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Der Wille zur Liebe, Teil 2

FP 0520 App kompl Page33 Image2Im ersten Teil – Freie Psychotherapie 01.20 – haben wir den Willen zur Liebe skizziert als die stärkste Motivation, zu der wir Menschen fähig sind. Er lässt uns Ja sagen zu wechselseitigen Bedürfnisbefriedigungen und muss geschützt werden, weil er verletzlich und einbüßbar ist. Hingabefähigkeit und Willigkeit bilden seinen Kern.

©FokussiertWilligkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen

Sie ist ein hohes Gut und ihrem Erhalt muss größte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Was meinen wir mit Willigkeit? Die Grafik soll helfen, dies zu verdeutlichen.

– unaufgeforderte Willigkeit mit einer Motivation aus sich selbst heraus

Das ist, was sich Liebende erträumen: Dass der Partner einem die Wünsche von den Augen ablesen kann, und noch bevor man ein Wort sagt, hat er es schon unaufgefordert in die Tat umgesetzt.

– Willigkeit nach Aufforderung – hören und tun

(Hier ist nicht die Rede von einer Art devoter Unterwürfigkeit, obwohl diese mit einer gleicherweise eigen- und fremdmotivierten Willigkeit eine gewisse Ähnlichkeit hat.)

Das ist, was sich nicht nur Eltern von ihren Kindern wünschen, sondern was auch Lehrer, Trainer oder Vorgesetzte gerne hätten: Dass der Betreffende zuhört und anschließend natürlich das tut, was ihm gesagt wurde.

– Willigkeit, die hört und Ja sagt, aber dann doch nicht tut

Das ist, was uns alle auf Dauer frustriert: Dass jemand „Ja“ sagt, aber dann nichts dergleichen passiert. Hier braucht es Konfrontation.

– Widerwille, aber nur innerlich, nicht nach außen gezeigt

Das ist eine Situation, wie sie folgendermaßen trefflich beschrieben wird: Der Vater schreit den Sohn an „Jetzt setz dich hin!“, worauf der Sohn nachgibt und sich denkt: „Innerlich aber stehe ich noch!“ Hier bräuchte es dringend Beziehungsund Abgrenzungsverhandlungen.

– Grundsätzliche Unwilligkeit ist eingetreten und das bedeutet: hört nicht, redet nicht und tut auch nicht

Das ist, wenn Menschen auf Dauer frustriert worden sind, weil sie das Gefühl vermittelt bekommen haben, dass sie weder gehört noch gesehen werden. Sie machen dabei die Erfahrung, dass Willigkeit eine Einbahnstraße ist, auf der sie ihren guten Willen fortwährend unter Beweis stellen müssen und die anderen darin kläglich versagen.

– offen gezeigter Widerwille, der sich in Streitigkeiten, Protest, Streik und dergleichen mehr zeigt

Übrigens ist das auch der Fall, wenn Männer mauern. Es werden zwar Versprechungen gemacht – aber gezielt nicht eingehalten. Es kommt im Beziehungsalltag zu regelrechten Verzögerungsmanövern durch vorsätzliche Langsamkeit und immer öfter zeigt sich offener Boykott durch absichtliche Unterlassung.

Schließlich macht sich eine unterschwellige Feindseligkeit bemerkbar.

– unübersehbarer Unwille und offenkundige Unwilligkeit

Es sind dann Sätze zu hören wie „Da kannst du dich auf den Kopf stellen“ oder „Vorher friert die Hölle ein“ oder „Wollen wir doch mal sehen“. Das läutet meist das Ende der Beziehung und den Anfang der Trennung ein, was in dem Stadium oft auch das Bessere ist. Es sei denn, es kommt zu aufrichtiger Vergebung der Vorhaltungen und einer echten Versöhnung.

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Gute Beziehungen müssen unbehelligte Räume sein

Und es bleiben können. Sie bedürfen des Schutzes, und das wiederum bedingt Grenzen*). Das begründet das Nein im Miteinander. Die Geschichte von Konstantin und Helena (Namen geändert) kann das eben Gesagte gut verdeutlichen:

Beide sind im Geschäftsleben schon viele Jahre ein erfolgreiches Paar. Sie sind Mitte vierzig und haben es geschafft. Sie müssen nun nicht mehr für ihr Geld arbeiten, sondern das erworbene Vermögen an kleineren Firmen, Immobilien und Ladengeschäften mit allen dazugehörenden Angestellten und Geschäftsführern arbeitet nun schon eine Weile für sie. Ihre Tochter ist auch schon erwachsen und studiert derzeit im Ausland. Der Weg bis dahin war jedoch voller Druck. Konstantin ist wahrscheinlich der dominanteste Mensch, dem wir jemals begegnet sind. Er kennt nur eins, was ihn befriedigt: Ergebnisse, und zwar sofort, „Dalli, dalli“. Jede sich bietende Gelegenheit und Herausforderung würde er am liebsten ohne Aufschub ergreifen, denn er ist stets auf der Suche nach neuen Horizonten.

Er weiß, dass er sich auf sich selbst absolut verlassen kann, auf seine Stärke, seine Schnelligkeit, seine Findigkeit, insbesondere beim Probleme lösen. Er tut alles, um seine Ziele zu erreichen. Vor Manipulation schreckt er nicht zurück. Er macht Druck, er droht, er schreit, er schmeichelt, verspricht und fordert. Das tut er auch mit Helena.

Für sie hat Konstantin immer eine Menge Arbeit, schließlich ist sie ja seine Partnerin, und die hat ihm ihren Willen zur Liebe gezeigt. Also hat er sie geheiratet, aber nicht nur, weil sie ihm ausgesprochen gut gefallen hatte (er meinte: „Sie stand mir gut zu Gesicht“), sondern zusätzlich ergänzte sie ihn gut. Es passte. Sie erledigte all die Dinge, die ihn langweilten, all die Detailarbeiten, die einen Großteil ihres gemeinsamen Erfolges ausmachten. Er brauchte nur etwas zu sagen, schon setzte sie sich in Bewegung, um es zu erledigen (Willigkeit nach Aufforderung).

Aber es wurde immer mehr. Irgendwann war es zu viel für sie. Der Wille zur Liebe wurde nach und nach aufgezehrt. Das machte Konstantin unzufrieden, er schimpfte laut und prangerte Helena wegen ihrer Unzulänglichkeit an. Davon wurde sie seelisch und körperlich krank. „In solchen Zeiten war mit ihr nicht viel anzufangen“, beschwerte sich Konstantin. Äußerlich ließ sie sich nichts anmerken und jeden Tag tat sie ihr Bestes, um den glanzvollen Schein zu wahren (Widerwille, aber nur innerlich, nicht nach außen gezeigt).

In Helenas Erschöpfung sah er die logische Begründung dafür, seine sexuellen Bedürfnisse woanders zu stillen. (Achtung! Bitte nicht verwechseln! Ein starker Sexualtrieb ist nicht dasselbe wie ein starker Wille zur Liebe!) Als attraktiver und wohlhabender Mann fiel es ihm nicht schwer, eine andere Frau dafür zu gewinnen. Da er viel auf Geschäftsreisen war, blieb sein sexuelles Zweitleben Helena lange Zeit verborgen. Schließlich flog es aber doch auf. Denn Konstantin war offenkundig an einer seiner Liebschaften hängen geblieben. Die ließ ihn nun nicht mehr von der Angel. Was folgte, war ein zäher Kampf von Helena um ihren Konstantin. Der beschwor zwar seine Liebe zu ihr, aber von der anderen kam er nicht los. Was tat Helena nicht alles, um Konstantin zu sagen und zu zeigen:

„Jetzt reicht’s. So geht es nicht. Bitte beende die Affäre. Riskier’ doch nicht unsere Familie. Das tut uns allen nicht gut. Du leidest, ich leide, unsere Tochter leidet. Und die Nebenbuhlerin leidet auch.“

Aber es änderte nichts, Konstantin wollte zwar, aber konnte keine Kehrtwende vollziehen. Das ging viele Monate, bis eines Tages Helena um ein Gespräch bat. „In mir ist etwas anders geworden“, berichtete sie und fuhr fort: „Ich kenn’ mich so eigentlich nicht, wie ich jetzt geworden bin. Als Konstantin und ich uns kennengelernt und dann geheiratet haben, da konnte ich an ihm ablesen, was er brauchte und wünschte (unaufgeforderte Willigkeit mit einer Motivation aus sich selbst heraus). Und es war mir eine echte Freude, es zu tun. Mich musste niemand motivieren. Ich glaub’, das war eines der Geheimnisse unseres Erfolges: Er schaffte an und ich arbeitete es ab.

Dann ging mir langsam die Puste aus und Konstantin musste mich immer öfter an die noch unerledigten Aufgaben erinnern. Das mochte ich nicht. Es war mir ja eigentlich schon zu viel geworden. Ich hätte Entlastung gebraucht, aber das war ihm nicht beizubringen. Er gab mir zu verstehen, dass ich mich nicht so anstellen solle.“ Mit betrübter, trauriger Stimme erzählte sie weiter: „Ich merkte, wie über die Zeit in mir ein Widerwille anwuchs. Ich glaube, ich fing sogar an, Konstantin zu hassen, dafür, dass er mir immer mehr aufhalste und kein Nein von mir gelten ließ.“

Wir fragten: „Ihre Abgrenzungsversuche scheiterten?“ – „Ja, egal ob es vernünftige Gespräche oder Streitgespräche waren, ob ich es mit Streikandrohungen oder offenem Streik versuchte (offen gezeigter Widerwille), es bewirkte nichts“, klagte sie an. „Und dann wurde die Affäre offenbar“, erzählte Helena weiter. „Ich sagte Konstantin in aller Deutlichkeit, dass ich das so nicht mehr mitmache, dass ich nicht mehr kann, aber dass ich bald an dem Punkt bin, dass ich auch nicht mehr will (Unwilligkeit ist eingetreten). Und da bin ich jetzt. Ich will nicht mehr.“ – „Und wie geht es Ihnen jetzt damit?“ wollten wir wissen. „Nicht gut“, antwortete Helena. „Konstantin hat irgendwie gemerkt, dass in mir etwas anders geworden ist. Jetzt probiert er natürlich alles, um die Beziehung zu retten. Aber in mir ist etwas kaputt. Ich finde keinen Willen mehr in mir, nur noch Unwillen (offenkundige Unwilligkeit). Das ist wohl das Ende. Schade eigentlich, aber bei mir geht nichts mehr.“

Willigkeit ist ein kostbares, jedoch auch zerbrechliches Gut in allen zwischenmenschlichen Beziehungen, seien es Partnerschaft, Familie, Freundes- oder Kollegenkreis. Ist die Willigkeit aufgebraucht, wandelt sie sich, zunächst in Widerwillen, später in Unwillen. Dann heißt es:

„Rien ne va plus – nichts geht mehr“.

Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Willigkeit ist ein Stoff, der nachwachsen kann, quasi eine erneuerbare Energie. Das passiert nicht über Nacht. Aber übers Jahr kann es passieren, dass da wie durch ein Wunder – wahrscheinlich unserer Ausstattung mit Resilienz (Formwiedergewinnungsfähigkeit) zu verdanken – neue Willigkeit und eine neuer Wille zur Liebe entstanden ist. Und so war es dann auch bei Helena. Nach fast zwei Jahren meldeten sich die beiden wieder und wollten unsere Hilfe, weil sie es noch einmal miteinander versuchen wollten.

Aufgrund dieser und vieler anderer Geschichten sowie eigener Erfahrungen haben wir einen mittlerweile ziemlich festen Glauben an den Willen zur Liebe, der uns die nötige Hoffnung bereitstellt, uns immer wieder neu in die Arbeit mit Menschen und Paaren zu begeben. Und wir hoffen, lieber Leser und liebe Leserin, dass wir auch Ihnen etwas Hoffnung machen konnten.

Literatur

*) Ruffer, Gisela und Herbert: Selbstbewusst Nein sagen. Grenzen setzen – Grenzen achten. Junfermann-Verlag, 2019

Herbert und Gisela RufferHerbert und Gisela Ruffer
Heilpraktiker für Psychotherapie,
Praxis für Paar- und Psychotherapie in Landshut 

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Foto: ©Fokussiert