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Abschiede bewusst erleben

fotolia©AntonioguillemDas Thema Abschied betrifft uns alle und wir werden immer und immer wieder in unserem Leben damit konfrontiert. Abschiede gehören zum Leben. Nicht nur der Verlust einer Person bedeutet Abschied. Jeden Tag gibt es etwas zu verabschieden und neu zu beginnen. Abschiede sind schmerzlich und so reagieren wir oft mit Abwehrmechanismen.

Häufig fangen wir an, zu verdrängen, was das Ganze allerdings nicht leichter macht, im Gegenteil, dann flüchten wir vor der Realität, was fatale Folgen auf unseren Körper und unsere Psyche haben kann.

Bei verdrängter Trauer können psychosomatische Symptome, wie Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Verdauungsprobleme, starke Müdigkeit, Magenbeschwerden, Rücken- und Gliederschmerzen, Zittern, Niedergeschlagenheit etc. auftreten. Und es ist sehr schwer, diese Form der Trauer zu erkennen. Dass der Körper die verdrängten Gefühle durch Krankheitsbilder kompensiert, ist den Betroffenen in den meisten Fällen gar nicht klar. Wenn dies allerdings erkannt wird, ist eine professionelle Unterstützung von Psychotherapeuten oder Psychologen sehr zu empfehlen. Es geht darum, sich den Erfahrungen und den Gefühlen um den Verlust des Verstorbenen bewusst zu stellen und sie in die neue Lebenssituation zu integrieren, denn sonst wird der Betroffene früher oder später von seiner Vergangenheit eingeholt.

Wenn sich Trauernde den einzelnen Phasen der Trauer stellen und ihrer Abwehrmechanismen bewusst werden, sie nicht mehr wegschauen, können Abschiede durchlebt werden. Sie können eine Heilung an Körper und Seele erfahren und mit neuem Mut weitergehen. So kann eine Rückkehr ins alltägliche Leben erfolgen. Auch wenn der Schmerz über den Tod des Verstorbenen bestehen bleibt, nimmt doch seine Intensität ab. Und Trauer ist eben keine klar abgrenzbare Phase, die man überwindet. Sie hat kein exaktes Ende. Oft verändert sich zwar die Bindung, aber es besteht eine weitergehende innere Bindung, die für viele Trauernde auch wichtig ist.

Aus der Praxis

Ein 37-jähriger Mann überlebt einen schweren Verkehrsunfall, aber sein Vater stirbt dabei. Dieser Verlust stellt ein dramatisches Erlebnis für den Mann dar. Er fühlte sich mit seinem Vater sehr verbunden. Schuldgefühle plagen ihn. Nach außen funktioniert er weiter und lässt sich so gut wie nichts anmerken.

Im Laufe der Zeit nehmen bei ihm körperliche, aber auch psychische Beschwerden zu. Er hat Rückenschmerzen, die in die Arme und Beine ziehen, leidet oft unter Kopfschmerzen und Verdauungsstörungen. Er ist müde und fühlt sich sehr niedergeschlagen. Nachdem die Schmerzen nicht aufhören, geht er endlich zum Arzt – mit dem Verlust des Vaters bringt er die Krankheitssymptome nicht in Verbindung.

Sein Hausarzt kann keine körperliche Ursache für die Beschwerden finden. Da der Patient dem Arzt schon lange bekannt ist, reagiert dieser genau richtig. Er vermutet hinter den Beschwerden eine psychosomatische Ursache – die unbewältigte Trauer um den Vater. Der Hausarzt überweist den Mann an einen Psychologen. Dies war die richtige Entscheidung, denn wie sich herausstellte, war der unverarbeitete Verlust der Auslöser für die vielfältigen Beschwerden des Mannes.

In einer langjährigen Psychotherapie konnten die körperlichen und seelischen Beschwerden nach und nach aufgelöst werden.

Trauer ist also die Antwort des Herzens auf jeden Verlust. Abschied und Trauer bedeuten oft, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Auch Kranke, alte, verlassene, leidende und sterbende Menschen trauern und haben eins gemeinsam: Sie befinden sich im Prozess des Loslassens. Das Leben hat sich verändert und bringt Neues, Unbekanntes und damit Unsicherheit mit sich. Nur ein Darauf-Einlassen wird uns wieder ins Gleichgewicht bringen.

Jeder sollte sich in seinem Tempo auf den Weg machen, das Ungewisse anschauen und sich einlassen. Was uns auf dem Weg begegnet, wird uns nicht immer leichtfallen, aber es sind genau diese Erfahrungen und Erkenntnisse, die uns zu dem machen, wer wir sind. Und es werden auch schöne Schritte dabei sein, die uns helfen, die Stolpersteine zu überwinden. Abschied gehört zum Leben dazu – das Leben anschauen und annehmen.

Loslassen heißt nicht loswerden. Loszulassen bedeutet, dass man sein lässt, was ist.

Trauerarbeit ist ein Weg, den Verlust und die Liebe zu dem Verstorbenen zu integrieren.

Für die Trauerbewältigung gibt es ein grobes Raster von verschiedenen Trauerphasen. Diese zu kennen, ist für alle Angehörigen von Vorteil, um die möglichen Reaktionen von Trauernden besser verstehen zu können. Menschen, die bereits eigene Trauer in ihrem Leben erfahren haben, können sich wesentlich leichter in die Lage von Trauernden versetzen. Sie besitzen die Sensibilität, wenn sie sich an ihre eigenen Trauergefühle erinnern. Tod und Trauer können von uns intellektuell nie vollständig erfasst werden, sondern müssen immer wieder neu erlebt und gelebt werden.

Somit sind die Trauerphasen nur ein kleines Hilfsmittel für ein besseres Verständnis für trauernde Menschen.

Die Phasen der Trauer

Wer sich der Trauer stellt, wird verschiedene Phasen durchlaufen.

Unsere Gefühle fahren mit uns Achterbahn.
Fast alles ist erlaubt.

Wir müssen uns vor nichts und niemandem für unser Verhalten rechtfertigen.

Wir sind im Moment so, wie wir sind, und das ist völlig in Ordnung.

Das Nicht-wahrhaben-Wollen kann zu einer Phase dazugehören. Gefühle werden dosiert. Es wird nur so viel in unsere Gefühlswelt hineingelassen, wie wir auch verkraften können.

Würden alle Verlustgefühle sofort zugelassen, wären wir emotional völlig überfordert. Diese Phase ist also ein Schutzmechanismus für die Psyche.

Oft haben wir Zorn. Wir lassen nun Gefühle zu, die vorher isoliert wurden. Der Zorn ist die natürliche Reaktion auf die Ungerechtigkeit des Verlustes, für die wir uns nicht schämen müssen.

Darauf folgt in der Regel die Phase des Verhandelns, in der wir in der Vergangenheit verharren und uns häufig mit Schuldgefühlen beladen fühlen. Das Verhandeln versucht, wieder Ordnung in das Gefühlschaos zu bringen, um den Schmerz fernzuhalten.

Die vierte Trauerphase wird als Depression bezeichnet, in der wir eingenebelt durch unsere Traurigkeit unser Leben aus Lustlosigkeit und Gleichgültigkeit heraus wahrnehmen. Auch hier tritt wieder ein Schutzmechanismus ein. Er schaltet das Nervensystem ab, sodass wir uns auf etwas einstellen können, das noch zu schwer für uns ist.

In der letzten Trauerphase, der Zustimmung, erfolgt ein Annehmen der Situation. Wir erkennen, dass die Vergangenheit nicht festgehalten werden kann. Zustimmung bedeutet in keinem Fall, Gutheißen der Situation. Wir gehen aber einen Schritt weiter und kommen wieder im Leben an.

Einzelne Phasen können sich wiederholen. Es kommt immer auf den Trauernden und den Verlust an. Emotionen gehören zur Trauerphase und sollten herausgelassen werden. Es gibt alles von Wut, Zorn, Aggression, Versteinerung, Sprachlosigkeit bis hin zu Schuldgefühlen und Schuldzuweisungen.

Heilsames

Es gibt eine Menge natürliche Wege, Verluste zu durchleben und Schmerz heilsam zu erfahren. Das können einsame Sparziergänge in der Natur sein, Erfahrungen in der Gemeinschaft oder in Begegnungen vielfältiger Art. Im Hier und Jetzt leben – nach vorne schauen, das, was gewesen ist, reflektieren und Frieden damit schließen, mit Menschen bzw. allen Lebewesen in einer guten Kommunikation leben, Verständnis aufbringen und verzeihen – all das ist heilende Energie.

Trauer ist ein Prozess. Er benötigt Zeit und Geduld mit sich selbst. Wichtig ist, dass jeder seinen individuellen Weg der Trauer findet, nicht stecken bleibt, sondern mit Kraft und Mut weitergeht und seine Gefühle zulässt.

Wenn wir durch den Schmerz hindurchgehen, werden wir stark und fest in uns selbst.

Licht und Dunkel gehören zu jedem Leben dazu und gerade die Dunkelheit bringt viel Verwandlung, wenn sie zugelassen wird. Besonders die schweren Zeiten fordern Menschen heraus; und wenn sie durch sie hindurchgehen, können sie gewachsen und umso stärker aus ihnen hervorgehen.

Kerstin SchaumKerstin Schaum
Trauer- und Hospizbegleiterin, Heilerin, Heilpraktikerin für Psychotherapie in Ausbildung, Autorin

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