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Fibromyalgie & Psychotherapie

Schon in meiner Kindheit begleiteten mich ständige diffuse Schmerzen. Ich reagierte übersensibel auf Licht, Gerüche, Geräusche und Berührungen. Später gesellte sich die Dauererschöpfung dazu. Erst 2013 erhielt dieses komplexe Beschwerdebild einen Namen: Fibromyalgie.

Auf der Suche nach hilfreicher Lektüre fand ich rein medizinische Abhandlungen ohne praktischen Rat sowie klagende Beschreibungen von Betroffenen. So entstand die Idee, selbst ein Buch zu schreiben, und so nahm „Fibromyalgie – das Mutmachbuch“ seinen Lauf.

Seit diesem Zeitpunkt ist das Thema Fibromyalgie nicht nur als Betroffene, sondern auch als Heilpraktikerin für Psychotherapie zum Schwerpunkt meiner Arbeit geworden. Mein Anliegen ist es, zu informieren und vor allem Mut zu machen, denn leben mit Fibromyalgie ist möglich. Allerdings ist es wie ein Vollzeitjob ohne Aussicht auf Feierabend und Rente.

Die Fibromyalgie zeigt sich in bis zu 120 verschiedenen Symptomen, die in drei Symptom-Kreise einzuordnen sind.

Schmerz, der als sog. Wanderschmerz stechend, bohrend, brennend in allen Bereichen des Körpers auftreten kann.

Fatigue, die dauerhafte chronische Müdigkeit, die trotz Schlaf und Pausen das Leben erschwert.

Hochsensibilität, (wird unterschätzt) die sich in Überempfindlichkeit gegenüber Außenreizen zeigt, oft kombiniert mit Reizblase, Reizdarm und Reizmagen.

Fibromyalgie-Betroffene haben oft eine jahrelange Ärzte-Odyssee hinter sich. Die unsichtbare, nicht heilbare chronische Schmerzerkrankung zeigt sich weder im Blut oder in Laborwerten noch in bildgebenden Techniken, wie MRT oder Röntgen. Hat man dann endlich die Diagnose, stößt man oft auf Sätze wie „diese Erkrankung gibt es nicht“, „das sind Depressionen“ und ähnliche Äußerungen. Viele fühlen sich alleingelassen und unverstanden.

In meinem Buch stelle ich verschiedene Strategien wie Ernährung, Bewegung, Stressabbau, Entschleunigung, manuelle Therapie und Psychotherapie vor. Als Heilpraktikerin für Psychotherapie liegt mir die therapeutische Begleitung natürlich besonders am Herzen.

Obwohl die Fibromyalgie eine körperliche Erkrankung (IDC-10-M 79.7) ist, treten bei vielen Fibromyalgie-Betroffenen psychische Begleiterkrankungen wie Angst und Depression auf. Selbst wenn diese Begleiterkrankungen nicht auftreten, ist eine psychotherapeutische Begleitung, wie bei vielen chronischen Erkrankungen, sinnvoll.

Sozialer Rückzug, der Verlust der Leistungsfähigkeit und damit oft verbunden der Verlust der Arbeit, das Unverständnis der Familie, der Kollegen, der Ärzte (immer m/w/d) belasten genauso wie die dauerhaften Schmerzen, die Erschöpfung und die Verarbeitungsstörung durch Reizüberflutung. Psychotherapie kann unterstützen, sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu erkennen, die Erkrankung anzunehmen und achtsam mit sich umzugehen, sich abzugrenzen, wenn es notwendig ist, herauszufinden, was hilft und guttut etc.

In meinem Buch beschreibe ich in mehreren Fallbeispielen, wie sich z. B. familienbiografische Belastungen auf die Fibromyalgie auswirken.

Zwei Fallbeispiele aus der Praxis

Eine 63-jährige, große, kräftige Frau mit lauter Stimme stellte sich bei mir in der Praxis vor. Die Diagnose Fibromyalgie stand im Raum, war aber noch nicht gesichert. Sie litt unter großen Schmerzen, die sie seit ihrer Kindheit hatte. Weitere Diagnosen: Lipödem, Knöchelbruch links und Arthrose in mehreren Bereichen. Seltsamerweise zeigten sich alle Beschwerden ausschließlich linksseitig, selbst das Lipödem.

Aus meiner Erfahrung mit der Biografiearbeit weiß ich, dass die linke Seite die weibliche Seite ist, also auch die weiblichen Vorfahren spiegelt. In einer Einzelaufstellung stellte sich heraus, dass die Patientin als sog. Sandwichkind nie gesehen wurde. Ihre Größe und kräftige Statur machten sie sichtbarer. Besonders von ihrer Mutter hätte sie sich sehnlichst gewünscht, wahrgenommen zu werden. Aber selbst ihr Dauerschmerz seit Kindheit und ihre maskuline Art erfüllten ihr diesen Wunsch nicht.

Dennoch führten in den folgenden zwei Sitzungen eine Versöhnung und das Annehmen der Umstände dazu, dass sie eine seelische Entlastung erfuhr. Das heilte zwar nicht die Fibro, aber der Dauerschmerz reduzierte sich erheblich. Zusammen mit einem individuell für sie zusammengestellten Plan aus Bewegung, Physiotherapie und beruflicher Entlastung konnte sie nach und nach die starken Schmerzmedikamente absetzen.

Silke, 38, groß, sportlich, muskulös, verheiratet, ein Kind, Fitnesskauffrau, frühere Basketballerin, betrat meine Praxis mit einer sehr präsenten Energie. Bei der gründlichen Anamnese zählte sie ungewöhnlich viele, sehr schmerzhafte Erkrankungen auf, die sie seit Jugend hat:

  • Morbus Ledderhose - schmerzhafte Knoten an Händen und Füßen
  • Trigeminusneuralgie, chronischer Schmerz, der vom Nervus trigeminus, einem der Hirnnerven ausgeht, die Erkrankung äußert sich in kurzen, heftigen Schmerzattacken.
  • ungewöhnlich lang anhaltende Gürtelrose
  • von Jugend an immer wieder Unfälle und Knochenbrüche, so hatte sie einen schweren Fahrradunfall, zwei Autounfälle, ist als Kind vom Baum gefallen, als Jugendliche fast ertrunken und bei der Geburt ihres Kindes beinahe gestorben.
  • Vor zwei Monaten hat sie von ihrem Hausarzt die Diagnose Fibromyalgie bekommen.

Was mich stutzig machte, war ihr Satz: „Ich kann Schmerzen sehr gut wegstecken“. Selbst beim Zahnarzt und bei kleineren Eingriffen lässt sie sich keine Betäubung geben.

Schmerzunempfindlichkeit ist bei Fibromyalgie eher ungewöhnlich. Im Gegenteil empfinden die Patienten Schmerz eher verstärkt.

Es drängte sich mir die Frage auf: „Welcher Schmerz will da ans Licht, will gesehen werden?“ In mehreren Einzelaufstellungen tasteten wir uns an die Geschehnisse in ihrer Familie heran. Es stellte sich heraus, dass ihre Großmutter als Kind schwer misshandelt und missbraucht wurde. Diese Tatsache wurde in der Familie immer totgeschwiegen. Dieser schlimme Schmerz, der nie gezeigt werden durfte und über den niemand ein Wort verlieren durfte, wollte beachtet werden. Wie so oft zeigt sich vielfach Generationen später, bei Enkeln und Kindeskindern, ein nicht erklärbares Phänomen in Form von Schmerzerkrankungen.

In weiteren Sitzungen wurden der Schmerz und das Leid der Großmutter gesehen und gewürdigt. Wichtig ist hierbei, dass dieser Schmerz bei der Großmutter verbleibt und nicht von der Enkelin übernommen wird. In Familiensystemen geschieht das sehr oft. Diese Übernahme ist eine solidarische Liebeserklärung an die Großmutter. Das geht manchmal so weit, dass später Geborene aus Liebe zu ihren Ahnen sogar den Tod in Kauf nehmen.

Als Silke klar wurde, dass ihr Schmerz der übernommene Schmerz ihrer Großmutter über zwei Generationen war, war sie zutiefst betroffen und erschüttert. Ganz behutsam durfte sie nun lernen, den Schmerz, der nicht zu ihr gehört, loszulassen bzw. an ihre Großmutter zurückzugeben. Wenn sie diesen Prozess des Anerkennens und Loslassens nicht macht, besteht die Gefahr, dass ihre Kinder ihn übernehmen und der Schmerz so erneut weitergegeben wird.

Monate später rief sie mich an und erzählte mir, wie gut es ihr ginge. Sie sei erleichtert und wie neugeboren.

Das Mutmachbuch ist voller Rezepte. Nicht von der ärztlich verordneten Sorte, sondern eines Rezeptbuches, in dem man stöbern und sich nach individuellem Bedarf seinen ganz eigenen Therapie-Cocktail zusammenstellen kann.

Und genau wie beim Ausprobieren eines Rezeptes und dem Durchblättern eines Rezeptbuches gefällt und „schmeckt“ einem sicher nicht alles. Nicht jedes Rezept möchte man ausprobieren und bei anderen weiß man sofort: Das könnte mir schmecken und die Zubereitung macht bestimmt auch noch Spaß. Dann weiß man schon beim Durchlesen, dass das etwas nach meinem Geschmack ist, und freut sich aufs Ausprobieren.

Und wie bei leckeren Gerichten sind dann die einzelnen Zutaten von besonderer Wichtigkeit: Sie sollen hochwertig, frisch und der Gesundheit zuträglich sein. Das bedeutet aber nicht, dass man auf ein wenig „gute Butter“, ein kühles Glas Sekt oder eine leckeres Stück Schokolade verzichten muss.

Ich halte es da mit Paracelsus: „Nur die Dosis macht das Gift“.

Cornelia Bloss: Fibromyalgie.
Das Mutmachbuch.
Die besten Strategien gegen den Schmerz.
Trias Verlag

Cornelia Bloss
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Psychobiografische Familien- und Systemaufstellungen, Autorin

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