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Fallstudie: Lernen mit allen Sinnen

Die Anforderungen an Lehrer, Eltern und Schüler haben sich in den letzten Wochen und Monaten ungewollt stark verändert. Wechselnder Präsenz- und Onlineunterricht, viele diskutieren auch in den letzten Wochen über die Möglichkeit von Hybridunterricht, der Verbindung von Präsenz- und ergänzendem Onlineunterricht, und die Digitalisierung können dabei vor Ort unterschiedlich schnell und gut umgesetzt werden. Eltern sind oft wieder mehr gefordert als früher. Hier ein Beitrag aus der Praxis, wie Kinder sich mit geometrischen Figuren und Formeln spielend leicht vertraut machen können.

Ausgangssituation

Es ist Sommer und es steht nur noch eine Matheklausur bis zu den Sommerferien an. Eigentlich „nur“ eine Matheklausur, aber, das Wetter war viel zu schön, um drinnen die letzten Wochen eifrig geometrische Formen zu lernen, und dann gibt es auch noch die Geburtstagsparty der besten Freundin am Wochenende. Die Schülerin, wir nennen sie Jana, erzählt von dieser Situation und auch, dass die Zeit zum Lernen jetzt viel zu kurz sei. Die Klausur sei am kommenden Montag.

Mit dieser Ausgangsbasis habe ich mich entschieden, Lernen einmal ganz anders zu gestalten und Jana damit auch zu überraschen. Nach einer „Wissens-Bestandsaufnahme“ war schnell klar, „es kann nur noch besser werden“. Wie viel besser, und ob das für eine gute Note reichen würde, ist allerdings offen.

Bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen empfiehlt es sich, immer einige Bastelutensilien zur Hand zu haben. Da ich dies beherzige, finde ich alles Nötige an Material. Kleber, Schere, verschiedene Pappen, die sich in der Haptik, also vom Anfassen und in der Farbe unterscheiden.

Vorbereitung

Als Erstes fangen wir, nein, Jana fängt an, die geometrischen Formen aufzumalen und auszuschneiden, sie beginnt mit einem Dreieck, dann folgt ein Rechteck, ein Kreis und schließlich ein Trapez, eine Raute und ein Parallelogramm. Währenddessen reden wir über die Figuren und auch über die Geburtstagsparty am kommenden Wochenende. Die Eltern wollten ihr die Party schon verbieten. Sie darf nur hingehen, wenn sie bis dahin einen großen Teil lernen konnte.

Während das Quadrat, das Rechteck, das Dreieck einfach waren einzuzeichnen und auszuschneiden, wird es etwas kniffliger mit den anderen geometrischen Figuren und ich kann beobachten, wie die Pappe gedreht, abgetastet, gehalten, angeschaut, eingezeichnet und abgemessen wird und so eine weitere Figur langsam entsteht.

Kennenlernen der Figuren

Schließlich sind alle Figuren ausgeschnitten und liegen vor uns auf dem Tisch. Jetzt kommt der nächste Schritt: die Figuren einzeln in die Hand zu nehmen, sich einzuprägen und klar zu benennen, wie sich alle voneinander unterscheiden. Das wird wiederholt, bis alle Figuren ganz vertraut sind.

Die mathematische Formel mit der jeweiligen geometrischen Figur verbinden

Jetzt wird zu jeder Figur die Formel zur Berechnung der Fläche und des Umfangs besprochen und hergeleitet. Dazu immer die jeweils passende Figur in der Hand. Dies klingt einfach, braucht jedoch tatsächlich mehr Zeit, um das wirklich zu verstehen und die Formel gedanklich mit der Figur zu verbinden.

FP 0221 komplett Page37 Image1Rechnen mit mathematischen Formeln

Als nächster Schritt kommt das, was andere als Erstes gemacht hätten. Das Rechnen mit den Formeln in einzelnen Matheaufgaben. Wir nehmen zuerst einige leichtere Aufgaben, das festigt auch das bisher Gelernte noch für jede einzelne Figur, und wiederholen dies dann noch einmal bei denen, wo es anfangs etwas schwerer war, nämlich beim Trapez, der Raute und dem Parallelogramm.

Nachdem die einfachen Aufgaben geläufig sind, werden zu jeder Figur weitere Aufgaben gerechnet und die Wege immer wieder besprochen. Dabei achte ich darauf, dass Jana viel Raum und Zeit bekommt, um das in ihrem Tempo zu lernen und zu verarbeiten und auch, um mögliche Gedankenfehler in den Anfängen erkennen zu können und zu korrigieren.

FP 0221 komplett Page37 Image2Vertiefen des Gelernten

Wir vertiefen anhand weiterer Matheaufgaben, bis alle der wahrscheinlich möglichen Aufgabenstellungen für die Matheklausur gerechnet wurden. Übrig bleiben einige wenige „Specials“, die „Knobelaufgaben“ für die Einserkandidaten, doch mit dem heutigen Ergebnis bis hierhin sind alle sehr zufrieden. Jana freut sich schon auf die Geburtstagsparty, auf die sie jetzt gehen darf, und hat sogar Spaß gefunden an den Matheaufgaben, die sie jetzt rechnen kann.

Selbstständiger Übertrag des Gelernten in den Alltag

Wir besprechen, wie der „Wissensschatz“ weiter gefestigt wird, sodass sie am Montag in der Matheklausur diesen Wissensschatz abrufen und anwenden kann. Dafür vereinbaren wir, dass sie die ausgeschnittenen Figuren mitnimmt und sich abends vor dem Schlafen noch einmal mit diesen ausgeschnittenen Figuren beschäftigt.

FP 0221 komplett Page37 Image3Am nächsten Morgen werden ausgehend von den Beispielaufgaben zum Aufwärmen für jede geometrische Figur die entsprechenden Fragestellungen gerechnet und mit den bisherigen Lösungen verglichen. Eine weitere Aufgabe ist es, sich im Alltag zehn Minuten Zeit zu nehmen und die Formen in der Umwelt zu entdecken und zu benennen, wenn möglich auch in die Hand zu nehmen. Dies sind die Aufgaben für Samstag und Sonntag.

Ergebnis

Jana hat in der Mathearbeit eine solide „2“ geschrieben und war mit der Note sehr zufrieden.

Hintergrund

Informationen aus der Umwelt werden über die Sinnesorgane:
Augen – sehen,
Nase – riechen,
Mund – schmecken,
Ohren – hören
und die Haut – fühlen
aufgenommen und im zentralen Nervensystem verarbeitet.

Jeder Mensch hat eine oder mehrere Gewichtungen, auf welchem Sinneskanal besonders gut Informationen aufgenommen werden können. So sind viele Menschen sehr gut im visuellen Bereich und können sehr schnell mit Visualisierungen, z. B. über Mindmaps lernen. Andere sind auf dem auditiven Kanal besonders gut geschult (Hören) und dies zeigt sich auch in einer feineren Wahrnehmung der Unterscheidung von Tönen, wie sie z. B. Musiker haben.

Andere Menschen bevorzugen den kinästhetischen Kanal (Fühlen) und fühlen sich im Sport sehr wohl und finden sich dort wieder. Meist sind mehrere Sinnessysteme stärker ausgeprägt.

So sind visuelle Menschen oft auch gute Kinästheten oder umgekehrt. Wenn man sich die Unterrichtsformen in der Schule betrachtet, wird schnell deutlich, dass Frontalunterricht, herkömmliches Lernen von der Tafel den visuellen Sinneskanal anspricht, gepaart mit dem auditiven Sinneskanal. Der kinästhetische ist oft wenig eingebunden.

Nutzt man nun mehrere Sinneskanäle, kann das Lernen dadurch einfacher, leichter werden. Besonders gut gelingt dies, wenn man jemanden, der stark im kinästhetischen Sinneskanal ist, z. B. eine Anleitung wie im Praxisbeispiel anhand der geometrischen Figuren zum Basteln gibt. So können die verschiedenen Sinneskanäle miteingebunden werden, verbunden mit kreativen Ideen, um das Lernen einfacher und mit Spaß und etwas „Neuem“ zu gestalten.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude beim Ausprobieren in der Praxis.

Natalie Au
Heilpraktikerin für Psychotherapie, EMDR-Therapeutin (VDH/DGMT), NLP-Master-Business (DVNLP/INLPTA), Traumatherapie Somatic Experiencing nach Dr. Peter Levine
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Fotos: ©fotoliajongleur