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Lisa-Marie und das Training Herzwesen®

2013-04-Herz1

Lernen mit allen Sinnen

fotolia©Africa Studio,Fallstudie. Die Autorin Marie-Anne Raithel stellt sich vor: Als Heilpraktikerin für Psychotherapie und Coach mit systemischer Ausrichtung bin ich bereits seit fast einem Jahrzehnt in Kindertagesstätten und Grundschulen, öffentlichen Bildungshäusern und der Hausbesuchspraxis tätig. Ich begleite Kinder und Jugendliche in dem sozial-emotionalen Kompetenztraining Herzwesen® – Lernen mit allen Sinnen, das auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse von jungen Kindern ausgerichtet ist. In die Kurse integriert sind zwei Elterntrainings, auch werden über Reflexionsgespräche ErzieherInnen und PädagogInnen mit einbezogen.

In einer kinder- und jugendpsychiatrischen und psychotherapeutischen Klinik habe ich zwei Jahre in der Institutsambulanz mitgearbeitet. In der Zeit der Hospitation habe ich Erfahrungen in Erhebung der Anamnese und des psychopathologischen Befunds gemacht sowie die testpsychologische und klinische Diagnostik erlernt und selbstständig durchgeführt. Nach der Zulassung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie habe ich dort Kinder und deren Eltern einzeltherapeutisch begleitet.

Setting sozial-emotionales Kompetenztraining (SKT)

In einer Grundschule hat die Pädagogin aktuell für einen Kurs der Erstklässler sechs Kinder angemeldet. Eines der Kinder ist Lisa-Marie, sechseinhalb Jahre. Das Kind und ihre Eltern habe ich bereits vor einem Jahr in einer Kita kennengelernt. Dort hat es am sozial-emotionalen Kompetenztraining speziell für Vorschulkinder teilgenommen.

Ein vor dem Kurs von den Eltern ausgefüllter Fragebogen gibt Auskunft über das Sozialverhalten, die emotionale Befindlichkeit, Entspannung und Konzentration.

Aktuelle Auskunft der Eltern

Lisa-Marie profitiere noch von den Konzentrations- und Entspannungsübungen aus dem ersten Training. Die Entspannungszeit am Abend werde auch in der Familie weiter so fortgeführt und gestaltet wie im Kurs gelernt. Das Training hat wichtige Impulse vermittelt, die auch jetzt noch in tägliche Abläufe integriert werden können.

Das Kind sei zurzeit sehr belastet, vor allem durch die Erkrankung des Vaters. Lisa- Marie mache sich wegen der familiären Situation Sorgen, zeige wieder eine größere, innere Unruhe und neige in der Schule zu auffälligem Verhalten. In letzter Zeit zeige sie wieder mehr Ängste vor unbekannten Situationen, eine geringe Konzentrationsfähigkeit, leichte Ablenkbarkeit, nachlassende Leistungen in der Schule, Einschlaf- und Durchschlafschwierigkeiten.

fotolia©Africa Studio,Auskunft der Klassenlehrerin

Lisa Marie hat im Moment wenig Frustrationstoleranz, kann sich nur für kurze Zeit konzentrieren, hat also Defizite in ihrer Aufmerksamkeit, neigt zu größerer innerer Unruhe, sie weint dann öfters, ist ablenkbar, führt Aufgaben nicht zu Ende.

Beurteilung und Empfehlung der behandelnden Kinderärztin

Lisa-Marie wirkt zugewandt und motiviert. Aufgrund familiärer Belastung, Erkrankung des Kindesvaters, muss sie aber eine hohe Anpassungsleistung erbringen. Empfehlung zur Teilnahme an dem SKT-Programm mit den Zielen Stärkung des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens, Vermittlung von Selbstinstruktionen, Aufmerksamkeitslenkung, Entspannungstechniken.

Rückmeldung der Klassenlehrerin

Diese erfolgt unmittelbar vor Beginn der ersten Kursstunde. Lisa-Marie lasse sich seit Tagen wieder sehr stark ablenken. Sie sei dann eher bei den anderen Kindern anzutreffen und helfe diesen, löse gerne deren Probleme und habe wenige Ressourcen, wieder zu sich zurückzufinden und ihre Aufgaben angemessen fortzuführen.

Beobachtungen im Training und Verlauf des SKT

Lisa-Marie wirkt in der ersten Kursstunde unruhig. Emotional abrufbar sind die im Training eingesetzten Handpuppen. In der Befindlichkeitsrunde äußert sie, dass ihr im ersten Training die Handpuppen – die Herzwesen – geholfen haben, ruhiger zu werden. Aber im Moment sei alles sehr schwierig, da der Papa krank und bereits längere Zeit im Krankenhaus gewesen sei. Nun sei er nach der Operation wieder zuhause, müsse sich aber schonen und könne kaum mit ihr spielen. Auch die Mama wirke so traurig und nachdenklich. Das Unbehagen des Kindes ist deutlich wahrnehmbar.

fotolia©Africa Studio,Elterntraining/Gespräche

Zu Beginn des Trainings findet das erste Elterntreffen, am Ende des Trainings ein zweites Gespräch in der Gruppe statt. Die Grundlage der Elterngespräche ist der ausgefüllte Fragebogen. Die Eltern haben sich bereits vor dem Kurs mit den Fähigkeiten, Ressourcen und auch Förderbereichen ihrer Kinder auseinandergesetzt. Gezielt werden Situationen herausgearbeitet, in denen es dem Kind bereits gelingt, sich besser zu entspannen oder zu konzentrieren, und auch Kontexte, wo es für das Kind schwieriger ist, Ruhe zu bewahren. Dies hilft mir als Therapeutin, jedes Kind da abzuholen, wo es gerade steht. Über- oder Unterforderungen können so vermieden werden.

Auch die Mutter berichtet von Lisa-Marie. Neuerdings wache sie wieder häufiger in der Nacht auf, sei ängstlich bis weinend und wolle dann in das Zimmer der Eltern kommen. Am Tag wolle sie nicht mehr in ihrem Kinderzimmer spielen, sie hänge im Moment sehr an ihrem Papa. Im ersten Gruppengespräch mit den Eltern werden allgemeine Themen, auch spezifische Dinge zu jedem einzelnen Kind besprochen.

Einzelgespräch mit der Mutter (34)

Die Mutter wirkt bedrückt, ängstlich, angespannt. Aus der Vorgeschichte sind Panikattacken in belastenden Situationen bekannt.

Die besondere Lebenssituation von Lisa-Marie und ihrer Familie verlangt jedoch an diesem Abend auch nach Raum und Zeit für ein Einzelgespräch. Ich erfahre, dass der Vater nach einer schweren Operation nun erst einmal wieder zuhause sei. (Auf die Angabe einer genauen Krankheitsbezeichnung wird zur Wahrung der Anonymität verzichtet). Er brauche sehr viel Ruhe und Schonung und liege tagsüber auf dem Sofa und warte auf einen freien Platz in einer internistischen Reha-Klinik. Die Familie sei sehr betroffen von der Erkrankung des Vaters. Obwohl die Klinik gute Aussichten für den jungen Familienvater gegeben hat, bleibt die Kindesmutter verunsichert und belastet mit dieser Prognose zurück. Sie äußert, dass sie sich viele Gedanken mache, wie es im Leben der Familie weitergehe – dies überfordere sie zusehends. Da bereits im Vorkontakt ein vertraulicher Gesprächsrahmen aufgebaut werden konnte, knüpft sie an das damalige Gespräch an. Sie berichtet, dass sie wieder unter Ängsten und beängstigenden Gedankengängen leide – auch Lisa-Marie zeige wieder mehr Ängstlichkeit. Neben einer Psychoedukation über Ängste im Allgemeinen, die Auswirkungen von Schwarz-Weiß-Denken und katastrophierenden Gedanken, erkennt sie erste Zusammenhänge zwischen ihrer Ängstlichkeit und der ihrer Tochter und kann sie so besser verstehen. Sie selbst reagiere im Moment extrem schreckhaft, jedes Geräusch, das sie nicht einordnen könne, lasse sie aufzucken. Auch Lisa-Marie sei im Moment sehr schreckhaft, insbesondere in der Nacht würden sie unbekannte Geräusche ängstigen. Auch könne sie am Abend kaum alleine bleiben, besonderes Unbehagen habe sie, wenn sie an die Zeit der Reha ihres Mannes denke.

Gemeinsam wird eine Art Notfallkoffer erarbeitet. Wichtige Rufnummern, das ABC der Gefühle, Stärkungen in Form von einprägsamen Selbstinstruktionen, Rufnummern von Freunden finden sich neben einem Schokoriegel, der sicher auch mal wichtig sei, wie sie meint. Sie sei froh, dass sie nun für sich einen ganz persönlichen Gesprächsraum erhalten habe. Sie müsse immer so stark in der Familie sein, dabei würde sie auch gerne einmal Verantwortung abgeben. Hier wird für sie deutlicher erkennbar, dass ihre Tochter möglicherweise Ähnliches tut, weil sie es so von der Mama erlernt hat. Erkennbar wird hier das „Lernen am Modell“. Auch Lisa-Marie fühlt sich öfters veranlasst, andere Kinder zu unterstützen, diesen zu helfen. Wie die Klassenlehrerin es erlebt, habe sie dann keine Zeit und auch keine Freude mehr, für sich selber zu sorgen und Ressourcen für das eigene Wohlbefinden zu entwickeln. Die Mutter versteht die Zusammenhänge und erkennt, dass dies möglicherweise ein kompensatorisches Verhalten in der belasteten Lebenssituation darstellt.

fotolia©Africa Studio,Personen- und ressourcenorientierte Arbeit mit Lisa-Marie im Training

Eine erkennbare Ressource ist für Lisa-Marie ihre Handpuppe, die sie kurz vor dem neuen Kurs von ihren Eltern zu ihrem Geburtstag erhalten hat. Dieses kleine Wesen hatte bereits in dem ersten Training eine hohe Bedeutung für sie, weil sie mit ihm sprechen, singen, lachen, träumen, ihm einfach alles erzählen durfte. In Rollenspielen mit den anderen Kindern spürte sie wieder besser ihre Fähigkeiten von Leichtigkeit und Freude im Umgang mit sich selber und den anderen Kindern in der Gruppe. Häufig wurden in dem damaligen Training Rollenspiele mit den Herzwesen initiiert, auch nach den Entspannungsgeschichten wurden kleine Puppenspiele mit Freude und Begeisterung von den Kindern im Training fortgeführt. Diese Handpuppe ist auch im Moment sehr wichtig für sie und lässt sie wieder etwas mehr Leichtigkeit ihres Kindseins erfahren.

Kurzzeittherapeutisches Gespräch mit der Mutter von Lisa-Marie

In einem weiteren Gespräch berichtet diese von Gedankengängen, die öfters auf einen schlechten Ausgang der familiären Situation gerichtet sind, auch das Schwarz-Weiß-Denken hat einen großen Raum bei ihr eingenommen. Gedanken wie „es kann nur schlimm enden“ beherrschen sie oft auch tagsüber und lassen sie grübeln. Auf Nachfrage, wie ihr Mann mit seinem eigenen Befinden umgehe, gibt sie an, dass er optimistisch, geradezu gut gestimmt sei und bereits wieder Zukunftspläne schmiede. Sie dagegen äußert ihre Bedenken und glaubt, dass es seiner Situation und seinem Befinden zuträglicher sei, wenn er eher verhalten mit der Diagnose der Ärzte umgehe. Sie äußert sich dahingehend, dass es viel schlimmer für ihn sei, wenn in ein paar Monaten die Diagnose korrigiert werden müsse. Dann lieber jetzt nicht so optimistisch sein und eher mit dem Schlimmsten rechnen, um auf alles gefasst zu sein.

Ich baue an dieser Stelle einen sokratischen Dialog auf und frage die Mutter von Lisa-Marie, weshalb sie glaube, dass es förderlich für ihren Mann sei, jetzt eher mit dem Schlimmsten zu rechnen? „Ich habe einfach Angst, dass er in ein Loch fällt“, sagt sie. „Wenn er jetzt optimistisch ist, wie könnte sich dann diese Einstellung für ihn auswirken?“, frage ich. Sie erkennt sehr deutlich, dass der Kranke so Kraft schöpfen könne, und dies sei sicherlich für den Genesungsprozess förderlicher, als jetzt schlechte Gedanken zu haben. „Wenn er jetzt mit dem Schlimmsten rechnen würde, dann würde er das Schlimme schon vorwegnehmen“, erkennt sie. Da sei es wohl viel hilfreicher, wenn er auch jetzt kleine, gute Zeiten und Momente erlebe und diese mit der Familie teile. Sie nimmt deutlicher wahr, dass sie wenig Unterstützung in dieser Situation von außen hat, erkennt aber auch, dass es für sie schwierig sei, Hilfe anzunehmen. Sie wolle nicht mit den anderen Eltern über ihre Situation sprechen, dafür habe sie jetzt gar keine Kraft. Und Mitleid könne sie jetzt nicht ertragen, das mache sie noch bedürftiger. Auf Nachfrage berichtet sie von ihrem Hausarzt und erkennt hier eine erste Ressource, sich vertrauensvoll ihm gegenüber zu öffnen, denn er kenne die Familie ganz gut. Er habe sie vor Jahren in einer schwierigen Zeit menschlich gut unterstützt. Sie will einen Termin vereinbaren.

fotolia©Africa Studio,Instruktion

In einem Folgegespräch wird eine erste Instruktion mit Lisa-Marie zusammen erarbeitet. Angst vor der Dunkelheit ist ein Thema, das sie gut kennt, so dass sicherlich Ressourcen in ihr selbst zu finden sind, die sie dann in der Situation brauche. Das Lisa-Marie berichtet davon, dass ihr wohl eine Taschenlampe helfe. Die wolle sie sich selber aussuchen, denn sie müsse besonders gut Räume ausleuchten. Auch müsse die Taschenlampe leicht auf Knopfdruck zu bedienen sein. „Wenn ich den Knopf nicht schnell finden würde, dann hätte ich bestimmt noch mehr Angst“, erkennt sie. Voller Stolz erzählt sie in der nächsten Gruppenstunde von ihrer neuen Taschenlampe, dass sie nun wieder eine Zeitlang in ihrem Zimmer abends verbracht und dort mit ihrer Handpuppe gute Gespräche geführt habe.

Erfahrungen im Verlauf des sozial-emotionalen Kompetenztrainings

Im Training zuvor hatte Lisa-Marie bereits sehr intensiv mit ihrer Lieblingshandpuppe gearbeitet. Die vorliegenden Dokumentationen aus diesen Gruppenstunden helfen nun, den Tansfer wieder dahingehend aufzunehmen. Nun kann das kleine Wesen zu einem wichtigen Helfer werden. Das kleine Herzwesen „Prinzessin Sternenpink“ liegt abends neben ihr im Bett. Ihre Mutter hört dann oft zu, wenn sie „Prinzessin Sternenpink“ von Geschehnissen des Tages erzählt, aber auch Wünsche hinsichtlich der Genesung des Papas anvertraut. Weitere kleine Instruktionen, die Lisa-Marie für die anstehende Reha- Maßnahme des Vaters stärken sollen, werden erarbeitet und an ihre Mutter weitergegeben. Als ihr Vater dann in der Klinik ist, unterstützen sie Lisa-Marie insbesondere beim Telefonieren mit dem Papa. Auch wenn am Abend der Kontakt über „skype“ aufgenommen wird, ist die Handpuppe ein guter Mittler von Gefühlen und Bedürfnissen für das Kind, bietet ihr Schutz und steht tröstend zur Seite. Die Mutter setzt sich abends zu ihr ans Bett, beobachtet still die Gespräche zwischen Lisa-Marie und ihrer kleinen Begleiterin und spürt eine erste Entlastung für sich selber in dieser Zeit. Auch sie hat sich nun in einem ersten Gespräch ihrem Hausarzt anvertraut.

Das Herzwesen, das sich Lisa-Marie ausgesucht hat, ist eine kleine tanzende Prinzessin, die auf sie sehr leicht wirkt und ihr offensichtlich dabei hilft, dem Leben auch immer wieder schöne Seiten spielerisch abgewinnen zu können.

Notwendigkeit zur Koordination mit komplementären Diensten, hier Transfer Schule-Jugendamt

Am Ende des Gruppentrainings wirkt Lisa-Marie wieder stabiler, etwas mehr zur Ruhe gekommen, Selbstwirksamkeit ist für sie verfügbarer geworden. Ihr Papa ist nach der Reha wieder so weit hergestellt, dass er einen geregelten Tagesablauf zuhause für sich selber herstellen kann. Die Familie ist aber auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen. Da die Familie auch in naher Zukunft immer wieder Dinge aus eigener Kraft bewältigen muss, empfehle ich den Eltern über den Kurs hinaus eine weitere Begleitung des Kindes bzw. der Familie durch das Jugendamt. Der Kontakt ist bereits über die Schule hergestellt und eine familienpädagogische Begleitung durch eine Fachkraft wird positiv eingeschätzt.

Das Ziel

Die Frühförderangebote für Kinder und Eltern sowie die spezifischen Angebote für Kinder in belasteten Lebenssituationen haben in den letzten Jahren meiner Tätigkeit als Ganzheitliche Kinder- und Jugendtherapeutische Begleiterin an Bedeutung gewonnen und sind bereits in einigen Kindertagesstätten und Grundschulen zu einem festen ganzjährigen Angebot geworden oder werden quartalsweise innerhalb einer Unterrichtsstunde eingesetzt. Gerade vor dem Hintergrund des Themas Inklusion. Für Kurse, z. B. für Kinder mit Entwicklungsverzögerungen, möchte ich Familien direkt an der Basis, also in der Kindertagesstätte, in der Grundschule sensibilisieren und motivieren, da bereits eine gute Anbindung, der bekannte Kontakt, der Beziehungsaufbau aus Vorkursen, über andere Eltern, ErzieherInnen und PädagogInnen vorhanden ist. Ein guter Transfer zu den Kinderärztinnen und -ärzten der Region sichert die ärztliche Diagnose, sodass lange Wege und Wartezeiten vermieden werden.


Marie-Anne Raithel Marie-Anne Raithel

Heilpraktikerin für Psychotherapie, Coach DVNLP, Psychosoziale Beraterin DVNLPt, EMDR-Therapeutin VDH/DGMT), Aktive Imaginationstherapie nach C. G. Jung

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