen mit dem Anderen in Interaktion standen: die sog. reaktiven Teile.

3. Traumatisierung

Traumatische Erfahrungen können zu einer Aufteilung des inneren Systems führen. Da sind auf der einen Seite die Verteidigungssysteme, die versuchen, das Überleben des Individuums unter massiver Bedrohung zu garantieren, und auf der anderen Seite das Alltagssystem, das für das Überleben der Art zuständig ist und mit dem täglichen Leben verbunden bleibt. Nijenhuis, van der Hart und Steele sprechen von struktureller Dissoziation der Persönlichkeit infolge eines Traumas (2008). In der Ego-StateTherapie bezeichnen wir die durch Traumatisierung entstandenen verletzten Ego States als symptom- und traumaassoziierte Ego States. Des Weiteren können durch Traumatisierung auch sog. destruktiv oder verletzend wirkende Ego States entstehen, deren Absicht es oftmals ist, den verletzten Ego State auf ihre Art zu schützen.

App FP 0121 komplett Page30 Image2Korrigierende Erfahrungen ermöglichen

Ein wesentliches Kernstück der Ego-State-Therapie ist es, den verletzten, trauma- oder symptomassoziierten Ego States sowie jenen Ego States, die in ihrem Verhalten verletzend erscheinen (reaktive Ego States) neue korrigierende Erfahrungen im Raum oder auf der inneren Bühne zu ermöglichen. Phillips und Frederick (2007) haben ein vierphasiges Modell entwickelt, das sog. SARI-Modell, das in der Ego-State-Therapie als Behandlungsgrundlage genommen werden kann. Es besteht aus den Schritten: S: Safety and Stabilisation bzw. Sicherheit und Stabilisierung. A: Access = Schaffung eines sicheren Zugangs zum Trauma und zu den damit verbundenen Ego States. R: Resolving and Restabilisation oder auch Repair und Renegotiation = Auflösen der traumatischen Erfahrung und Neuverhandlung. I: Integration and Identity = Integration, Neuorientierung und Schaffung einer neuen Identität.

Orientiert am SARI-Modell bewegen wir uns mit der Neuverhandlung auf der Ebene R = Repair und Renegotiation sowie I = Integration. Wenn wir neue korrigierende Erfahrungen nachhaltig gestalten wollen und den Klienten (immer m/w/d) im Raum oder auf der inneren Bühne ein Neuverhandeln gemachter Erfahrungen ermöglichen wollen, macht es Sinn zu verstehen, wie Erfahrungen abgespeichert werden und wie erinnert wird.

Das Abspeichern von Erfahrungen

Erfahrungen können explizit abgespeichert werden. Dann sind sie uns bewusst und können abgerufen werden. Die expliziten Gedächtnisinhalte (deklarativ und narrativ) werden auf neokortikaler Ebene bzw. im präfrontalen Kortex abgespeichert. Erfahrungen können aber auch implizit abgespeichert werden und sind uns dann auf bewusster Ebene nicht zugänglich. Implizite Gedächtnisinhalte sind eher auf Hirnstammebene (prozedural) und auf der Ebene des limbischen Systems (emotional) angesiedelt. Frühe (prä- und perinatale) Erfahrungen bis zum zweiten Lebensjahr sind im impliziten Gedächtnis hauptsächlich auf der somatischen, bildhaften Ebene und der Ebene von Mikrobewegungen und Bewegungsabläufen abgespeichert.

Das Abspeichern von Emotionen braucht eine Etikettierung, die erst später mit dem Spracherwerb möglich ist. Ab dem zweiten Lebensjahr, auch mit zunehmender Entwicklung der linken Hirnhälfte und der Hippocampusreifung ab dem 18. Lebensmonat kommt als weiteres Element die Bedeutungsgebung hinzu, oft im Sinne von erfahrungsinterpretierenden Glaubenssätzen. Das heißt, dass einerseits altersbedingt nicht alle Elemente einer Erfahrung zu jeder Lebenszeit abgespeichert werden können und wir somit bei sehr früh entstandenen Ego States Gedächtnisinhalte im impliziten, vorsprachlichen Bereich vorfinden.

Auch Traumata können dazu führen, dass nicht alle Gedächtnisinhalte kohärent abgespeichert werden, sondern zu einer Dissoziation von Gedächtnisinhalten und dem Aufsplitten der Erfahrungselemente führen können (somatoforme oder psychoforme Dissoziation).

App FP 0121 komplett Page31 Image2Das Erinnern von Erfahrungen

Peter A. Levine, der Begründer der Somatic Expierencing®-Traumatherapie, geht von folgender zentraler Prämisse aus: „Unsere aktuelle emotionale Befindlichkeit könnte der Hauptfaktor sein, der bestimmt, woran wir uns erinnern und was uns von einem bestimmten Ereignis im Gedächtnis haften bleibt“. So, wie die in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen die Erinnerungen prägen, beeinflussen sie ebenso die Datenbanken, aufgrund derer der in uns angelegte Vorgang der Neurozeption erneute Einschätzungen in der Gegenwart vornimmt.

Neurozeption ist ein von Stephen Porges, dem Begründer der Polyvagale-Theorie, geprägter Begriff, der die Wahrnehmung unterhalb der Schwelle des Bewusstseins beschreibt, mit dem Ziel, die innere und die äußere Umgebung auf Sicherheit und Gefahr hin zu scannen. Die in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen ver- ändern die Brille, mit der wir die Gegenwart sehen (Levine, 2016). So sagt Levine, dass auch unsere jeweilige Stimmung und unsere körperlichen Empfindungen eine zentrale Rolle dabei spielen, wie wir uns an ein bestimmtes Ereignis erinnern.

Erinnerungen entstehen nicht irgendwann und werden dann unberührt als solche aufrechterhalten, sondern sind etwas, „das entsteht und dann mit jedem Abruf aufs Neue aufgebaut, d. h. erinnert wird.“ … „Jedes Mal, wenn wir über die Vergangenheit nachsinnen, transformieren wir auf subtile Weise ihre zelluläre Repräsentanz im Gehirn und verändern etwas an dem ihr zugrunde liegenden neuronalen Schaltkreis“ (Jonah Lehrer in: Levine, 2016).

Erinnern ist ein ständiges Rekonstruieren. In Anlehnung an Heisenbergs Unschärferelation wird mit jedem Erinnern das zu Erinnernde verändert. Wir können also unsere Erinnerungen nicht beobachten, ohne sie beim Prozess des Erinnerns zu verändern. „Erinnerungen sind absichtlich so gemacht, dass sie einem solchen natürlichen Aktualisierungsprozess unterliegen“ (Levine, 2016). Dieses offensichtlich, weil durch diesen Mechanismus evolutionsbiologisch eine verbesserte Anpassung an mögliche Gefahrensituationen in der Gegenwart gewährleistet wird. Interessant ist aber auch, dass die Vergangenheit nicht nur durch ihre Auswirkungen in der Gegenwart fortbesteht, sondern: „Die Gegenwart trägt auch das Potenzial in sich, zu ändern, was war“ (Levine, 2016).

Das Neuverhandeln von Erfahrungen: Trauma-Transformation

Beim Neuverhandeln von Erfahrungen handelt es sich laut Levine „um die allmähliche und abgestimmte erneute Begegnung mit diversen sensomotorischen Elementen, aus denen sich ein bestimmtes Trauma-Engramm zusammensetzt. Zum Neuverhandeln kommt es primär durch Zugriff auf prozedurale Erinnerungen, die mit den beiden dysregulierten Zuständen des autonomen Nervensystems (ANS) in Verbindung stehen - Hypererregung/Überwältigtsein oder Hypoerregung/Abschalten und Hilflosigkeit -, und dann durch Wiederherstellen und Vollenden der damit verbundenen aktivierten Reaktionen“ (Levine, 2016).

So gesehen arbeiten wir beim Neuverhandeln auf der somato-emotionalen Ebene, ermöglichen dort neue korrigierende Erfahrungen und schaffen dadurch neue prozedurale Erinnerungen, aus denen sich ein neues Narrativ ergibt. Es ist, als ob das Neue in das Alte hineinverwoben wird, womit das Alte nicht mehr auf dieselbe Art und Weise erinnert werden kann. Da wir in der Gegenwart arbeiten, ermöglicht die erlebte korrigierende Erfahrung eine veränderte Neurozeption, um die Vergangenheit durch eine neue Brille zu erinnern.

„Die Arbeit mit einer stufenweisen Neuverhandlungs-Sequenz stärkt kontinuierlich die kritische Beobachterfunktion. Damit ist die Fähigkeit gemeint, präsent zu bleiben und die diversen verstörenden Empfindungen, Gefühle und Bilder zu verfolgen - ihnen zu begegnen, ohne von ihnen überwältigt zu werden“ (Levine, 2016).

Wenn wir als Therapeuten, wie Pesso, der Begründer der Pesso Boyden System Psychomotor Therapie PBSP, es in der Zeugenfunktion mit dem Microtracking tut, dem Klienten jeweils rückmelden (auch im Sinne von Pacing), sobald wir eine Veränderung seiner Erfahrungselemente wahrnehmen (z. B. wenn sich seine Hautfarbe verändert oder leichte Mikrobewegungen sichtbar werden) oder wenn wir den Klienten einladen, eine solche Veränderung selbst zu beobachten, stärken wir ebenfalls die Beobachterfunktion im Klienten.

Dies ist eine wichtige Voraussetzung für den Prozess der Entschmelzung (R. Schwartz, IFS, unblending) mit dissoziativ entstandenen symptom- oder traumaassoziierten Ego States.

So sagt Levine, wenn es im Zuge von Neuverhandlungen auf prozeduraler Ebene zu neuen prozeduralen Erfahrungen und somit neuen abspeicherbaren Erinnerungen kommt, ist es wichtig, diese dann zu verknüpfen mit den „emotionalen, episodischen und narrativen Funktionen des Gedächtnisses.“ ... „So kann die Erinnerung den Platz einnehmen, der ihr gebührt - in der Vergangenheit.“ ... „Die gesamte Struktur der prozeduralen Erinnerung ist verändert worden, was die Entwicklung neuer (aktualisierter) emotionaler und episodische Erinnerungen fördert“ (Levine, 2016).

Durch dieses Einbeziehen der verschiedenen Seinsebenen wie es im Somatic Expierencing® mit dem SIBAM-Modell vorgesehen ist, wird es möglich, den symptom- oder traumaassoziierten Ego State zu einem neuen ganzheitlichen inneren Gewahrsein zu führen. Dabei sind unter S: Sensations bzw. Körperempfindungen zu verstehen, unter I: Impressionen und Eindrücke aus den Sinnesorganen sowie auch Vorstellungen auf der inneren Bühne, unter B: Bewegungen und Verhaltensweisen, unter A: Affekte und Gefühlsnuancen und unter M: die Bedeutungsgebung. Können alle Seinsebenen in einem Narrativ verknüpft werden, wird das Erleben zu einem ganzheitlich inneren Gewahrsein (Felt Sense).

„Durch eine Veränderung unserer Körperempfindungen (S) und durch Bilder in der Gegenwart (I) kommt in die abgerufenen Erinnerungen mehr Selbstwirksamkeit.“… „Wenn wir in der Lage sind, aus einer ermächtigten Haltung heraus auf eine traumatische Erinnerung ‚zurückzublicken‘, wird die Erinnerung hierdurch so aktualisiert, als wäre diese Selbstwirksamkeit bereits zum Zeitpunkt des ursprünglichen Traumas gegeben und voll funktionsfähig gewesen. Diese neu konsolidierte Erfahrung wird dann zu der neuen aktualisierten Erinnerung, in der die ermächtigte gegenwärtige somatische Erfahrung die (alte) Erinnerung weitreichend ändert. Die hierbei auftauchenden Ressourcen werden zur Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart – zur er-inner-ten Gegenwart“ (Levine, 2016).

Was schließen wir daraus?

Ein erster wichtiger Schritt mit unseren Klienten ist es, sie in solche ermächtigte Haltung in der Gegenwart zu begleiten. In der Ego-State-Therapie nach dem ursprünglichen SARI-Modell beginnen wir mit S (Sicherheit und Stabilisierung). Wenn wir uns dann A (Annäherung an traumatische Inhalte) nähern, ist es dem Klienten möglich, schon durch eine andere, aktualisiertere Brille auf die Vergangenheit zu schauen und mit mehr Ermächtigung in die Phase R, die Neuverhandlung zu schreiten. In dieser Phase kommt es in der Gegenwart durch eine korrigierende Erfahrung zur Herausbildung einer neuen Erinnerung in Bezug auf eine in der Vergangenheit gemachte Erfahrung.

Wie Levine herausstreicht, ist insbesondere die Arbeit mit dem emotionalen und prozeduralen Teil der Erinnerungen das, was nachhaltig die Basis für eine Aktualisierung von Gedächtnisspuren legt und Ausgangspunkt für das Entstehen eines ganzheitlich inneren Gewahrseins (Felt Sense) in Phase I (Integration) werden kann. Man kann einen solchen somato-emotionalen Zugang auch als einen Bottom-up-Zugang bezeichnen im Unterschied zu den sog. Top-down-Ansätzen, die über das Verstehen und Verändern von Gedankenmustern versuchen, Veränderungen mit dem Klienten zusammen einzuleiten.

„Das revidierte körperliche Erleben wird in die Ausgangserfahrung integriert und lässt so eine neue, aktualisierte prozedurale Erinnerung entstehen. Diese neue Erinnerung wird jetzt konsolidiert, und die alte Erinnerung an Überforderung und Hilflosigkeit ‚molekular‘ durch eine aktualisierte, von erlebter Selbstwirksamkeit gekennzeichnete Version ersetzt“ (Levine, 2016).

Das psychotherapeutische Wirkungsmodell der Veränderung in der EgoState-Therapie, s. Abb.

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Wir können Pessos psychotherapeutisches Wirkungsmodell der Veränderung in der Pesso Boyden System Psychomotor Therapie (PBSP) (Perquin 2004 in: Bachg, 2006) gut übertragen auf Ego-State-Therapie und die Arbeit auf der inneren Bühne, wenn wir konzeptuell von einem integrativen Selbst ausgehen. So ist es zunächst einmal wichtig, die reale Vergangenheit von der hypothetischen Vergangenheit zu unterscheiden, in der wir mit unserer Arbeit beginnen. Die reale Vergangenheit ist der Zeitraum, in dem eine reale Erfahrung gemacht wurde und mehr oder weniger kohärent abgespeichert werden konnte. Eine solche reale Erfahrung kann ein einmalig auslösendes Ereignis wie ein Schocktrauma sein, es kann aber auch, insbesondere wenn man die frühe Prägung durch Bindungsbeziehungen betrachtet, eine über einen längeren Zeitraum hinweg bestehende bestimmte prägende Atmosphäre innerhalb eines Familiensystems, einer Beziehung oder eines Arbeitsplatzes sein.

Nehmen wir an, dass durch eine solche auslösende Situation in der Vergangenheit (ISE, Initial Sensitizing Event, Emmerson, 2015) ein Ego State 1 entsteht (1). Durch entsprechende Trigger in der Gegenwart (2) kommt es immer wieder zur Aktivierung der neuronalen Instanz von Ego State 1 bzw. der abgespeicherten Erinnerungen verbunden mit Ego State 1 (3) in der Gegenwart. Nehmen wir an, dass das Auftauchen von Ego State 1 in der Gegenwart sich für den Klienten in der gegenwärtigen Situation nicht angemessen anfühlt.

In der Ego-State-Therapie arbeiten wir nun mit der in Gegenwart durch Trigger ausgelösten neuronalen Instanz bzw. Erinnerung an Ego State 1 (4) in einer hypothetischen oder synthetischen Vergangenheit auf der inneren Bühne mit einer sorgfältig aufgebauten korrigierenden Erfahrung (z. B. mit einem idealen inneren Elternteil, iiE oder einem inneren Helfer iH) auf allen Sinnesebenen (4) hin zu einer Veränderung der Erfahrungselemente und einem neuen Felt Sense: Ego State 1 wird zu Ego State 2 (5). In der Gegenwart kommt es dadurch zur Entschärfung der ursprünglichen Triggersituation (6), die von der Gesamtheit des Selbst dann abgewehrt werden kann (7). Aus der alten Landkarte wird eine aktualisierte neue Landkarte.

Damit wir das tun können, arbeiten wir mit einer vor dem geistigen Auge abgerufenen Erinnerung im Hier und Jetzt (hypothetische Vergangenheit) und mit den damit verbundenen Emotionen und Körperreaktionen (prozedurales Gedächtnis). Wir nutzen die im geistigen Körper (Pesso) abgelegten Karten und Repräsentanzen der entsprechenden Altersstufe und knüpfen daran neue, heilende Körpererfahrungen.

Das heißt, die zerebrale Organisation des geistigen Körpers erfährt dadurch ein Update, das Kartenmaterial und die Reprä- sentanzen werden mitsamt Erneuerungen abgespeichert und sind für einen späteren Abruf in dieser erneuten Form zur Verfü- gung (Bachg, 2006). So wie Pesso von der integrierenden Instanz des Piloten ausgeht, können wir in der Ego-State-Therapie die integrative Instanz des höheren Selbst oder zentralen Selbst annehmen.

App FP 0121 komplett Page32 Image1Psychoedukation – wo passiert was

Eine solche Neuverhandlung der Vergangenheit auf der inneren Bühne (hypothetische Vergangenheit) in der Gegenwart kann für den Klienten verwirrend sein. Hier ist Psychoedukation ein wichtiger Teil der Therapie. So ist es für den Klienten hilfreich zu verstehen, dass durch diese Art der Arbeit die reale Vergangenheit nicht verändert werden kann, wohl aber deren Auswirkung in der Gegenwart.

Wenn unsere Klienten Situationen aus ihrem Alltag beschreiben, in denen sie wiederholt heftig und ihrer Meinung nach unangemessen reagieren, können wir annehmen, dass es bestimmte Auslösereize in der Gegenwart gibt, sog. Trigger, die mit bestimmten Gegebenheiten in der Vergangenheit Ähnlichkeit haben. Solche Trigger müssen nicht bewusst sein. Eine häufig angewendete Technik in der Ego-StateTherapie ist die Arbeit mit der Affektbrücke. Diese aus der Hypnose-Therapie entlehnte Technik ermöglicht es uns als Therapeuten, das somatische und emotionale Erleben des Klienten in einer solchen Triggersituation in einem leichten Trancezustand zu erkunden und zurückzuführen auf ein ursprünglich auslösendes Ereignis. Dort setzen wir dann mit der Neuverhandlung in der hypothetischen Vergangenheit an.

Trickreich und manchmal verwirrend kann das Vorgehen für Klienten jetzt werden, weil ihr somatisches und emotionales Erleben in der Gegenwart sehr stark ist und es nicht unmittelbar für sie nachvollziehbar ist, dass dies eine Aktualisierung einer Erinnerung an eine in der Vergangenheit gemachte Erfahrung ist. Es passiert jetzt (Gegenwart) und gehört dorthin (Vergangenheit). Für den Ego State, der durch eine solche Triggersituation auf der inneren Bühne erscheint, besteht diese Verwirrnis hinsichtlich der Zeitachse sehr häufig.

Das, was er jetzt spürt, fühlt sich für ihn jetzt real an. Es ist auch jetzt real, weil es in seinem Körper jetzt passiert und es dennoch eine aktivierte Erinnerung ist. Gerade bei traumatisierten Klienten ist diese Verwirrnis hinsichtlich der Zeitachse besonders häufig zu beobachten. Symptom- und traumaassoziierte Ego States sind häufig in der Vergangenheit „gefangen“ oder, um es mit den Worten von Schwartz zu sagen, sie sind mit dem aktivierten Ego State verschmolzen (blended), so als ob es nichts und niemand anderen gäbe.

Für Therapeuten ist in diesem Moment wichtig, selbst klar zu bleiben, wo sie sich mit dem Klienten befinden. Gerade dann ist es hilfreich, den aktivierten Ego State auch als solchen zu benennen (als Teil von …), sodass es dem Klienten die Chance gibt, wie Schwartz sagte, zu entschmelzen.

Wenn wir die Arbeit auf der inneren Bühne mit diesem aktivierten Ego State fortsetzen und korrigierende Erfahrungen anbieten, wird es immer wieder notwendig werden, das somatische und emotionale Erleben in diesen Prozess abzufragen, um eine Nachhaltigkeit bei der Veränderung zu ermöglichen und zu verankern.

Literatur

  • Emmerson, Gordon: Learn Resource Therapy. Clinical Qualification Student Training Manual, Old Golden Point Press, 2015
  • Fritzsche, Kai: Praxis der Ego State Therapie. Carl-Auer Verlag, 2013
  • Hartman, Woltemade und Fritzsche, Kai: Einführung in die Ego State Therapie. Carl-Auer Verlag, 2010
  • Hartman, Woltemade: Einführung in die EgoState-Therapie, 3. Teile-Therapie-Tagung, Heidelberg, 2018
  • Levine, Peter A.: Sprache ohne Worte. Kösel Verlag, 2011
  • Levine, Peter A.: Trauma und Gedächtnis. Kösel Verlag, 2016
  • Perquin, L.: Das Psychotherapeutische Wirkungsmodell der Veränderung in PBSP. In: Bachg, Michael: Die Kreation körperbasierter synthetischer Erinnerungen «Pesso-Boyden-System-Psychomotor» (PBSP), Albert Pesso Institut. In: PID 2-2006, 7. Jahrgang. https://www.pbsp-institut.de/pdf/erinnerungen.pdf
  • Phillips, Maggie und Frederick, Claire: Handbuch der Hypnotherapie bei posttraumatischen und dissoziativen Störungen. Carl-Auer Verlag, 2007
  • Phillips, Maggie: Wie Somatische Ego-StateTherapie® KlientInnen helfen kann, nicht nur zu überleben. 2nd European Conference on Somatic Experiencing (SE), 2018
  • Phillips, Maggie: In einem Zeitalter der Gespaltenheit Einigkeit erreichen durch somatische Ego-State-Therapie. In: Rahm, Dorothea und Meggyesy, Szilvia (Hrsg.): Somatische Erfahrungen in der psychotherapeutischen und körpertherapeutischen Traumabehandlung: Wie wir durch heilsame Begegnungsprozesse lernen ... uns wieder sicher und aufgehoben zu fühlen. G.P. Probst Verlag, 2019
  • Rahm, Dorothea und Meggyesy, Szilvia (Hrsg.): Somatische Erfahrungen in der psychotherapeutischen und körpertherapeutischen Traumabehandlung: Wie wir durch heilsame Begegnungsprozesse lernen ... uns wieder sicher und aufgehoben zu fühlen. G.P. Probst Verlag, 2019
  • Schwartz, Richard C.: IFS. Das System der Inneren Familie. BoD Books on Demand, 2008
  • Schwartz, Richard C.: www.ifs-europe.net/ifsmodell/text-von-dick-modell/
  • Steele, Kathy, van der Hart, Onno und Boon, Suzette: Die Behandlung traumabasierter Dissoziation. G.P. Probst Verlag, 2017

Kerstin Hentschel M. Sc.Kerstin Hentschel M. Sc.
Fachpsychologin für Psychotherapie, FSP, Körperpsychotherapeutin, EABP, Supervisor Ego-State-Therapie International, Baden, Schweiz
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Foto: ©Delphoto