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Fallstudie: Herzrhythmusstörungen in der psychotherapeutischen Sprechstunde

fotolia©fotohanselHerzstolpern, bei dem keine pathologische Ursache vorhanden zu sein scheint, begegnet uns in der psychotherapeutischen Sprechstunde nicht selten. Häufig treffen wir dabei z. B. auf überwältigende Angstattacken, die mit einem Herzstolpern einhergehen. Für den Behandler ist dabei von außerordentlicher Bedeutung, dass eventuelle pathologische Ursachen deutlich, möglichst vom Facharzt, abgeklärt sind.

In meiner heilkundlich psychotherapeutischen Sprechstunde erschien eine 32-jährige Frau, welche von rezidivierenden Herzbeschwerden berichtete. Der Hausarzt habe ihr den Besuch einer psychologischen Sprechstunde empfohlen.

Im Anamnesegespräch sah ich eine sportliche, attraktive, elegant gekleidete und augenscheinlich gesunde junge Frau. Sie berichtete, dass sie sich wegen bisher unklarer kardialer Beschwerden im Sinne einer Palpitation in haus- und fachärztlicher Versorgung befand. Ihre hin und wieder auftretenden kardialen Beschwerden beschrieb die Frau als: Ihr „Herz würde plötzlich schneller, kräftiger und unregelmäßig“ schlagen.

Es wurden zwei fachärztliche Befunde vorgelegt. In ihnen erschienen die jeweiligen Befunde wie EKG, Langzeit-EKG, RR, Langzeit-RR, Belastungs-EKG, Echokardiogramm, Kipptisch-Diagnostik sowie die Laborwerte unauffällig.

Die Klientin lebt mit ihrem Lebenspartner und ihrer 10-jährigen Tochter in einer gemeinsamen Wohnung zur Miete. Sie gab an, dass die Partnerschaft in Takt sei, sie sich in ihr außerordentlich wohl und geborgen fühle. Weiter gab sie an, mit ihrer Arbeit im Bereich des Managements eines weltweit agierenden Softwareunternehmens sehr zufrieden zu sein. Ihr Arbeitgeber würde flexible Arbeitszeiten ermöglichen und einen großen Wert auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter legen.

Weiter berichtete sie, dass sie die Situation zwischen sich und dem Kindesvater als sehr belastend empfinde. Vom Kindesvater habe sie sich vor sieben Jahren getrennt. Schwierigkeiten würden insbesondere bei der Abstimmung des Umgangs mit dem gemeinsamen Kind erfolgen. So stelle er wiederholt viele Dinge infrage oder verändere Abmachungen ohne Ankündigung. In persönlichen Gesprächen würde er, oftmals in Gegenwart der Tochter, ausfallend und beleidigend werden.

Die Klientin erschien wach, bewusstseinsklar und in Zeit und Raum orientiert. Es gab keinen Anhalt für formale oder inhaltliche Denkstörungen, für Halluzinationen oder Störungen des Ich-Erlebens. Von ihrer Grundstimmung erschien sie ausgeglichen. Der Antrieb und die affektive Schwingungsfähigkeit erschienen uneingeschränkt. Die Klientin berichtete eine wiederkehrende Angst vor einer körperlichen Erkrankung. Psychomotorisch erschien sie eher ruhig und entspannt. Suizidale Gedanken verneinte die Klientin zweifelsfrei.

Ebenso verneinte sie den Genuss von Alkohol, Drogen oder Nikotin. Ein Medikamentenabusus würde nicht erfolgen. Der Nachtschlaf erschien unauffällig. Die Klientin berichtete, dass sie gut einschlafen und durchschlafen könne und erst mit dem Wecker erwachen würde. Hin und wieder habe sie Rückenbeschwerden, besonders im Schulter-Nacken-Bereich. Ihr Appetit sei wie immer, sie habe in den letzten Wochen weder zu- noch abgenommen. Mit ihrer Sexualität fühle sie sich wohl. Sie und ihr Partner würden nichts vermissen.

In der ersten Therapiesitzung berichtete die Klientin, dass die unregelmäßig und plötzlich auftretenden Herzbeschwerden sie sehr belasten würden. Sie schilderte, die Beschwerden würden in den unmöglichsten Momenten in Erscheinung treten. Egal, ob sie sich freue, ob sie Stress habe oder sie sich in Ruhe befinde. In den entsprechenden Situationen habe sie das plötzliche Gefühl, dass das Herz stärker und schneller schlagen würde. Erst in der Folge würde sie Angst, begleitet von Übelkeit, Schweißausbrüchen sowie schweißnasse Hände und zitternde Beine und Hände verspüren. Situationen wie Angst vor dem Autofahren, vor dem Einkaufen, vor Menschenansammlungen oder Ähnlichem würde sie nicht kennen.

Auffallend erschien, dass die Klientin ihre Herzbeschwerden bisher nicht im Zusammenhang mit Streitigkeiten mit ihrem Ex-Partner erlebt hätte.

Mittels tiefenpsychologisch fundierter Methodik habe ich zunächst damit begonnen, die Situation der Klientin näher zu beleuchten. Angelehnt an den Grundsatz der Gesprächspsychotherapie nach Rogers „Die Lösung steckt im Klienten selbst“ eröffnete ich mit der Frage „Was meinen Sie, was das Problem, die Ursache für Ihre Herzbeschwerden sein könnte?“ Die Klientin berichtete darauf spontan verschiedene einschneidende Lebensereignisse.

So habe sie im Abstand von zwei bis drei Jahren vor zehn Jahren jeweils durch Unfälle zunächst ihren Vater, dann ihren Bruder und dann dessen dreijährigen Sohn verloren. Alle drei seien nacheinander auf tragische Weise ertrunken.

In den folgenden Sitzungen wurden die Unfälle aufgearbeitet, eine psychisch belastende Situation konnte nicht beobachtet werden. Offenbar hatte die Klientin das Erlebte gut tolerieren können.

Nach der siebten Sitzung entschied ich mich, der Klientin zu empfehlen, sich auf eine weitere kardiologische Untersuchung einzulassen. Es folgte zeitnah eine dritte kardiologische Diagnostik, unter anderem ein Echokardiogramm, in welchem eine deutliche Mitralklappeninsuffizienz gesichert werden konnte. Während der Kardiologe die Insuffizienz augenscheinlich und per Videoaufzeichnung sicherte, verspürte die Patientin die bisher erlebten und geschilderten Beschwerden.

Anschließend erfolgte eine Befundnachbesprechung in meiner Sprechstunde, in der die Klientin deutlich erleichtert erschien. „Jetzt weiß ich, was ich habe, und vor allem weiß ich, dass ich keine Macke habe.“ So die Antwort der Klientin. Es wurde eine Wiedervorstellung bei Bedarf vereinbart.

Als langjähriger Behandler mit klinischer, notfallmedizinischer und ambulanter Erfahrung hat es mich in gewisser Weise schon überrascht, dass trotz zweier eindeutiger negativer kardiologischer Befunde dann ein positiver Befund ans Tageslicht kam. Erklären lässt sich diese Tatsache nicht mit der Annahme, dass die Fachärzte zuvor nicht sorgfältig genug gehandelt hätten.

Die Erklärung ist im Grunde ganz einfach. Genau in dem Moment der Ultraschalluntersuchung trat die Störung im Bereich der betreffenden Mitralklappe auf. Nur so hatte der Kardiologe die Möglichkeit, die Ursache der Beschwerden zu entdecken.

Dieser Fall hat mir einmal mehr deutlich aufgezeigt, wie wichtig es ist, unsere Klienten äußerst aufmerksam wahrzunehmen, zu beurteilen und auch mal für den Klienten zu entscheiden.

Frank-Michael KotzteFrank-Michael Kotzte
Heilpraktiker für Psychotherapie, Praxis für Psychotherapie, tiefenpsychologisch orientierte Gesprächspsychotherapie, lösungsorientierte Kurzzeittherapie, Krisenintervention, Seelsorge
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Foto: fotolia©fotohansel