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Authentisches Mitgefühl versus Helfersyndrom

©Khunatom„Ich habe das Recht, mir mein
Mitgefühl zu bewahren für
die Menschen, die es wirklich
annehmen.“

Das sagte kürzlich eine Freundin zu mir. Diese Freundin ist ebenso wie ich im therapeutischen Bereich tätig und war an einem Punkt angelangt, an dem sie ausgelaugt war und das Gefühl hatte, ausgenutzt und leergesaugt zu sein. Eine tiefe Ernüchterung hatte sich in ihr ausgebreitet und sie überlegte erstmals, ihre Praxis zu schließen und einer anderen Tätigkeit nachzugehen.

Wir arbeiteten gemeinsam an dieser Krise und folgten Schritt für Schritt der Kette von Impulsen, Handlungen, Entscheidungen und Glaubenssätzen, die zu diesen auslaugenden Erlebnissen geführt hatten. Die Befreiung meiner Freundin lag schließlich in der Erkenntnis, dass ihr Mitgefühl kein Computer ist, der auf Knopfdruck anspringen muss.

Vielmehr erkannte sie, dass es in ihr eine Art Seismografen, ein ungemein feines intuitives Instrument gibt, welches ihr im Beisein von leidenden, hilfesuchenden Menschen entweder das Herz in Mitgefühl öffnet oder eben nicht. So genau hatte sie zuvor nie darauf geachtet, zu tief verankert war in ihr die Überzeugung, Mitmenschen helfen zu wollen. Niemals wäre ihr in den Sinn gekommen, Menschen abzuweisen oder Sitzungen abzubrechen, da folgte sie einfach einer Art selbst installiertem Hilfsprogramm und gab, gab, gab ...

Im feinen Nachspüren erkannte sie, dass die Hilfestellungen, bei denen ihr intuitiver Seismograf ihr Herz in Mitgefühl hatte öffnen lassen, unglaublich kraftvoll, bereichernd und nachhaltig gewesen waren. Hilfesuchende hatten in diesen Sitzungen und Beratungen große und nachhaltige Fortschritte erzielt. In Kontakt mit Leidtragenden jedoch, in denen sich ihr Herz einfach nicht in Mitgefühl öffnete, fühlte sie sich häufig im Nachgang erschöpft, sah sich mit mangelndem Respekt, geringer Wertschätzung oder Zahlungsschwierigkeiten der Klienten konfrontiert.

Diese Erkenntnis war der Durchbruch für sie, welcher sie schließlich zu bereits genanntem Lösungssatz führte: „Ich habe das Recht, mir mein Mitgefühl zu bewahren für die Menschen, die es wirklich annehmen.“ Voller Freude und neuer Begeisterung für ihren Beruf verließ sie meine Praxis.

Dieses Erlebnis hat mir wieder einmal vor Augen geführt, wie leicht wir alle, ob Laien oder Therapeuten, in die Falle des Helfersyndroms tappen können. Und so war es mir ein Herzensanliegen, einmal Schritt für Schritt darzulegen, welche Mechanismen diesem Konflikt zugrundeliegen.

Das Helfersyndrom ist ein ungesunder Ausdruck unseres inhärenten Impulses, unseren Nächsten Hilfe angedeihen zu lassen.

Hilfe heißt Erleichterung, wir sind also bestrebt, die Lage des Nächsten so zu verbessern, dass Erleichterung eintritt. Aus energetischer Sicht, wenn wir von der physikalischen Gesetzmäßigkeit ausgehen, dass je kraftvoller und energiegeladener eine Form ist, desto höher die Schwingung ihrer Teilchen, dann bedeutet Erleichterung also, höhere Schwingung in eine zuvor niederfrequent schwingende Form zu bringen.

©rosifan19Das Schwingungsniveau der Leichtigkeit/ Erleichterung ist also höher als jenes der Schwere/des Leides. Ähnlich wie auf der Tonleiter hohe Töne auf höheren Notenzeilen angesiedelt sind als tiefe Töne. Wohlgemerkt gehören sowohl die hohen als auch die tiefen Töne (und alle dazwischen) zur Melodie, sind also gleichbedeutend für die Gesamtkomposition.

Um jemandem wirklich helfen zu können, muss der Helfer also in der Schwingung und Kraft von Leichtigkeit sein, denn sonst ist es ihm ja weder möglich, den Leidenden auf ein höheres Niveau zu heben noch ihm eine Dosis höherfrequenter Schwingung zukommen zu lassen als Impuls zum Heraussteigen aus dem umschließenden Leid.

Ein Mensch, der vom Helfersyndrom befallen ist, spürt in sich einen unterschwelligen Drang zu helfen. Dieser Wunsch entspringt nicht dem klaren und freiwilligen Impuls eines authentischen Herzens, das von Mal zu Mal neu erkennt und entscheidet, ob es in diesem Falle überhaupt die Regung verspürt, helfen zu wollen oder nicht. Beim Helfersyndrom dominiert ein Zwang, ein sich verselbstständigter Automatismus, der sich über die klare Stimme des ungetrübten Herzens gelegt hat. Ich muss helfen aus einem Dogma, gedanklichen Gesetz, moralischen Wert oder vorgelebten Bild heraus, mit dem ich mich identifiziert habe. So z. B.: „Ich helfe, also bin ich ein guter Mensch.“ (Bestärkung in der Identität des Gutmenschen.) Der Hilfsimpuls kommt also von mentaler Ebene, nicht aus der Unmittelbarkeit des Herzens.

Helfen aus Dogma heraus ist immer mit einer Art des Ausgleichs/der Belohnung für den Helfenden verknüpft. Die gebotene Hilfe bringt dem Helfer etwas ein: ein gutes Gefühl, weil es ihm dann bewusst wird, dass er es besser hat oder stärker ist als der Leidende, ein gutes Karma in diesem oder nächsten Leben, Bestärkung der eigenen Identität oder Rolle und, und, und …

Der Hilfsimpuls kommt also aus einer Ebene der eigenen unbewussten Bedürftigkeit, das heißt, ich erhalte selbst einen Gewinn aus meinem Hilfsakt, der mich befriedigt. Nur Helfenwollen, das der Unmittelbarkeit des von Moment zu Moment unterschiedlich, aber stets authentisch sich regenden, klaren Herzens entspringt, ist wahrhaft bedingungslos. Es ist also völlig frei von der Erwartung auf Gegenleistung. Es erfüllt sich selbst im Tun, weil uns das Helfen aus dieser Quelle heraus in direkten Kontakt mit der Liebe und der Kraft, die wir im Innersten sind, in Kontakt bringt. Es erweckt augenblicklich die Strahlung der Unermesslichkeit des göttlichen Ozeans in uns. Und das ist eine Schwingungsebene, die durch keinerlei Gegenleistung im Außen je erreicht werden könnte.

Je öfter wir uns erlauben, wirklich authentisch zu sein in unserem Bestreben, unseren Nächsten zu helfen, umso direkter spüren wir die Verbindung mit dieser Quelle aller Wahrheit. Das macht uns auch unfehlbar für die Unterscheidung von echtem Leid und aufgesetztem Schauspiel.

Echtes Leid sagt innerlich wirklich JA zur helfenden Hand, die gereicht wird. Dies impliziert ein JA zur Veränderung im Inneren des Leidgeplagten, ein Wille zur Einsicht und Annahme neuer, höher schwingender Impulse. Es bringt den Mut auf, über bisherige Grenzen und Einschränkungen im Denken, Fühlen und Handeln zu gehen, um erkennen zu können, wo die bisherige Biografie in die Situation des Leides geführt hat. Den Mut, die eigene Wahrheit freizulegen; letztendlich den Mut, wieder ins eigene Herz zurückzukehren und dort die Weichen auf „Neu“ zu stellen.

Das klare Herz eines authentischen Helfers erkennt solch echtes Leid sofort. Und genauso erahnt es das aufgesetzte, inszenierte Leid, weil dies eben einfach nicht die Regung des Hilfsimpulses auslöst. Der Verstand mag sich einschalten und sagen: „Nun sieh doch, dieser Person geht es so schlecht. Willst du nicht eingreifen? Sei doch nicht so kalt, warum bist du so gefühllos?“ Doch das klare Herz lässt sich nicht täuschen. Wenn es sich nicht bewegt, dann hat es guten Grund dazu. Falsches, aufgesetztes Leid will täuschen. Das Fatale daran ist, dass es sich selbst damit genauso täuscht wie seine Umwelt. Es beginnt, an das Schauspiel zu glauben, das es inszeniert hat, und verstrickt sich heillos darin.

Aufgesetztes Leid ist leicht daran zu erkennen, dass kein wirklicher Wille zur Veränderung im Inneren vorhanden ist. Falsches, berechnendes Leid möchte Energie/Aufmerksamkeit bekommen, aus der schmerzlichen Situation getragen werden oder sein Umfeld/den Helfer ins ungute Schauspiel hineinziehen.

Damit würde er seine Lebensanschauungen bestätigt sehen, dass Leben Leid, Schwere, Anstrengung, Mangel, Schmerz sind. Und hätte damit zugleich für sich selbst die Absolution dafür, dass entweder gar nicht erst versucht wird oder es bisher noch nicht gelungen ist, innerpsychische Veränderungen an sich vorzunehmen. Wenn es gelingt, den Helfer zu sich herabzuziehen (von der höheren Schwingungsebene der Leichtigkeit/des Glücks in die eigene tiefere Ebene der Schwere), hören zudem die nagenden Zweifel an der eigenen Lebensführung auf. Denn diese werden unweigerlich ausgelöst allein durch die Anwesenheit einer glücklichen, leicht schwingenden Person.

Falsches, inszeniertes und manipulativ eingesetztes Leid löst inneren Druck durch Schuldzuweisungen und Sich-Beklagen im Außen. Würde es sich stattdessen die Frage stellen: „Was kann ich tun/verändern, um es leichter zu haben?“, wäre der Weg zu wahrer Hilfe und dauerhafter Schwingungserhöhung/Erleichterung frei. Solange dieses verbindliche JA zur Arbeit an sich selbst und zum Umorientieren ins Leichte nicht erfolgt, ist jede Hilfe verschwendet. Hilfe dient dann nämlich nicht der Wahrheitsfindung, dass Leben durchaus leichter, erfüllter, glücklicher sein kann. Stattdessen wird sie missbraucht für kurzzeitigen, innerpsychischen Spannungsabbau, der jedoch niemals zum dauerhaften Erreichen einer höheren Schwingungsebene führt.

Bildlich gesprochen würde auf der Tonleiter der tiefste Ton auf seiner Zeile ein wenig auf und ab hüpfen, um sich dann etwas mehr rechts oder links einzuschwingen, also auf dem gleichen Niveau bleiben wie zuvor. Verpuffte Hilfsenergie.

Im Gegensatz dazu würde bei echter Veränderungsbereitschaft das aus dem Inneren kommende JA zur Veränderung diesen Ton auf der Leiter dauerhaft nach oben führen können. Wenn ein klares Herz den Hilferuf echten Leides vernimmt und unmittelbar einen authentischen Hilfsimpuls verspürt, geschieht bildlich gesprochen folgendes: Das hohe C vernimmt den Ruf des tiefen C und reicht hinunter bis auf die Ebene E oder sogar D. Ohne jedoch dabei die Verwurzelung im hohen C zu verlassen oder gar zu verlieren. Das bedeutet konkret, das hohe C bleibt bei seinen Lebensüberzeugungen, bei seiner Wahrheit, die es dazu befähigt, in diesen Höhen auf leichte Weise zu schwingen. Es lässt sich nicht täuschen durch die verzerrte Welt- und Lebenssicht des tiefen C. Zugleich spürt es instinktiv den aufrichtigen Willen des tiefen C, sich über sein bisheriges Niveau hinauf zu entwickeln. Das tiefe C öffnet also den Weg zu dauerhafter Veränderung, indem es eine Entscheidung trifft. JA zur Veränderung, NEIN zum bisherigen Leid.

Einer Türe gleich, die endgültig geschlossen wird. Dieses NEIN, diese geschlossene Tür in Richtung Leid, setzt bereits alle noch brachliegenden, unentdeckten Kraftquellen im tiefen C frei. Es beginnt alles mit dem Entschluss, es auf andere Weise zu versuchen. Dem Willen, sich von der Lebensweise des hohen C inspirieren zu lassen, dem Mut, neue Impulse durchzusetzen, und dem Vertrauen, Geduld für die Umformung aufzubringen. Die Wurzeln des tiefen C müssen die karge Basis der verfälschten Lebensgesetze (das Leben ist Leid, Schmerz, Anstrengung, Mangel) verlassen und auf die von den höheren Ebenen des hohen C, des A und anderer hilfsbereiter Töne entgegengereichten Hilfsimpulse vertrauen.

Und siehe da – es gelingt! Mit dem unwiderruflichen JA zur eigenen Veränderung wachsen Flügel und die geeinten Hilfsimpulse aus den höheren Ebenen lassen den Aufwind entstehen, den es braucht, um das vormals tiefe C eine Ebene höher steigen zu lassen. Leichtere, korrigierte Lebensgesetze bilden nun die Basis für die Wurzeln des ehemaligen tiefen C – jetzt D. Und sein Leben fließt leichter, erfüllter ...

So verläuft gesundes, nachhaltiges und authentisches Wachstum. Und es hört nie auf – die Leiter der Evolution in Richtung Leichtigkeit, Licht ist ewig.

Als Laien wie auch als Therapeuten sind wir also aufgerufen, sehr genau zu prüfen, wie wir mit Hilfsbereitschaft und Mitgefühl in uns umgehen. Aus welcher Motivation heraus geben wir Sitzungen? Weder wollen wir uns selbst energetisch, emotional an unseren Klienten bereichern oder sie in ihrer Hilfsbedürftigkeit an uns binden. Noch sollten wir uns dauerhaft den kräftezehrenden Verstrickungsversuchen von Menschen aussetzen, die sich den wahren Ursachen ihres Leids nicht wirklich stellen wollen. Es geht hier um klare Grenzsetzung, die selbstverständlich auch Menschen zusteht, die es als Lebensaufgabe ansehen, anderen hilfreich zur Seite zu stehen.

Und dabei ist es in den meisten Fällen wirklich sehr einfach: Wenn wir uns zugestehen, dass Ehrlichkeit uns selbst gegenüber oberste Priorität hat, dann vernehmen wir auch klar das intuitive Signal in uns, das entweder Mitgefühl strömen lässt oder eben nicht. Und wenn wir uns dann noch selbst bedingungslos annehmen, mit all unseren Intuitionen und Regungen, und nicht über uns richten, können wir nicht fehlgehen.

Manchmal verspüren wir eben Mitgefühl und manchmal selbst als eher hilfsbereite Person nicht, so einfach ist das. Gesünder für uns ist es auf jeden Fall, uns nicht zu Hilfe zu zwingen, die unser Herz aus welchen Gründen auch immer nicht leisten möchte.

Monika Jalil Monika Jalil
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Praxis für Heilkundliche Psychotherapie und Coaching, Sexologie und Sexualberatung für Frauen, Gesundheitscoaching, Aura-Soma Farbpsychologie

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Fotos: ©Khunatom, rosifan19