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Resource Therapy nach Gordon Emmerson

Ein wirkungsvoller Heilungsprozess in der Arbeit mit inneren Anteilen

fotolia©Photographee.euFallbeispiel: Frau B., 45 Jahre, kommt in die Praxis. Sie hat schon etliche Psychotherapien hinter sich, war auch schon in einer Klinik und leidet immer noch unter ihrer Bulimie. Diese möchte sie angehen. Sie berichtet, als Elfjährige eine Anorexie gehabt zu haben, die dann aber vom Kindertherapeuten entdeckt wurde. Daraufhin hat sie heimlich eine Bulimie entwickelt. Während ihrer Schulzeit hat sie Drogen und Alkohol konsumiert und unter dem Einfluss von Kokain ihr Abitur gemacht. Sie ist sehr leistungsorientiert und hat zwei Studiengänge in kurzer Zeit mit Erfolg abgeschlossen.

Es ist ihr gelungen, von sich aus mit den Drogen aufzuhören. Stattdessen hat sie sich dem Leistungssport zugewandt. In den ersten Sitzungen kommt es immer wieder vor, dass sie abrupt in den Nebel abtaucht. Plötzlich ist sie nicht mehr erreichbar. Sie ist zwar nicht dissoziiert, aber vollständig in den Kopf gegangen. Dann will sie über etwas anderes reden oder die Sitzung gar beenden.

Die schildert, wie sehr sie ihr bulimisches Verhalten stört und dass sie das verändern möchte.

Wir Therapeuten erstellen üblicherweise eine Anamnese, erfassen die Gesundheits- und/oder Krankengeschichte und diagnostizieren nach den uns bekannten Manualen oder internationalen Diagnoserichtlinien. Wir machen uns ein Bild vom Klienten, versuchen die Symptome einzuordnen und Behandlungsstrategien entsprechend unseren Ausbildungen daraus abzuleiten.

Doch wer ist es, der eigentlich in unsere Praxis kommt? Und wie kann der Klientin schnell geholfen werden?

Eine neue Richtung der Psychotherapie geht davon aus, dass die Persönlichkeit des Menschen aus verschiedenen Anteilen oder Ich-Zuständen besteht.

Demzufolge können wir ja einfach mal anzunehmen, dass derjenige Anteil, der den Klienten in die Praxis führt, der Beschwerdeführer ist. Der uns von bestimmten Symptomen wie unerwünschten überwältigenden Emotionen berichtet, z. B. von Angst, Panik oder der uns von unerwünschten Verhaltensweisen berichtet wie von verschiedenen Süchten oder Zwangsverhaltensweisen. Es ist derjenige, der das Leiden loswerden will und Linderung sucht. Es ist derjenige Anteil des Klienten, der zumindest zum Zeitpunkt der Konsultation im Bewusstsein des Klienten zuvorderst ist.

Aber ist es auch derjenige Anteil des Klienten, der tatsächlich etwas mit den Symptomen zu tun hat, der die Symptome trägt oder verursacht?

Wen also diagnostizieren wir? Und wer ist es, den wir in diesem Moment nicht sehen und mit dem wir in diesem Moment auch nicht reden?

In den letzten Jahren haben sich in der therapeutischen Arbeit vor allem in systemisch arbeitenden Therapiekreisen sog. Teilemodelle der Persönlichkeit entwickelt. So ist aus der ursprünglich analytischen Arbeit von John und Helen Watkins (USA) und deren Integration von Hypnotherapie die „Hypnoanalytische Ego State Therapie“ entstanden, die schließlich in Deutschland und in der Schweiz eine weite Verbreitung gefunden hat.

Zur gleichen Zeit hat Gordon Emmerson, ebenfalls ein Student der Watkins, diesen Ego State Therapieansatz in Australien weiterentwickelt. Daraus ist der sehr innovative Ansatz der Resource Therapy (RT) mit einer eigenen Persönlichkeitstheorie entstanden. Gordon Emmerson ist es mit der RT gelungen, die für Anwender oftmals komplexen Dynamiken innerhalb der Persönlichkeit und zwischen deren Anteilen oder Ich-Zuständen zu vereinfachen.

Er nennt die Ich-Zustände nicht mehr Ego States, sondern Resource States oder einfach Ressourcen.

Die Berichterstatterin von Frau B. erzählt von bulimischem Verhalten, das sie verändern möchte.

In den Therapiesitzungen zeigt sich ein anderer Anteil. Dieser verursacht Nebel. Klassischerweise würde man so etwas als Widerstand bezeichnen.

In der RT gehen wir davon aus, dass sich in bestimmten Situationen während der Therapiesitzung ein innerer Anteil zeigt, der die Führung übernimmt und offenbar verhindern will, dass wir tiefer gehen können. So gesehen kann man annehmen, dass dieser Teil eine beschützende Funktion hat.

Der RT ist es wichtig, genau diesen Teil mit ins Boot zu bekommen. Wir begegnen diesen beschützenden Anteilen, die zunächst sehr destruktiv wirken, mit Neugierde und Wertschätzung.

Wir betrachten sie also als Ressource. Das ist ein weiterer besonderer Ansatz: Jeder Anteil ist wichtig und braucht die Liebe, Anerkennung und Wertschätzung der anderen Anteile. Deshalb arbeiten RT-Therapeuten wertschätzend. Das macht RT auch zu einer sehr sicheren Therapieform.

Was ist eine Ressource?

fotolia©SamuelDieser Begriff würdigt das Gesunde und Normale und Ressourcenvolle jedes unserer Anteile. Ressourcen entstehen laut Gordon Emmerson durch Wiederholung. Durch Wiederholung gibt es auf der Ebene der Nervenzellen synaptische Verschaltungen, die sich mit jeder Wiederholung verstärken. So kann man sich eine Ressource auch vorstellen als ein Cluster von Nervenzellen mit eigenen Empfindungen, Gefühlen, Gedanken oder Glaubenssätzen, einer eigenen Geschichte und einem eigenen Embodiment. Sie können sich vorstellen, dass der Therapeut oder die Therapeutin in uns eine ganz andere Ressource ist als zum Beispiel der liebende Elternteil oder die Privatperson in uns.

Nicht immer sind uns alle in uns entstandenen Persönlichkeitsanteile oder Ressourcen gerade bewusst. Es mag sein, dass wir uns mit einer Zigarette in den Händen wiederfinden und gar nicht wissen, wie das jetzt passiert ist. Der gesundheitsliebende Teil in uns kann sich gar nicht vorstellen, wie er zu dieser Zigarette in der Hand kommt. Es scheint sich eine andere Ressource plötzlich in den Vordergrund gedrängt zu haben.

Ähnlich geht es Frau B. Ganz plötzlich findet sie sich vor dem Kühlschrank wieder und hat eine Fressattacke. Sie kann nicht anders, als das Gegessene wieder zu erbrechen.

Danach fühlt sie sich schlecht. Sie kann sich nicht erklären, wie das jetzt wieder passiert ist. Ihre Berichterstatterin spricht also von dem Teil, der das bulimische Verhalten zeigt. Ist dieser innere Anteil, der für die Bulimie zuständig ist, nun der behandlungsbedürftige Teil? Es ist mindestens jener Anteil von Frau B., mit dem Verhandlungen notwendig sein werden.

RT geht davon aus, dass bestimmte Ressourcen bewusst und somit an der Oberfläche sind, sog. Oberflächen-States, andere wiederum sind zwar bekannt, aber gerade nicht aktiv, States, die just unter der Oberfläche liegen. Und dann gibt es noch Ressourcen, von denen wir bewusst im Moment keine Ahnung haben oder zu denen wir keinen Zugang haben. Gerade verletzte oder traumatisierte Ressourcen werden oft durch dissoziative Phänomene von der Oberfläche ferngehalten.

So kann es also jetzt sein, dass der Resource State, der den Klienten in die Praxis führt, der Berichterstatter also, zwar vom Problem berichten kann und von den Symptomen, die ihm lästig sind, dass dieser aber überhaupt nicht der behandlungsbedürftige Resource State ist. Möglicherweise ist nämlich genau jener im Moment gut geschützt unter der Oberfläche.

Zielsetzung der RT ist es nun, nicht weiter mit Berichterstattern über nicht anwesende Teile zu reden, sondern mit diesen direkt in Kontakt zu kommen, um ihnen zu helfen, ihre Not zu lindern, sie zu ermächtigen und wieder zu gesunden.

Diagnosen und Therapie

RT beschreibt den Prozess folgendermaßen:

  • Ziel: Frage den Klienten zuerst: „Was sind Sie bereit, heute zu verändern?“
  • Diagnose: Finde heraus, um welche Pathologie es sich hierbei handelt, die der Problematik zugrunde liegt.
  • Intervention: Wähle die entsprechende Intervention oder die Abfolge von Interventionen.
  • Reflexion: Bespreche das Ganze nach und bereite gegebenenfalls neue weitere Interventionen vor.

Im Wesentlichen kann man folgendem Entscheidungsraster folgen: Berichtet der Klient von negativen, ihn überwältigenden oder störenden Emotionen oder berichtet der Klient von negativen, ihn störenden Verhaltensweisen.

Berichtet der Klient von negativen, ihn überwältigenden Gefühlen, wird dieser Zustand in RT als Vaded State bezeichnet. RT nennt dabei vier Vaded States:

  • überflutet mit Angst:
    Vaded State with Fear
  • überflutet mit Zurückweisung:
    Vaded State with Rejection
  • überflutet mit Verwirrung:
    Vaded State with Confusion
  • überflutet mit Enttäuschung:
    Vaded State with Disappointment

Es erleichtert die Arbeit, wenn sich der überflutete State mit seinen Gefühlen schon direkt im Kontakt zeigt, also an der Oberfläche und bewusst ist. Wesentlich komplexer wird das therapeutische Vorgehen, wenn sich weitere States entwickelt haben, um mit ihrem Verhalten die Gesamtpersönlichkeit des Klienten vor diesen negativen überflutenden Gefühlen zu schützen. RT nennt diese so entstandenen States Retro Avoiding States. Ein Retro Avoiding State ist ein innerer Anteil, der zum Zeitpunkt seines Entstehens bestimmte Verhaltensweisen erlernt und auch erfolgreich eingesetzt hat, um einen inneren überfluteten Anteil von der Oberfläche fernzuhalten, sodass dieser im Gesamtsystem der Persönlichkeit mit seinen überfluteten Gefühlen, seinen Verletzungen und Traumatisierungen nicht spürbar wird. Das Verhalten der Retro Avoiding States wird vom Berichterstatter/Klienten als unerwünscht und veränderungsbedürftig angesehen.

Einzig an der Verhaltensänderung der Retro Avoiding States zu arbeiten, wie es viele lösungsorientierte Therapiemethoden tun würden, reicht nicht aus, da der wirklich behandlungsbedürftige Anteil der zugrunde liegende und geschützte Vaded State ist.

In der RT-Diagnose werden noch zwei weitere States beschrieben:

Conflicted States: States, die als gesunde Ressourcen gelten, aber in Bezug auf ein bestimmtes Thema oder in Bezug auf den Zeitpunkt des Auftretens in Konflikt miteinander stehen. Der Umgang mit diesen in Konflikt stehenden States ist relativ einfach.

So könnte man bei Frau B. meinen, dass die Berichterstatterin, die das bulimische Verhalten beklagt, und jener State, der für das bulimische Verhalten zuständig ist, nichts anderes als im Konflikt miteinander stehende States sind. Im Grunde genommen ist das richtig, wird sich aber nicht lösen lassen, wenn nicht berücksichtigt wird, dass einer der in Konflikt stehenden ist States ein Retro Avoiding State ist, der einen zugrunde liegenden überfluteten State schützt.

Dissonante States: Dissonante States sind ebenfalls gesunde ressourcenvolle States, die allerdings zum falschen Zeitpunkt auf der Bühne zuvorderst sind. So ist z. B. der Fasnächtler des Therapeuten zwar ein State, der vollkommen gesund und in Ordnung ist und auch sehr wünschenswert im Leben des Therapeuten, aber in der Therapiesituation möglicherweise überhaupt nicht angemessen.

Ziel der Diagnose ist, den wirklich behandlungsbedürftigen Resource State zu ermitteln und mit diesem in direkten Kontakt zu kommen. Dabei kann ein Klient mehrere Vaded oder Retro States haben. Erst wenn diese States alle bearbeitet wurden, setzt eine vollständige subjektive Heilung ein.

Im Fall von Frau B. ist der Retro Avoiding State jener, der für das bulimische Verhalten zuständig ist.

Nachdem wir den Interventionen gefolgt sind, die RT für den Umgang für Retro Avoiding States entwickelt hat, zeigt sich, dass der Vaded State, der vom Retro Avoiding State beschützt wird, ein Resource State ist, der in der Kindheit sehr viel Zurückweisung, Verletzung und Vernachlässigung erfahren hat.

Das ist ein „Vaded State with Rejection“: ein mit Zurückweisung überfluteter State.

Interventionen

fotolia©VRDDie in RT entwickelten Interventionsmethoden sind sehr klar beschrieben und an die jeweilige Diagnose angepasst. Dies erlaubt dem Behandler ein sehr klares zielgerichtetes Vorgehen.

Zielsetzung aller Interventionen in der RT ist es, verletzte und traumatisierte Resource States - die Vaded States - durch korrigierende Erfahrungen und Neuverhandlungen auf der inneren Bühne wieder zu ermächtigen und ihnen zu helfen, sich wieder zu regulieren. Die Retro States finden Anerkennung und Wertschätzung in ihrem Bemühen zu helfen, wenngleich die Strategien, mit denen sie das tun, den Klienten als auch andere Ressourcen sehr belasten. Mit ihnen wird auf wertschätzende Art verhandelt, wie sie ihre Energie zum Besten für alle einsetzen können.

Der eigentliche behandlungsbedürftige Teil ist also dieser mit Zurückweisung geflutete State, ein kleines Mädchen, das nach der Trennung seiner Eltern sehr gelitten hat unter dem promiskuitiven Verhalten der Mutter, das verschiedene Liebhaber der Mutter hat aushalten müssen, das in seinen Bedürfnissen nie gesehen und gespiegelt wurde .

In der Arbeit mit diesem kleinen Mädchen geht es im Wesentlichen darum, die ursprünglich auslösenden und verletzenden Ereignisse aufzuspüren, RT nennt es die ISE (Initial Sensitizing Events), und dem Kind innerhalb dieser ISE korrigierende Erfahrungen zu ermöglichen und es gegenüber dem verletzenden Elternteil (Introjekt) zu ermächtigen.

Im Unterschied zu anderen therapeutischen Ansätzen, die mit inneren Anteilen arbeiten, wird nicht von dem kleinen Mädchen schlechthin ausgegangen wie z. B. „dem inneren Kind“, sondern es wird immer anhand spezifischer Ausgangssituationen des Erwachsenen über die verschiedenen Interventionstechniken, in diesem Fall das aus der Hypnose stammende Bridging, das ursprünglich auslösende Ereignis (ISE – Initial Sensitizing Event) ermittelt. Dann gilt es, innerhalb dieses ISE auf der inneren Bühne Neuverhandlungen zu ermöglichen. Gerade bei Entwicklungs- bzw. Bindungstraumatisierungen, im Unterschied zu SchockTraumata, bedeutet dieses Vorgehen, dass wir jede einzelne ermittelte Verletzung aufspüren und „befrieden“ können.

Inzwischen ist es möglich, dass derjenige innere Anteil, der in den Sitzungen für Nebel gesorgt hat und offensichtlich auch ein Retro Avoiding State ist, genug Sicherheit und Vertrauen hat in unsere Arbeit, dass er sich nicht mehr zeigt.

Es ist sogar möglich geworden, direkt ins System hineinzusprechen und mit den jeweiligen verletzten traumatisierten Mädchen in Kontakt zu kommen. Frau B. konnte Ressourcen finden, die sich bereit erklärt haben, für den mit Zurückweisung überfluteten State fürsorglich, liebevoll und Sicherheit gebend zur Seite zu stehen.

In der Zwischenzeit ist es für sie sogar möglich geworden, eine Partnerschaft einzugehen und sich nicht mehr in Fress- und Brechattacken zu verlieren, wenn die Aufmerksamkeit des Partners gerade nicht 100 % bei ihr ist.

RT ist ein neuer Therapieansatz und neu in Europa. Aus unseren eigenen Erfahrungen ist die Vorgehensweise sehr wirksam und es werden weniger Therapiestunden benötigt als mit anderen Ansätzen.

Wer sich für weitere Informationen interessiert, dem ist die Internetseite resourcetherapyinternational.com empfohlen. Dort gibt es auch eine Liste der zertifizierten RT-Therapeuten.

Literatur

  • Emmerson, Gordon, PhD: Resource Therapy Primer. 2014
  • Emmerson, Gordon, PhD: Resource Therapy. 2014
  • Emmerson, Gordon, PhD: Learn Resource Therapy. 2015 anotta , Silvia, PhD: Wieder ganz werden. Traumaheilung mit Ego-State-Therapie und Körperwissen. 2018

Kerstin B. Hentschel M. Sc.Kerstin B. Hentschel M. Sc.
Fachpsychologin für Psychotherapie, Körperpsychotherapeutin EABP, International Supervisor Ego State Therapy ESTI, International Trainer Clinical Resource Therapy RRTI, Zürich
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Dr. phil. Ralf FriedrichDr. phil. Ralf Friedrich
Heilpraktiker für Psychotherapie, Co-Active Certified Professional Coach, Board Certified Coach, International Standards for Mentoring and Coaching Programmes Assessor, Bio- und Neurofeedback-Trainer, International Trainer Clinical Resource Therapy RRTI, Frankfurt/M.
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