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Panikattacken

2010-03-Panik1

Fallstudie: Dr. Klaus Dieterich

Eine 53-jährige Patientin, gelernte Schneiderin, kommt 2008 zur Hypnosetherapie, zunächst mit dem ungewöhnlichen Anliegen, ihr Bewusstsein und ihr Unterbewusstsein wieder in Einklang bringen zu wollen. Sie ist sehr aufgeschlossen, äußerst motiviert und zeigt viel Eigenverantwortlichkeit. Sie führt zudem schriftlich Protokoll über ihre Träume, von denen sie später lebhaft in den Sitzungen berichtet.

Nach weiterer Exploration beschreibt sie ihr Hauptproblem als Panikattacken in Zusammenhang mit einem Arzt, der ihr nicht mehr aus dem Kopf geht und in den sie verliebt sei. Die Panikattacken bestehen seit einer Schönheitsoperation im Bauchbereich vor zwei Jahren. Der Arzt, zu dem sie sich hingezogen fühlt, war der damalige operierende Chirurg. Immer, wenn sie an ihn denkt oder wenn sie sich ihn vorstellt, bekommt sie Panikattacken. Umgekehrt stellen sich vor jeder Panikattacke Gedanken an den Arzt ein. Sie fühlt sich nicht Herr ihrer selbst und empfindet die ständigen Gedanken an den Arzt als zwanghaft. Assoziiert mit den Panikattacken sind zudem Übelkeit und eine leichte Luftnot. Bei der Entlassung der Patientin aus der damaligen Klinik nach dem chirurgischen Eingriff hatte sich die erste Panikattacke eingestellt. Die Patientin berichtet weiterhin, sie habe sich nach dem Eingriff wie tödlich verletzt gefühlt.

Anamnese

fotolia©Arman ZhenikeyevDie biografische Anamnese ergab, dass ihre Mutter depressiv und sehr unglücklich war. Aufgrund der Suizidversuche und Kuraufenthalte der Mutter war die Klientin ständig in Kinderheimen untergebracht.

Als sie 6 Jahre alt war, befand sich ihr Vater schon im Pflegeheim. Er verstarb, als sie 10 war. In ihrer Kindheit gab es zahlreiche Fälle von sexuellen Übergriffen bzw. entsprechenden Versuchen. Hier war ein Muster zu erkennen.

Auch ist sie mit einem Mann in zweiter Ehe verheiratet, der wegen sexuellen Missbrauchs der gemeinsamen Tochter im Gefängnis war. Ihr Mann ist nicht fähig eine reife sexuelle Beziehung zu ihr aufzubauen und eine normale Sexualität zu leben.

Daher ist sie auch mit ihrer Ehe unzufrieden und wünscht sich irgendwann einen adäquaten neuen Partner, fühlt sich aber auf der anderen Seite verpflichtet, ihrem Mann zu helfen und ihm zur Seite zu stehen. So kommt ein neuer Partner nur nach dem Tod des Mannes in Frage. Sie meint, das sei ihr Schicksal in Bezug auf einen spirituellen Kontext. Mit diesem Satz scheint sie vieles zu verharmlosen bzw. für sich erträglicher machen zu wollen.

Eine Persönlichkeitseinschätzung mittels des Freiburger Persönlichkeitsinventars ergibt eine starke soziale Orientierung bei zugrunde liegenden starken Über-Ich- Forderungen.

1. Sitzung

Nach der biografischen sowie sozialen Anamnese beginne ich als Erstes mit einer Entspannungstrance, um zu sehen, wie sie darauf reagiert. Sie kommt gut in eine ruhige Entspannungsphase, jedoch hört sie ihr Herz dabei pochen; „ihr Herz kann nicht entspannen“, so ihre eigenen Worte.

Ich gebe ihr am Ende der ersten Sitzung zudem eine Entspannungs-CD mit, um zu sehen, wie sie sich zu Hause ohne meine Anwesenheit entspannt.

In den nächsten Sitzungen berichtet sie, dass sich immer nach dem Hören der Entspannungs-CD in der darauf folgenden Nacht Vergewaltigungsträume einstellen. Es zeigt sich zusehends ein recht komplexer Fall mit vielen Baustellen.

2. Sitzung

Da ich traumatische Ereignisse vermute, versuche ich in der nächsten Sitzung zuerst einen inneren sicheren Ort bei meiner Klientin zu etablieren. Zunächst wählt sie in Trance dafür spontan das Arztzimmer des Chirurgen. Ich bitte sie daraufhin einen anderen sicheren Ort zu finden, einen, den sie vor der Operation und der Bekanntschaft des Arztes gewählt hätte. Schließlich wählt sie einen schönen warmen Strand in Tunesien aus einem ihrer Urlaube. Ich verankere dieses Szenario und lasse dieses Bild noch eine Weile auf sie wirken. In der nächsten Sitzung lasse ich sie diesen inneren sicheren Ort vertiefen und überprüfe dessen Wirkung.

Bei der freien Assoziation unter Trance in der zweiten Sitzung stoßen wir auf etwas sehr Grundlegendes, nämlich Geborgenheit. Die Assoziationskette war unter anderem Trauer – Trennung – Mutter – Geborgenheit. „Mutter“ und „Geborgenheit“ stehen in direktem Zusammenhang und sie hat einen starken Wunsch, versorgt zu werden; aufgrund ihrer Entwicklungsgeschichte verwundert das nicht. Ich lasse sie ein Symbol für Geborgenheit finden und sie wählt eine Skulptur – bezeichnenderweise eine Frauenfigur, die sozusagen ihre Mutter repräsentiert. Anschließend lasse ich sie diese Figur mit dem inneren sicheren Ort verknüpfen.

3. Sitzung

In dieser Sitzung schließlich kommt mittels Regressionstechnik und Affektbrücke zu Tage, dass sie sich immer verliebt hat, wenn es ihr schlecht ging. So war sie im Alter von 24 Jahren ebenfalls in einen Arzt verliebt. Hier ist ein wiederkehrendes Muster zu erkennen. Am Ende der Sitzung gebe ich als paradoxe Intervention eine Hausaufgabe mit der Anweisung, sie solle einen Liebesbrief an ihren Arzt schreiben, ohne ihn abzuschicken, und versuchen bis zur nächsten Sitzung ständig an ihn zu denken und dabei zu schauen, was passiert, und das in einem Tagesprotokoll niederzuschreiben.

Es kristallisiert sich die Arbeitshypothese heraus, dass die mangelnde Sicherheit und Geborgenheit in der Kindheit zusammen mit sexuellen Übergriffen die Basis für die jetzigen Panikattacken liefern, ausgelöst durch die Operation, die wie eine Verwundung erlebt wird und irgendwie wie eine Retraumatisierung wirkt.

4. Sitzung

Mein hypnoanalytischer Ansatz bestand bisher aus Regression und freier Assoziation in Trance. Nun wendeten wir unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Trauminhalte. Sie berichtete hier von einem sehr eindrücklichen Traum, den sie hatte. Entscheidend war dabei die Bearbeitung des Traumes, der auf der Symbolebene einen Schlüsselprozess darstellte. Mittels Traumanalyse, bei der die Klientin ihren Traum in Trance weiterentwickelt und in die Rolle der unterschiedlichen Traumelemente hineingeht, versuchen wir hinter die Bedeutung des Traumes zu gelangen.

Sie träumte von einem älteren Hausmeister, der sie in bestimmter Weise oberhalb ihrer Schamregion berührte, mit dem Handballen über dem Venushügel mit den Fingern nach oben Richtung Nabel gerichtet.

Dieser spezielle Griff, wie sie es nannte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie sagte auch, dass so jemand etwas nur mache bzw. so etwas nur geschehe, wenn sie in diese Person verliebt sei. Sie verknüpft hier diese besondere Berührung mit Liebe bzw. Verliebtsein. Ich fragte sie daraufhin nach der Möglichkeit, ob es auch sein kann, dass sie sich in jemand verliebt, der sie so anfasst. Sie verneint jedoch diese Hypothese.

Die geplante 5. Sitzung kommt nicht mehr zustande, jedoch aus einem sehr positiven Grund. Sie rief mich an und berichtete, dass sie vollkommen geheilt sei, sie keine Panikattacken mehr habe und auch diese starke emotionale Bindung zum Arzt nicht mehr verspüre, nachdem ihr ganz plötzlich etwas bewusst wurde, was mit dem Traum zu tun hatte.

Sie berichtete, dass ihr einfiel, dass genau dieser Griff, diese Berührung in ihrer Schamregion, mit der Schönheits-OP zu tun hatte. Denn der Arzt musste genau diesen Griff anwenden, um Hautpartien während des OP-Prozesses zu straffen. In dem Moment, als ihr das klar wurde, waren nicht nur die Panikattacken verschwunden, auch die emotionale Bindung mit den Zwangsgedanken war wie weggeblasen.

In ihrem letzten Traum schien der Hausmeister stellvertretend für den operierenden Arzt zu stehen. Obwohl eine solche erfolgreiche Wendung bzw. Lösung nicht häufig vorkommt, zeigt es doch, dass hier komplexe und psychodynamisch sehr aktive Kräfte am Werk waren, die auf vielschichtige Weise miteinander verflochten sind.

In der letzten Sitzung berichtete die Klientin zudem, dass besonders Männer, die abweisend und recht kühl erscheinen, auf sie sehr anziehend wirken, ein wie ich vermute erlerntes Muster aus der Kindheit, in der sie wenig Geborgenheit und wohl mehr Kälte und Distanz erfuhr. Von daher wird auch verständlich, dass sie sich scheinbar in den Chirurgen verliebt hatte, der als Arzt eine gewisse Kühle und Distanziertheit ausstrahlte. Dass es sich hierbei nicht um wirkliche Liebe handelte, sondern vielmehr um Übertragungs- und Projektionsprozesse, zeigt das schlagartige Verschwinden des zwanghaften Gefühls zusammen mit den Panikattacken nach der erfolgreichen Traumdeutung und dem Bewusstwerden der Bedeutung der Berührung im Schambereich.

Nach einem halben Jahr hatte ich mich im Rahmen der Katamnese nochmals telefonisch über den Zustand der Klientin erkundigt und es stellte sich heraus, dass sie nach wie vor beschwerdefrei war.

Dr. rer. nat. Klaus Dieterich Dr. rer. nat. Klaus Dieterich
Jahrgang 1960
Gestalt- & Hypnotherapeut, Heilpraktiker für Psychotherapie, Neurobiologe. Forschungs- und Lehrtätigkeit in der Medizin und der Pharmakologie. Mehrjähriger USA-Aufenthalt. Danach Studium der Arbeits- und Organisationspsychologie und Ausbildung zum Hypnosetherapeuten und zum Gestalttherapeuten. Weiterbildungen in Paar- und Familientherapie, systemischer Aufstellungsarbeit, NLP, energetischer Psychologie sowie Trauer- und Sterbebegleitung. Seit 2005 als Psychologischer Berater und Therapeut tätig.
Markt 12a, 01468 Moritzburg
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