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Leben mit dem Tod!

2015 01 Tod4

Woher unsere Angst vor dem Tod kommt und wie wir mit ihr umgehen können.Eine persönliche Erfahrung.

fotolia©Senisa BotasDie Wunde der Sterblichkeit, die uns das Leben einbrennt

Jeder ernsthafte Autor hat sich wohl schon mit dem Tod und der eigenen Sterblichkeit befasst. Der Literaturkritiker Marcel Reich- Ranicki sagte einmal, dass die Literatur im Grunde nur zwei große Themen kenne: die Liebe und den Tod. Wie viel Wahrheit darin steckt, wissen wohl nicht nur die Literaturfreunde unter Ihnen. Die Furcht vor dem Tod ist jedem menschlichen Wesen eigen: Sie ist unser dunkler Schatten, der uns stets begleitet, und vielleicht ist sie der zuverlässigste Begleiter, den wir im Leben haben. Und dann ist da noch das Bewusstsein um die eigene Sterblichkeit, das uns das Leben einbrennt. Es zeigt sich zunächst – wie eine Verletzung – als kleine offene Stelle, dann wird die Wunde größer, blutet, mitunter schließt sie sich wieder und es bildet sich Schorf, doch irgendwann schließt sie sich nicht mehr.

Begegnungen mit dem Tod

Wohl jeder von uns hatte schon einmal eine Begegnung mit dem Tod, durch die uns die eigene Sterblichkeit bewusst wurde. Es ist wie ein Weckruf. Bis dahin haben wir zwar viele Verluste erlebt, von Bekannten über Todesfälle gehört, aber das war nichts, was uns wirklich naheging.

Eine persönliche Erfahrung

Bei mir war das Schlüsselerlebnis – eben der Weckruf – der Tod meines besten Freundes. Etwas, das bis dahin undenkbar gewesen war. Selbst als ich wusste, dass er unheilbar an Krebs erkrankt und sein Körper voller Metastasen war, wollte ich doch nicht wahrhaben, dass er irgendwann nicht mehr da sein würde. Oft habe ich ihn besucht, manchmal hat er geweint, doch nie wollte er mit mir über seinen nahenden Tod und das, was ihn beschäftigte, sprechen. Vielleicht, weil er mich mit dem traurigen Thema nicht belasten und verletzen wollte. Bei meinem letzten Besuch hatte er wieder etwas zugenommen. Wir verabschiedeten uns, ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und versprach, vor Weihnachten wiederzukommen. Er freute sich schon sehr darauf. Wenige Tage vor Heiligabend erhielt ich den Anruf, dass er in der Nacht zuvor verstorben sei. Eine Nachricht, die mir einen Schlag versetzte! Mir wurde schwindlig, ich musste mich setzen. Ich weinte drei Tage lang. Bis heute habe ich diesen Verlust nicht überwunden. Oft habe ich mir Vorwürfe gemacht, dass ich doch mehr hätte tun können, dass ich hätte da sein sollen, als er starb. Auch jetzt noch ist es unheimlich, wenn ich in den Kontaktdaten meines Handys seine Nummer sehe und doch weiß, dass ich seine Stimme nie mehr hören werde. Seitdem ist der Tod, die eigene Sterblichkeit, die eigene Endlichkeit, nichts Abstraktes mehr. Die Angst davor ist da, sie begleitet mich Tag für Tag.

Was kommt danach?

Auch nachts, wenn ich im Bett liege, stelle ich mir oft die Frage: Was kommt nach dem Tod? Wirklich nichts? Ich frage mich, wo mein Freund jetzt ist und ob es ihm wohl gut geht? Natürlich möchte ich daran glauben, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist, sondern dass unsere Seele überdauert. Doch warum sollte es anders sein als vor unserer Geburt? Denn was kam vor dem Leben? Nichts, ganz genau! Meist will ich die beklemmenden Gedanken daran schnell loswerden, ich muss mich bewegen, schreiben, egal was, Hauptsache, irgendetwas tun. Ich habe Angst vor dem Nichts, vor dem Fallen in das berüchtigte schwarze Loch, vor dem Verlust des Bewusstseins von „Ich bin“.

Die Angst vor dem Tod, sie bleibt

Wir alle haben wohl Angst vor dem Tod, versuchen Gedanken an unsere Sterblichkeit zu verdrängen – und weil uns nun einmal nichts lieber ist als das Leben, ist der Tod unser Feind. Wir haben Angst vor dem Ungewissen, vor der Veränderung, Angst, weil wir nicht wissen, was nach dem Tod mit uns geschieht. Dabei ist Angst eigentlich ein ganz normales, sogar ein notwendiges Gefühl. In den meisten Situationen, in denen sie auftritt, erfüllt sie eine wichtige Warnfunktion und weist uns auf Gefahren hin. Eigentlich steckt in allem, was wir tun, immer auch ein Quäntchen Angst: Wir haben Angst, uns zu verletzen, zu versagen, unseren eigenen oder den Ansprüchen anderer nicht zu genügen, Angst vor dem Leben und natürlich auch davor, krank zu werden und zu leiden.

Woher kommt diese Angst?

Und doch gehen alle unsere Ängste auf die eine Urangst zurück: die Todesangst. Denn unser stärkster Instinkt ist nun einmal der, zu überleben. Die Evolution hat unsere Ängste so programmiert, dass sie uns beim Überleben, nicht aber beim Sterben helfen. Doch vielleicht müssen wir uns unserer Angst vor dem Tod stellen, uns mit ihr auseinandersetzen, mit ihr konfrontieren, damit wir sie überwinden können?

Wie wir dagegen ankämpfen

Die meiste Zeit unseres Lebens kämpfen wir unbewusst gegen unsere Todesangst. Wir wissen nicht, dass sie da ist und uns ständig begleitet, und doch reagieren wir auf sie, indem wir uns in virtuelle Leben flüchten, gewalttätige Videogames spielen, in denen andere sterben, oder indem wir dem Tod mit Galgenhumor trotzen. Manchmal sehen wir uns auch Horrorfi lme oder die Gewalttaten des Zweiten Weltkriegs an. Andere wiederum trotzen dem Tod, indem sie waghalsige Risiken eingehen. Sie beginnen mit Fallschirmspringen, fliegen Gleitschirm, surfen auf der S-Bahn oder stürzen sich an einem Bungeeseil von Brücken todesmutig in die Tiefe. Doch ganz egal, wie sehr wir uns auch bemühen: Die Furcht vor dem Tod können wir niemals bändigen. Sie ist ständig präsent und lauert in jedem Winkel unseres Bewusstseins. Einige Menschen flüchten sich in den Glauben, weil er ihnen die Zuversicht gibt, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, andere häufen Wohlstand an oder jagen einer vielversprechenden Karriere nach, nur um das Thema „Vergänglichkeit“ aus ihrem Leben zu verbannen.

Wir können nicht ausweichen

Aber es kommt der Moment, in dem wir dem Tod nicht mehr ausweichen können. Die Zeit, in der wir ihn das erste Mal bewusst wahrnehmen und akzeptieren müssen, dass es ihn gibt. Nämlich dann, wenn in früher Jugend unser Hund oder die Katze stirbt, die uns so ans Herz gewachsen ist, die geliebte Oma oder der Großvater von uns geht und später, wenn wir nahestehende Menschen verlieren – unsere Eltern, unseren Partner, vielleicht sogar eines unserer Kinder. Alles Situationen, in denen der Tod in unser Bewusstsein tritt. Und gerade diese Ereignisse sind es, die uns als Weckruf dienen können, um unser Leben zu verändern. Manche Menschen setzen nach solch einschneidenden Erfahrungen ihre Prioritäten neu. Nach einer überstandenen schweren Krankheit beispielsweise leben sie bewusster und intensiver. Plötzlich sind es nicht mehr der Erfolg, die Karriere und die Anerkennung, die wir suchen, sondern die elementaren Tatsachen des Lebens, die wir wieder zu schätzen wissen – die wechselnden Jahreszeiten, ein Sonnenstrahl, der durchs Fenster fällt, das Zwitschern der Vögel, der Geruch von frischgemähtem Gras, die Zeit, die wir mit nahestehenden Menschen verbringen und vieles mehr.

Was wir am meisten fürchten

Im Laufe unseres Lebens werden wir also gezwungen, uns früher oder später bewusst mit dem Tod auseinanderzusetzen. Und doch verlieren wir unsere Angst vor ihm nie ganz. Aber was genau fürchten wir eigentlich? Sind es all die Dinge, die wir nicht getan haben? Bedauern wir, die Chance, eine große Sängerin zu werden, nie ergriffen zu haben, weil wir es versäumt haben, unser Gesangstalent zu nutzen? Bedauern wir es, nie ein Bild gemalt, nie ein Buch geschrieben oder nie die Welt gesehen zu haben? Sind es all die Möglichkeiten, die wir verpasst haben? Oder ist es die Enttäuschung darüber, dass wir unser Potenzial nie ausgeschöpft haben? Sind wir verzagt, weil wir unsere Träume nicht gelebt, ja, es nicht einmal versucht haben?

Und haben wir wirklich nur Angst vor dem Tod oder nicht vielmehr vor dem Weg dorthin? Vor dem Sterben, dem Leiden, den Schmerzen, dem körperlichen und geistigen Verfall? Und was ist Sterben eigentlich, wie fühlt es sich an? Sterben ist wohl so individuell wie das Leben. Es gibt keine allgemeingültigen Aussagen, die man über diesen, unseren letzten Weg treffen kann. Oft ist es ein Prozess, der sich über Tage hinziehen kann, sich langsam entwickelt, aber auch plötzlich und unerwartet geschehen kann.

Sterben heißt Veränderung, sterben heißt, dass wir Abschied nehmen und alles loslassen. Sterben heißt, dass alles weniger wird, Tag für Tag, von Stunde zu Stunde. Unser Körper wird weniger, unsere Wahrnehmung lässt nach, unser Lebenswille versiegt. Wir atmen anders, unser Bewusstsein verändert sich – manche sind verwirrt, unruhig und wieder andere schlafen einfach ein, weil sie ihren inneren Frieden gefunden haben. Auch unser Aussehen verändert sich, wir werden dünner, bekommen Geschwüre auf der Haut, einen aufgeblähten Bauch, selbst unsere Hautfarbe verändert sich in der Stunde unseres Todes, unsere Augen scheinen ins Leere zu starren. Und natürlich kann Sterben auch Leiden bedeuten – Schmerzen zu haben, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Atemnot gehören unter Umständen dazu.

Leben – jetzt und hier!

Doch bevor wir sterben, leben wir. Gerade die Begrenztheit unseres irdischen Daseins, das Wissen darum, dass wir keinen Augenblick für immer festhalten können, sondern ihn auskosten müssen, weil er unwiederbringlich ist, sollte uns jeden Tag genießen lassen. Auch wenn jede Schönheit unweigerlich der Vergänglichkeit geweiht ist und alles, was wir je geliebt haben, entwertet scheint, da wir es letztlich verlieren, ist das Leben wertvoll.

Sigmund Freud war überzeugt, dass es gerade „die Beschränkung in der Möglichkeit des Genusses ist, die die Kostbarkeit des Lebens erhöht“.

Wir können den Tod nicht verhindern, doch wir können dafür sorgen, dass wir für den letzten Weg gut vorbereitet sind, ihn achtsam und würdevoll gehen und ihn damit wieder als einen Teil des Lebens sehen können, der keine Angst auslöst.

Den Mut zu haben, dem Tod ins Gesicht zu sehen, mildert nicht nur unsere Angst, er macht auch unser Leben lebenswerter, kostbarer und glücklicher.

Dr. Sandra Maxeiner Dr. Sandra Maxeiner
promovierte Politik- und Sozialwissenschaftlerin, Geschäftsführerin eines mittelständischen Unternehmens, ehrenamtliche Hospizhelferin


Hedda RühleHedda Rühle

Heilpraktikerin für Psychotherapie in Berlin, Integrative Psychotherapie und Familienstellen nach Hellinger, Dozentin der Paracelsus Schulen
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