Skip to main content

Widerstand zwecklos? Oder: Wie findet man den „Sweet Spot“?

2014-01-Widerstand1

Die deutsche Sprache kennt im Zusammenhang mit dem Wort „Widerstand“ einige Verbformen, die mehr oder weniger drastisch sind: den Widerstand aufgeben oder ihn brechen. Sprachlich etwas weniger aggressiv: den Widerstand überwinden. Dabei bekommt man leicht den Eindruck, dass das Wort Widerstand etwas Ungewolltes, gar etwas um jeden Preis zu Bekämpfendes ist.

fotolia©Aivars RimsaAus psychologischer Sicht wird der Widerstand – je nach psychologischer Schulrichtung – oftmals als Abwehrmechanismus bezeichnet. Mit dem Wort Widerstand ist hier meist die Vermeidung von schmerzhaften, traumatischen oder anderweitig schwierigen Ereignissen, Erinnerungen und den damit verbundenen Gefühlen gemeint. „Hinter“ dem Widerstand stehen oftmals Scham-, Schuldgefühle oder Ängste.

Widerstand kann sehr vielschichtig sein, manchmal wie eine Zwiebel: eine Hülle liegt über der anderen. Jede Widerstandsschale, die abfällt, die losgelassen wird, ermöglicht aber letztendlich neues positives Wachstum.

Wie äußert sich der Widerstand in der therapeutischen Praxis ganz konkret?

Manche Klienten kommen ständig zu spät, andere geben dem Therapeuten permanent Zustimmung oder genau das Gegenteil davon. Manchmal theoretisieren Klienten inhaltlich korrekt, logisch nachvollziehbar und sehr ausgiebig. Gerade bei sehr intellektuellen und wissenschaftlich gebildeten Menschen ist diese Art des verbalen Widerstandes anzutreffen. Diese „Kopfarbeiter“ oder „Denker“ sind oftmals sehr weit von ihren Gefühlen entfernt – und wollen diese Distanz vordergründig auch beibehalten.

Der Therapeut ist hier leicht in Gefahr, sich durch die vom Klienten vorgetragenen Inhalte vom eigentlichen Ziel abbringen zu lassen. Dagegen hilft es, immer wieder auf die Meta-Ebene zu gehen und sich zu fragen: Welche Finte wird hier gerade versucht? Welche falsche Fährte wird hier gerade gelegt? Welches Täuschungsmanöver wird gerade gefahren? Was wird mir hier gerade suggeriert?

Hat man eine der vielen Tarnungen des Widerstandes erkannt, so ist mit dieser Erkenntnis immer wohlwollend umzugehen, denn der Klient generiert seine ganz eigene Widerstandsmethodik und -strategie unbewusst.

Wie verringert man den Widerstand des Klienten?

Das A und O ist immer ein gutes Vertrauensverhältnis. Vertrauen ist der entscheidende Schlüssel zum Abbau des Widerstandes. Sehr förderlich ist eine sichere, Vertrauen und Schutz gebende Umgebung, meist der Praxisraum. Nach einigen Sitzungen tritt meist ein Gewöhnungseffekt (Verlässlichkeit und Ausstrahlung des Therapeuten, Bekanntheit der Örtlichkeiten, passend gestaltetes Setting) und damit ein wesentlicher Vertrauensaufbau ein.

Als wichtigste Grundvoraussetzung, um Vertrauen zum Therapeuten aufzubauen, braucht der Klient aber vor allem eins: Zeit.

Seinen ganz individuellen Zeitraum, der genau so individuell in seiner Dauer ist, wie jeder Klient selbst einzigartig ist. Jeglicher Druck, Ungeduld oder Erwartungshaltung durch den Therapeuten würde den Vertrauensaufbau verzögern oder gar unmöglich machen. Oftmals hat sich der Klient über Jahre oder Jahrzehnte seinen Widerstand „erworben“ und verstärkt. Hilfreich kann hier, im passenden Kontext, auch das Erklären von Widerstandsmechanismen sein, um dem Klienten sein Verhalten und Empfinden verständlich zu machen. Der Versuch einer „schnellen“ Auflösung des Widerstandes kann dagegen eher kontraproduktiv sein.

Woran erkennt man, dass der Widerstand abnimmt?

Das allererste Zeichen ist bereits der Erstkontakt zum Therapeuten. Dabei ging mit Sicherheit bereits im Vorfeld, bis zur ersten Anmeldung, einiges an Widerstandsabbau im Klienten vor sich.

Dieser erste Schritt ist für viele Klienten schwer. Niedrigschwellige Angebote wie E-Mail-Kontaktmöglichkeit oder ansprechende Webseiten sind hier sehr hilfreich. Aber jetzt hat er diesen Schritt getan, seinen inneren Widerstand überwunden und ist er erstmals in der Psychotherapie Praxis.

Der erste Schritt zum Abbau von Widerstand ist somit ohne Therapeut erfolgt, vom Klienten selbst initiiert.

Voraussetzung ist selbstverständlich, dass der Klient eigen-motiviert nach therapeutischer Unterstützung sucht. Bei einem fremdmotivierten Klienten könnte sich der Widerstand nochmals verstärken.

„Meine Frau schickt mich“, oder „Meine Kollegen sagen, dass ich doch mal was ändern muss“, können auf fehlenden Therapiewillen und starken Widerstand hinweisen. Sogar Aussagen wie „Jetzt habe ich meiner Frau den Wunsch erfüllt und war in therapeutischer Behandlung, also ist jetzt alles ok“, deuten darauf hin, dass Fremdmotivation meist den Widerstand erhöht.

Dass der Widerstand geringer und das Vertrauen größer wurde, kann man auch an der Annahme und Bejahung einer Therapieform durch den Klienten feststellen.

Während der imaginativen Psychotherapie z. B. lässt sich sehr gut erkennen, ob sich der Klient auf den Prozess einlässt oder ob er Widerstand zeigt, also vom Denken nicht ins Fühlen kommt bzw. kommen möchte.

In meiner Praxis konnte ich ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern feststellen: Männer kommen schwerer an ihre Gefühle als Frauen. So weit vielleicht erst einmal nichts Überaschendes. Diese Erkenntnis wird jedoch wichtig, wenn man von der Annahme ausgeht, dass das Zulassen von Emotionen Hinweise auf einen verminderten oder gar aufgegebenen Widerstand hindeutet.

Wenn Widerstand aufgegeben wird, wenn althergebrachte und jahrelange Schutzmechanismen nicht mehr genutzt werden, dann erkennt man das oft zuerst an kurz aufblitzenden Gefühlsregungen, weniger an einem spontanen Gefühlsausbruch. Hier gilt es für den Therapeuten, genau diesen Augenblick abzupassen. Ist dieser wertvolle Augenblick, dieser „Sweet Spot“, dieses Fenster zu den Emotionen offen, so ist die Chance gegeben, an das wirkliche Problem und dessen Ursache zu kommen. Wenn sich dieses Fenster nach und nach immer weiter öffnet, dann ist Therapie sehr gut möglich.

Was ist der eigentliche Vorteil, wenn der Widerstand überwunden ist und vom Klienten nicht mehr benötigt wird?

Einer meiner geschätzten Lehrer in Tiefenpsychologie drückte es einmal so aus: „Psychische Verletzungen und Traumata sind wie Luftblasen im Wasser – sie wollen immer nach oben ins Bewusstsein steigen. Mehr oder weniger erfolgreich versucht unser Unterbewusstsein mit dem Widerstand diese Luftblasen mit viel Energie unten zu halten. Gelingt es jedoch dem Klienten mit Unterstützung des Therapeuten, eine dieser Verletzungen an die Oberfläche, zum Bewusstsein zu bringen, dann geschieht Erstaunliches. Die Energie, die bisher für das Halten im Unterbewusstsein benötigt wurde, steht plötzlich anderweitig zur Verfügung und ist nun freie Lebensenergie.“ Dafür lohnt es sich, wie ich meine, den Widerstand eines Klienten zu verringern oder gar obsolet zu machen. Für viele Menschen ist es oft nach Jahren der scheinbaren Abtrennung, Unterdrückung um jeden Preis oder Verleugnung ihrer Gefühle das erste Mal, dass sie sich angstfrei auf ihre Gefühle einlassen.

Das Motto meiner Website „Erkenne Dich selbst“ stammt von der Inschrift auf der Eingangssäule des Orakels von Delphi.Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie viele Widerstandsschalen Sie von ihrem Selbst trennen?

Günter Kaindl Günter Kaindl
Heilpraktiker für Psychotherapie Praxis für Psychotherapie
Am Blütenanger 39D, 80995 München
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.