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Elke:Maria

2011-02-Elke1

Alte Wunden - eskalierte Konflikte in der Erbmeditation

Ein Streit ums Erbe entsteht nicht einfach aus dem Nichts heraus, oftmals geht es um alte Wunden und Verletzungen. Teilweise liegen diese bereits Jahre oder Jahrzehnte zurück.

fotolia©Marc DietrichElke W. ist 55 Jahre alt, ihre Schwester Maria K. ist 52 Jahre, die Mutter der beiden Schwestern starb vor einigen Monaten. Die Mutter hinterlässt ihnen ein kleines Häuschen am Stadtrand von Köln, es existiert kein Testament. Beide erben je zur Hälfte den gesamten Nachlass, der aus dem Haus und einem Sparbuch besteht. So will es das Gesetz. Und das Gesetz ist immer gerecht, oder?

Für Maria ist das die pure Ungerechtigkeit, sie hat ihre Mutter die letzten Jahre gepflegt und versorgt und nach ihrer Ansicht steht ihr das Haus zu.

Ihre Schwester Elke sieht das ganz anders. Auch sie habe sich um die Mutter gekümmert, konnte jedoch nicht immer da sein, da sie selbst noch berufstätig ist. Sie erzählt im ersten Gespräch, dass Maria bereits eine Summe von der Mutter erhalten habe. Dieser Betrag sei für die Pflege gedacht gewesen.

Maria unterbricht ihre Schwester energisch: „Das war ein ganz anderer Zusammenhang, ich habe das Geld bekommen, weil Mama dir damals Geld für eure Eigentumswohnung gegeben hat. Sie wollte eben auch, dass alles gerecht verteilt wird!“

Elke entgegnet ihr daraufhin: „Wenn wir doch beide schon Geld von Mutter bekommen haben, dann können wir ja auch den Erlös vom Haus halbe-halbe teilen, oder?“

Maria blickt, während Elke dies sagt, aus dem Fenster. Sie hat Tränen in den Augen. Sie antwortet wesentlich leiser als noch vor wenigen Sekunden: „Ich möchte nicht, dass das Haus verkauft wird. Es ist schließlich unser Elternhaus.”

Elke schüttelt nur den Kopf und sagt: „Was wollen wir denn sonst mit dem Haus machen?“

Was immer Maria an dieser Stelle auch antworten wird, die beiden sind mittendrin in ihrem Konflikt. Oberflächlich betrachtet geht es um den Nachlass, vor allen Dingen um das Haus der Mutter. Die unterschiedlichen Interessen stehen sich gegenüber. Alte empfundene Ungerechtigkeiten werden immer wieder zu neuen Vorwürfen formuliert. Dazu kommt die Trauer der beiden Schwestern um die verstorbene Mutter.

Solche Konflikte beginnen nicht erst mit dem Tod eines Familienmitgliedes. Oftmals geht es um alte Wunden und Verletzungen, diese können bereits Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen. Und meistens geht es um die Liebe der Eltern oder eines Elternteils. Wenn sich nicht alle Geschwisterkinder geliebt fühlten, sondern ein Geschwister glaubt, ein anderer habe mehr Liebe und Zuneigung von den Eltern erfahren, so ist dies der Grundstein für spätere Konflikte um das Erbe.

So auch im Fall von Maria und Elke. Elke fühlte sich schon als Kind weniger geliebt. Maria war immer schon die Kleinere und Zerbrechlichere gewesen. Die Mutter hatte sich immer besonders um Maria gekümmert und Elke hatte früh lernen müssen auf eigenen Beinen zu stehen. Sie ist eine starke Frau geworden, die sich zu helfen weiß.

Aber Elke hat auch einen Teil in sich, der sich immer noch nach der Liebe der Mutter sehnt. Der Streit um das Erbe der Mutter ist die letzte Gelegenheit, noch ein Mal um die Liebe der Mutter zu kämpfen. Es geht weniger um das Haus als vielmehr um Liebe, Wertschätzung und Anerkennung.

Wenn Elke jetzt Maria das Haus überlässt, bestätigt sie damit aus ihrer Sicht nur, dass die Mutter Maria lieber gemocht hat. Jetzt nachzugeben würde bedeuten, die Stärkere zu sein, wie sie es immer war. Nur dieses Mal kann Elke nicht nachgeben.

Maria versteht ihre Schwester nicht. Gerade jetzt, wo die Mutter gestorben ist und man aus ihrer Sicht als Familie zusammenhalten sollte, verhält Elke sich so kalt.

Maria wirft Elke vor, dass diese sich in all den Jahren nie wirklich um die Familie gekümmert habe, da sei es nur natürlich, dass ihr das Haus nun auch egal sei und sie nur das Geld sehen wolle.

Dieser Satz trifft Elke mitten in eine alte Wunde. Sie entgegnet wütend, fast trotzig: „Was sollte ich denn noch zu Hause, du hast doch eh alles gemacht. Du warst immer da, mich hat doch keiner gebraucht.“

Eine alte Verletzung nach der anderen wird zum Vorwurf in der Gegenwart.

In vielen Fällen landen solche Streitigkeiten bei Gericht. Dort entscheidet dann ein Richter über den letzten Willen. Was die meisten Menschen jedoch vergessen ist, dass man vor Gericht nicht immer das Recht bekommt, was man glaubte zu haben. Und kein Richter kann alte Verletzungen und Wunden durch einen Urteilsspruch wiedergutmachen.

In einer Mediation, entscheidet der Mediator nicht über Recht und Unrecht, auch nicht über richtig und falsch. Er bewertet die Situation und die Betroffenen nicht. Er hält weder zu Maria noch zu Elke, sondern er hilft den beiden, zu einem neuen und gegenseitigen Verständnis zu gelangen. Nur wenn beiden Schwestern klar wird, welche Bedürfnisse und Interessen die jeweils andere veranlassen sich so zu verhalten, wie sie es tut, können sie eine einvernehmliche Lösung finden. Eine Lösung, mit der sie beide zufrieden sind.

Maria und Elke finden mithilfe der Mediation heraus, wie es der jeweils anderen geht. Maria hört zum ersten Mal, dass Elke sich oft als fünftes Rad am Wagen gefühlt hat. Sie ist erstaunt, dass Elke deswegen so selten da war, und kann nun Elkes Verhalten nachempfinden und verstehen. Maria dachte bisher immer, Elke würde sie nicht mögen und deswegen die Familie meiden.

Alte Missverständnisse können angesprochen und ausgeräumt werden. Der Mediator unterstützt beide Medianden dabei.

Nachdem Maria ihr Verständnis für Elke ausgedrückt hat, wirkt Elke entspannter. Nun ist sie in der Lage, Maria Wertschätzung für die geleistete Pflege der Mutter entgegenzubringen. Darauf hat Maria sehr lange gewartet. Ihr war die Wertschätzung und Anerkennung ihrer großen Schwester wichtig. In einem Moment sehen sich die beiden Schwestern tief in die Augen und lächeln vorsichtig. Die neu gewonnenen Einsichten sind noch ungewohnt. Jahrelang hatte man eine feste Meinung vom Gegenüber und nun stellt sich heraus, dass diese Meinung den Test der Realität nicht besteht.

Im Mediationsprozess werden weitere Interessen und Bedürfnisse der beiden angesprochen und mit der Unterstützung der Mediatorin wird ein umfassendes gegenseitiges Verständnis möglich.

Dies geschieht unter anderem dadurch, dass beiden Schwestern klar wird, dass den anderen zu verstehen noch nicht bedeutet, dass man auch seine Meinung teilt.

Dieser Prozess ist nicht immer leicht und manchmal auch schmerzhaft für die Betroffenen. Nach Jahren tief vergrabene Gefühle auszusprechen, ist eine Herausforderung, jedoch sie lohnt sich. Es ist eine Chance für einen neuen Anfang. Nach einer erfolgreichen Mediation können sich die Medianden neu begegnen. Alte Wunden dürfen ruhen und heilen. Die Beziehung bleibt erhalten und kann sich verbessern.

Maria und Elke finden in der Mediation eine einvernehmliche Lösung. Maria bekommt das Haus, Elke bekommt das Sparbuch der Mutter und eine einmalige Zahlung von Maria für das Haus.

Diese Lösung hört sich simpel an, wäre jedoch ohne vorheriges gegenseitiges Verstehen aus dem Mediationsprozess nicht möglich gewesen.

Anmerkung: Die gesetzliche Lösung wäre wahrscheinlich auf eine 50/50-Teilung hinausgelaufen. Im schlimmsten Fall hätte keine der beiden Schwestern das Haus verkaufen dürfen (da beiden je eine Hälfte gehört hätte) und beide hätten ein Recht darauf gehabt, das Haus zu bewohnen. Solche Immobilien stehen oft jahrelang leer, da sich die Erben nicht einigen können. Bis eine Einigung erzielt oder gerichtlich erstritten wurde, vergehen häufig Jahre. Jahre, in denen die Immobilie meistens verfällt oder zumindest an Wert verliert. Am Ende haben alle Beteiligten weniger, als wenn sie sich geeinigt hätten. Die familiäre Bindung ist dann meist nachhaltig zerstört.

2011-02-Elke3Christina Hessling
arbeitet als Mediatorin in Erb- und Familienkonflikten in Köln und Bergisch Gladbach. Sie ist examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Mediatorin (FH), Dozentin in der Alten- und Krankenpflegeausbildung und in der Weiterbildung.
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