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E-Mental-Health: Digitalisierung in der Psychotherapie

Eine Ergänzung ...aber nicht die Lösung!!!

Telemedizin kann helfen, die psychotherapeutische Versorgung zu verbessern – doch die Grenzen sind eng gesetzt.
In puncto Digitalisierung hinkt Deutschland allen politischen Versprechungen zum Trotz nach wie vor hinterher. Unabhängig davon scheint es mit der medizinischen Versorgung allgemein und insbesondere mit den Chancen auf eine zeitnahe Therapie bei ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten stetig bergab zu gehen. Dass ausgerechnet Telemedizin, für die es ja vor allem einmal eine funktionierende digitale Infrastruktur braucht, die medizinische und damit auch psychotherapeutische Versorgung in Deutschland verbessern soll, scheint da manchem wie ein schlechter Witz. Doch es gibt Potenziale.

Bei der therapeutischen Unterstützung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen sind hohe Qualitätsstandards einzuhalten – dies muss umso mehr für digitale Angebote gelten.

Diese Ansicht vertritt die Ärztliche Direktorin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee und Wissenschaftliche Leiterin des Ärzteforums, Dr. Iris Hauth, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin:

„Schon jetzt spricht viel dafür, dass digitale Angebote den Zugang zur Versorgung verbessern, Kosten senken und am Ende sogar die Qualität der Behandlung erhöhen könnten. Auch führten digitale Angebote durch ihre hohe Flexibilität – sprich Verfügbarkeit – zu einer höheren Patientenzufriedenheit. Offen bleibt aber die Frage, ob die Zufriedenheit bei zeitnah verfügbaren menschlichen Therapeuten nicht womöglich noch höher wäre.“

Fürsprecher einer stärkeren Digitalisierung in der Psychotherapie sehen in einer mit digitalen Modulen ergänzten klassischen Therapie das größte Potenzial von „E-Mental- Health“: Die Therapie an sich wie auch der Einsatz virtueller Module sollen unter Kontrolle von Fachleuten bleiben. Das soll verhindern, dass digitale Instrumente zu einem reinen Selbsthilfekurs mutieren.

So etwas ist im Netz allerdings längst en vogue, und zwar vor allem bei Jugendlichen: Tiktok & Co. sind voller Beiträge zu „Mental Health“, das Thema liegt derzeit voll im Trend. Nicht nur, dass hoch emotionalisiert eigene psychische Beschwerden mitgeteilt werden (samt aussagekräftiger Fotos, z. B. vom „Ritzen“); es gibt auch jede Menge „Psycho-Diagnose-Module“, mit denen die Nutzer (immer m/w/d) vermeintlich mal eben selbst ermitteln können, ob sie depressiv sind, an ADHS leiden, eine Borderline-Persönlichkeit haben oder was auch immer.

Während die Politik also immer noch überlegt, wie sie dem massiv gestiegenen und weiterwachsenden Bedarf an Psychotherapien insbesondere für junge Menschen entsprechen könnte, basteln sich die Betroffenen mit einer Mischung aus Trend, Jugendkultur und Populär-Halbwissenschaft eine eigene Lösung.

Es könnte schwierig werden, Nutzer, die bereits Erfahrungen mit Social-Media- Diagnosen oder womöglich -Therapien gemacht haben, an echte digitale Therapie- Ansätze heranzuführen, denn die dürften um einiges komplizierter und damit auch nutzerunfreundlicher sein als die trendigen Tiktok-Clips. Umso wichtiger scheint, das Thema „Digitialisierung in der Psychotherapie“ nicht allein durch die Brille des erwachsenen Profis zu sehen, sondern eben auch die Jugend und ihre Art, zu kommunizieren, im Blick zu behalten. Um die Jugend abzuholen, braucht es therapeutisch sinnvolle, sichere und nutzbare Angebote im Netz.

Allerdings gehen die Vorstellungen insbesondere der Krankenkassen deutlich weiter. Sie wünschen sich virtuelle Therapien mit einem möglichst hohen „Automatisierungsgrad“. Nach Ansicht vieler Kassen soll schon der Hausarzt eine Diagnose stellen und darauf basierend den Zugang zu einer komplett virtuellen (meist wohl rein verhaltenstherapeutisch ausgerichteten) Therapie freischalten können. Das, so die Idee der Kostenträger, spart Zeit und vor allem Geld.

Dass nicht nur ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, sondern auch Heilpraktiker für Psychotherapie solche Ideen kritisch sehen, liegt auf der Hand. Es scheint zumindest fraglich, ob einem Hausarzt die Entscheidung überlassen werden sollte, welchen Patienten mit welcher Ausformung, z. B. einer Angststörung, man mit einer virtuellen Therapie allein lassen kann und bei wem die direkte therapeutische Intervention und Begleitung durch einen Menschen unumgänglich scheint.

Auch die Wunschvorstellung von Kassenvertretern, der forcierte Einsatz digitaler Instrumente würde die Wartezeiten auf eine Psychotherapie deutlich verkürzen, dürfte sich derzeit kaum erfüllen. Soll eine Psychotherapie ihren Namen auch künftig noch verdienen und eben nicht zu einer Art „Selbstmedikation“ verkommen, braucht es zumindest hin und wieder den persönlichen Kontakt zwischen Therapeut und Patient – und sei es „nur“, weil es Fragen zur virtuellen Therapie gibt.

Spätestens hier stößt die schöne neue digitale Welt wieder an ihre Grenzen. Denn ob jemand eine komplette „face-to-face“- Behandlung braucht oder lediglich zwischendurch hin und wieder Rat und Hilfestellung – es ist und bleibt ausgesprochen schwierig, an einen niedergelassenen Psychotherapeuten überhaupt heranzukommen. Und ob der Psychotherapeut dann am Bildschirm mit dem Patienten spricht oder von Angesicht zu Angesicht, ändert nichts am Zeitaufwand.

Frau Dr. Iris Hauth sieht die Zukunft der Psychotherapie in einer Art spezieller Behandlungszentren, die eine hohe diagnostische Qualität mit einer starken digitalen Infrastruktur verbinden und zugleich die bedarfsorientierte psychotherapeutische Begleitung durch Fachleute ermöglichen. In solch einem Umfeld könnten digitale Therapien ihr Potenzial entfalten und tatsächlich zu verkürzten Wartezeiten führen – aber wohl nur in einem sehr begrenzten Umfang.

Von tatsächlich digitalen Therapie-Modulen einmal abgesehen, hat die Telemedizin an sich gerade im psychotherapeutischen Bereich während der Coronapandemie einen großen Zuwachs zu verzeichnen gehabt: Nutzten vor der Pandemie weniger als 1% der niedergelassenen Psychotherapeuten Video-Sprechstunden, waren es 2020/21 mehr als 20 %. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Heilpraktikern für Psychotherapie.

Aber Video-Therapien sind sicher kein Allheilmittel für die marode psychotherapeutische Versorgung in Deutschland. Für Dr. Dietrich Munz, ehemaliger Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, ist wichtig, dass sich Patient und Therapeut persönlich kennengelernt haben und auch persönlich treffen können. Video-Therapien seien zwar hilfreich und hätten sich bewährt, so Dr. Munz, sie sollten die Präsenz- Therapien aber nicht ersetzen, sondern bedarfsgerecht und individuell ergänzen.

Das deckt sich mit der Einschätzung vieler Heilpraktiker für Psychotherapie. Immer mehr Kollegen nutzen – nach dem sinnvollerweise vorgeschriebenen persönlichen Erstgespräch – telemedizinische Angebote als ergänzendes Instrument in ihrem Praxisalltag. Während aber bei einem Coaching eine oder mehrere Video-Sitzungen durchaus genügen können, um zum Erfolg zu kommen, ist die Situation nach Ansicht vieler Kollegen bei einer Therapie komplizierter, denn komplexe oder anspruchsvollere Themen lassen sich häufig nicht wirkungsvoll genug am Bildschirm behandeln. Gerade ihre Bereitschaft, sich auf den Patienten einzulassen und eine professionelle Nähe zu ermöglichen, ist eine Stärke der Heilpraktiker für Psychotherapie. Dazu ist es zumindest hilfreich, Körpersprache und Ausstrahlung des Gegenübers wahrnehmen zu können.

Dr. Dietrich Munz sieht generelle Video- Therapien aber noch aus einem anderen Grund kritisch: Während der Behandlung kann es zu Krisen bis hin zu erhöhter Suizidalität kommen – zum Beispiel, weil ein wunder Punkt angesprochen wird. Dann müsse es möglich sein, den Patienten schnell persönlich zu treffen. Bei einer reinen Video-Therapie aus Hunderten Kilometern Entfernung kann das schwierig werden. Und aus eben diesem Grund warnen Skeptiker vor allzu pauschal eingesetzten digitalen Angeboten, bei denen sich der menschliche Therapeut nur alle paar Wochen „dazuschaltet“.

Reine „Online-Praxen“ werden in der Psychotherapie also wohl auch mittelfristig eine Ausnahme bleiben, spezialisiert auf „leichte Fälle“.

Und aus den Ballungszentren heraus mit virtuellen Angeboten den ländlichen Raum psychotherapeutisch versorgen zu wollen, wird so nicht funktionieren.

Dr. Werner Weishaupt
Heilpraktiker für Psychotherapie, Dozent, Präsident des VFP e.V.

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