Skip to main content

Hypnosystemische Therapie – generative Ansätze der klinischen Hypnose

2013-04-Hypno1

Drei Generationen von Trancearbeit

Hypnose ist nicht gleich Hypnose und Hypnotherapie, die therapeutische Anwendung von Hypnoseansätzen, ist nicht gleich Hypnotherapie. Es gibt eine große Vielzahl von Methoden, Grundannahmen und Herangehensweisen, die sich teilweise erheblich unterscheiden. Dr. Stephen Gilligan, einer der renommiertesten Schüler des legendären Arztes Milton H. Erickson, des großen Neuerers im Bereich der klinischen Hypnose und Psychotherapie im letzten Jahrhundert, formuliert gerne drei Generationen von Trancearbeit. Dabei wird der Begriff Trance synonym mit dem Zustand benutzt, in dem sich jemand befindet, der in Hypnose ist.

Die klassische traditionelle Hypnose

fotolia©JstudioshotDie erste Generation ist die klassische traditionelle Hypnose, die während des 18. und 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Diese Form der Hypnose zeichnet sich durch eine Grundhaltung aus, die unterstellt, dass sowohl das bewusste kognitive Denken des Menschen, als auch das sogenannte Unbewusste (auch Unterbewusstsein genannt) unfähig und nicht in der Lage sind, den Menschen zu heilen. Alle Kraft zu einer positiven Veränderung muss daher vom Hypnotiseur ausgehen, der mit direktiven und, begründet im Geist jener Zeit, auch autoritären Suggestionen den Menschen in Trance versetzt. Dabei (so die Vorstellung solcher Ansätze) hebelt er quasi das bewusste Denken aus und sagt dem Unbewussten, was (auch das eine Annahme jener Ansätze) gar nicht anders kann, als den Suggestionen des Hypnotiseurs zu folgen. Dies ist ein Modell von typischen feudalistischen Dominanz- Unterwerfungs-Ritualen.

Milton Erickson, der große Neuerer

Die zweite Generation formuliert Gilligan als die Ansätze des Milton Erickson. Diese sind geprägt durch die Grundannahme, dass das bewusste Denken zu rigide ist und nicht in der Lage, wirklich Hilfreiches zur Veränderung des Klienten beizutragen. Das Unbewusste hingegen ist bei Erickson ein Eldorado aus hilfreichen Erinnerungen und Erfahrungen, die wie in einem riesigen Warenhaus im Unbewussten gespeichert sind und nur darauf warten, hilfreich genutzt zu werden. Diese Auffassung ist in jener Zeit ungewöhnlich und unterscheidet sich vollständig von den bis dahin vorherrschenden Konzepten Sigmund Freuds.

Ein weiteres ganz bedeutendes neues Verständnis, das Erickson in die Welt brachte, war, dass Trance ein ganz natürlicher Zustand ist, den jeder Mensch aus dem Alltag kennt. Ebenso alle sogenannten hypnotischen Phänomene, wie die Fähigkeit des Menschen Halluzinationen, zu haben, Zeit verzerrt zu erleben, Schmerzen auszublenden, Dinge zu vergessen oder sich an Vergessenes wieder zu erinnern. Bei Erickson geht nicht mehr alle Macht vom Hypnotiseur aus, sondern die Trancearbeit wird zu einem gemeinsamen interaktiven Erforschungsprozess. Trance ist für Erickson ganz wesentlich ein Lernzustand, in dem der Klient lernt, seine bereits vorhandenen Fähigkeiten zu nutzen. Ein weiteres wichtiges Element der Erickson´schen Ansätze ist das Utilisationsprinzip. Dabei wird alles, was der Klient oder Patient bietet, all seine Probleme, Verhaltensweisen und Reaktionen, auf möglichst hilfreiche Weise aufgegriffen und nutzbar gemacht. So ist alles, was in der Therapie geschieht, herzlich willkommen und wird konstruktiv für erwünschte Veränderungen genutzt. Jedes Verhalten, das sonst gerne als Widerstand des Klienten bezeichnet wird, gilt als wichtige, berechtigte und wertzuschätzende Botschaft über wichtige innere Bedürfnisse.

Milton Erickson war der Erste, der entdeckte, dass man Menschen auf erlaubende (permissive) Weise viel effektiver zu hilfreichen Veränderungsprozessen und Gesundheit einladen kann als mit den bisherigen rein autoritären und direktiven Verfahren.

Generative hypnosystemische Ansätze

Und nun zur dritten Generation der Trancearbeit. Sie ist gekennzeichnet durch eine Haltung, die sowohl das bewusste Denken würdigt und wertschätzt als auch das Unbewusste. Beide Seiten, die bewusste, kognitive, wie auch alle unbewussten Mechanismen und Abläufe werden grundsätzlich willkommen geheißen und zu einer optimalen Zusammenarbeit eingeladen. Sowohl im Bewussten als auch im Unbewussten gibt es tatsächlich hilfreiche und hinderliche oder sogar schädliche Aktivitäten. Weder das Bewusste noch das Unbewusste sind per se gut oder schlecht.

In der Trancearbeit der dritten Generation, wie Gilligan sie vorschlägt und praktiziert, werden kreative Aspekte und Fähigkeiten des Bewussten und des Unbewussten auf optimale Weise integriert, um hilfreiche Veränderungen zu bewirken. Gilligan nennt dies generative Trancen. Aus systemischer Sicht ist dies ein ganz wesentlicher Schritt, weil aus dieser Sicht die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass es irgendwann auf irgendeiner Ebene negative Auswirkungen hat, wenn ein Teil des Systems ausgegrenzt wird (z. B. das „rigide“ oder „blöde“ kognitive Bewusstsein). Jeder ausgegrenzte Teil eines Systems hat die starke Tendenz, sich zu wehren. Er boykottiert, macht „Dienst nach Vorschrift“ oder kündigt sogar jede hilfreiche Mitarbeit auf. Stellen Sie sich z. B. einen Menschen vor, der in der Firma gemobbt wird. Jeder wird schnell verstehen, dass ein solcher Mensch nicht mehr optimal zur Leistung des Unternehmens beitragen wird. Und aus hypnosystemischer Sicht gibt es eben nicht nur äußere Lebenssysteme, wie Familie, Freunde, Firma usw., sondern in jedem Menschen auch ein inneres System. Dieses funktioniert nach den gleichen Wirkmechanismen wie äußere Systeme. Das bewusste Denken aushebeln zu wollen, zu umgehen und auszutricksen ist also aus einer solchen Sichtweise sehr bedenklich.

Der Begriff hypnosystemisch ist übrigens ein Ausdruck, der von Dr. Gunther Schmidt geprägt wurde, ebenfalls ein Schüler Ericksons. Er erkannte schon vor Jahren die vielfältigen Verbindungen und Wirkweisen von Trance und menschlichen Systemen und hat ebenfalls einen ganz eigenen Stil der hypnotherapeutischen Beratung und Therapie entwickelt.

Bei hypnosystemischen Ansätzen und generativer Trancearbeit sind die optimale Kooperation und der wertschätzende Stil der Zusammenarbeit zwischen dem Coach oder Therapeuten und dem Klienten von großer Wichtigkeit. Therapeuten und Coaches sind keine allwissenden Halbgötter, die Menschen von außen in ihr Glück hypnotisieren und ihnen irgendetwas ein- oder ausreden wollen, sondern eher erfahrene Reiseleiter. Der Klient kennt sich und seine Bedürfnisse am besten, und er muss den ganzen Weg selbst gehen. Aber er hat kompetente Begleitung zur Hilfe. Hypnose wird dabei zu einem kreativen inneren Prozess der Erforschung und Aktivierung innerer Ressourcen. Wie der Autor dieses Artikels gerne betont: „Ich hypnotisiere schon lange niemanden mehr; ich lade Menschen zu kreativen inneren Forschungsreisen ein, die ihnen helfen, ihr Leben in eine gewünschte Richtung zu verändern.“

Die Ansätze sind schwerpunktmäßig ziel- und ressourcenorientiert, unter Berücksichtigung von tiefenpsychologischen und analytischen Erkenntnissen und Methoden.

Elmar Woelm Elmar Woelm
Ph. D. (USA Kona Univ.), Dipl.-Ing., er praktiziert die Ansätze der klinischen Hypnose seit 13 Jahren und ist Autor von sechs Büchern

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.