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Ressourcenarbeit mit dem Triadischen Prinzip des systemischen Enneagramms

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fotolia©vegemickolae

 

„Es ist mehr Vernunft in deinem
Leibe als in deiner besten Weisheit.“
Friedrich Nietzsche

 


1. Das Modell des Enneagramms als Grundlage für das Triadische Prinzip

Das Enneagramm ist ein Modell über den Komplex von neun Persönlichkeitsstrukturen. Das Wort leitet sich aus dem Griechischen ab: ennea = neun, gramma = Figur. Es handelt sich um ein grafi sch dargestelltes Modell, welches aus einem Sechszack und einem Dreieck besteht. Die den Strukturen zugeordneten Zahlen sind kreisförmig angeordnet. Das Enneagramm-Modell lässt sich so beschreiben: Der Mensch hat drei Zentren der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit: Bauch, Herz und Kopf. Im Modell erfolgt die Zuordnung so, dass jeder Mensch in einem dieser drei Zentren primär verankert ist. Die anderen beiden Zentren sind entsprechend nachgeordnet. Das bedeutet, sie spielen eine genauso wichtige Rolle, sind jedoch nicht der Ausgangspunkt für das strukturelle „Betriebssystem“ eines Menschen.

Was bis hierhin noch abstrakt klingen mag, wird leichter verständlich, wenn man mit einbezieht, dass diese drei Zentren sich tatsächlich auch körperlich ausdrücken können und dass bestimmte Redewendungen wie, „da hüpft mir das Herz vor Freude“ oder „das schlägt mir auf den Magen“, oder Beschreibungen wie das beliebte „Bauchgefühl“ nicht von ungefähr Teil unseres Sprachgebrauchs sind. Sie drücken unsere Erfahrung aus, dass eine stete Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche vorhanden ist.

2. Die Grundthemen des Triadischen Prinzips

Die Triade ist die Basis des Enneagramm-Modells. Gleichzeitig ist sie auch, unabhängig vom Enneagramm, ein Modell, mit dem man gezielt psychische Prozesse begleiten kann.

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Ziel in der Arbeit mit der Triade ist es, Blockaden und Dysfunktionen/Traumata zugänglich zu machen, zu bearbeiten und zu integrieren und im nächsten Schritt die drei Zentren zur Ressourcenarbeit zu nutzen. So kann die körperliche Aktivierung der drei Kompetenzzentren auch als Instrument zur Diagnose dienen, um festzustellen, in welcher Verfassung jemand ist. Allein den Körper gezielt zu aktivieren, führt oft schon zu einer Verbesserung des Allgemeinzustandes.

3. Grundlegende Prämissen zur Triade

  • Jeder Mensch kann diese drei Zentren embodimental erfahren und erleben.
  • Alle drei Zentren sind als Kompetenzzentren zu sehen.
  • Der Ressourcenzustand des jeweiligen Zentrums ist individuell und multifaktorisch.

4. Flow-Richtung – Die Bewegung im Uhrzeigersinn im Triadischen Prinzip

Das Modell der Triade trifft eine Aussage darüber, in welcher Reihenfolge die Erfüllung dieser grundlegenden Bedürfnisse sinnvoll ist.

Für Menschen mit dem Primärzentrum Bauch bedeutet das Autonomiethema, zuerst den Bauchraum zu spüren und dann in Kontakt mit sich und anderen zu gehen, um dann im nächsten Schritt erst in das Kopfzentrum zu wechseln. Es ist immer wieder zu beobachten, dass gerade dies vermieden wird, damit die Kontrolle der Impulse aufrechterhalten werden kann.

Für Menschen mit dem Primärzentrum Herz heißt das, dass sie erst einmal zu ihren Gefühlen stehen und diese auch fühlen, sich dann darin orientieren, ohne gleich zu handeln, damit sie sich selbst einen Überblick verschaffen, der es ihnen erlaubt, autonom dastehen zu können.

Für Menschen mit dem Primärzentrum Kopf heißt das letztlich, nicht im Kopf in Vorstellungen zu kreisen, sondern den Schritt in Richtung Raum und Handlung zu machen. Dann erst ist es für diese Personen sicher genug, sich auch den Gefühlen zuzuwenden. Als Wirkhypothese für diese Fließrichtung ist zu vermuten, dass diese Richtung dem Fluss der afferenten Nervenbahnen vom Bauch zum Gehirn folgt.

5. Die drei Phasen der Ressourcenarbeit

Phase I: Bestandsaufnahme der drei Kompetenzzentren/die horizontale Begehung

Phase II: Mit der an Körperresonanz orientierten Arbeit werden Blockaden und Hindernisse in den drei Zentren aufgespürt und bearbeitet.

Phase III: Ressourcenarbeit mit den drei Zentren

Phase I

Die drei Zentren werden mittels Bodenanker als Dreieck gelegt und es erfolgt die Anleitung, sich auf das betreffende Zentrum zu stellen, mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung in das jeweilige Zentrum zu gehen und zu schildern, was im Körper spür- und wahrnehmbar ist. Startpunkt ist meistens der Bauch, analog zum Aufbau im Körper von unten nach oben. Es werden neutrale Farben wie z. B. Grau verwendet, um keine assoziierbaren Farbanker zu setzen. Horizontale Begehung heißt, es wird nichts vertieft, sondern Phänomene und Befindlichkeiten werden gesammelt.

Phase II

In dieser Phase wird die Rangfolge bestimmt. Welches Zentrum ist momentan als stärkste Ressource spürbar, welches Zentrum steht auf dem zweiten Rang und welches auf dem dritten Rang? Wenn ein Zentrum als starke Ressource spürbar ist, kann dies unterstützend vertieft werden, um vorhandene Störungen oder Blockaden zu lösen. Um einen Zugang zu überlagerten Ressourcen zu schaffen, ist es wichtig, vorhandene negative Empfindungen und/oder Wahrnehmungen sichtbar zu machen, man könnte dann einen weiteren Bodenanker für diese Empfi ndung legen – etwa mit der Frage: „Wenn diese Empfindung nicht in Ihnen ist, wo wäre sie in Bezug zu Ihnen hier im Raum?“

In der Phase II müssen nicht alle auftauchenden Themen bearbeitet werden, oft reicht deren Sichtbarwerdung aus. Die Vorgehensweise ist sehr prozessorientiert, es kann nicht formuliert werden: Wenn A passiert, dann folgt B usw. Dies kommt sehr auf den Auftrag an, den der Klient erteilt hat. Wenn ein Zentrum z. B. toxisch bleibt – das heißt, mit spontan auftretenden belastenden Empfindungen verknüpft ist –, dann empfiehlt es sich, einen Bypass zu legen.

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Im Klienten sollen keine Mangelgefühle auftreten, z. B. der Gedanke, er könne das Herz nicht schaffen. Dazu gibt man der Person die Scheibe „Meine Dosis Herz“ in die Hand und lässt sie prüfen, bei welchem Abstand es sich noch angenehm anfühlt. Diese Scheibe ist eine Art Joker.

Phase III

Diese konzentriert sich auf das jeweilige Zentrum als Ressource. Ziel ist es dabei, einen ganz persönlichen und individuellen Zugang zu den drei Zentren entstehen zu lassen, sodass diese als Ressource erlebt werden können. In dieser Arbeitsphase können immer wieder unangenehme oder störende Empfindungen, Gedanken, Gefühle auftreten, dann wird in Phase II zurückgewechselt, um diese Themen zu bearbeiten. Jedes auftauchende Thema wird mit einer weiteren Scheibe/Bodenanker sichtbar gemacht. Wichtig hierbei ist es, dass auch eine minimale Erleichterung oder Verbesserung als hilfreich angesehen wird. Diese kann dadurch unterstützt werden, dass jetzt die Bodenanker durch z. B. farbige Scheiben ersetzt werden, die das positive Empfinden noch unterstützen. Es kann ein Bild oder eine Geste dazu assoziiert werden oder jemand wird eingeladen, sich in die Mitte des Dreiecks zu stellen und mit einer Körperbewegung alle drei Zentren in sich aufzunehmen.

Eine prozessorientierte Vorgehensweise ist sehr unterstützend. Alles, was hilfreich ist, wird utilisiert – alles, was weniger hilfreich ist, wird ohne Diskussion verworfen.

6. Fallbeispiel: Das Bewerbungsgespräch

Der Klient hatte ein konkretes Anliegen für ein Coaching. Es ging um ein Bewerbungsgespräch für eine neue Stelle, die ihm sehr am Herzen lag. Der Auftrag war somit, sich im Gespräch möglichst gut zu präsentieren. Ein Teil des Coaching lief über die Aufstellung des Triadischen Prinzips.

In mehreren Durchgängen verbesserte sich die Körperresonanz. Auf dem ersten Ressourcen-Rang lag das Bauchzentrum, dem zweiten das Kopfzentrum und auf dem dritten Rang das Herz. Der Mann berichtete: „Beim Herz muss ich immer an meine Mutter denken, ich habe sie als übergriffig und distanzlos erlebt.“ So wurde die Mutter durch einen weiteren Bodenanker (Scheibe) sichtbar gemacht. Der Klient wurde dann aufgefordert, vom Herzzentrum aus genau den Platz für den Anker der Mutter zu finden, der für ihn stimmig wäre. Nachdem der Platz gefunden war, wurde mittels einer klaren Abgrenzung das Fremde (die Mutter) vom Eigenen (das eigene Herzzentrum) getrennt.

Als die Mutter klar repräsentiert war, stieg erst einmal die emotionale Bedrohlichkeit und im Klienten wurde ein kindlicher Anteil sehr aktiv. Hier war es wichtig, deutliche psychische Grenzen des Klienten zu etablieren. So überwältigend es emotional auch sein kann, dass die Mutter negativ wirkt, so bringt doch die Sichtbarmachung eines Themas selbst oft schon eine Entlastung. „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt!“ ist hier buchstäblich richtig. Als Abgrenzung zur Mutter dient in der Aufstellung ein schlichter Klebebandstreifen. Durch diese klar sichtbare Trennung wird die Psyche darin unterstützt, Eigenes von Fremdem abzugrenzen. So verringerte sich die Wirkung der Repräsentanz der Mutter und der Zugang zur Ressource wurde möglich.

Im weiteren Prozess zeigte sich, dass ein „zugeschnürter Bauch“ mit einer unangenehmen Erfahrung, nämlich einer mündlichen Prüfung während des Studiums, zu tun hatte. Das bevorstehende Bewerbungsgespräch aktivierte die damit verbundenen unangenehmen Gefühle. Da dies zu ihm selbst gehörte, wurde dieses Thema nicht abgetrennt. Der Klient stellte sich auf die Scheibe, die für die Prüfung stand, und die unangenehmen Empfindungen verstärkten sich. Diese Resonanzeffekte wurden dann mittels Klopfen und Selbstakzeptanzübungen bearbeitet (PEP-nach Michael Bohne).

Für sein Anliegen des erfolgreichen Bewerbungsgespräches konnte der Klient nun auf seine Ressourcen zugreifen. Die Abtrennung der Mutter von der eigenen Triade des Klienten wurde mithilfe einer Trennlinie unterstützt, sodass der Klient sein Erleben von den Gefühlen/Erwartungen der Mutter abgrenzen konnte. Die unangenehme Erfahrung der Prüfung konnte so zur Ressource werden. Es entstand eine Situation, in der unangenehme Themen nicht weggeschoben wurden, sondern weiterhin sichtbar bleiben konnten. Er machte gleichzeitig die Erfahrung, dass er sich dem Thema Mutter oder Prüfung widmen kann, aber nicht muss, und dass er davon nicht überrollt oder vereinnahmt wird. Wichtig war für ihn zu erleben, dass Handlungs- und Entscheidungsspielraum sowie Steuerungsfähigkeit bestehen bleiben.

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7. Fazit

Die Arbeit mit dem Triadischen Prinzip kann die therapeutische Arbeit sinnvoll ergänzen, da diese Methode einen effizienten und wirkungsvollen Zugang zum resonanzbasierten Körpererleben bietet. Ressourcen werden nicht nur mental oder in inneren Bildern aktiviert, sondern sind ganz konkret im Körper erlebbar. Der Klient kann dies selbst zu Hause anwenden und erfährt so eine erhöhte Selbstwirksamkeit.

Gleichzeitig beugt das Triadische Prinzip beim Therapeuten/Coach Erschöpfungstendenzen vor, da gerade Klienten, die sehr stark kognitiv orientiert sind, so wieder in ihrem Körper verankert werden können und automatisch ein tieferer therapeutischer Prozess stattfinden kann.

Bei traumatisierten Patienten sollte über eine behutsame Dosierung nachgedacht werden, da unter Umständen ein direkter, embodimental aktivierter Kontakt zum Trauma stattfinden kann. Hier sollten dem Therapeuten geeignete Methoden zur Verfügung stehen, um stabilisierend intervenieren zu können.

Literatur

  • Matthias Varga von Kibéd & Insa Sparrer: Ganz im Gegenteil – Tetralemmaarbeit und andere Formen der Strukturaufstellung, Carl-Auer Verlag, 2011
  • Franz Ruppert: Symbiose und Autonomie, Klett- Cotta Verlag, 2011
  • Franz Ruppert: Trauma, Bindung und Familienstellen, Klett-Cotta Verlag, 2005
  • Franz Ruppert: Seelische Spaltung und innere Heilung, Klett-Cotta Verlag, 2010
  • Richard C. Schwartz: Systemische Therapie mit der inneren Familie, Klett-Cotta Verlag, 2003
  • Woltemade Hartman & Kai Fritzsche: Einführung in die Ego-State-Therapie, Carl-Auer Compact, 2010
  • Eugene T. Gendlin & Johannes Wiltschko: Focusing in der Praxis, Pfeiffer bei Klett-Cotta Verlag, 1999
  • Joachim Bauer: Das Gedächtnis des Körpers, Piper Verlag, 2004
  • Joachim Bauer: Warum ich fühle, was Du fühlst, Heyne Verlag, 2006
  • Hans Neidhardt & Maria-Anne Gallen: Das Enneagramm unserer Beziehungen, rororo Verlag, 1994
  • Don R. Riso: Die neun Typen der Persönlichkeit und das Enneagramm, Knaur Verlag, 1989
  • Friedrich Nietzsche, herausgegeben von Mirella Carbone und Joachim Jung: Die Kunst der Gesundheit, Karl Alber Verlag, 2012
  • Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden, Band 1 – Störungen und Klärungen – Allgemeine Psychologie der Kommunikation, Rowohlt- Taschenbuch, 2008
  • Peter A. Levine: Vom Trauma befreien, Kösel Verlag, 2011
  • Gabriele Kahn: Das Innere-Kinder-Retten, Psychosozial Verlag, 2010
  • Michael Bohne, Markus Bauer, Luigi Berini und Roseline Brinkman u. a.: Klopfen mit Pep – Prozessorientierte embodiment-fokussierte Psychologie, Carl-Auer-Systeme Verlag, 2010
  • Gabriela von Witzleben: Enneagramm kompakt, tao Verlag, 2014
  • Gabriela von Witzleben: Das systemische Enneagramm, tao Verlag, 2014

Gabriela von Witzleben Gabriela von Witzleben
Jahrg. 1961, Heilpraktikerin für Psychotherapie, psychotherapeutisch tätig in eigener Praxis, Leiterin des Instituts für systemisches Enneagramm
Am Seerhein 8, 78467 Konstanz
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