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Get your ACT togeher

Erinnern Sie sich noch an die Spice Girls und ihren Welthit „Wannabe“? Dort heißt es: „Get your act together we could be just fine/So tell me what you want, what you really, really want.“ („Gib’ dir einen Ruck, mit uns könnte es gut gehen. Sag mir, was du willst, was du wirklich, wirklich willst“).

Immer, wenn ich das Lied höre, erinnert es mich an eine neuere Form, die „dritte Welle“ der Verhaltenstherapie, die sich – aus den USA kommend – bei uns allmählich verbreitet: Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie, ACT (als Wort gesprochen) wurde Ende der 1990er-Jahre von einem Team um den US-amerikanischen Psychologen Steven C. Hayes entwickelt und beruht auf dessen Bezugsrahmentheorie (Relational Frame Theory), einem kontextualistischen Erklärungsmodell für sprachlich-gedankliche Prozesse. Es handelt sich dabei um einen störungsübergreifenden Therapieansatz, bei dem Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie mit achtsamkeits- und akzeptanzbasierten Methoden kombiniert werden.

Das Universum der ACT in der Nussschale

Die meisten Probleme des täglichen Lebens haben mehr oder weniger klare Ursachen, die wir nach bewährten Schemen analysieren und beseitigen können. Bei seelischen Problemen funktioniert das leider nicht so gut. Je stärker wir versuchen, Depressionen, Ängste, quälende Gedanken oder Gefühle zu beseitigen, desto stärker werden sie. Genau darin liegt das Problem der meisten Therapieverfahren: Sie wollen ein psychisches Problem einfach nur beseitigen.

Die ACT ist radikal anders. Sie geht davon aus, dass wir unsere seelischen Ereignisse – ganz egal, ob wir sie mögen oder nicht – zunächst einmal annehmen müssen. Akzeptieren wir sie nicht, so werden sie immer größer und beginnen schließlich, uns ganz zu beherrschen. Wir geraten in eine Abwärtsspirale und führen einen aussichtslosen Kampf gegen uns selbst. Die ACT möchte es nicht so weit kommen lassen und setzt daher den Behandlungsfokus früh auf die eigenen Werte und Ziele. So wird dem Patienten die Chance geboten, ein sinnerfülltes Leben zu führen.

Das Therapieziel der ACT liegt in der Akzeptanz des Selbst und des anderen. Was zunächst einmal recht banal klingt, ist tatsächlich ein tief greifender Prozess. Damit dysfunktionale Verhaltensmuster verändert werden können, müssen sie erst genau wahrgenommen und hinterfragt werden. In der Folge können Patienten lernen, ihr Planen und Handeln nach ihren ureigenen Werten („… was du willst, was du wirklich, wirklich willst …“) auszurichten. Dadurch wird eine stärkere psychologische Handlungsflexibilität angestrebt: Innere Empfindungen werden mit äußeren Umweltbedingungen abgeglichen, was die Möglichkeit eröffnet, ein der jeweiligen Situation angemessenes Verhalten zu wählen.

Die ACT wird bei einer Reihe von Störungen und Problemen angewandt und ist bereits vielfach hinsichtlich ihrer Wirksamkeit wissenschaftlich untersucht worden. So liegen Studien zur Behandlung von Stö- rungsbildern (u. a. Depression, Ängste und Zwänge) vor (Hayes et al., 2012, S. 370). Die bisherigen Befunde legen nahe, dass ACT dabei ebenso effektiv ist wie andere etablierte Therapieansätze, etwa die kognitive Verhaltenstherapie.

Bei folgenden Störungsbildern hat sich ACT als hilfreich und zielführend erwiesen (A-Tjak et al., 2015, Waadt und Acker, 2013):

  • Stress
  • Burnout
  • Erschöpfungszustände
  • Depressionen
  • Angststörungen
  • Zwangsstörungen
  • chronische Schmerzen

Darüber hinaus kann ACT helfen, die allgemeine Lebenszufriedenheit zu verbessern. In dem von Hayes und Strosahl (2004) herausgegebenen Therapiemanual werden Fallformulierungen für affektive Störungen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Drogenabusus und Drogenabhängigkeit sowie chronische Schmerzen detailliert beschrieben.

Es finden sich darin auch Anwendungsfälle für Kinder und Jugendliche, für Stress und für medizinische Settings sowie für Gruppentherapie.

Klinische Prozesse

FP 0318 Big Datei A4 Page40 Image1Die ACT beinhaltet sechs Kernprozesse psychologischer Flexibilität: Akzeptanz, kognitive Defusion, das beobachtende Selbst (Beobachter-Ich-Perspektive), Achtsamkeit als Gegenwärtigkeit, gewählte Werte und ihre Verbindung mit funktionalen Handlungen (Commitment, Hayes et al., 2012). Zwischen diesen Prozessen bestehen vielfältige Wechselbeziehungen. Gemeinsam beschreiben sie offenes, zentriertes und engagiertes Verhalten und somit Fähigkeiten, die erworben werden können. Diese Zusammenhänge zeigt die Abbildung.

Beginnen wir mit den Prozessen der kognitiven Defusion und der Akzeptanz, die beide eine offene Verhaltensäußerung kennzeichnen. Die ACT geht von der Vorstellung aus, dass psychische Befindlichkeiten auf der Ebene von Sprache und Denkmustern geprägt werden. Fusion bezeichnet die Verschmelzung, etwa mit dem Denkinhalt „Ich bin ein ängstlicher Mensch“. Bei dieser Aussage handelt es sich um eine sprachliche Formulierung, die an und für sich wertneutral ist. Erst wenn der Sprecher keinen Abstand zu diesem Gedanken hat und sein Verhalten danach ausrichtet, entsteht Fusion, sodass er mit seiner Angst verschmilzt und buchstäblich zu einem „Angst-Menschen“ wird. Der Kontext der Aussage ist also entscheidend. Bei der kognitiven Defusion geht es nun darum, diese Verschmelzung wieder aufzulockern. Im Prozess der kognitiven Defusion lernt der Patient zu unterscheiden: Ich bin ein Mensch. Daneben habe ich Gedanken, die mir vermitteln, ein ängstlicher Mensch zu sein. In der Therapie lernt der Patient, durch achtsame Selbstbeobachtung Abstand zu seinen Gedanken, Gefühlen, Stimmungen und Körperwahrnehmungen zu gewinnen und sie als das zu erkennen, was sie sind, nämlich bloße Gedanken und Zustände, die ihn keineswegs als Menschen konstituieren.

Bei der Akzeptanz geht es um die Bereitschaft, schmerzlichen Erfahrungen und Ereignissen aus der Vergangenheit einen Raum zu geben, ohne zu versuchen, sie zu vermeiden oder zu verdrängen. So lernt der Patient, Situationen zuzulassen, die schmerzliche Erinnerungen mit gro- ßer Wahrscheinlichkeit heraufbeschwören werden. Indem er diesen Schmerzraum zulässt, erkennt er, dass der Schmerz „nur“ Schmerz ist, wenngleich er vielleicht nicht gänzlich auszumerzen ist. Achtsamkeit als willentlich offene, empfängliche, flexible und nicht beurteilende Haltung in Bezug auf alltägliche Erfahrungen, wie sie sich von Augenblick zu Augenblick entfalten, dient dabei als Exposition, wodurch der Patient lernt, sein Leid leichter zu ertragen, sodass es ihn bei der Teilnahme an einem reichhaltigen Leben nicht behindern muss.

Dies ist eine wesentlich andere Herangehensweise als im Falle der klassischen Verhaltenstherapie, bei der man versucht, den Schmerz selbst durch die Exposition zu reduzieren, was zu dem paradoxen Ergebnis führen kann, dass das Leid statt gelindert gar noch verstärkt wird (Hayes et al., 2012). Akzeptanz ist jedoch nicht mit Resignation oder Toleranz zu verwechseln, die durch eine passive Grundhaltung gekennzeichnet ist. Akzeptanz ist demgegenüber ein aktiver Prozess der Neugierde und des Mitgefühls, das sich in diesem Fall an sich selbst wendet.

Die nächsten zwei Prozesse, das beobachtende Selbst bzw. die Beobachter-IchPerspektive und die Gegenwärtigkeit betreffen die Zentrierung des Menschen. Die Beobachter-Ich-Perspektive erfordert die innere Distanzierung von einem wie auch immer gearteten Selbstbild. Man ist dann Beobachter und nicht „Schublade“ seines Selbst. Ein Selbstbild ist das Ergebnis von Erziehung, in der man lernt, Phänomene zu benennen, zu kategorisieren und zu beurteilen. Auf diese Art fabriziert der Mensch mit seiner ganz privaten Logik seine eigene Geschichte. Dieses Narrativum beschreibt den Lebensweg, erklärt Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, definiert wesentliche Charaktereigenschaften und stellt fortwährend Vergleiche mit anderen an.

Im Gegensatz dazu bedeutet das Beobachter-Ich die ungeschminkte Erfahrung des Ichs im Hier und Jetzt, sodass ein Bewusstsein erzeugt wird, in dem Gedanken und Gefühle „objektiv“ im Sinne kognitiver Defusion und Akzeptanz betrachtet werden können. Das Ich im Hier und Jetzt ist eine Frage der Gegenwärtigkeit bzw. Achtsamkeit, die rigiden Gedanken in Verbindung mit Grübeln über die Vergangenheit oder Sorgen über die Zukunft entgegensteuern soll. Achtsamkeit überwindet die Gedankenrigidität und erzeugt flexible Aufmerksamkeit.

Die Prozesse des Sichöffnens und der Achtsamkeit zielen auf das engagierte Handeln. Der Patient lernt, das zu tun, was für ihn zählt. Und was für ihn zählt, sind seine frei gewählten Werte, nicht irgendwelche „Werte“, die von außen in irgendeinem sozialen Kontext aufoktroyiert werden. Sie beschreiben die Dinge, die für ihn wirklich Bedeutung haben, und die Art, wie er sich und andere behandeln möchte, und sie beschreiben etwas, was seinem Leben Sinn verleiht. Die ACT unterstützt Menschen, die von ihren persönlichen Werten abgespalten sind oder die auf eine Art handeln, die mit ihren Werten nicht im Einklang steht. Die Patienten (immer m/w) lernen, sich für ihre Werte bewusst zu entscheiden, diese Werte mit positiven Qualitäten der Gegenwart zu verbinden und auf diese Art das Handeln so auszurichten, dass es mit den eigenen Werten konform geht. Trotz der Unbilden und Schwierigkeiten eines jeden Lebenswegs und trotz des damit verbundenen Leids ist auf diese Weise ein zufriedenes, erfülltes und sinnstiftendes Leben erlernbar und praktizierbar.

Anforderungen an Therapeuten

Hayes et al. (2012, S. 161) schreiben, dass die therapeutische Beziehung stark, offen und von Akzeptanz geprägt ist, auf Gegenseitigkeit beruht sowie respekt- und liebevoll ist. Dass die ideale ACT-Beziehung den Inbegriff psychologischer Flexibilität darstellt. ACT ist alles andere als eine reine intellektuelle Übung und es dürfte erkennbar sein, dass das Verfahren hohe fachliche und persönliche Anforderungen an den Therapeuten stellt.

Anzumerken ist aber auch, dass der ganzheitliche Ansatz der ACT im Einklang mit dem Weltbild des Heilpraktikers für Psychotherapie steht, und ich konnte bereits feststellen, dass sich mehrere Kollegen darauf spezialisiert haben. Es ist meine Hoffnung. Dieser Beitrag soll dazu dienen, dass sich noch mehr Kollegen mit dieser vielversprechenden Therapieform befassen und sich darin ständig fortbilden, sodass es vielleicht in naher Zukunft Arbeitsgruppen, ähnlich der Balint-Gruppen, geben wird.

Um es nochmals mit den Spice Girls zu sagen:
Gib’ dir einen Ruck, get your ACT together!

Literatur

  • A-Tjak, J. G. L. et al.: A Meta-Analysis of the Efficacy of Acceptance and Commitment Therapy for Clinically Relevant Mental and Physical Health Problems. Psychotherapy and Psychosomatics. 2015, 84, S. 30–36
  • Hayes, S. C., Strosahl, K. D.: A Practical Guide to Acceptance and Commitment Therapy. New York, Springer, 2004
  • Hayes, S. C., Strosahl, K. D., Wilson K. G.: Acceptance and Commitment Therapy. The Process and Practice of Mindful Change. New York, London, The Guilford Press, 2012 Deutsche Übersetzung: Akzeptanz- und Commitment-Therapie. Achtsamkeitsbasierte Veränderungen in Theorie und Praxis. Paderborn, Junfermann, 2014
  • Waadt, M., Acker, J.: Burnout – Mit Akzeptanz und Achtsamkeit den Teufelskreis durchbrechen. Bern, Hans Huber Verlag, 2013

Dr. James BrutonDr. James Bruton
Heilpraktiker für Psychotherapie mit Praxis in Langballig

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