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Fall studie - Angst vor Ablehnung

Ein junger Mann kommt auf Empfehlung seines Hausarztes in meine Praxis. Auslöser war die Trennung von seiner Freundin. Zusätzlich schildert er beruflichen Stress und die Sorge, so zu werden wie sein Vater – aufbrausend, unehrlich, schadenfroh.

Im Mittelpunkt steht die Angst vor Ablehnung: nicht gemocht zu werden, nicht gut genug zu sein. Um Anerkennung zu gewinnen, überlädt er sich beruflich wie privat. Dadurch erlebt er Überforderung, Enttäuschung und Selbstzweifel. Sein Wunsch: die Beziehung retten und neue Wege finden.

ZIELE DES KLIENTEN

Nach der Anamnese und Diagnostik benennt er drei konkrete Ziele: - Methoden zur Stressbewältigung erlernen
- Grenzen setzen und Nein sagen
- bessere Kommunikation mit anderen

ERSTER SCHRITT: STRESSBEWÄLTIGUNG

Ich erkläre, wie Stress entsteht und welche Rolle die Angst vor Ablehnung spielt. Diese Urangst wohnt immer noch in uns allen. Zu Zeiten des „Säbelzahntigers“ bedeutete es den Tod, aus der Höhle verstoßen zu werden und nicht mehr zur Gruppe dazuzugehören. Aber auch heute sind wir soziale Wesen, wir wollen schlicht und ergreifend gemocht und wertgeschätzt werden.

Mein Klient wünscht sich einfache, sofort umsetzbare Methoden gegen aufkommende Ängste, Wut und Stress. Er entscheidet sich für zwei „Musterunterbrechungen“:

Fingerschnippen mit Motto-Satz: Beim wechselseitigen Schnippen Silbe für Silbe ein Wort sprechen, z. B. „Hab keine Angst!“

Rückwärts gehen: bewusst wahrnehmen, welcher Teil des Fußes den Boden zuerst berührt. Beide Methoden holen ihn ins Hier und Jetzt – Grübeln, Angst oder Wut haben dort keinen Platz.
GRENZEN SETZEN UND FAMILIÄRE DYNAMIK

Nächster Schritt: der Wochenplan. Durch das Aufschreiben erkennt mein Klient, wie er sich mit Terminen überfrachtet (manche verplant er doppelt) und Notlügen erfindet, um allem und allen gerecht zu werden. Mit meiner „Erlaubnis“ plant er neu – mit mehr Freiraum und weniger Druck.

Sein familiäres Umfeld zeigt ähnliche Muster:
Der Vater provoziert den Bruder, mein Klient fühlt sich als dessen Beschützer. Mit dem Drama-Dreieck nach Karpman (Dreiecksbeziehung zwischen Täter, Opfer und Retter) erkennt mein Klient nicht nur die aktuelle Rollenverteilung (Vater: Täter, Bruder: Opfer, er: Retter), sondern merkt auch, dass die Rollen zwischen den dreien wechseln können. Die Lösung: sich abgrenzen, aussteigen, nicht mehr mitspielen, wie sein Bruder das macht – und das „Drama“ ist beendet.

ANERKENNUNG UND SELBSTWERT

Ich stelle meinem Klienten das Anerkennungs-Abhängigkeitsmodell vor. Er erkennt: Durch Hilfsbereitschaft, Ratschläge oder gar Lügen versucht er, die Anerkennung anderer zu erzwingen, um gemocht zu werden. Bleibt diese aus, fühlt er sich verletzt. Die Einsicht, dass dieses Muster übergriffig ist, trifft ihn hart. Er sagt Sitzungen ab, kehrt dann aber zurück – mit dem festen Willen, weiterzuarbeiten.

SELBSTBEWUSSTSEIN UND KOMMUNIKATION

Wir klären Fragen wie: „Was ist mir wichtig? Welche Werte habe ich? Wie wirke ich auf andere?“ – Werte wie Mut, Ehrlichkeit und Respekt treten für ihn in den Vordergrund. Ein Gespräch mit seinem besten Freund zeigt: Ungebetene Ratschläge kommen als übergriffig an. Diese Rückmeldung nutzt er, um seine Kommunikation bewusster zu gestalten.


FORTSCHRITTE UND ERGEBNISSE

Durch klare Prioritäten gewinnt mein Klient Zeit für sich, für Dinge, die ihm guttun: Fußball spielen, Sauna, gemeinsame Abende mit der Partnerin. Notlügen sind überflüssig geworden. Schließlich stabilisiert sich seine Beziehung – das Paar ist inzwischen verlobt.

FAZIT

Dieser Fall zeigt: Therapie ist keine Wellnessbehandlung. Sie erfordert Mut, Geduld und die Bereitschaft, dranzubleiben, auch wenn unangenehme Erkenntnisse auftauchen und es schwierig wird. Rückschritte sind Teil des Prozesses, ebenso wie Aha-Momente, die neue Türen öffnen.

Mein Klient hat gelernt, Grenzen zu setzen, seine Bedürfnisse klarer zu formulieren und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Damit konnte er nicht nur seine Beziehung retten, sondern auch mehr Gelassenheit und Lebensfreude gewinnen.

Botschaft: Dranzubleiben lohnt sich. Als Therapeutin begleite ich diesen Weg – nicht mit fertigen Lösungen, sondern im Vertrauen darauf, dass der Klient Experte für sein eigenes Leben wird.

Ulrike Scholz
Heilpraktikerin für Psychotherapie mit Praxis in Erlangen