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Systemaufstellung in der Anwendung

2013-03-System1

Eine junge Frau kann ihre Wut nicht zuordnen. Es belastet sie, dass es immer wieder Situationen gibt, in denen unbegründete Wut in ihr aufsteigt. Sie fühlt sich dem hilflos ausgeliefert und möchte diesen Konflikt in einer Systemaufstellung mit Personen als Stellvertreter anschauen. Bei der Exploration der Herkunftsfamilie zeigen sich keine direkten Hinweise über eine mögliche Ursache. Auch in ihren derzeitigen Lebensumständen lassen sich keine besonderen Auffälligkeiten erkennen. Deshalb wird ihr Symptom, die Wut, und das eigentliche Thema, wofür die Wut steht, aufgestellt.

Die Klientin stellt die Stellvertreterin, die für die Wut steht, an ihre rechte Seite. Die Person, die für das Thema hinter der Wut steht, stellt die Klientin direkt hinter sich. Ihren Selbstanteil, der frei und ungebunden, stark und selbstbewusst ist, stellt die Frau links in einiger Entfernung zu sich auf.

Nachdem sich alle mit der Situation vertraut gemacht haben, werden die Beteiligten nach ihren Gefühlen gefragt. Die Wut ist rastlos und möchte weg. Am liebsten aus dem Raum und irgendwo hin. Sie geht in einen Nachbarraum. Die Frau, die das Thema hinter der Wut darstellt, fühlt sich kalt und es zieht sie nach unten. Auch sie möchte den Platz wechseln und stellt sich rechts, etwas entfernt mit Blick zur Klientin auf. Die Frage, wen sie darstellt oder wofür sie steht, kann sie nicht beantworten. Das freie Selbst der Klientin fühlt sich alleine und möchte am liebsten zu den anderen. Nun meldet sich die Stellvertreterin für das Thema hinter der Wut und sucht Nähe beim freien Selbst. Das entlastet beide.

Die Beteiligten wirken verwirrt und es fehlt allen die Zuordnung. Die Klientin bestätigt, dass sich diese Konstellation bekannt anfühlt und ihre aktuelle Situation widerspiegelt.

In dieser ersten Phase der Aufstellung geht es darum, die Situation der Klientin zu analysieren und möglichst so darzustellen, wie es sich in der Realität für die Klientin anfühlt. Nun können Korrekturen und Lösungen eingeleitet werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Schritte nachvollziehbar und stimmig für die Klientin sind.

Da sich das freie Selbst alleine und abgespalten fühlt, wird ihm das kindliche Selbst der Klientin, das den eigenen Bedürfnissen entsprechen möchte, das kindlich und kreativ sein darf, voller Neugierde steckt und unbekümmert ist, zur Seite gestellt. Da keine Person zur Verfügung steht, wird ein Stuhl mit einem Kissen dazu verwendet. Damit fühlt sich das freie Selbst besser.

Die Stellvertreterin für das Thema hinter der Wut sucht ebenfalls Nähe. Das könnte ein Hinweis sein, dass es sich um eine Person handelt, die ebenfalls von ihrem Selbst getrennt ist. Darum wird auch zu dieser ein Selbstanteil in Form eines Stuhles gestellt. Das ermöglicht der Stellvertreterin wieder ihren ehemaligen Platz einzunehmen. Damit geht es ihr besser.

Als Nächstes wird die Stellvertreterin der Wut wieder in den Raum gerufen und erklärt, was sich in der Zwischenzeit ergeben hat. Der Stellvertreterin der Wut geht es gut. Sie ist neugierig und umtriebig, geht von einem zum anderen und findet alle interessant. Die Stellvertreterin der Wut möchte mit allen spielen. Anscheinend hat die Wut keinen eindeutigen Bezug zur Klientin, sie wirkt kindlich, unbekümmert und unabhängig. Die Klientin verfolgt das Geschehen und bestätigt, dass sich das stimmig anfühlt, auch wenn sich daraus für sie noch kein klärendes Bild ergibt.

Es wird ein neutraler Stuhl, als weiteres Element, in die Mitte des Raumes gestellt und alle richten die Aufmerksamkeit darauf. Die Wut wirkt nun deutlich ruhiger. Es wird untersucht, wer oder was das neue Element sein könnte. Durch zielgerichtetes Befragen zur Zuordnung des neuen Elementes kristallisiert sich die Vermutung heraus, dass es sich um einen ungeborenen Zwilling handeln könnte. Diese Information löst bei allen Beteiligten Reaktionen aus. Die Klientin wirkt nachdenklich, als prüfe sie ihre Gefühle, die sie lange nicht zuordnen konnte. Sie kann sich das gut vorstellen. Die Stellvertreterin für die Wut behauptet spontan ein Junge zu sein. Auch das ist für die Klientin stimmig. Ruhe kehrt ein.

Damit ergibt sich ein Ansatz, das Anliegen zu klären. Die Beziehung zum ungeborenen Zwillingsbruder wird näher untersucht. Klientin und Bruder stehen sich nun gegenüber, die anderen Beteiligten rücken etwas zur Seite und verfolgen das Geschehen.

Einfühlen

fotolia©KumbabaliAls Erstes wird die Klientin nach den Gefühlen zum Bruder befragt. Sie sind neu und unerwartet. Ein Gefühl von Traurigkeit breitet sich aus. Der Bruder sieht indessen keinen Anlass zur Traurigkeit. Da der Bruder wie jedes Wesen über ein Selbst verfügt, wird ein Stuhl für das Selbst des Bruders dazugestellt.

Lösen der Verschmelzung

Die Klientin hat nun die Möglichkeit, ihre Gefühle für den Bruder zu untersuchen, und stellt sich auf den Platz des Selbst des Bruders. Es fühlt sich für die Klientin unbekannt an und sie kann die ungewohnten Gefühle nicht richtig zuordnen. Dennoch fällt es ihr schwer, den Platz zu verlassen. Es hat den Anschein, als ob sie dort nicht einfach aussteigen dürfte. Sie entscheidet sich bewusst dort auszusteigen und ihren eigenen Platz wieder einzunehmen. Mit den vorgegebenen Worten; „Bruder, ich kann dir dein Selbst nicht ersetzen, ob und wie du damit verbunden bist, ist allein deine Sache, ich kümmere mich ab sofort um mein eigenes Selbst“, spricht sie das auch aus. Für den Bruder fühlt sich das richtig und normal an. Der Klientin geht es damit besser.

Jetzt stellt sie sich auf den Platz des Bruders. Auch hier fällt es ihr schwer, ihre Gefühle zu beschreiben. Sie zögert sehr lange den Platz zu verlassen, so, als könne der Bruder ohne sie nicht zurechtkommen, als wäre sie verpflichtet, dort zu unterstützen. Sie probiert folgende Lösungssätze aus: „Bruder, das ist dein Platz und dein Schicksal. Du bist deinen Weg gegangen und ich gehe meinen Weg. Dein Weg kann ganz anders sein, als ich mir das vorstellen kann. Mein Weg kann ganz anders sein, als du dir das vorstellen kannst.“ Das fühlt sich für die Klientin stimmig und gut an. Für den Bruder ist das ganz normal.

Rückgaberitual

Vielleicht hat die Klientin unbewusst versucht, für den ungeborenen Bruder einen Teil seines Schicksals zu tragen, so, als würde es dadurch leichter für den Bruder oder als müsste sie da etwas gutmachen. Ihr wird deshalb ein schwerer Stein in die Hände gegeben, den sie bewusst dem Bruder übergeben kann. Der Bruder nimmt den Stein mit den Worten: „Schwester, das ist meine Last und mein Schicksal. Ich möchte nicht, dass du das für mich trägst. Lass bitte deine Finger davon.“ Auch das fühlt sich gut und stimmig für die Beteiligten an.

Energieritual

fotolia©KumbabaliDie Klientin hat dem Bruder unbewusst sehr viel Aufmerksamkeit und Energie gewidmet. Es ist gut, diese Energie jetzt wieder für sich selbst zu nutzen. Bei dem Ritual wird ihr noch einmal bewusst, dass sie für andere stark sein wollte. Nun kann sie ihre Energie wieder für sich nutzen. Die Klientin berichtet, dass sie noch eine Last auf den Schultern spürt, sie diese Last aber nicht ihrem Bruder zuordnet. Da die Aufstellung noch nicht beendet ist, kann diese Last später behandelt werden.

Selbstanteile

Nun wird die Aufmerksamkeit auf die Selbstanteile der Klientin gerichtet. Die Klientin findet die Anteile interessant, kann aber noch keine Verbindung eingehen. Etwas steht noch dazwischen. Vielleicht, weil die Klärung der Beziehung zum Bruder noch nicht abgeschlossen ist.

Abgrenzungsritual

Klientin und Bruder waren in einem gemeinsamen Raum quasi verschmolzen, wodurch keiner frei war für die eigene Verwirklichung. Mit einem Abgrenzungsritual wird der eigene Raum wahrgenommen und man kann dem Gegenüber deutlich machen, dass der Raum für den anderen außen vor ist. Das ist für beide plausibel und beide fühlen sich gut in ihrem Raum. In der Neutralität außerhalb der eigenen Zone gibt es genug Freiraum für eine gesunde Geschwisterbeziehung.

Nun macht es dem Bruder (der Wut) nichts aus an den Rand zu treten, damit die Aufmerksamkeit der Klientin auf die anderen Beteiligten gerichtet werden kann. Einen Bezug zu den Selbstanteilen kann die Klientin immer noch nicht eingehen. Es wird sich dem Thema hinter der Wut zugewandt.

Identifizierung

Die Klientin wird gefragt, ob sie nun dazu einen Bezug herstellen kann. Nach kurzer Überlegung erklärt sie, dass es um ihre Mutter geht. Das ist auch für die Stellvertreterin, die für das Thema hinter der Wut steht, stimmig. Deshalb wird die Beziehung zur Mutter untersucht.

Einfühlen

Nach den Gefühlen zur Mutter befragt, erklärt die Klientin, dass es eigentlich eine normale Beziehung ist und es keinen direkten Vorwurf oder ein bewusstes Mitleid gibt. Auch die Mutter zeigt keine Zeichen von Anspannung.

Überprüfung von Verschmelzungen

fotolia©KumbabaliNun überprüft die Klientin verschiedene Plätze im Raum der Mutter. Auf dem Platz des Selbstanteils der Mutter kommen keine auffälligen Gefühle hoch. Die Klientin erklärt, dass es nicht ihr Platz ist und steigt selbstständig aus. Gleiches an dem Platz hinter der Mutter, an dem die Eltern der Mutter stehen würden. Auch dort steigt die Klientin rasch aus. Neben der Mutter würde der getrennt lebende Vater stehen. Auch dort fühlt sich die Klientin nicht heimisch. Zur Sicherheit, falls da etwas im Unbewussten schlummert, spricht die Klientin die Lösungssätze: „Mutter, ich kann dir nicht das ersetzen, was du von deinem Mann erwartest. Das wäre ja auch verrückt, denn ich bin ja deine Tochter.“ Das findet die Klientin gut und lacht dabei.

Auch auf dem Platz der Mutter kennt sich die Tochter nicht wirklich aus und fühlt sich nicht wohl. Sie geht wieder auf ihren Platz und wendet sich zur Mutter: „Du bist du und ich bin ich, du hast dein Leben und ich lebe meins. Mein Leben kann ganz anders sein, als du dir das vorstellst.“ Auch für die Mutter sind diese Sätze richtig und es geht beiden gut damit.

Rückgaberitual

Wieder bekommt die Klientin einen Stein, um die übernommene Last bewusst wahrzunehmen. Zuerst kann die Klientin das nichts zuordnen. Vielleicht hat sie versucht etwas vom Schicksal der Mutter zu übernehmen, aber eigentlich müsste sie selbst wissen, was in dem Stein verkörpert ist, und es liegt nun an ihr, der Mutter die Last wieder zurückzugeben. Dabei schaut die Mutter skeptisch.

Die Klientin hält den Stein fest, als ob er zu ihr gehört. Sie erklärt, dass dieser eigentlich nicht der Mutter gehört, sondern jemandem, der hinter der Mutter steht. Den Einwand, dass sie sich da in die Angelegenheiten der Mutter einmischt, mag sie nicht annehmen. Es wird vorgeschlagen, der Mutter zu sagen, dass sie doch froh sein kann, dass die Tochter die Last für die Mutter trägt und sie das viel besser könne als die Mutter. (Damit zeigt sich das vermeintliche Glück hinter der Last, für einen anderen wichtig zu sein oder gebraucht zu werden.) Die Tochter realisiert die Aussage und entscheidet das nicht zu sagen. Sie hält immer noch den Stein. Es wird vorgeschlagen, sich hinzuknien, damit sie gegenüber der Mutter kleiner erscheint. „Mutter eigentlich bin ich die Kleine und du bist die Große. Vielleicht habe ich dir nicht zugetraut, dass du das selbst trägst und wollte für dich stark sein. Ich sehe jetzt, dass das zu dir gehört, und gehe lieber spielen.“ Die Miene der Mutter hellt sich auf und sie kann jetzt die Last übernehmen, weil sie geachtet wird. Die Tochter kann jetzt die Last übergeben und wirkt be-freit. Die Mutter erwidert: „Das gehört zu mir, ich möchte nicht, dass du das für mich trägst. Damit komme ich schon alleine zurecht. Bitte lasse in Zukunft die Finger davon.“

Energieritual

Das Energieritual wird wiederholt und die Energie steht für die Selbstverwirklichung zur Verfügung. Die Last von den Schultern wird nicht mehr erwähnt.

Selbstanteile

fotolia©KumbabaliDie Aufmerksamkeit wird erneut auf die Selbstanteile der Klientin gerichtet. Nun scheinen sie interessant zu ein. Die Klientin geht mit einem Lächeln zur Stellvertreterin, die das freie Selbst verkörpert. Das Eis ist schnell gebrochen und es folgt eine innige Umarmung. Mit eigenen Anteilen zu verschmelzen ist wesentlich gesünder, als fremde Anteile anzunehmen. Schnell wird sich dem kindlichen Selbst zugewandt. Auf die Frage, was sie als Kind gebraucht hätte, erwidert die Klientin, dass sie Aufmerksamkeit gebraucht hätte. Die könne sie sich jetzt selbst geben, indem sie ihren Wünschen und Bedürfnissen folgt. Das gefällt allen und die Klientin strahlt über das ganze Gesicht.

Abgrenzungsritual

Die Klientin wird gefragt, ob sie sich so einmal der Mutter zeigen möchte. Das findet die Klientin gut und nimmt die Selbstanteile mit zur Mutter: „So kennst du mich vielleicht gar nicht. Das bin ich und so bin ich vollständig.“ Der Mutter gefällt, was sie sieht. Nun soll noch einmal der eigene Raum behauptet werden, damit die Verschmelzung mit den Selbstanteilen auch dauerhaft wirksam bleibt. Tochter und Mutter geht es dabei gut.

Auch den Bruder möchte die Klientin ihrer Mutter vorstellen: „Mama, ich war nicht alleine unterwegs. Das ist mein Bruder und er gehört auch dazu.“ Die drei umarmen sich. Dann wird gefragt, ob der Bruder nun dahin gehen kann, wo es keinen Schmerz und kein Leid gibt, wo es nur Licht und Liebe gibt. Alle können sich mit einem Lächeln trennen und den Bruder gehen lassen.

Die anfängliche Verwirrung und Unruhe ist verschwunden. Die Klientin macht einen befreiten ruhigen Eindruck, nimmt ihre Selbstanteile zu sich und geht symbolisch drei Schritte in einen neuen Lebensabschnitt.

Diese Aufstellung zeigt, wie sich für scheinbar nicht erklärbare Gefühlszustände unmittelbare Lösungen ergeben können. Die Klientin stellte das Symptom und das Thema dahinter unbewusst dort auf, wo sie auch im System stehen würden. Den ungeborenen Zwillingsbruder stellt sie dicht neben sich und ihre Mutter direkt hinter sich. Diese Nähe deutet die ungesunde Verschmelzung mit den beiden an. Unbewusst spürte die Klientin, dass in ihrem System etwas nicht in Ordnung ist, dass jemand fehlte und nicht seinen Platz einnehmen konnte. Dies konnte durch die „verdeckte“ Aufstellung erfahren werden. Vielleicht fühlte sich die Klientin ihrem ungeborenen Bruder verpflichtet und auch gegenüber der Mutter könnte das so gewesen sein. Dadurch war sie nicht frei für ihr eignes Selbst, das für ihre Autonomie steht, in der sie sich selbst verwirklichen kann. Dass sich dabei Gefühle der Wut einstellen können, ist nachvollziehbar.

Thorsten Bauer Thorsten Bauer
Heilpraktiker für Psychotherapie
Lindenstraße 12, 86922 Eresing
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