Skip to main content

Handbuch der therapeutischen Beziehung: Balance im Trümmerfeld – therapeutische Haltung bei fehlendem Halt

FP 0221 komplett Page34 Image1Eine gelingende therapeutische Beziehung ist Grundlage für jeglichen langfristigen Heilerfolg. Darin sind sich mittlerweile alle psychotherapeutischen Fachrichtungen einig. Mit Empathie, unbedingter positiver Wertschätzung und Echtheit eröffnet ein Therapeut (immer m/w/d) seinen Klienten Heilungsraum.

Doch wie kann die praktische Umsetzung aussehen? Was können Therapeuten und was können ihre Patienten erleben, während sie miteinander eine therapeutische Beziehung führen? Und was ist das eigentlich, was da während einer „Psychotherapie“ behandelt wird?

Im Buch sind Antworten auf Fragen wie diese zu finden. Das Buch lässt die Leser miterleben, was im Inneren eines Menschen vor sich gehen kann. Damit weckt es Verständnis und Mitgefühl für sich selbst und für andere und erschließt so jenes Beziehungsgeschehen, das die „Psyche“ eines jeden Menschen formt und neu formt. Neurowissenschaftlich fundiert vermittelt es auf leicht verständliche Weise, worauf es in mitmenschlichen Beziehungen und ebenso bei der Heilung psychischer Notzustände ankommt. Heilungssuchende Menschen können durch die Lektüre an eigenem Überblick gewinnen und dadurch in ihrem Mitspracherecht gestärkt werden. Menschen, die therapeutisch begleiten, können auf sehr differenzierte Weise Unterstützung bei der Reflexion ihrer Arbeit finden.

Der Text dieses Buchs ist weitgehend in Dialogstruktur geschrieben: Absätze, während denen ein Ich-Erzähler sein Erleben berichtet, wechseln mit erklärendem Text, in dem auch die Sicht des Gegenübers zur Sprache kommt und in den neueste neurowissenschaftliche Erkenntnisse einfließen. Die Leser erfahren also nicht nur etwas „über“ Beziehung und was sie mit dem Menschen macht, sondern dürfen auch direkt miterleben: im ersten Kapitel mit einem Säugling, im zweiten, dritten und fünften mit einem traumatisierten Menschen, im vierten mit einer Psychotherapeutin und im sechsten sowohl mit jemandem, der sich mithilfe einer Psychotherapie verändern möchte als auch mit seinem Psychotherapeuten. Dabei wird auf das Benennen konkreter Interventionen psychotherapeutischer Verfahren weitgehend verzichtet. Der Fokus liegt stattdessen auf dem Beziehungsgeschehen, das häufig am schwersten zu fassen ist, jedoch zum größten Teil über das Gelingen einer Psychotherapie entscheidet.

Ich, Adelind Römer, habe dieses Buch geschrieben in dem Wunsch, dass es vielen Menschen fassbar macht, was während einer Psychotherapie (bzw. einem inneren Heilungsprozess) geschieht – und was nicht geschehen sollte.

Dafür waren Worte und Ausdrucksmöglichkeiten zu finden für Erlebenswelten, die nicht allein mit Worten vermittelbar sind. Einen inneren Heilungsprozess kann man nicht erklären. Man kann ihn nur erleben. Man erlebt ihn im Rahmen einer Beziehung zwischen zwei Menschen, als Ich und Du. Heilung psychischer Strukturen geschieht nicht nur im Rahmen einer Psychotherapie, doch Psychotherapie soll in besonderer Weise einen Raum bieten, in dem ein großes Maß an heilsamer Veränderung möglich ist.

In „Balance im Trümmerfeld“ lasse ich also an Erfahrungen teilhaben: Wie kann es mir ergehen, was kann ich erleben als Mensch unter Menschen – als hilfesuchender Mensch, als hilfegebender Mensch? Als Gestalttherapeutin blicke ich aus humanistischer Perspektive auf die Erfahrungen zwischenmenschlichen Lebens. Als Traumatherapeutin der Methode Somatic Experiencing® beziehe ich in meinen Blick auf menschliches Erleben und Verhalten die Funktionen des autonomen Nervensystems ein. Als Studierende der Psychologie fand ich manche Klarheit mithilfe aktueller Erkenntnisse der Neurowissenschaften, der Epigenetik sowie der Säuglings-, Bindungs-, Trauma- und Resilienzforschung. Und als Klientin, die oftmals dankbar darüber staunt, wie viel Heilung möglich ist, ist mir die Perspektive einer Hilfesuchenden sehr vertraut.

Wie kann das Wesentliche von Psychotherapie fassbar werden? Mit dieser Fragestellung begann ich, mich an „Psyche“ heranzutasten, die während einer „Psychotherapie“ behandelt wird. Sie ist Inhalt des ersten Kapitels. Hier werden die Grundlagen gelegt, auf die das letzte Kapitel zurückgreift, das psychotherapeutische Beziehung miterleben lässt.

Während ich im Urlaub an einem Wildbach saß und dem sich beständig verändernden Spiel seiner Wellen zusah und zuhörte, fand ich den Fluss der Worte, die psychisches Geschehen nahebringen. In Rhythmen von Nähe und Distanz, Mitgefühl und Sachlichkeit begleitet das erste Kapitel des Buchs die frühe Entwicklung eines Menschenkindes auf empathische Weise. Es zeigt, wie gut es sich anfühlen kann, im emotionalen Halt seiner Mitmenschen seinen eigenen inneren Halt zu entwickeln. Erzählte Episoden mit erfreulichen Erlebnissen eines Säuglings und kleinen Kindes wechseln ab mit dazu passenden Erläuterungen. Jenes Beziehungsgeschehen, das die „Psyche“ eines jeden Menschen formt, wird fassbar. Auch manche der möglichen Folgen, die unpassendes Verhalten der frühen Bindungspersonen nach sich ziehen kann, werden benannt.

Während der Jahre, in denen der Text dieses Kapitels wuchs, erkannte ich immer deutlicher, dass kein Mensch ohne seine Mitmenschen denkbar ist, dass wir alle uns gegenseitig nicht nur beeinflussen, sondern auch formen. Gelingender Kontakt zu seinen Mitmenschen ist sogar eines unserer lebensnotwendigen Grundnahrungsmittel. Durch zu wenig lebendigen Kontakt können wir psychisch verhungern.

Das Buch wuchs größtenteils in der gefundenen Dialogstruktur weiter. Sie entspricht der Wirklichkeit menschlichen Lebens, das sich in Beziehungen ereignet. Doch kann die Fähigkeit, Beziehungen einzugehen, massiv gestört werden.

Im zweiten Kapitel bringe ich das neuronale Geschehen während einer Traumatisierung nahe. Zwar können nicht nur Tiere, sondern auch Menschen ihre innewohnenden Fähigkeiten zur Heilung ihrer Traumatisierungen (zur „Trauma-Transformation“) nutzen. Doch gelingt sie nicht, kann innerer Halt so nachhaltig verloren gehen, dass das Leben zu einem äußerst mühsamen „Überleben“ wird. Noch nächste und übernächste Generationen können von den Auswirkungen verlorenen Haltes betroffen sein. Die Ausführungen zu den Auswirkungen von Traumatisierungen auf die Folgegenerationen werden von Fragen und vorsichtigen Antworten geleitet: Was können Eltern tun, um die Auswirkungen ihrer inneren Nöte auf ihre Kinder zu lindern? Und was setzen schon Säuglinge ein, um mit den unaussprechlichen Nöten ihrer Eltern bestmöglich umgehen zu können?

Das erhöhte Erregungsniveau des autonomen Nervensystems ist so eine schwerwiegende Folge von (noch) nicht transformierten Traumatisierungen, dass ihm zwei Kapitel gewidmet sind. Es begründet sowohl die Mühsal des Traumatisierten als auch das anstrengende Gefühl, mit dem derjenige zu kämpfen haben kann, der einem seit Generationen traumatisierten Menschen haltgebend beiseitestehen will. Doch können Traumatisierungen überwunden (transformiert) werden. Dabei ist eine Balance zu finden, die der Situation sowohl des gerade leidenden als auch des gerade helfenden Menschen angemessen ist.

Den neuronalen Grundprinzipien, die der Wirkung der verschiedenen traumatherapeutischen Behandlungsansätze zugrunde liegen, ist in Ergänzung des zweiten das fünfte Kapitel gewidmet. Sie können während jeder psychotherapeutischen Behandlung mehr oder weniger relevant werden. Manche Behandlungsansätze zielen eher auf Hemmung bestimmter Erlebens- und Verhaltensweisen und ihrer entsprechenden neuronalen Netzwerke. Andere zielen eher darauf, das notvolle, kaum erinnerbare Geschehen der Vergangenheit der Verarbeitung zugänglich zu machen, sodass der Leidende es integrieren kann.

Es gibt Besonderheiten von Traumatherapie, die bei letzterer Vorgehensweise beachtet werden sollten. Doch angesichts der lebendigen Verwobenheit von Gehirnstrukturen werden sich häufig beide Therapieansätze ungewollt vermischen.

Das letzte Kapitel des Buches erlaubt schließlich einen Blick hinein in den psychotherapeutischen Raum. Hier gehen zwei Menschen eine Beziehung ein, die besonders der positiven Veränderung des einen von ihnen gewidmet ist. Auf beiden Seiten gibt es vielerlei Fragen. Erst nach und nach wächst beiderseitiges Vertrauen.

Der Psychotherapeut ringt angesichts vieler Möglichkeiten um den besten Weg, diesen besonderen Menschen zu begleiten. Der Klient/Patient braucht sehr viel Mut und Ausdauer, wenn er sich einlassen will auf einen Weg, der seine bisherigen (aktuell nicht mehr passenden) Lebensgrundlagen infrage stellt.

Etwas ist unverzichtbar auf dem Heilungsweg eines jeden Heilung suchenden Menschen: seine Freiheit, seinen therapeutischen Prozess in seinem eigenen Tempo und auf seine eigene Weise mitzugestalten. Zwar kann niemand sich alleine finden – jeder Mensch findet sich im Kontakt mit einem Du. Dennoch gilt gleichzeitig: Den guten neuen Ort für sich, von dem aus es sich gut leben lässt, kann nur der Mensch selbst für sich finden.

„Balance im Trümmerfeld“ ist ein sorgsam gestaltetes Handbuch der therapeutischen Beziehung. Der Text ist leicht zu lesen. Auf Fachbegriffe wird größtenteils verzichtet. Obwohl die Inhalte der sechs Kapitel aufeinander aufbauen und sich aufeinander beziehen, ist jedes einzelne Kapitel mit seiner eigenen Einführung auch für sich genommen verständlich.

Zahlreiche Querverweise erleichtern es, eine Aussage des Textes durch Ausführungen zum Thema zu vertiefen, die an anderer Stelle genauer angesprochen werden. Zusätzliche schnell verfügbare Vertiefung einer speziellen Aussage ermöglicht ein Stichwortverzeichnis mit Begriffserklärungen.

Adelind RömerAdelind Römer
Heilpraktikerin in freier Praxis, Gestalttherapeutin, Traumatherapeutin nach dem körperorientierten Ansatz Somatic Experiencing (SE)® von Peter Levine
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Erschienen im tredition Verlag
ISBN 978-3-34707-368-5 (Hardcover)
ISBN 978-3-34707-367-8 (Paperback)