Fallstudie: Hypochondrische Störung mit Panik
Patient:
Jeremy, 36 Jahre
Familiäres Umfeld:
Jeremy ist geschieden, sein 15-jähriger Sohn lebt bei ihm. Er lebt seit 2,5 Jahren mit seiner Freundin und deren zwei Kindern zusammen. Jeremy arbeitet als Bauleiter, ist aber in seiner Arbeitswelt unzufrieden. Deshalb wechselt er demnächst den Arbeitgeber. Jeremys Eltern haben sich scheiden lassen, als er 18 Jahre alt war. Zu seinem Vater hat er seit zehn Jahren keinen Kontakt. Zu seiner Mutter und dem etwas jüngeren Bruder besteht guter Kontakt. Weil seine Mutter berufstätig war, wurde Jeremy in der Kindheit viel von seinen Großeltern betreut. Zu ihnen hatte er ein gutes Verhältnis. Er ist traurig, dass er sich vor dem Tode der Großmutter nicht von ihr verabschieden konnte.
Der Kontakt zum Klienten erfolgte über ein Telefonat. Die „Therapiepraxis Balance-Concept“ ist im Netz unter den Stichworten wie Gesprächstherapie, Verhaltenstherapie, Paartherapie, Angsttherapie etc. gut zu finden.
Die Therapiepraxis führe ich allein. Ich bin ein Vertreter der humanistischen Psychotherapie, konkret: „Tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie“. Als zertifizierter „NLP-Practitioner“ arbeite ich mit der Gesprächstherapie sowie Elementen der „Therapie in Trance“. Ich habe eine qualifizierte Moderatorenausbildung und mehrere Jahre Führungskräfte der Versicherungswirtschaft moderiert.
Leitlinien im anamnestischen Gespräch
Im Vorgespräch geht es darum, den ganzen Menschen zu erfassen und wahrzunehmen. Das Individuum selbst. Das, was es ausmacht. Seine persönliche Geschichte, seine Entwicklung und Besonderheiten. Dazu gibt es meinen hilfreichen „roten Faden“:
- Grund des Therapiewunsches
- Beruf, Hobby
- Familiengeschichte
- Kindheit, Jugend, Pubertät
- physiologische Besonderheiten
- psychische Situation (Antrieb, Affekt, Stimmung, Depression, Suizidalität)
- gegenwärtige Facharztbehandlungen
- Medikation
- Eindrücke und Auffälligkeiten im Vorgespräch
- Sonstiges
Anamnese
Der Klient kommt mit unterschiedlichen psychischen Belastungen in meine Praxis. Er ist niedergeschlagen, es besteht aber keine depressive Stimmung. Im Gespräch ist er klar und strukturiert. Innerhalb des letzten Jahres war der Klient wegen körperlicher und psychischer Symptome dreimal in stationärer Behandlung. Der letzte Krankenhausaufenthalt liegt gerade mal fünf Monate zurück. Einlieferungsgründe: Brustschmerzen und Panikattacken.
Diagnose:
Sinustachykardie wegen vegetativem Ausnahmezustand. Es wurde die Empfehlung ausgesprochen, eine Psychotherapie zu beginnen. Bei einem früheren Krankenhausaufenthalt wurde eine linksseitige Hyperästhesie diagnostiziert. Über Missempfindungen im Gesicht, Arm und Bein beklagt er sich hier auch. Ganz häufig besteht ein Drehschwindel. Der Klient hat Angst vor Krankheiten und beobachtet sich deshalb sehr genau. Schon als sechsjähriger hatte er sich eingebildet, eine Blinddarmentzündung zu haben.
Jeremy erzählt, dass er in der Arbeitswelt durch Angst vor Panikattacken gewissermaßen blockiert ist. „Ich hab nur mit mir selbst zu tun“ sagt er. Er hat Angst, dass er wieder in die Klinik muss. Er hat demnächst ein Vorgespräch in einer Klinik. Jeremy berichtet, dass sein Sohn im Kindheitsalter (mit sieben oder acht Jahren) von seiner Exfrau vernachlässigt wurde. Er saß zwei Jahre lang nur vor dem Fernsehgerät. Das belastet Jeremy heute noch.
Den Kontakt zu seinem Vater hatte er abgebrochen, weil er nur Ablehnung durch ihn erfuhr. Dies aus einem besonderen Grund: Er selbst bezeichnete sich als Jugendlicher als Crash-Kind. Er war in falsche Kreise hineingeraten und hatte Erfahrungen mit Alkohol und Drogen. Später kam eine sehr große Verschuldung dazu, die zu einer Privatinsolvenz führte. Jeremy ist seit zwei Jahren schuldenfrei und geht jetzt verantwortlich mit seinem Geld um. Die ehemalige Verschuldung belastet ihn allerdings psychisch immer noch.
Die Kommunikation mit seiner Partnerin bezeichnet er als mittelmäßig. „Sie ist stur, könnte kompromissfähiger sein“.
Verdachtsdiagnosen
- Panik F.41.0
- Hypochondrische Störung F 45.2
Therapie
1. Sitzung
In dieser Sitzung verankere ich im leichten Trancezustand eine selbst gewählte Ruhesituation (Ruheanker).
Im therapeutischen Prozess werden durchaus belastende und prägende Situationen besprochen. Das kann bei Klienten schnell zu Unruhe oder großer Traurigkeit führen.
Ein solches Stimmungsgefühl lasse ich aber nur begrenzt zu. „Einmal gelitten heißt: genug gelitten“ ist meine Devise. Über den Ruheanker kann ich den Klienten bei solchen Gefühlsaufwallungen schnell in einen Entspannungszustand führen. Den Ruheanker (Entspannungsgefühl) kann Jeremy künftig bei Bedarf immer selbst auslösen.
2. Sitzung
Dem Klienten geht es gut, seine Stimmung ist besser geworden. Die Angst vor einer neuen Panikattacke wird langsam geringer. Ich führe Jeremy im Trancezustand in ein Bild hinein, das seine Angst vor einer Blinddarmentzündung betrifft.
Er ist sechs Jahre alt, steht im Flur der Großeltern und schreit vor Schmerzen. Vom Flur aus sieht er den Wohnzimmerschrank. Dieses Bild kann er sich gut vorstellen. Der Klient hält dieses Bild in Gedanken fest und hängt es zu Hause an die Wand. Das Bild bekommt einen gelben Rahmen – eine Farbe die er nicht mag. Dann lässt er das Bild zusammenschrumpfen, soweit, bis er nur noch einen gelben Punkt an der Wand sieht. Er lässt den gelben Punkt verschwinden.
Das Bild ist gelöscht.
3. Sitzung
Jeremy rechnet jetzt nicht mehr mit einem Klinikaufenthalt. Seine hypochondrische Neigung und die Angst vor Panik werden geringer. Sein Ruheanker wirkt. Seine Missempfindungen sind weniger geworden. Er fühlt sich befreiter als vor dem Beginn der Therapie. Das Bild der belastenden Situation eines Streits zwischen seinen Eltern wird gelöscht.
Im Gespräch wird deutlich, dass die interfamiliäre Kommunikation verbessert werden könnte. Wir sprechen ausführlich über Anforderungen an eine gute Kommunikation.
4. Sitzung
Der Klient berichtet, dass ihm seine Missempfindungen seit unserem letzten Termin große Probleme machen. Außerdem hat er kein gutes Gefühl zu dem kurzfristig bevorstehenden Vorstellungstermin in der Klinik. Eigentlich will er nicht in die Klinik.
Bei diesem Termin verabschiedet Jeremy sich symbolisch von seiner Oma. Er hat dabei ein schönes Bild vor Augen: Er besucht seine Großeltern. Oma sitzt hinter ihm auf der Couch, Jeremy sitzt am Tisch und isst ein Leberwurstbrot. Dieses Bild hält er fest, es bekommt einen Rahmen in seiner Lieblingsfarbe. Dann hängt er es in seiner Vorstellung zu Hause an eine Wand. Jeremy lässt das Bild so groß werden, wie er es möchte. Er gibt dem Bild Helligkeit und Farbe.
5. Sitzung
Der Klient hat den Termin in der Klinik abgesagt. Seine Missempfindungen sind deutlich besser. Nur das Gesicht macht noch etwas Probleme. Seine hypochondrische Neigung bessert sich, Angst vor der Panik besteht nicht mehr. Jeremy berichtet, dass die schlechten Gefühle zur Oma durch die Bildbearbeitung neutralisiert wurden. Er kann sich auch besser konzentrieren.
Jeremy hat klare Ziele für 2022: Er möchte mit seiner Familie dreimal Urlaub machen, im neuen Job gut ankommen und die Kommunikation mit seinem Sohn verbessern. Wir bearbeiten ein Bild zum Thema „Vernachlässigung des Sohnes durch die Mutter“. Es ist ein schönes Bild von einem gemeinsamen Urlaub mit seinem Sohn und seiner Exfrau. Dieses Bild wird vergrößert, er gibt ihm Helligkeit und Farbe.
6. Sitzung, Therapieende
Die hypochondrische Neigung ist noch leicht vorhanden. Jeremys Missempfindungen bestehen nicht mehr.
Wir bearbeiten ein negatives Bild zum Thema seiner Insolvenz. Er sitzt im Wohnzimmer auf dem Fußboden und sortiert diverse Unterlagen. Dieses Bild wird gelöscht. Im Anschluss bearbeiten wir ein positives Bild aus seiner Insolvenz:
Jeremy liest zu Hause einen Brief vom Gericht. Es ist die Restschuldbefreiung. Dieses Bild wird vergrößert und ausgestaltet. Der Klient entscheidet über die Größe des Bildes, er gibt ihm Helligkeit und Farbe.
Fazit
Jeremy hatte in der Therapie gut mitgearbeitet. Seine Motivation war hoch. Dies war ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Therapie. Ausschlaggebende Faktoren für einen erfolgreichen Therapieverlauf waren einerseits die Bearbeitung der belastenden Bilder, andererseits insbesondere auch die eingeleiteten Verhaltensänderungen.
Diese Verhaltensänderungen finden sich in einem gestiegenen Bewusstsein zur Kommunikation und zur Work-Life-Balance. Jeremy versucht z. B. regelmäßig abends den Tagesablauf mit seiner Partnerin zu besprechen (Wie war dein Tag?). Zusätzlich besteht auch eine stärker auf den Sohn ausgerichtete Kommunikation.
Der Klient nutzt regelmäßig eine Entspannungstechnik, die er hier kennen gelernt hatte.
Stand der Dinge
Nach Beendigung der Therapie hatte ich mehrfach Kontakt zu Jeremy. Ihm geht es gut. Beschwerden bestehen nicht mehr. Im neuen Arbeitsumfeld fühlt er sich sehr wohl.
Rainer Wieckhorst
Heilpraktiker für Psychotherapie, Experte für Kommunikation,
Angst- und Panikstörungen, Publizist,
Therapiepraxis Balance-Concept, Reinbek