Aufgewacht ... es ist Frühling!
Der Frühling ist da! Die Vögel zwitschern, auf der Straße flanieren fröhliche Leute, in Straßencafés turteln verliebte Pärchen und die Biergärten füllen sich mit erheiterten Sonnenanbetern – mit den warmen Sonnenstrahlen leuchten auch unsere Gemüter und ein neues Leben scheint zu beginnen. Laune und Libido werden wachgerüttelt. Ein emotionales Schwitzen liegt in der Luft. Gemüter mit Frühlingsgefühlen flirten mehr als solche mit Winterblues.
Warum ist das so? Was ist dran an den sprichwörtlichen Frühlingsgefühlen und an den damit einhergehenden schwirrenden Schmetterlingen im Bauch?
Frühlingsgefühle, das können wir bereits nach erster Brise bestätigen, sind keine Einbildung! In der Literatur sind sie vielfach beschrieben. Denken wir nur an das Gedicht von Eduard Mörike: „Der Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte …“. Fakt ist, dass auch wir wieder zu flattern beginnen – manch einer von uns sogar von einem Flirt zum anderen. Erinnert sei auch an Theodor Fontanes Worte: „An einem Sommermorgen da nimm den Wanderstab, es fallen deine Sorgen wie Nebel von dir ab.“
Doch während wir uns vom Lenz verzaubern lassen und in puncto Wechsel von kalt auf warm Koryphäen sind, befasst sich die Wissenschaft erst seit jüngster Zeit mit der saisonalen Veränderung und ihrer Wirkung. Die Triebfeder für unser Frühjahrshoch soll angeblich ein wildes Chaos an Sexualhormonen sein, die unser Körper ausschüttet und die unsere Herzen höherschlagen lassen. Während der Testosteronwert bei Männern im Sommer faktisch am höchsten ist, haben die Jahreszyklen auf die Sexualhormone von Frauen hingegen keinen nachweisbaren Einfluss. Das liegt aber auch daran, dass die weiblichen Hormone bei vielen Damen unter der Kontrolle der Pille liegen, die einen Biorhythmus für die weiblichen Hormone ausschaltet.
Doch die Hormonhochkonjunktur ist noch lange nicht alles, wie Forscher herausgefunden haben. Für das himmlische Phänomen lässt sich in der Wissenschaft nur schwer eine allgemeingültige Erklärung finden. Im Gegenteil: Ein buntes Potpourri an Ursachen lässt uns (im Idealfall) wieder zu aufgeheizten Wildfängen werden.
Als weiterer wichtiger Impulsgeber für unsere Hochgefühle gilt das Sonnenlicht. Je höher die Sonne im Frühling und Sommer am Himmel steht, desto mehr Licht steht uns zu Gesicht, desto vitaler fühlen wir uns. Das Licht hemmt nämlich die Produktion des „Schlafhormons“ Melatonin. Unser Körper bildet es vor allem in der Nacht und in den Wintermonaten, weshalb wir uns in der dunkleren Jahreshälfte allzu oft mit gähnender Müdigkeit und Antriebslosigkeit herumquälen. Zugleich kurbelt das helle Sommerlicht die Synthese von Glücksstoffen wie Serotonin und Dopamin an. Das sind die allseits bekannten Glückslieferanten, die uns aktiv und guter Laune sein lassen. Auch die Körperfunktionen werden angeregt – der Wunsch nach Sex blüht auf.
Apropos: Auch optische Reize wecken unsere Lebensgeister! Wir zeigen im wahrsten Sinne des Wortes mehr von uns: mehr Haut, mehr Gefühl, mehr Offenheit. Hier und dort blitzt ein freigelegter Oberarmmuskel oder ein tiefer Ausschnitt. Das sind Anblicke, die Frauenherzen und Männerhosen höherschlagen lassen. Tatsache ist, dass Wärme Enthemmung bedeutet.
Man macht es sich z. B. im Park auf einer Wiese gemütlich und sendet mit diesem Verhalten Reize aus, die Aufgeschlossenheit und Körperkontakt signalisieren. Schöne Einblicke inspirieren zum Flirten.
Hinzu kommen die psychologischen Wirkungen des Frühlings. Vogelgezwitscher und blühende Bäume assoziieren wir schlicht und ergreifend mit etwas Schönem. Allein dieses Naturereignis löst bereits Glücksgefühle aus. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, bemerkte einst der Dichter Hermann Hesse. Mit dem Frühling kommt ein Neubeginn, der ganz spezielle Bedürfnisse und (Glücks-)Gefühle freisetzt. Wir haben das Verlangen, uns zu schälen, zu befreien, umzustellen, zu verändern. Mit dem Ablegen der Kleiderschichten gehen meist auch intensive innere Prozesse einher. Wir verspüren den aufkeimenden Drang, verblühte Altlasten abzulegen, Seelenunkraut zu entsorgen, Vergangenes abzuschließen und etwas Neues zu beginnen. Dieser Veränderungswille führt dazu, dass wir unbeschwerter Entscheidungen treffen und uns gar aus unglücklichen Beziehungen lösen.
Ist das auch der Grund, warum wir uns in der warmen Jahreszeit leichter verlieben? Eindeutig: ja! Während wir im Winter zurückgezogener leben und uns mit Defiziten eher arrangieren, sehnen wir uns im Sommer wieder nach Öffentlichkeit und wohltuenden sozialen Kontakten. Wir haben den Ansporn, endlich wieder rauszugehen, zu flanieren, werden extrovertierter – und zwar in jeder und für jede Beziehung. Willkommen auf der Flirtbühne! Aber wie funktioniert das noch mal mit der schönen Anbahnungskunst? Ist es der erste Blick, der die Anziehung ankurbelt? Oder doch eher der zweite? Ist die Frau Jägerin in freier Wildbahn oder die zu erlegende Beute?
Flirten bedeutet, Interesse auszudrücken bzw. jemandem seine Aufmerksamkeit zu schenken, bringt es der Psychologe John Rempel auf den Punkt. Beobachtungsgemäß stellen wir uns dabei umständlich bis krampfig an oder kommen womöglich gar nicht erst in die Puschen, was auf die Angst vor Zurückweisung zurückzuführen ist. So viel sei verraten: Die perfekte Masche gibt es nicht. Und auch keine Gebrauchsanweisung. Aber Grundvoraussetzungen. Daher mein Frühlingstipp für die Flirtgehemmten unter uns: Je subtiler wir die Angel auswerfen, umso geringer ist die Gefahr einer Pleite. Als Trainingsparcours für den ersten Schritt bieten sich alltägliche Situationen an, in denen man die vermeintliche Zufälligkeit des Augenblicks gekonnt nutzt und auf natürliche Weise charmant ist. Das klappt am besten, wenn wir den anderen nicht direkt wahnsinnig betörend finden und nicht ferngesteuert wie ein Teenager zwanghaft einschlagende Wirkung erzielen wollen. Der größte Sympathieräuber ist und bleibt die eigene Unsicherheit.
Warum initiieren wir das Flirtspiel überhaupt? Evolutionsbiologen vermuten, dass unsere Flirtmanöver genetisch programmiert sind. All diese nonverbalen Interaktionsverhaltensweisen, die den Annäherungsprozess befeuern, haben wir in der Folge ihres Erfolgs von Generation zu Generation weitervererbt.
„Auf sich aufmerksam machen“ lautet die Parole zu Beginn eines Flirts. Das ist – man höre und staune – Sache der liebäugelnden Frau, die meist und unbewusst die Gelegenheit durch „Darting-Blicke“ (dart = engl. Wurfpfeil) ergreift. Als Kopulationsblick wird dieser Augenkontakt schlicht und ergreifend von Verhaltensforschern bezeichnet, der tief blicken lässt und evolutionär offenbar ebenso tief in unserer Psyche verankert ist.
Fürs Protokoll, liebe Leserinnen und Leser: Der Blickkontakt ist die bedeutendste Form der Kontaktaufnahme. 30% unseres Gehirns widmen sich der Verarbeitung von Sehreizen! Britische Forscher haben herausgefunden, dass schon der Blickkontakt mit einem unbekannten, attraktiven Menschen Glücksgefühle erzeugt. Aus gutem Grund heißt es „Liebe auf den ersten Blick“ – nicht etwa auf das erste Wort.
Die Frau setzt – unbewusst, aber gekonnt – einladende Impulse, auf die der interessierte Mann zuverlässig wie ein pawlowscher Hund beim Glockenläuten anspringt. Die Waffen der Frauen sind latent auffordernd – und in der Regel Erfolgversprechend: der „Eyebrow Flash“ (das schnelle Heben der Augenbrauen), der „Hair Flip“ (ruckartiges Werfen der Haare in den Nacken bei gleichzeitiger Entblößung der Hautpartie), der „Coy Smile“ (Verlegenheitslächeln mit abgewandtem Gesicht), der „Head Toss“ (ruckartige Kopfbewegung nach hinten), die „Neck Presentation“ (Präsentieren des Nackens) sowie der Hüftschwung. Der von Erfolg gekrönte Flirt ist vergleichbar mit einem erfolgreichen Werbespot. Wir zeigen unsere Vorzüge. Frauen über ihre Körpersprache: Brust raus! Augen auf! Hüfte elegant schwingen! Männer hingegen stellen allzu gerne ihren Status zur Schau. Der eine durch probate Umgangsformen, der andere durch den passenden Autoschlüssel. Bei genauerem Hinschauen stellt auch der männliche Part eine Palette an nonverbalen Signalen zur Schau. Erinnert sei an dieser Stelle an das um ein Weibchen werbende Pinguinmännchen, das sich in die Höhe reckt, seinen Schnabel nach oben streckt und sich auf den Watschelgang verlegt.
All diese Winke mit dem Zaunpfahl leiten die nächste Phase der Gesprächseröffnung ein, in der der kühne Mann traditionell die Initiative in der Flirtjonglage ergreift. Die Worte, die hier fallen, sind eigentlich nicht der Rede wert. Allgemeinfloskeln, die einzig und allein den Zweck erfüllen, Kontakt zwischen zwei Menschen herzustellen.
Einen Feldversuch zur optimalen Gesprächseröffnung unternahm der amerikanische Psychologe Michael Cunningham in den 1980er-Jahren, in dem er männliche und weibliche Lockvögel in Chicagoer Bars unterschiedliche Verführersätze am anderen Geschlecht testen ließ. Während bei Männern alle weiblichen Taktiken willkommen sind, punkten bei Frauen eher harmlose, unaufdringliche Gesprächseinstiegsfloskeln.
Wenn es zwischen einem Mann und einer Frau „funkt“, so imitieren beide gegenseitig unbewusst ihre Körperbewegungen. Gönnen Sie sich den Spaß und beobachten Sie einmal diese aufeinander einschwingende Verhaltenssynchronisation – z. B. in einem Biergarten, wenn zwei Flirtende beginnen, im körperlichen Gleichtakt zu schäkern. Klassiker des Körperechos sind das gleichzeitige Nippen am Glas, das Neigen des Kopfes, das Übereinanderschlagen der Beine oder das Kratzen am Kopf. Mit etwas Glück werden unsere Flirtmimen ein paar Akte später zu gegenseitigen Spiegelbildern.
Kennzeichnend für die nächste Annäherungsphase sind sich häufende flüchtige Körperkontakte. Diese gehen (völlig überraschend!) meist vom tastfreudigen Mann aus, der seinen Arm um die Frau legt, ihre Hand berührt, ihr über das Haar streichelt – er geht auf Tuchfühlung. Aus unverbindlich wird vertraulich. Der Frühlingsflirt ist offiziell eröffnet!
Wenn das Hochdruckgebiet wider Erwarten abflaut und sich das Liebesabenteuer als Eintagsfliege entpuppt, sollten wir nicht allzu enttäuscht sein. Folgen wir dem Rat antiker Autoren, so schauen wir uns am besten direkt nach einem schönen Herbstflirt um, in der Hoffnung auf einen langen und kuscheligen Winter. Andererseits haben sich aus dem einen oder anderen harmlos begonnenen Frühlingsflirt durchaus schon unvergängliche Sommermärchen entzündet!
So oder so: Ein heißer Flirt ist wie der Sommer: Er macht riesig Laune und unser Leben um einiges bunter. Ein verzücktes Lächeln kommt dabei immer gut an!
Conny Thaler
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin (M. A.), Autorin des Buchs „Der große Liebeszirkus“